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Voraussetzungen für Erwerbsminderungsrente

Bayerisches Landessozialgericht – Az.: L 19 R 359/10 – Urteil vom 27.07.2016

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.08.2016 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund ihres Antrags vom 29.04.2004 hat.

Die 1953 geborene Klägerin hat keine Berufsausbildung absolviert. Vom 22.08.1968 bis 16.04.1985 war sie als Fabrikarbeiterin tätig. In der Zeit vom 01.09.1989 bis 15.03.1991 war die Klägerin als Küchenhilfe versicherungspflichtig beschäftigt, seit 01.04.1991 war sie arbeitslos, ab dem 01.01.1998 stand sie im Bezug von Arbeitslosenhilfe. Ab dem 02.06.2004 bezog die Klägerin von der AOK C-Stadt Krankengeld, ein Erstattungsanspruch wurde bei der Beklagten angezeigt. In der Zeit vom 01.08.2005 bis 30.09.2005 bezog sie zunächst Arbeitslosengeld II. Laut Mitteilung des Landratsamtes R. – Sozialverwaltung – vom 01.07.2015 bezog die Klägerin durchgehend in der Zeit vom 01.01.2005 bis 28.02.2014 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Seit dem 13.05.2004 war der Klägerin vom Versorgungsamt Würzburg ein Grad der Behinderung von 60 zuerkannt, der nach Durchführung eines sozialgerichtlichen Verfahrens ab dem 10.03.2008 auf 70 erhöht wurde. Das von der Klägerin beantragte Merkzeichen G wurde nicht zuerkannt. Das gerichtliche Verfahren L 15 SB 110/05 wurde durch Abschluss eines Vergleichs beendet. Ein nochmaliges Überprüfungsverfahren war erfolglos (L 15 SB 70/09).

Am 29.04.2004 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente wegen PHS (Periarthritis humeroscapularis) rechte Schulter, Hypertonie und Glaukom. Nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen holte die Beklagte ein internistisch/sozialmedizinisches Gutachten von Dr. S. ein, der die Klägerin am 30.06.2004 untersuchte und zu folgenden Diagnosen gelangte:

  • Chronisches degeneratives LWS-Syndrom- Mittelgradiger Verschleiß rechtes Kniegelenk, links leichtgradig
  • Senk-Spreiz-Füße beidseits
  • Adipositas
  • Hochgradige Schwerhörigkeit links, mittelgradig rechts
  • Essentieller Bluthochdruck
  • Intermittierende Herzrhythmusstörung (paroxysmale supraventrikuläre Tachykardie)

Die Klägerin könne ihre letzte Tätigkeit als Küchenhilfe nur noch 3 bis unter 6 Stunden verrichten, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien unter Beachtung weiterer qualitativer Leistungseinschränkungen noch mehr als 6 Stunden täglich möglich.

Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 07.07.2004 den Rentenantrag der Klägerin ab.

Der hiergegen am 16.07.2004 eingelegte Widerspruch, mit dem weitere Behandlungsunterlagen übersandt wurden, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2004 als unbegründet zurückgewiesen. Das Lumbalsyndrom der Klägerin sei kompensiert. Die Aufdehnbarkeit der LWS sei nicht eingeschränkt. Minderungen der groben Kraft, Kennmuskelparesen, Sensibilitätsstörungen oder Reflexanomalien der Beine bestünden nicht. Röntgenologisch sehe man mittelgradige Verschleißerscheinungen der beiden unteren Segmente. HWS und BWS seien bei Beschwerdefreiheit funktionell unauffällig. Im rechten Kniegelenk bestünden mittelgradige Verschleißerscheinungen. Der Bluthochdruck sei nach den vorliegenden Unterlagen essentieller Genese, die medikamentöse Einstellung sei gut. Hinweise auf sekundäre Organschäden durch die Hypertonie oder eine manifeste Herzinsuffizienz hätten sich nicht ergeben. Das Belastungs-EKG sei im November 2003 bis 125 Watt bei Beschwerdefreiheit normal gewesen. Das Übergewicht ergänze sich mit mehreren der genannten Diagnosen in unglücklicher Weise. Die im Widerspruchsverfahren vorgelegten ärztlichen Unterlagen führten zu keiner anderen sozialmedizinischen Einschätzung.

Bereits am 01.10.2004 hatte die Klägerin zum Sozialgericht Würzburg (SG) Klage wegen Untätigkeit der Beklagten erhoben. Nach Hinweis auf die Unzulässigkeit der Untätigkeitsklage wegen fehlender Fristversäumung der Beklagten und der zwischenzeitlichen Erledigung infolge des am 08.10.2004 erlassenen Widerspruchsbescheids beantragte der Ehemann der Klägerin eine Klageänderung zur Entscheidung über den Rentenantrag der Klägerin.

Nach mehreren Verfahrensunterbrechungen (zunächst wegen laufender Streitsachen aus dem Schwerbehindertenrecht vor dem SG Würzburg (Az S 9 SB 795/04 und S 9 SB 829/04), Beiordnung von eines Prozessbevollmächtigten und Ablehnung dieses Prozessbevollmächtigten wegen vermeintlicher Befangenheit, Beiordnung eines neuen Prozessbevollmächtigten, der das Mandat wieder niederlegte) beauftragte das SG Dr. R. mit der Erstellung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens. Der Gutachtensauftrag wurde jedoch zurückgegeben. Es bestehe Verdacht auf ein psychisches Beschwerdebild. Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 21.03.2006, zu dem die Klägerin nicht erschienen war, folgten weitere Verfahrensunterbrechungen (Befangenheitsantrag gegen den zuständigen Vorsitzenden Richter des SG, abgelehnt mit Beschluss des Bay LSG vom 19.04.2006 (Az L 5 AR 37/06 R); Anhörungsrüge und zurückweisender Beschluss BayLSG vom 31.05.2006; Az L 5 AR 37/06 R).

Die Klage wurde schließlich in der mündlichen Verhandlung vom 23.08.2006, zu der die Klägerin nicht erschienen war, durch Urteil als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin habe die Voraussetzungen des § 43 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI – nicht nachgewiesen. Dr. S. habe im Verwaltungsverfahren ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen der Klägerin bei Beachtung qualitativer Einschränkungen festgestellt. Dies sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts habe die Klägerin nicht zugelassen. Die Klägerin sei zu anberaumten Erörterungsterminen nicht erschienen und habe insbesondere den ärztlichen Sachverständigen Dr. R. mit unverständlichen Drohungen zur Rückgabe des Gutachtensauftrages veranlasst. Zu bedenken sei auch, dass zwei Rechtsanwälte im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe ihr Mandat beendet hätten. Auch ein Gutachten nach Aktenlage sei nach einer Gesamtwürdigung der klägerischen Prozessführung nicht angemessen. Die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Atteste und Unterlagen seien nicht aussagekräftig genug, um im Rahmen einer Begutachtung nach Aktenlage zu einem aussagekräftigen Ergebnis zu gelangen. Das Gericht habe die Klägerin mit Schreiben vom 14.06.2006 auf ihre Mitwirkungspflichten und die möglichen Folgen ausreichend hingewiesen. Darauf habe die Klägerin nur mit kaum verständlichen Schriftsätzen geantwortet.

Hiergegen hat der Ehemann der Klägerin als deren Prozessbevollmächtigter am 28.09.2006 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt, die zunächst unter dem Aktenzeichen L 19 R 676/06 geführt wurde. Im Wesentlichen wurde vorgetragen, dass die Klägerin nicht mehr erwerbstätig sein könne und das SG seine Aufklärungspflichten massiv verletzt habe. So seien insbesondere 3 Röntgen-CDs nicht beigezogen und ausgewertet worden.

Mit Schreiben des Senats vom 07.09.2007 wurde bei der Klägerin angefragt, ob sie mit der Einholung eines ärztlichen Gutachtens einverstanden sei. Der Ehemann der Klägerin hat daraufhin nochmals auf der Beiziehung der Röntgen-CDs sowie darauf bestanden, dass die gesundheitlichen Verschlechterungen der Klägerin „sofort eingetragen“ würden. Der Senat hat sodann Befundberichte von Dr. B., Dr. A., Dr. K., Dr. S. beigezogen. Die Beklagte hat hierzu mit prüfärztlicher Stellungnahme von Dr. H. vom 16.09.2008 darauf hingewiesen, dass anhand der Befundberichte das Leistungsvermögen der Klägerin nicht abschließend beurteilt werden könne. Es sei eine Untersuchung der Klägerin notwendig. Sofern die Klägerin zu einer Begutachtung nicht bereit wäre, sollte wenigstens ein Gutachten nach Aktenlage eingeholt werden, vorzugsweise durch einen nervenärztlichen Sachverständigen. Mit Schreiben vom 03.10.2008 äußerte der Ehemann der Klägerin, dass strafrechtliche Schritte gegen Dr. H. und Dr. B. ergriffen würden. Eine Bereitschaft der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, bestand nicht.

Mit Schreiben vom 17.07.2009 beantragte die Klägerin die Anordnung des Ruhens des Verfahrens bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen gegen das Sozialgericht. Nach Zustimmung der Beklagten hierzu hat der Senat mit Beschluss vom 03.08.2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Am 30.04.2010 beantragte der Ehemann der Klägerin die Fortführung des Verfahrens, das mit Beschluss vom 10.05.2010 nunmehr unter dem Aktenzeichen L 19 R 359/10 fortgeführt wurde.

Mit Schriftsatz vom 30.05.2011 hat die Beklagte mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Erwerbsminderungsrente bei der Klägerin längstens bis 30.09.2007 gegeben wären und einen aktuellen Versicherungsverlauf übersandt. Daraus wird ersichtlich, dass als letzte Pflichtbeitragszeit der Bezug von Alg II bis 12.08.2005 vermerkt ist.

Zu einem am 16.06.2011 durchgeführten Erörterungstermin ist die Klägerin nicht erschienen. Aufgrund des umfassenden Protokollvermerks über den aktuellen Sach- und Rechtsstand übersandte die Klägerin am 24.06.2011 den angeforderten Fragebogen über ihre ärztlichen Behandlungen seit 2004.

Mit Schreiben des Landratsamtes R. – Sozialverwaltung – vom 13.12.2012 wurde mitgeteilt, dass die Klägerin seit 01.01.2005 und bis auf weiteres Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII beziehe. Der Ausgang des Verfahrens könne sich auf die Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. denkbare Leistungen nach dem SGB II für Erwerbsfähige auswirken. Mit Schreiben vom 01.07.2013 übersandte der Sozialhilfeträger die ihm vorliegenden ärztlichen Unterlagen über die Klägerin. Mit Schreiben vom 09.07.2014 hat der Sozialhilfeträger mitgeteilt, dass die Klägerin vom 01.01.2005 bis 28.02.2014 Sozialhilfe bezogen habe, mit weiterem Schreiben vom 12.11.2015 wurde auf gerichtliche Anforderung hin mitgeteilt, dass die Klägerin seit dem 01.03.2014 Altersrente beziehe. Zusammen mit ihrer Witwenrente könne sie ihren laufenden Bedarf decken, so dass kein weiterer sozialhilferechtlicher Bedarf bestehe.

Der Senat hat nochmals Befundberichte von den Radiologen Dr. C., Dr. D. (Augenärztin), Dr. E. (Internist), Dr. F., Dr. G. (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie), Dr. H. und Dr. B. beigezogen und sodann ein sozialmedizinisches Gutachten nach Aktenlage von Dr. I. eingeholt, der am 08.06.2016 zu folgenden Ergebnissen gelangt ist:

1. Bei der Klägerin lägen in der hier interessierenden Zeit von April 2004 bis einschließlich September 2007 folgende Erkrankungen vor:

  • Verschleißerscheinungen im Bereich des Bewegungsapparates mit Funktionsbeeinträchtigungen der Wirbelsäule, der untere Extremitäten und der oberen Extremitäten
  • Schwerhörigkeit beidseits, Radikalhöhle links
  • Lähmung des rechten Gesichtsnervens
  • Bluthochdruck, Neigung zu Herzrhythmusstörungen
  • Chronische Atemwegs-/Lungenerkrankung
  • Glaukom, Kurzsichtigkeit

2. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei in der fraglichen Zeit quantitativ nicht eingeschränkt gewesen. Trotz der vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen sei die Klägerin durchaus in der Lage gewesen, mindestens 6 Stunden am Tag bei durchschnittlicher Belastung und zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

3. Die Klägerin hätte noch körperlich leichte Arbeiten im Sitzen in geschlossenen, temperierten Räumen verrichten können. Zu vermeiden wären schwere und anhaltend mittelschwere Arbeiten, Tätigkeiten mit erheblichem manuellen Kraftaufwand, in körperlichen Zwangshaltungen (Bücken, Knien, Hocken, mit manuellen Verrichtungen über Augenhöhe), mit dauerhaftem Stehen oder permanentem Umhergehen sowie unter belastenden klimatischen Belastungen (Kälte, Nässe, Zugluft). Nicht geeignet wären Tätigkeiten mit im Vordergrund stehenden kommunikativen Aufgaben (Kundenkontakte, häufige Telefonate) sowie solche, die besondere Anforderungen an das Sehvermögen gestellt hätten, wie dies z. B. im Falle von Feinmontagen hätte zutreffen können. Außergewöhnliche Pausen wären nicht erforderlich gewesen. Das Umstellungsvermögen für Tätigkeiten nicht einfachster Art sei nicht beeinträchtigt gewesen. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben gewesen. Eine Minderung der quantitativen Erwerbsfähigkeit habe in der Zeit zwischen April 2004 und September 2007 nicht vorgelegen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.08.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 07.07.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2004 aufzuheben und der Klägerin aufgrund ihres Antrags vom 29.04.2004 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.08.2006 zurückzuweisen.

Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Bay LSG im Schwerbehindertenrechtsstreit L 15 SB 110/05 und L 15 SB 70/09, die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – entscheiden, weil die Beteiligten hiermit einverstanden waren. Sie wurden vorher gehört.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente nach § 43 SGB VI verneint. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass die Klägerin bis spätestens September 2007 in ihrem Leistungsvermögen zeitlich auf unter 6 Stunden täglich eingeschränkt war.

Gemäß § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. teilweise erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente sind bei der Klägerin längstens bis September 2007 gegeben, so dass eine spätere Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zwar möglich bzw. denkbar wäre, jedoch einen Rentenanspruch nicht mehr zu begründen vermag.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass ein Nachweis für eine Einschränkung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin auf unter 6 Stunden täglich in dem hier relevanten Zeitraum von April 2004 bis September 2007 nicht geführt werden konnte. Zumindest in der hier streitigen Zeit war die Klägerin trotz der bei ihr bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verrichten, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen.

Der Senat kommt zu dieser Überzeugung aufgrund des im Verwaltungsverfahrens eingeholten Gutachtens von Dr. S., der die Klägerin persönlich im Jahr 2004 untersucht hatte, ferner aufgrund der eingeholten Befundunterlagen, die doch erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung erlangt werden konnten und dem darauf basierenden Sachverständigengutachten nach Aktenlage von Dr. I. vom 08.06.2016.

Dr. I. legt in seinem Gutachten für den Senat nachvollziehbar dar, welche gesundheitlichen Einschränkungen bei der Klägerin ab dem Jahr 2004 vorgelegen haben und leitet dies aus den vorliegenden Befundberichten ab. Schwerpunkt der orthopädischen Leiden waren die Wirbelsäule, beide Knie und der linke Fuß, eine Schmerzhaftigkeit im Bereich des rechten Schultergelenkes, arthrotische Veränderungen an den Händen und Fingern, bei denen jedoch keine Funktionseinschränkungen dokumentiert sind. Die gesundheitlichen Einschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten führen zu qualitativen Einschränkungen hinsichtlich der Schwere der Tätigkeiten und bei Zwangshaltungen.

Bedeutsamer sind die gesundheitlichen Einschränkungen bei den unteren Extremitäten. Hier ist eine wiederholte Schwellneigung beider Knie dokumentiert bei nachgewiesenen Verschleißerscheinungen. Beide Kniegelenke waren aber frei von entzündlichen Veränderungen, komplett streckbar und weit über einen Winkel von 90 Grad hinaus beugbar. Das linke Sprunggelenk war seiner Beweglichkeit eingeschränkt, ohne dass dies jedoch Auswirkungen auf das Gangbild gehabt hätte. Der Klägerin wäre zwar keine dauerhaft stehende oder gehende Tätigkeit zuzumuten gewesen, aber eine mindestens 6stündige Tätigkeit im Sitzen oder im Wechselrhythmus hätte sie durchaus bewältigen können. Die Wegefähigkeit der Klägerin war erhalten, obwohl sie mit einem Gehstock wegen der Beschwerden am linken Sprunggelenk und ihrer Wirbelsäule versorgt war. Hinsichtlich der Wirbelsäule sind Abnutzungserscheinungen dokumentiert, die von der Klägerin eingenommenen Medikamente bestätigen die Tatsache des Vorhandenseins von Rückenschmerzen. Eine wesentliche Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ist trotz des dokumentierten Bandscheibenvorfalls nicht festzustellen gewesen.

Wirbelsäulenveränderungen der bei der Klägerin in der Zeit bis September 2007 vorliegenden Art könnten zwar immer wieder zu stärkeren Schmerzen führen und ärztliche Behandlungen erfordern. Sie schränkten auf Dauer aber das Leistungsvermögen der Klägerin lediglich hinsichtlich der Schwere der Arbeit und der Körperhaltung ein. Einer körperlich leichten Tätigkeit stünden diese aber nicht im Wege. Anhaltspunkte für weitere Verschleißerscheinungen in der HWS sind nicht dokumentiert.

Hinsichtlich des Hörvermögens der Klägerin ist im Dezember 2007 im Rahmen einer HNO-ärztlichen Untersuchung rechts eine mittelgradige Schwerhörigkeit, links eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit festgestellt. Dies bedeutet aber lediglich, dass eine Tätigkeit mit Wahrnehmung kommunikativer Aufgaben (Kundenkontakte, häufiges Telefonieren) unzweckmäßig gewesen wäre. Ein Ausgleich im Wege einer Hörgeräteversorgung ist nicht dokumentiert. Wegen der Neigung zu Ohrentzündungen wären auch Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Bedingungen ausgeschlossen gewesen. Dies führt aber ebenfalls lediglich zu der qualitativen Einschränkung der Arbeitsbedingungen dahingehend, dass die Klägerin in geschlossenen Räumen und unter Vermeidung ungünstiger Witterungseinflüsse hätte tätig werden müssen. Ob in der hier interessierenden Zeit eine klinisch relevante Gesichtsnervenlähmung vorgelegen haben könnte, lässt sich nach den Ausführungen von Dr. I. in seinem Sachverständigengutachten vom 08.06.2016 nicht mehr feststellen. Bei Dr. S. wurde eine solche Gesichtslähmung nicht erwähnt, auch nicht bei anderen Untersuchungen in der fraglichen Zeit.

Bei den sonstigen Erkrankungen auf internistischem Fachgebiet (paroxysmale supraventrikuläre Tachykardien) und COPD handelt es sich ebenfalls nur um Erkrankungen, die qualitative Leistungseinschränkungen begründet hätten. Aus den vorliegenden Befundberichten ergibt sich eine Belastbarkeit der Klägerin bis 125 Watt mit normalen Funktionswerten. Gleiches gilt für die Augenerkrankung der Klägerin (Glaukom und Kurzsichtigkeit). Hierdurch wären nur Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen ausgeschlossen, etwa Tätigkeiten mit Feinmontagen o.ä. Aufgrund einer zwischenzeitlich durchgeführten Augen-OP betrage der Visus beidseitig mittlerweile wieder 0,8, so dass auch von einer Behandlungsfähigkeit dieser Einschränkung auszugehen gewesen wäre.

Der Senat schließt sich den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. I. in vollem Umfang an. Die von Dr. I. aufgrund der vorliegenden Akten und Befundberichte festgestellten Leistungseinschränkungen der Klägerin entsprechen ihrer eigenen Begründung des Rentenantrags, bei dem sie auf die Schultererkrankung, den Bluthochdruck und ihre Augenerkrankung hingewiesen hat. Sie entsprechen den Feststellungen von Dr. S. im Verwaltungsverfahren, die dieser nach persönlicher Untersuchung der Klägerin am 30.06.2004 gewonnen hatte. Soweit sich im Verfahren Hinweise auf eine psychische Problematik ergeben haben könnten, ist nicht auszuschließen, dass dies in unmittelbarem Zusammenhang mit der Prozessführung durch den Ehemann der Klägerin und die zu beobachtende Vermischung von Rechtsstreitigkeiten zu werten gewesen wäre. Eine entsprechende fachärztliche Behandlung der Klägerin ist letztlich nicht dokumentiert. Wenngleich es vorliegend durchaus problematisch erscheint, dass aufgrund der langen Dauer des Verfahrens nicht ausgeschlossen werden kann, dass die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin gegebenenfalls doch schwerer gewesen sein könnten, sieht der Senat keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten, so dass vorliegend nach der objektiven Darlegungs- und Beweislast zu entscheiden war. Der Nachweis des Absinkens des quantitativen Leistungsvermögens auf täglich unter 6 Stunden – trotz Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen – ist im Zweifel von der Klägerin zu erbringen. Ein unter 6stündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in der Zeit zwischen April 2004 und September 2007 ist nicht nachgewiesen.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Zwar fällt die Klägerin aufgrund ihres Alters unter den Regelungsbereich dieser Vorschrift. Sie hat jedoch keine Berufsausbildung absolviert und kann deshalb auch keinen Berufsschutz im Sinne des § 240 SGB VI beanspruchen. Sie ist grundsätzlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Nach alledem war die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 23.08.2006 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

 

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