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Arbeitslosengeldanspruch – Minderung der Leistungsfähigkeit – Nahtlosigkeitsregelung

Arbeitslosengeld: Teilnahme an Reha unterbricht Anspruch nicht

Das Thema Arbeitslosengeldanspruch im Kontext der Minderung der Leistungsfähigkeit und der Nahtlosigkeitsregelung ist ein essenzieller Bestandteil des Sozialrechts. Es geht um die Frage, inwieweit Personen, deren Arbeitsfähigkeit aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen gemindert ist, Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Diese Fragestellung berührt die Grundsätze der sozialen Sicherheit und die Rechte von Personen, die aufgrund von Krankheit oder anderen Beeinträchtigungen nicht voll arbeitsfähig sind. Insbesondere die Nahtlosigkeitsregelung nach § 145 SGB III spielt eine zentrale Rolle. Sie soll sicherstellen, dass Personen, die nicht arbeitslos im klassischen Sinne sind, weil ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, dennoch Unterstützung erhalten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage der Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt während medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen und wie sich diese auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld auswirkt. In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle der Abmeldung vom Arbeitsmarkt und ihre Auswirkungen auf den Anspruch auf soziale Leistungen von Bedeutung. All diese Aspekte bilden zusammen ein komplexes juristisches Thema, das im Sozialrecht Siegen eine wichtige Rolle spielt und sowohl für Betroffene als auch für die Rechtspraxis von großer Relevanz ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: S 18 AL 266/20  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen stellt klar, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) auch während einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme aufgrund verminderter Leistungsfähigkeit bestehen bleibt. Die Entscheidung hebt die Wichtigkeit der Nahtlosigkeitsregelung hervor und unterstreicht, dass die fehlende Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt in solchen Fällen für den Alg-Anspruch irrelevant ist.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestehen des Alg-Anspruchs: Trotz Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme wegen verminderter Leistungsfähigkeit bleibt der Alg-Anspruch bestehen.
  2. Nahtlosigkeitsregelung: § 145 SGB III schützt Personen, deren Arbeitsfähigkeit eingeschränkt ist, indem es ihnen Alg zusichert, auch wenn sie nicht als „arbeitslos“ im klassischen Sinne gelten.
  3. Unberücksichtigte Verfügbarkeit: Die Verfügbarkeit des Klägers auf dem Arbeitsmarkt während der Reha-Maßnahme beeinflusst den Alg-Anspruch nicht.
  1. Rolle der Beklagten: Die Beklagte war nicht berechtigt, den Alg-Anspruch aufgrund der Teilnahme an der Rehabilitationsmaßnahme aufzuheben.
  2. Rechtliche Grundlage: Das Gericht stützt seine Entscheidung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III.
  3. Fiktion der Verfügbarkeit: Die Nahtlosigkeitsregelung fingiert die Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt, auch wenn diese objektiv nicht gegeben ist.
  4. Zulässigkeit der Klage: Die Anfechtungsklage des Klägers war statthaft und zulässig.
  5. Kostenentscheidung: Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers, und die Berufung ist aufgrund der Beschwerdehöhe zulässig.

Der Anspruch auf Arbeitslosengeld bei medizinischer Rehabilitation

Im Zentrum des vorliegenden Falles steht die Frage, ob ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) auch während der Teilnahme an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme besteht. Der Kläger, geboren 1955, war seit 1991 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit und bis September 2010 beschäftigt. Seit September 2017 war er aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig und bezog Krankengeld bis März 2019, während sein Arbeitsverhältnis weiterhin bestand.

Beginn des Rechtskonflikts und die Rolle der Beklagten

Nahtlosigkeitsregelung: ALG-Anspruch während Reha
(Symbolfoto: Nicole Lienemann /Shutterstock.com)

Der Konflikt begann, als der Kläger sich im Januar 2019 bei der Beklagten arbeitslos meldete. Im März 2019 informierte die Beklagte ihn, dass er zwar nicht als arbeitslos im Sinne des SGB III gelte, aber dennoch Anspruch auf Alg nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III habe. Die Beklagte forderte ihn auf, einen Antrag auf Rehabilitation zu stellen, woraufhin ihm Alg für einen Zeitraum von März 2019 bis Oktober 2020 bewilligt wurde. Nach Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme durch die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) im Mai 2019, teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ab Juli 2019 die Alg-Leistung eingestellt werden müsse.

Kernproblematik und Entscheidung des Sozialgerichts

Der rechtliche Kern des Konflikts liegt in der Interpretation des § 145 SGB III, der den Alg-Anspruch bei verminderter Leistungsfähigkeit regelt. Die Beklagte argumentierte, dass durch die Teilnahme an der Reha-Maßnahme keine Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt bestünde und somit der Alg-Anspruch entfalle. Der Kläger hingegen vertrat die Auffassung, dass die Reha-Maßnahme die Minderung seiner Leistungsfähigkeit und somit den bestehenden Alg-Anspruch nicht unterbreche.

Das Sozialgericht Nordhausen entschied zugunsten des Klägers. Es stellte klar, dass der Anspruch auf Alg gemäß § 145 SGB III auch während der Rehabilitationsmaßnahme bestehen bleibt. Die Nahtlosigkeitsregelung in diesem Paragraphen soll sicherstellen, dass Personen, deren Leistungsfähigkeit gesundheitlich bedingt eingeschränkt ist, bis zum Eintritt des Rentenversicherungsrisikos der Erwerbsminderung Alg beziehen können. Die Teilnahme an einer Rehabilitationsmaßnahme, die gerade wegen der Minderung der Leistungsfähigkeit gewährt wird, unterbricht diesen Anspruch nicht. Das Gericht sah keine ausreichenden Beweise dafür, dass der Kläger sich aus der Arbeitsvermittlung abgemeldet oder sein Bewerberangebot aufgegeben hätte.

Bedeutung des Urteils und Kostenentscheidung

Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für die Auslegung des Sozialrechts, insbesondere in Bezug auf den Alg-Anspruch während medizinischer Rehabilitationsmaßnahmen. Sie stärkt die Rechte von Personen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht voll arbeitsfähig sind. Das Urteil betont die Bedeutung der Nahtlosigkeitsregelung im SGB III und schützt die Interessen von arbeitsunfähigen Personen in vergleichbaren Situationen.

Die Kostenentscheidung des Gerichts basiert auf § 193 SGG. Da die Beschwer der Beklagten 750 € übersteigt, ist die Berufung zulässig. Dieser Fall zeigt, wie komplex und bedeutsam die Auslegung sozialrechtlicher Bestimmungen sein kann und unterstreicht die Notwendigkeit einer genauen Betrachtung individueller Umstände in solchen Fällen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was beinhaltet die Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 145 SGB III?

Die Nahtlosigkeitsregelung gemäß § 145 SGB III ist eine Regelung im deutschen Sozialrecht, die dazu dient, eine Versorgungslücke für Personen zu schließen, die aufgrund einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Arbeit auszuüben. Diese Regelung ist besonders relevant, wenn die Leistungsminderung voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird und somit die Zuständigkeit von der gesetzlichen Krankenversicherung zur Rentenversicherung wechselt.

Die Nahtlosigkeitsregelung ermöglicht es, dass Arbeitslosengeld I bis zu 24 Monate lang gezahlt werden kann, während die Rentenversicherung die Erwerbsfähigkeit der betroffenen Person prüft. Dies ist besonders wichtig, da die Prüfung der Erwerbsfähigkeit oft mehrere Monate in Anspruch nehmen kann und in einigen Fällen sogar zu Rechtsstreitigkeiten führen kann.

Die Regelung gilt jedoch nicht für alle Arbeitslosen. Personen, deren Leistungsvermögen aus anderen Gründen auf unter 15 Stunden wöchentlich begrenzt ist, werden von der Nahtlosigkeitsregelung nicht erfasst. Ebenso findet die Nahtlosigkeitsregelung keine Anwendung, wenn die verminderte Erwerbsfähigkeit bereits vor der Arbeitslosigkeit vom Rentenversicherungsträger festgestellt wurde.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Entscheidung, ob die Nahtlosigkeitsregelung angewendet wird oder nicht, auf der Beurteilung der Leistungsfähigkeit durch den Arzt der Agentur für Arbeit basiert. Wenn der Arzt der Agentur für Arbeit feststellt, dass die betroffene Person in der Lage ist, eine Arbeit zu verrichten, gilt die Nahtlosigkeitsregelung nicht und die Person erhält normales Arbeitslosengeld.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Nahtlosigkeitsregelung eine wichtige Rolle im deutschen Sozialrecht spielt, indem sie eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung für Personen gewährleistet, die aufgrund einer Minderung ihrer Leistungsfähigkeit nicht mehr in der Lage sind, ihre bisherige Arbeit auszuüben und deren Leistungsfähigkeit von der Rentenversicherung geprüft wird.

Wie wird die Verfügbarkeit einer Person auf dem Arbeitsmarkt während einer medizinischen Rehabilitation rechtlich bewertet?

Die Verfügbarkeit einer Person auf dem Arbeitsmarkt während einer medizinischen Rehabilitation wird durch verschiedene rechtliche Bestimmungen geregelt. Insbesondere ist das Sozialgesetzbuch (SGB) III und VI relevant.

Gemäß § 428 SGB III kann eine Person, die Arbeitslosengeld bezieht, weiterhin als verfügbar für den Arbeitsmarkt angesehen werden, auch wenn sie eine medizinische Rehabilitation durchläuft. Dies bedeutet, dass der Bezug von Arbeitslosengeld unter den Voraussetzungen des § 428 SGB III nicht dazu führt, dass die Person rechtlich dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausscheidet.

Darüber hinaus bestimmt § 12 Abs. 1 Nr. 4a SGB VI, dass der Rentenversicherungsträger an Versicherte, die eine Leistung beziehen, die regelmäßig bis zum Beginn einer Rente wegen Alters gezahlt wird, keine Leistungen zur Teilhabe mehr zu erbringen hat. Dies schließt jedoch nicht aus, dass eine Person, die Arbeitslosengeld nach § 428 SGB III bezieht, weiterhin Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation hat.

Es ist auch wichtig zu beachten, dass die Rentenversicherungsträger verpflichtet sind, Rehabilitationsleistungen zu erbringen, um die Wiedereingliederung des Versicherten in das Erwerbsleben zu erreichen. Dies gilt auch, wenn die Person Arbeitslosengeld nach § 428 SGB III bezieht, da dieses trotz fehlender Arbeitsbereitschaft gewährt wird und nicht zwangsläufig mit einem dauerhaften Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verbunden ist.

Insgesamt zeigt sich, dass die Verfügbarkeit einer Person auf dem Arbeitsmarkt während einer medizinischen Rehabilitation rechtlich nicht als dauerhaft eingeschränkt angesehen wird. Vielmehr besteht weiterhin die Möglichkeit, dass die Person nach Abschluss der Rehabilitation wieder in das Erwerbsleben eingegliedert wird.


Das vorliegende Urteil

SG Nordhausen – Az.: S 18 AL 266/20 – Urteil vom 20.04.2021

Orientierungssatz

Auch während der Teilnahme an einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, die wegen der verminderten Leistungsfähigkeit gewährt wurde, besteht der Anspruch auf Arbeitslosengeld gem § 145 SGB 3 fort. Auf die durch die Teilnahme an der Maßnahme fehlende Verfügbarkeit der leistungsgeminderten Person kommt es für das Bestehen des Arbeitslosengeldanspruchs nicht an


Der Bescheid vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2019 wird aufgehoben.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger auch während seiner Teilnahme an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme vom 10. bis 31. Juli 2019 Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) hat.

Der 1955 geborene Kläger ist seit dem 1. August 1991 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit und war zuletzt seit 1. September 2010 abhängig gegen Arbeitsentgelt beschäftigt. Seit 15. September 2017 war er arbeitsunfähig erkrankt und erhielt im Zeitraum vom 27. Oktober 2017 bis zum 14. März 2019 Krankengeld von seiner gesetzlichen Krankenversicherung. Das Arbeitsverhältnis bestand fort.

Bereits am 22. Januar 2019 meldete sich der Kläger bei der Beklagten zum 15. März 2019 arbeitslos.

Mit Schreiben vom 26. März 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er nicht arbeitslos im Sinne der §§ 137, 138 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) sei. Alg könne er dennoch nach § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III erhalten. Sie forderte den Kläger jedoch auf, binnen Monatsfrist einen Antrag auf Rehabilitation nach § 145 Abs. 2 Satz 1 SGB III zu stellen und kündigte an, anderenfalls die Zahlung von Alg nach Ablauf dieser Frist gemäß § 145 Abs. 2 Satz 3 SGB III einzustellen.

Mit Bescheid vom 28. März 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 64,28 € und einer Anspruchsdauer von 720 Tagen für den Zeitraum vom 15. März 2019 bis zum 31. Oktober 2020.

Mit Bescheid vom 29. Mai 2019 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (DRV) dem Kläger stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für die Dauer von drei Wochen, wobei er die Maßnahme vom 10. bis zum 31. Juli 2019 absolvierte.

Fernmündlich und persönlich teilte die Beklagte dem Kläger bereits am 9. Juli 2019 mit, dass die Leistung ab 10. Juli 2019 eingestellt werden müsse. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Seiten 67 und 69 des Ausdrucks der elektronischen Akte der Beklagten (E-Akte) verwiesen. Mit Bescheid vom 9. Juli 2019 hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab 10. Juli 2019 wegen des Beginns einer Reha-Maßnahme ohne Anspruch auf Übergangsgeld (Übg) auf.

Am 1. August 2019 sprach der Kläger bei der Beklagten persönlich vor und reichte einen Widerspruch zu den Akten. Zur Begründung führte er aus: Weder der Rentenversicherungsträger noch die Krankenversicherung kämen für die Zahlung von Übg während der Reha-Maßnahme in Frage. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus: Der Kläger habe sich selbst am 9. Juli 2019 abgemeldet und sein Bewerberangebot aufgegeben. Es habe keine Verfügbarkeit mehr vorgelegen. Dies habe zur Folge, dass Vermittlungsbemühungen ab diesem Zeitpunkt unterblieben seien. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) in Verbindung mit (i.V.m.) § 330 Abs. 3 SGB III sei die Bewilligung von Alg daher aufzuheben gewesen.

Mit Bescheid vom 6. August 2019 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg mit einem täglichen Leistungsbetrag in Höhe von 64,28 € und einer Anspruchsdauer von 604 Tagen für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis zum 31. Oktober 2020.

Am 13. August 2019 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben. Mit Beschluss vom 7. Februar 2020, Aktenzeichen S 21 AL 2152/19, hat sich dieses Gericht für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen.

Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger insbesondere vor: Er sei aufgrund der Aufforderung durch die Beklagte gezwungen gewesen, einen Antrag auf Rehabilitationsleistungen zu stellen, obwohl klar gewesen sei, dass kein Übg gezahlt werde. Die Beklagte habe ihm im Schreiben vom 26. März 2019 mitgeteilt, dass seine Leistungsfähigkeit so weit gemindert sei, dass er der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung stehe. Die Reha-Maßnahme habe diesen Tatbestand also nicht unterbrochen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2019 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Mit Bescheid vom 3. September 2019 hat die DRV einen Antrag des Klägers auf Übg abgelehnt, weil der Kläger zuvor keine Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt habe.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die E-Akte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

A. Einer Entscheidung in der Sache standen keine Gründe entgegen. Das Gericht konnte trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung in der Sache entscheiden, da sie hierauf in der Ladung hingewiesen wurden. Eine Verpflichtung des Gerichts, im Falle des beiderseitigen Ausbleibens gemäß § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Lage der Akten zu entscheiden, besteht nicht (Haupt in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2021, § 126 Rn. 1 folgende).

Die Klage ist als reine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG statthaft. Mit der Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 9. Juli 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2019 lebt die ursprüngliche Bewilligung vom 28. März 2019 wieder auf.

Die Anfechtungsklage ist auch zulässig. Insbesondere wahrte die Anrufung des unzuständigen Sozialgerichts Gotha schon die Klagefrist des § 87 Abs. 1 Satz 2 SGG (§ 98 SGG i.V.m. § 17b Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz, vgl. Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 87 Rn. 15). Dass aufgrund der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung im Widerspruchsbescheid (falsche Bezeichnung des zuständigen Gerichts, hierzu Wolff-Dellen in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl. 2020, § 66 Rn. 15) ohnehin die Jahresfrist nach § 66 Abs. 1 SGG galt, wirkt sich daher nicht aus.

B. Die Klage ist begründet. Als Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids kommen unter Berücksichtigung der – hier nicht notwendig zu problematisierenden – Bekanntgabe des zur Post gegebenen Bescheids vom 9. Juli 2019 nur § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III für die Vergangenheit und § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X für die Zukunft in Betracht. Die für die Anwendung vorausgesetzte Änderung der Verhältnisse lag indes nicht vor. Der Kläger hatte auch in der Zeit vom 10. bis 31. Juli 2019 Anspruch auf Alg.

1. Der Anspruch des Klägers auf Alg beruhte auf § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III. Danach hat Anspruch auf Alg auch eine Person, die allein deshalb nicht arbeitslos ist, weil sie wegen einer mehr als sechsmonatigen Minderung ihrer Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für sie in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn eine verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung nicht festgestellt worden ist. Die Norm enthält eine sogenannte Nahtlosigkeitsregelung, deren Wirkung darin besteht, ein aus gesundheitlichen Gründen objektiv nicht bestehendes Leistungsvermögen des Arbeitslosen bis zum Eintritt des in der Rentenversicherung versicherten Risikos der Erwerbsminderung zu fingieren. Diese Fiktion hindert die Arbeitsverwaltung daran, einen Anspruch auf Alg mit der Begründung zu verneinen, der Arbeitslose sei wegen einer Leistungsminderung auf weniger als 15 Stunden wöchentlich über eine Dauer von mehr als sechs Monaten nach Maßgabe von § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III objektiv nicht verfügbar und deshalb nicht arbeitslos im Sinne der §§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III. Die Fiktion objektiver Verfügbarkeit und damit auch die Sperrwirkung der Nahtlosigkeitsregelung dauert bis zur Feststellung, dass verminderte Erwerbsfähigkeit im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 43 Abs. 1 bis 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – <SGB VI>) vorliegt; diese Feststellung ist nach § 145 Abs. 1 Satz 2 SGB III vom zuständigen Rentenversicherungsträger zu treffen (zum Ganzen Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Dezember 2017 – B 11 AL 27/16 R – juris).

Vor diesem Hintergrund war die Beklagte nicht berechtigt, während der Teilnahme des Klägers an der Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation seine fehlende Verfügbarkeit heranzuziehen. Wenn die betreffenden Teilhabeleistungen gerade wegen der verminderten Leistungsfähigkeit der leistungsbeziehenden Person gewährt werden, muss der Anspruch aus § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB III nach dem beschriebenen Sinn und Zweck der Nahtlosigkeitsregelung fortbestehen. Denn ob zur die Verfügbarkeit ausschließenden Leistungsminderung hinzukommt, dass der Betroffene wegen dieser Einschränkung eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation absolviert und auch deshalb nicht verfügbar ist, ist unerheblich (vgl. auch Aubel in jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 145 Rn. 36). Die Verfügbarkeit war vor, während und nach der Maßnahme nicht gegeben.

Für diese Auslegung spricht auch die Gesetzessystematik. Nach § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III führt erst die Aufnahme der Zahlung von Übg während einer Maßnahme der Teilhabe (vgl. § 9 SGB VI) zum Ruhen des Anspruchs auf Alg (vgl. auch Aubel in jurisPK-SGB III, 2. Aufl. 2019, § 145 Rn. 36).

2. Für eine Abmeldung des Klägers aus der Arbeitsvermittlung oder die Aufgabe seines Bewerberangebots ist aus den Vermerken der Beklagten in der E-Akte nichts ersichtlich. Unter Berücksichtigung der beschriebenen Leistungsminderung wären derartige Erklärungen auch fernliegend, zumal der Kläger auf der Fortzahlung des Alg bestand.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung ist kraft Gesetzes zulässig, da die Beschwer der Beklagten 750 € übersteigt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

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