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Arbeitsunfall – Anerkennung einer posttraumatischen Belastungsstörung

Arbeitsunfall: Schwere Hürden bei Anerkennung psychischer Folgen laut Landessozialgericht

Im Kern handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen einem Kläger und der gesetzlichen Unfallversicherung bezüglich der Anerkennung und Entschädigung einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls im Jahr 1995, bei dem der Kläger eine schwere körperliche Verletzung erlitten hatte, woraus langwierige physische und psychische Leiden resultierten.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Kläger erlitt 1995 einen schweren Arbeitsunfall, der zunächst physische, später auch psychische Folgen wie eine posttraumatische Belastungsstörung nach sich zog.
  • Mehrere medizinische Gutachten und Gerichtsentscheidungen folgten, die die Anerkennung und Entschädigung der psychischen Folgen durch die Unfallversicherung betrafen.
  • Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers zurück, da ein direkter Zusammenhang der psychischen Erkrankungen mit dem Unfall nach den strengen Maßstäben des Unfallversicherungsrechts nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte.
  • Die medizinischen Sachverständigen konnten keinen rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) aufgrund der psychischen Leiden feststellen.
  • Trotz mehrjähriger physischer und psychischer Leiden des Klägers nach dem Unfall blieb die Anerkennung spezifischer psychischer Unfallfolgen und damit eine höhere Entschädigung durch die Unfallversicherung aus.

Wenn das Trauma bleibt

Arbeitsunfälle können schwerwiegende körperliche Verletzungen nach sich ziehen. Oft weniger sichtbar, aber ebenso folgenreich sind die psychischen Belastungen, die ein Unfallerlebnis auslösen kann. Eine mögliche Folge ist die posttraumatische Belastungsstörung – eine anhaltende, belastende psychische Erkrankung, die das Leben der Betroffenen massiv beeinträchtigt.

Tritt eine solche Störung als Folge eines Arbeitsunfalls auf, stellt sich die Frage nach der Anerkennung und Entschädigung durch die gesetzliche Unfallversicherung. Die Voraussetzungen hierfür sind komplex und erfordern einen engen Zusammenhang zwischen Unfall und psychischer Erkrankung – eine häufig strittige Konstellation vor Gericht.

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➜ Der Fall im Detail


Der langwierige Kampf um Anerkennung: Ein Arbeitsunfall und seine Folgen

Am 8. September 1995 geriet ein bei der Firma P2 beschäftigter Arbeiter, geboren 1954, bei einer Arbeitsoperation mit dem rechten Fuß zwischen eine Walze und ein Auffangband. Die daraus resultierende offene Unterschenkelfraktur rechts erforderte mehrfache operative Eingriffe, einschließlich der Verwendung eines Fixateur extern und eines Marknagels. Trotz anfänglich komplikationsloser postoperativer Phasen persistierten Schmerzen, die auf nicht ausreichende knöcherne Stabilität und die Implantation des Marknagels zurückgeführt wurden. Im Laufe der Jahre entwickelten sich zudem Angstzustände und Depressionen beim Kläger, die als posttraumatische Belastungsreaktion interpretiert wurden. Trotz mehrerer Gutachten und einer daraus resultierenden Rentengewährung entzog die Unfallversicherung dem Kläger später diese finanziellen Leistungen wieder, was zu einer langjährigen rechtlichen Auseinandersetzung führte.

Die medizinische und juristische Odyssee

Die Rechtsstreitigkeiten drehten sich vorrangig um die Anerkennung der psychischen Folgen des Arbeitsunfalls als Unfallfolge und die damit verbundene Gewährung einer Verletztenrente. Während orthopädische Gutachten einen Zusammenhang zwischen den körperlichen Beschwerden und dem Unfall herstellten, wurde die Anerkennung der psychischen Erkrankungen als direkte Unfallfolge durch die gesetzliche Unfallversicherung angezweifelt. Dies führte zu einer Vielzahl von Gutachten und gerichtlichen Auseinandersetzungen über den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) und die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankungen.

Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg

Das Landessozialgericht Hamburg wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte damit das vorangegangene Urteil des Sozialgerichts, welches die Klage abgewiesen hatte. Zentral für die Entscheidung war die Bewertung, dass der erforderliche Vollbeweis für das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung als direkte Unfallfolge nicht erbracht wurde. Die medizinischen Sachverständigen konnten keinen rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit feststellen, und es wurden Zweifel an der direkten Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und den psychischen Erkrankungen des Klägers geäußert.

Die juristische Bewertung und ihre Folgen

Das Gericht stützte sich auf die strengen Kriterien des Unfallversicherungsrechts, welche eine eindeutige Kausalität zwischen Unfallereignis und Folgeschäden fordern. Die Entscheidung verdeutlicht die Schwierigkeiten, die mit der Anerkennung psychischer Erkrankungen als Unfallfolgen verbunden sind, insbesondere wenn die Symptome erst Jahre nach dem Unfall auftreten. Die Urteilsbegründung reflektiert die Notwendigkeit, im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung klare Beweise für die Unfallfolgen vorzulegen, und zeigt die Herausforderungen auf, die sich bei der Bewertung von psychischen gegenüber physischen Unfallfolgen ergeben.

Zusammenfassung der Entscheidungsgründe

Der Senat folgte den Argumentationen der Vorinstanz und sah keine Veranlassung, von der bisherigen Beurteilung der Sach- und Rechtslage abzuweichen. Trotz der langjährigen Leidensgeschichte des Klägers und der komplexen medizinischen Befunde wurde die direkte Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und den später manifestierten psychischen Erkrankungen als nicht hinreichend nachgewiesen bewertet. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Hamburg illustriert die hohen Anforderungen an den Nachweis von Unfallfolgen innerhalb des deutschen Sozialrechts und markiert die Grenzen der Anerkennung von psychischen Erkrankungen als entschädigungspflichtige Unfallfolgen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was ist ein Arbeitsunfall und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit dieser anerkannt wird?

Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, der sich im Rahmen einer versicherten Tätigkeit ereignet und zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Die Definition eines Arbeitsunfalls umfasst zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Versicherte Tätigkeit: Der Unfall muss während einer Tätigkeit geschehen, die durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt ist. Dazu zählen nicht nur die beruflichen Tätigkeiten von Arbeitnehmern, sondern auch Wegeunfälle auf dem direkten Weg zur Arbeit oder nach Hause, sowie bestimmte Gruppen wie Schüler, Studenten, Kindergartenkinder oder Personen, die Erste Hilfe leisten.
  • Gesundheitsschaden oder Tod: Es muss ein Gesundheitsschaden oder der Tod der betroffenen Person eingetreten sein.
  • Ereignis von außen: Der Unfall muss durch ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis verursacht worden sein.
  • Kausalzusammenhang: Zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis muss ein Zusammenhang bestehen, ebenso wie zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden.

Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls erfolgt durch die zuständigen Unfallversicherungsträger, wie die gewerblichen Berufsgenossenschaften oder Unfallkassen. Bei der Prüfung der Voraussetzungen kann es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommen, wenn beispielsweise die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall strittig ist. Es ist wichtig zu beachten, dass private Tätigkeiten, die nicht im Zusammenhang mit der Arbeit stehen, wie Essen und Trinken oder persönliche Erledigungen, in der Regel nicht versichert sind. Auch Unfälle, die absichtlich herbeigeführt werden oder die ausschließlich auf Trunkenheit zurückgehen, gelten nicht als Arbeitsunfall. Wenn ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird, haben die Betroffenen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wie ärztliche Behandlung, Verletztengeld, Umschulung oder Unfallrente bei dauerhaften Gesundheitsschäden sowie Hinterbliebenenrenten im Todesfall.

Wie wird eine posttraumatische Belastungsstörung definiert und welche Rolle spielt sie im Kontext von Arbeitsunfällen?

Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist eine psychische Erkrankung, die als Reaktion auf ein oder mehrere traumatische Ereignisse entsteht, die außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrungen liegen, wie beispielsweise Krieg, schwere Unfälle, Gewaltverbrechen oder Naturkatastrophen. Die PTBS ist durch verschiedene Symptome gekennzeichnet, die in vier Hauptkategorien unterteilt werden können: Intrusionen (unerwünschte Erinnerungen, Albträume, Flashbacks), Vermeidung (Vermeidung von Erinnerungen an das Trauma), negative Veränderungen von Kognition und Stimmung (z.B. Desinteresse, Anhedonie, Depression) und Veränderungen der Erregung und Reaktivität (z.B. übermäßige Erregung, Reizbarkeit).

Im Kontext von Arbeitsunfällen kann eine PTBS als Folge eines traumatischen Ereignisses am Arbeitsplatz auftreten. Dies kann beispielsweise nach einem schweren Unfall, bei dem eine Person Zeuge von Verletzungen oder Tod wurde, oder nach Erfahrungen von Gewalt am Arbeitsplatz der Fall sein. Die Anerkennung einer PTBS als Arbeitsunfall ist möglich, wenn nachgewiesen werden kann, dass die psychische Störung direkt auf ein Ereignis zurückzuführen ist, das während der Ausübung der beruflichen Tätigkeit stattgefunden hat.

Die Diagnose einer PTBS erfolgt auf der Grundlage standardisierter psychiatrischer Diagnosekriterien, wie sie im ICD-10 und DSM-5 festgelegt sind. Diese Kriterien umfassen das direkte oder indirekte Erleben eines traumatischen Ereignisses, das Vorhandensein von Symptomen aus den oben genannten Kategorien über einen Zeitraum von mehr als einem Monat, sowie die signifikante Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit oder erhebliches Leid des Betroffenen.

Die Anerkennung einer PTBS als Folge eines Arbeitsunfalls kann weitreichende Konsequenzen für die betroffene Person haben, da sie Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung haben könnte, wie beispielsweise medizinische Behandlung, Rehabilitation oder Entschädigungsleistungen. Die Anerkennung setzt jedoch voraus, dass ein klarer Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Entwicklung der PTBS nachgewiesen werden kann, was in der Praxis oft eine Herausforderung darstellt.

Welche Schritte sind notwendig, um eine Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall zu beantragen?

Um eine Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall zu beantragen, sind folgende Schritte notwendig:

  • Antragstellung: Der Antrag auf Verletztenrente kann formlos bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse gestellt werden.
  • Medizinische Dokumentation: Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin muss den Unfall und die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit dokumentieren. Dies geschieht in der Regel durch einen D-Arzt-Bericht, der von einem Durchgangsarzt erstellt wird, der für die Erstversorgung von Arbeitsunfällen zuständig ist.
  • Nachweis der Erwerbsminderung: Es muss nachgewiesen werden, dass die Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls über die 26. Woche hinaus um mindestens 20 Prozent gemindert ist.
  • Einkommensnachweise: Zur Berechnung der Höhe der Verletztenrente sind Einkommensnachweise erforderlich, da sich die Rente nach dem vor dem Unfall erzielten Jahresarbeitsverdienst richtet.
  • Weitere Unterlagen: Je nach individuellem Fall können weitere Unterlagen notwendig sein, wie beispielsweise Nachweise über den Bezug von Sozialleistungen.
  • Kommunikation mit der Unfallversicherung: Nach Einreichung des Antrags und der erforderlichen Unterlagen prüft die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse den Anspruch auf Verletztenrente und setzt sich gegebenenfalls mit dem Antragsteller in Verbindung, um weitere Schritte zu klären oder zusätzliche Informationen einzuholen.
  • Entscheidung und Bescheid: Nach Prüfung der Unterlagen und gegebenenfalls einer Begutachtung durch einen medizinischen Sachverständigen entscheidet die Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse über den Rentenanspruch und teilt dies dem Antragsteller in Form eines Bescheides mit.

Es ist zu beachten, dass die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung für die Dauer von drei Jahren nach dem Eintritt des Versicherungsfalls gezahlt werden kann und während dieser Zeit Anpassungen möglich sind, falls sich der Gesundheitszustand des Versicherten ändert. Bei Unklarheiten oder Schwierigkeiten im Antragsprozess kann es hilfreich sein, sich an einen Rechtsanwalt oder einen Sozialverband zu wenden, um Unterstützung zu erhalten.

Wie wird der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) festgestellt und welche Bedeutung hat dieser für die Entschädigung?

Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist ein zentrales Kriterium bei der Bemessung von Entschädigungsleistungen nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit. Die Feststellung des MdE-Grades erfolgt durch medizinische Gutachten, die von Ärzten oder Ärztinnen erstellt werden, die über spezielle Kenntnisse im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung verfügen.

Prozess der Bewertung

  • Medizinische Begutachtung: Nach einem Arbeitsunfall wird der Verletzte in der Regel von einem Durchgangsarzt untersucht, der einen ersten Bericht über die Verletzungen und deren Auswirkungen erstellt. Für die Feststellung des MdE-Grades wird jedoch meist ein spezielles Gutachten benötigt, das von einem Facharzt oder einer Fachärztin erstellt wird.
  • Beurteilung der Erwerbsfähigkeit: Der MdE-Grad gibt an, inwieweit die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit im Vergleich zu einem gesunden Menschen gleichen Alters und gleicher Qualifikation gemindert ist. Die Beurteilung berücksichtigt sowohl körperliche als auch psychische Beeinträchtigungen.
  • Vergleich mit MdE-Tabellen: Für die Feststellung des MdE-Grades werden oft MdE-Tabellen herangezogen, die Richtwerte für verschiedene Verletzungsarten und Gesundheitsschäden enthalten. Diese Tabellen dienen als Orientierung, jedoch wird jeder Fall individuell betrachtet.

Bedeutung des MdE-Grades

Der MdE-Grad hat direkten Einfluss auf die Höhe der Entschädigungsleistungen, insbesondere der Verletztenrente. Die Verletztenrente wird gewährt, wenn die MdE mindestens 20 Prozent beträgt.

  • Unter 20 Prozent MdE: Liegt der MdE-Grad unter 20 Prozent, besteht in der Regel kein Anspruch auf eine Verletztenrente.
  • 20 Prozent und darüber: Bei einem MdE-Grad von 20 Prozent oder mehr wird eine Verletztenrente gezahlt, deren Höhe sich nach dem Grad der MdE und dem vor dem Unfall erzielten Jahresarbeitsverdienst richtet.

Die Feststellung des MdE-Grades ist somit entscheidend für die finanzielle Absicherung von Personen, die durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkt sind. Da die Bewertung des MdE-Grades komplex ist und individuelle Faktoren berücksichtigt werden müssen, kann es in manchen Fällen zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betroffenen und den Unfallversicherungsträgern kommen. In solchen Fällen kann eine erneute Begutachtung oder ein Widerspruchsverfahren notwendig sein.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 8 SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung) – Arbeitsunfall
    Definiert die Voraussetzungen, unter denen ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird. Im Kontext des Falls ist die Unterscheidung wichtig, da sie die Grundlage für die Ansprüche des Klägers bildet.
  • § 56 SGB VII – Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
    Erläutert, wie der Grad der MdE bestimmt wird, welcher entscheidend für die Höhe der Verletztenrente ist. Für den Kläger war die Feststellung einer MdE von 20 v.H. entscheidend für die Gewährung der Rente.
  • ICD-10 – Klassifikation der posttraumatischen Belastungsstörung
    Dient der medizinischen Einordnung von Gesundheitsstörungen und war im Fall relevant für die Anerkennung der psychischen Folgen des Arbeitsunfalls als Unfallfolge.
  • § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – Beweiserhebung
    Ermöglicht dem Kläger, ein Gutachten eines von ihm benannten Sachverständigen einzuholen, was im vorliegenden Fall zur Unterstützung seiner Ansprüche genutzt wurde.
  • § 8 Abs. 1 SGB IX – Teilhabe am Arbeitsleben
    Obwohl nicht direkt im Text erwähnt, spielt dieses Gesetz eine Rolle bei der Wiedereingliederung von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen in den Arbeitsmarkt, was im Kontext der posttraumatischen Belastungsstörung und der Erwerbsminderung relevant ist.
  • § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) – Kostenentscheidung
    Regelt die Kostenverteilung in sozialgerichtlichen Verfahren und war für die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Klägers relevant.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Hamburg – Az.: L 3 U 13/13 – Urteil vom 21.04.2015

Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der Kläger ist 1954 geboren und war bei der Firma P2 in H. beschäftigt. Am 8. September 1995 geriet er beim (Gummi-) Mischungsschneiden an einer Walze mit dem rechten Fuß zwischen Walze und Auffangband. Hierbei zog er sich eine offene Unterschenkelfraktur rechts zu, die mit einem Fixateur extern und einem Marknagel mehrfach operativ versorgt wurde. Nach zunächst postoperativ komplikationslosen Verlauf klagte der Kläger weiter über Schmerzen. Eine Untersuchung bei Dr. L. im B. H. im Juni 1996 ergab, dass die Muskulatur des rechten Beines gegenüber links deutlich vermindert und der Bruch immer noch nicht richtig und komplett verheilt war. Zumindest partiell müsse – so Dr. L. – von einer Pseudarthrose gesprochen werden. Das Beschwerdebild im Bereich des Beines werde vor allen Dingen durch die nicht ausreichende knöcherne Stabilität wie aber auch durch den Nagelkopf innerhalb des Kniegelenkes hervorgerufen. Nach einem stationären Aufenthalt vom 7. Mai bis zum 18. Juni 1996 im b. Unfallkrankenhaus H. und erneuter ambulanter Behandlung im R. H. wurde schließlich am 20. März 1997 eine autologe Spongiosaplastik im Frakturbereich durchgeführt. Nach einer Arbeits- und Belastungserprobung nahm der Kläger schließlich am 2. Juni 1997 seine Arbeit wieder auf.

Am 7. Juli 1997 erstellte der Chirurg und Unfallchirurg Dr. P. das erste Rentengutachten im Auftrag der Beklagten und führte aus, die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) durch die Verletzungsfolgen betrage 20 vom Hundert (v.H.) für die Zeit vom 2. Juni 1997 bis zum 22. Juni 1997 und vom 23. Juni 1997 bis zum Ablauf des zweiten Unfalljahres, danach voraussichtlich noch 10 v.H … Mit Bescheid vom 4. November 1997 gewährte die Beklagte dem Kläger daraufhin wegen der Folgen des Arbeitsunfalls eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H. für die Zeit ab 2. Juni 1997 bis auf weiteres. Auf den Widerspruch des Klägers hin erstellte der Arzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. S. ein weiteres Gutachten für die Beklagte, in welchem es heißt, vom 2. Juni 1997 bis 30. März 1998 werde die MdE mit 20 v.H. eingeschätzt, danach bis auf weiteres mit 10 v.H … Mit Bescheid vom 28. Juli 1998 entzog die Beklagte daraufhin die Rente mit Ablauf des Monats Juli 1998. Die Widersprüche gegen beide Bescheide blieben erfolglos, die gegen den diesbezüglichen Widerspruchsbescheid gerichtete Klage nahm der Kläger zurück.

Im Februar 2004 wandte sich der Kläger an die Beklagte mit einem „Antrag auf ein erneutes Gutachten“. Die Knie würden nach und nach immer mehr schmerzen, sein Chirurg Dr. K. habe ihm empfohlen, ein neues Gutachten zu beantragen. Das daraufhin auf Antrag des Klägers durch Dr. K. erstellte Gutachten vom 5. April 2004 weist erstmals als Unfallfolge Angstzustände und Depressionen als posttraumatische Belastungsreaktion aus. Auf orthopädischem Fachgebiet habe sich eine deutliche schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenkes entwickelt im Sinne einer beginnenden posttraumatischen Arthrose mit retropatellarer Chondropathie, Ansatztendinopartie und Sklerosierung des Kniescheibenbandes. Die MdE durch die Unfallfolgen betrage 20 v.H. Zur Klärung des Unfallzusammenhangs bezüglich der Angstzustände und der Depression solle ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten eingeholt werden.

Auf die daraufhin veranlasste Stellungnahme des Dr. W., der ausführte, der Kläger habe sich einen offenen Unterschenkelbruch am rechten Bein ohne Gelenksbeteiligung zugezogen, es bestünden daher erhebliche Bedenken, dass die festgestellte Arthrose im rechten Kniegelenk und im rechten Sprunggelenk ursächlich auf den erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführen sei, nahm zunächst der seinerzeit mit Dr. K. in Praxisgemeinschaft arbeitende Dr. K1 Stellung, indem er ausführte, zwischen der von Dr. K. dokumentierten Arthrose im Bereich des Knie- und Sprunggelenkes und dem Unfallereignis vom 8. September 1995 bestehe kein Zusammenhang. Es habe sich um eine offene Unterschenkelfraktur ohne Gelenksbeteiligung behandelt, insofern sei nach Würdigung der Anamnese und des Alters des Versicherten die Verschleißumformung im Bereich des Knie- und Sprunggelenkes nicht als unfallbedingt anzusehen. Hierzu nahm nochmals Dr. K. Stellung und führte aus, durch die Operation und die Implantation eines Marknagels sei es zu einer Verletzung im so genannten vorderen Knieraum gekommen, dies könne im weiteren Verlauf zu solchen Veränderungen führen, dass die Rückfläche der Kniescheibe des Kniescheibenbandes nicht mehr optimal funktioniere und sich über diesen Mechanismus letztendlich ein Knorpelschaden hinter der Kniescheibe entwickele. Hinsichtlich des Sprunggelenkes sei es so, dass schon bei einer geringen Achsabweichung im Frakturbereich es zu einer Fehlkonfiguration der Winkel im Bereich des oberen und später auch des unteren Sprunggelenks komme. Dies führe zu einer Fehlbelastung in diesem Bereich, was wiederum zu umschriebenen Knorpelschäden führen könne. Damit sei die Entwicklung einer posttraumatischen Arthrose im Sprunggelenk durchaus denkbar.

Ein Befundbericht der Fachärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. H1 von September 2005 ergab, dass sich der Kläger dort im August 2005 vorgestellt und von seinem Arbeitsunfall berichtet hatte. Der Kläger leide unter einer schweren depressiven Episode, teilweise mit paranoiden Zügen, insbesondere auch mit deutlichen hypochondrischen Tendenzen. Es liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor, inzwischen mit Zügen einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung.

Nach weiteren Stellungnahmen des Dr. K. und des Dr. W. lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Januar 2006 in Antrag des Klägers auf Rentenzahlung ab und stellte fest, dass die von dem Kläger geklagten Beschwerden im Bereich des rechten Knies und Fußgelenkes sowie auf psychiatrischem Gebiet nicht auf die Folgen des Arbeitsunfalles zurückzuführen sein. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2007).

Mit der am 13. Februar 2007 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren fortgeführt. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des den Kläger behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Y. eingeholt, in welchem es heißt, der Kläger sei ihm im März 2005 überwiesen worden. Der Vorbehandler habe berichtet, dass er seit Dezember 2001 erfolglos psychiatrisch behandle und keine Besserung des Zustands des Klägers habe erreicht werden können. Zunächst sei von einer Depression ausgegangen worden, später habe sich ein eher wahnhaftes Bild gezeigt. Der Kläger selbst habe von Befindlichkeitsstörungen seit 1985 berichtet (Schlafstörungen, psychosomatische Störungen), die er auch habe psychiatrisch behandeln lassen. Seit dem schweren Unfall 1995 habe er das Gefühl, sich als Mensch geändert zu haben, weiterhin habe er anhaltende Albträume und Ängste. Er habe in der T. mehrfach Elektroschockbehandlungen erhalten. Dr. Y. gab als Diagnosen an, der Kläger leide gesichert unter einer andauernden Persönlichkeitsänderung bei Zustand nach posttraumatischer Belastungsstörung, einer atypischen schweren Depression und sozialen Phobien, darüber hinaus unter psychotischer/wahnhafter Symptomatik. Ein Bericht der A. Klinik A1 vom 28. Mai 2007 berichtet von einer Panikattacke bei bekannter Panikstörung.

Das Sozialgericht hat nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein fachchirurgisches Gutachten des Dr. K2 veranlasst, welcher am 18. September 2008 berichtet hat, der Kläger habe durch den Unfall eine Unterschenkelfraktur im Übergangsbereich vom mittleren zum körperfernen Drittel erlitten. Die Heilung der Fraktur sei verzögert erfolgt. Sie sei schließlich knöchern völlig belastungsstabil ohne messbare Achsenabweichung durchbaut. Das Unfallereignis habe zu einer direkten Verletzung der benachbarten Gelenksstrukturen weder am Sprunggelenk noch am Kniegelenk geführt. Die Veränderungen am Kniescheibengleitlager, die festgestellt worden seien, stünden mit dem Unfallereignis in keinem ursächlichen Zusammenhang. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass diese Veränderungen schicksalhafter Natur seien. Es gebe keine Hinweise dafür, dass die Verletzung des rechten Unterschenkels die Gelenkfläche oder die Kniebinnenstrukturen ebenso wie auch die Sprunggelenkstrukturen verletzt habe. Zu den Ausführungen des Dr. K. sei zu sagen, dass eine Marknagelosteosynthese am Unterschenkel für einen gewissen Zeitraum zwar Beschwerden auch in den angrenzenden Gelenken verursachen könne, diese Schmerzausstrahlungen selbst jedoch zu keiner morphologische Veränderungen der Kniebinnenstrukturen und der Kniescheibenrückfläche führten. Die Unfallfolgen rechtfertigten eine MdE aufgrund der objektiven Befunde von unter 10 v.H.

Auf Antrag des Klägers ist ein Gutachten nach § 109 SGG auf dem chirurgischen Fachgebiet eingeholt worden, welches Dr. K. am 14. September 2009 erstellt hat. Dieser hat ausgeführt, es gebe Veröffentlichungen, in denen die Rede sei von Komplikationen nach Marknagelung. Die Komplikationsrate bei Tibiamarknägeln liege zwischen 12,5 % und 20,2 %. Als häufigste Komplikation entwickle sich eine Pseudarthrose gefolgt von einer Fehlstellung und einer Infektion. Im vorliegenden Fall sei der Heilungsverlauf überdurchschnittlich lang gewesen. Hinsichtlich des Sprunggelenkes sei darauf hinzuweisen, dass die übliche Technik die sei, dass der Marknagel platziert, verriegelt und zurückgeschlagen werde. Das könne durchaus zu einer Verletzung des spongiösen Bereiches unmittelbar oberhalb des oberen Sprunggelenkes führen. Er, der Gutachter, gehe davon aus, dass hier der Nagel letztendlich zu lang gewesen sei, weshalb es vorstellbar sei, dass der Nagel wieder zurückgeschlagen worden sei, um erst dann weiter verriegelt zu werden. Dies sei zugegebenermaßen eine Vermutung, der dezidierte Operationsbericht liege leider nicht vor. Im Übrigen sei zu dem Thema der schmerzhaft eingeschränkten OSG-Beweglichkeit die wissenschaftliche Dokumentation noch mangelhaft. Der Verlauf der posttraumatischen Entwicklung des Patienten sei gut dokumentiert. Es finde sich allenfalls eine Dokumentationslücke zwischen dem 17. März 1999 und dem 12. Februar 2004. Insofern sei allerdings eine neurologisch-psychiatrische Begutachtung erforderlich. Auf unfallchirurgischem Gebiet schätze er die MdE auf 10 v.H. ab 5. April 2004 ein.

Auf Veranlassung des Klägers hat das Sozialgericht ein Gutachten nach § 109 SGG durch den Neurologen und Psychiater Dr. G. veranlasst, der am 23. Mai 2011 ausgeführt hat, der Kläger habe geschildert, seit 1985 Schlafstörungen und depressive Verstimmungen gehabt zu haben und aus diesem Grunde einige Male einen Nervenarzt aufgesucht zu haben. Nach dem Unfall habe sich sein Wesen deutlich verändert. Er sei seit der Zeit gereizt, reagiere aggressiv, leide unter depressiven Verstimmungen, Ein- und Durchschlafstörungen, Antriebslosigkeit, Albträumen, wiederkehrenden und sich aufdrängenden Bildern des Unfalles, Angst- und Panikattacken. Er habe den Kontakt zu seinen Arbeitskollegen komplett eingestellt, da ihn die Gespräche mit ihnen an seinen Arbeitsplatz und den Unfall erinnern würden, was er nicht mehr ertrage. Ab ca. 2001 sei er ambulant psychiatrisch behandelt worden.

Psychopathologisch sei bei dem Kläger eine schwere depressive Episode mit paranoiden und wahnhaften Symptomen festzustellen. Darüber hinaus bestehe eine erhebliche Somatisierungstendenz. Der Kläger sei auf die Beschwerden in seinem Bein fixiert und wirke hilflos und verzweifelt. Unter Berücksichtigung des Verlaufes und des Gesamtbildes müsse seine aktuelle psychische Störung als komplexe posttraumatische Belastungsstörung (andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung, F 62.0 ICD 10) betrachtet werden. Nach einem schweren, existenzbedrohenden Trauma komme es zunächst zu einer akuten Belastungsreaktion. Bei fehlender Genesungsfolge entstehe eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern könne. Der Verlauf sei wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle könne jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nehme die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und gehe dann in die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung über. Die Kriterien einer posttraumatischen Belastungsstörung seien erfüllt. Der Kläger habe durch den Unfall ein schweres Trauma erlitten, seine Reaktion sei von Entsetzen und Hilflosigkeit geprägt gewesen. Hinsichtlich des B-Kriteriums komme es zu wiederkehrenden Bildern und Gedanken sowie zu wiederkehrenden belastenden Träumen. Im C-und D- Kriterium erfülle der Kläger sechs von sieben bzw. vier von fünf Kriterien. Auch wenn der Kläger bereits ab 1985 über Befindlichkeitsstörungen und Schlafprobleme geklagt habe und einige Male beim Psychiater gewesen sei, könne der Zusammenhang zwischen dem Ereignis und der psychischen Störung nicht infrage gestellt werden. Auch dass eine posttraumatische Belastungsstörung erst Jahre nach dem Ereignis diagnostiziert worden sei, spreche nicht gegen das Vorliegen dieser Störung, sondern dafür, dass sie zuvor nicht in Betracht gezogen worden und bis 2005 nicht untersucht worden sei. Das liege nicht zuletzt daran, dass die vorausgegangenen Begutachtungen auf chirurgischem Gebiet stattgefunden hätten und alle Gutachter mit Ausnahme von Dr. K. eine psychiatrische Begutachtung nicht für erforderlich erachtet hätten oder sich gar als fachfremde Kollegen erlaubt hätten, nach Aktenlage eine posttraumatische Belastungsstörung auszuschließen. Bei dem Kläger sei es nach dem Unfall zunächst zu einer akuten Belastungsstörung gekommen, die nach ca. sechs Monaten in eine posttraumatische Belastungsstörung übergegangen sei. Da diese Störung weder erkannt noch behandelt worden sei, sei eine Chronifizierung und der Übergang in eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung erfolgt. Die vorbestehende Befindlichkeitsstörung mit Schlafstörungen und psychosomatischen Symptomen habe sich zu einer chronischen Depression mit mittelschweren bis schweren Episoden entwickelt, bei der Entstehung einer Panikstörung habe die Wirkung des Unfallereignisses überwogen. Insofern habe sich auch die psychische Befindlichkeitsstörung durch die Unfallfolgen wesentlich verschlimmert. Die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichen Fachgebiet, die durch den Unfall verursacht oder verschlimmert worden seien, berechtigten eine MdE von 30 v.H.

Zu diesem Gutachten hat für die Beklagte der Arbeitsmediziner, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Dr. P1 Stellung genommen und ausgeführt, entscheidend für die Zusammenhangsbeurteilung sei die Analyse der zum Zeitpunkt des Unfallereignisses aufgetretenen psychischen Veränderungen. Nach Auswertung der aktenkundigen medizinischen Befundberichte fehle jedoch sowohl für den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Unfallereignisses als auch für die folgenden Jahre jeglicher Hinweis auf psychische Auffälligkeiten. Entscheidend sei, dass der Versicherte zu keinem Zeitpunkt über entsprechende Beschwerden geklagt habe, obwohl die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung regelhaft zu gravierenden Beeinträchtigungen der psychischen Belastbarkeit führten. Erstmals 2004 habe der Kläger zu einem Zeitpunkt, als seine unfallbedingte Rente nicht mehr bewilligt worden sei, gegenüber dem Gutachter Dr. K. psychische Beschwerden angegeben. Es sei somit festzustellen, dass bei dem Kläger zwar ohne Zweifel eine schwere psychische Erkrankung vorliege, ein Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis könne jedoch nicht mit den im Unfallversicherungsrecht geltenden Beweisanforderungen hergestellt werden.

Das Sozialgericht hat daraufhin von Amts wegen ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, welches Dr. F. am 15. März 2012 erstellt hat. Dieser hat ausgeführt, es fehle bei dem Kläger sowohl an einem Vermeidungsverhalten (C-Kriterium), als auch an einem Nacherleben und einem Affekt beim Erzählen (B-Kriterium). Der Kläger habe nach dem Unfallereignis noch über Jahre an demselben Arbeitsplatz gearbeitet. Für das D-Kriterium sei zwar die Beschwerdeebene gegeben, aber auf der Befundebene finde sich ausschließlich eine Depression. Auch eine Anpassungsstörung liege nicht vor. Diese sei entweder nach sechs Monaten abgeklungen oder aber – soweit eine Anpassungsstörung resultierend aus den körperlichen Unfallfolgen in Betracht komme – fehle es für den Zwischenzeitraum an Anknüpfungstatsachen. Die von dem Kläger ca. 1985 in der T. absolvierte Elektrokrampftherapie diene zudem der Behandlung schwerer Depressionen und anderer ernstzunehmender, therapieresistenter seelischer Störungen. Aus all diesen Umständen sei zu schließen, dass der Unfall keine rechtlich wesentliche Teilursache der beim Kläger vorhandenen seelischen Störung sei.

Mit Urteil vom 15. Februar 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, das Unfallereignis stelle kein belastendes Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder mit katastrophalen Ausmaß dar, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Außerdem müssten nach der ICD 10 die Symptome innerhalb von sechs Monaten nach dem belastenden Ereignis auftreten, damit die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung überhaupt gestellt werden könne. Der Kläger habe sich aber erst 2001 in der Bundesrepublik in psychiatrischer Behandlung begeben. Zeitnah zum Unfallereignis sei über keinerlei psychiatrischer Auffälligkeiten, insbesondere nicht im Sinne des A2-Kriteriums berichtet worden. Damit sei der Nachweis eines seelischen Gesundheitserstschadens nicht erfolgt.

Der Kläger hat gegen das seinem Bevollmächtigtem am 26. Februar 2013 zugestellte Urteil am 25. März 2013 Berufung eingelegt, mit welcher er vorträgt, seine posttraumatische Belastungsstörung habe zwischenzeitlich einen chronischen Verlauf genommen und bedinge mindestens eine MdE in Höhe von 20 v.H. Bei den ärztlichen Behandlungen hätten aufgrund der Sprachschwierigkeiten psychische Beeinträchtigungen keine Rolle gespielt, sondern die organischen Heilungsprobleme im Vordergrund gestanden. Gegenüber Angehörigen und anderen habe er aber fortlaufend nach dem Arbeitsunfall erhebliche Schlafstörungen mit Angstträumen beklagt. Er habe jedoch aufgrund seiner erheblichen sprachlichen Schwierigkeiten gegenüber den ursprünglich behandelnden Unfallchirurgen und Orthopäden seine psychischen Befindlichkeiten nicht hinreichend darstellen können.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 15. Februar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente ab Februar 2004 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und macht erneut darauf aufmerksam, dass in dem Gutachten von April 2004, also gut 9 1/2 Jahre nach dem Arbeitsunfall, erstmals psychische Unfallfolgen behauptet werden. Nach dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Dr. F. folge die Gesamtheit der seelischen Störungen des Klägers einem anderen Ursachenzusammenhang. Auch die Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet rechtfertigten keine MdE in rentenberechtigender Höhe.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf die ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. April 2014 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 SGG statthaft und im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Gründe des angefochtenen Urteils, denen der Senat folgt, wird daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug genommen. Auch im Berufungsverfahren sind keine Umstände erkennbar geworden, die zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage führen könnten, so dass der Senat auch keine Veranlassung zu weiterer Aufklärung des Sachverhalts sieht.

Unstreitig hat der Kläger am 8. September 1995 einen Arbeitsunfall erlitten. Die verbliebenen Folgen dieses Unfalls mindern seine Erwerbsfähigkeit jedoch nicht in rentenberechtigendem Grade. So gehen alle angehörten medizinischen Sachverständigen des orthopädisch-chirurgischen Fachgebiets davon aus, das die MdE insoweit 20 v.H. (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) nicht erreicht. Eine MdE auf dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet ergibt sich nicht. Soweit der Kläger mit der Berufung weiterhin das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung geltend macht, ist schon der erforderliche Vollbeweis für das Vorliegen einer solchen Erkrankung nicht erbracht. Dies hat Dr. F. in seinem Gutachten vom 15. März 2012 für den Senat unter Hinweis darauf, dass der Kläger sich erstmals 2001 wegen der angeblichen psychischen Unfallfolgen in Behandlung begeben und im Übrigen zuvor jahrelang an seinem alten Arbeitsplatz weiter gearbeitet hat, unter Anwendung der im Recht der Gesetzlichen Unfallversicherung zwingend zugrunde zu legenden Diagnosemanuale (vgl. Bundessozialgericht, Urt. vom 05.09.2006 – B 2 U 1/05 R) überzeugend herausgearbeitet. Zu Recht hat das Sozialgericht hiervon ausgehend hervorgehoben, dass bereits die Feststellung eines Gesundheitserstschadens in Gestalt einer seelischen Traumatisierung nicht der hierfür erforderlichen Gewissheit erfolgen kann. Demgegenüber referiert das Gutachten des Dr. G., welches das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bejaht, lediglich allgemein die nach den Diagnosemanualen erforderlichen Kriterien, ohne die hierfür notwendigen Einzelfeststellungen nachvollziehbar zu treffen. Eine Auseinandersetzung mit dem zeitlichen Ablauf, welcher mit Blick auf das nicht feststellbare Eingangstrauma für sich bereits die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung hier nicht zulässt, erfolgt nicht einmal ansatzweise.

Soweit der Kläger unter einer Panikstörung und einer „wiederkehrenden depressiven Episode zum Teil mit psychotischer Symptomatik, mittelschwer“ leidet, sind diese Störungen nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen zurückzuführen. Der Senat folgt auch insoweit – ebenso wie bereits das Sozialgericht zuvor – dem Gutachten des Dr. F., welcher ausgeführt hat, dass nach den Angaben des Klägers dieser Mitte der 1980er Jahre mehrfach mit Elektroschocks behandelt worden sei, was anzeige, dass er bereits in dieser Zeit unter einer ernstzunehmenden und therapieresistenten seelischen Störung, wahrscheinlich einer Depression oder wahnhaften Störung, gelitten habe. Die diesbezüglichen Symptome seien mit einem seelischen Trauma nicht zu erklären und gehörten nicht zu den Traumafolgestörungen, und dies selbst dann nicht, wenn es sich um intensive, anhaltende und in der Kindheit eingetretene Traumatisierungen handele.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.

Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG ist nicht gegeben.

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