Skip to content
Menü

Arbeitsunfall – Anforderungen an Nachweis eines unfallbedingten Gesundheitserstschadens

Erneute Bandscheibenprobleme – Unfall oder Vorbelastung?

Die vorliegende juristische Entscheidung dreht sich um einen interessanten Sachverhalt, der für Laien auf den ersten Blick verwirrend erscheinen mag. Ein Kläger hat sich bei einem Arbeitsunfall verletzt, doch das Gericht musste entscheiden, ob seine Beschwerden tatsächlich auf den Unfall zurückzuführen sind oder ob sie eher durch bereits vorhandene gesundheitliche Probleme verursacht wurden. Das zentrale Problem in diesem Fall lag darin, ob die aktuellen Beschwerden des Klägers – eine Spondylose im Halswirbelbereich (HWK) und ein Bandscheibenvorfall an der gleichen Stelle – durch den Unfall verursacht wurden oder ob es sich um eine Verschlechterung eines bestehenden Gesundheitszustands handelte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 17 U 43/19 >>>

Diagnose und Einschätzung des Durchgangsarztes

Nach dem Unfall diagnostizierte der Durchgangsarzt eine Spondylose und einen Bandscheibenvorfall im Zervikalbereich, die beide Schmerzen und Sensibilitätsstörungen verursachten. Allerdings kam er zu dem Schluss, dass diese Beschwerden hauptsächlich auf bereits vorhandene arthrotische Veränderungen und einen vier Jahre zuvor aufgetretenen Bandscheibenvorfall zurückzuführen seien. Der Arzt führte aus, dass das Unfallereignis, bei dem der Kläger ein Sofa auffing, allenfalls eine vorübergehende Verschlechterung des bestehenden Zustands hätte auslösen können.

Begutachtung des Gesundheitszustandes

Ein anderer Arzt, Dr. E, stellte fest, dass das Ereignis zu einer unkoordinierten Überlastung der Strukturen im Bereich der Halswirbelsäule geführt habe. Jedoch kam er zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine zeitlich begrenzte Verschlechterung des bereits bestehenden Gesundheitszustandes handele, die durch therapeutische Maßnahmen wieder ausgeheilt werden könnte. Er argumentierte, dass es zu einer Manifestation des bereits vorhandenen und teilweise klinisch manifesten Bandscheibenschadens an der Halswirbelsäule gekommen sei.

Juristische Betrachtung der Kausalität

Aus rechtlicher Sicht ist ein Arbeitsunfall definiert als ein Ereignis, das einen Gesundheitserstschaden oder Tod verursacht und in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht. Eine länger anhaltende Verschlimmerung des Gesundheitszustandes ist für die Anerkennung als Arbeitsunfall nicht erforderlich. Jedoch muss ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen hinreichend wahrscheinlich sein. Im vorliegenden Fall war das Gericht der Ansicht, dass der Kläger diesen Zusammenhang nicht nachweisen konnte und entschied daher, dass das streitgegenständliche Ereignis kein Arbeitsunfall war.

Auswertung der Gutachten

Die Beurteilung des Falls war komplex und hing stark von der Interpretation der medizinischen Befunde ab. Während Dr. E von einer funktionellen Verletzung im Sinne einer Zerrung ausging, argumentierten andere Experten, dass die Symptome sowohl mit einer Zerrung als auch mit einem bereits vorhandenen und teilweise klinisch manifesten Bandscheibenschaden an der Halswirbelsäule vereinbar seien. Das Gericht folgte dieser Ansicht und schloss, dass das Unfallereignis nur eine rechtlich nicht wesentliche Gelegenheitsursache war und keine direkte Verursachung der Beschwerden darstellte.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen – Az.: L 17 U 43/19 – Urteil vom 20.07.2020

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13.02.2013 abgeändert und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalles.

Der 1956 geborene Kläger war seit August 2004 als Lieferfahrer in dem von seiner Ehefrau geführten Unternehmen, welches sich mit einem Möbel- und Umzugsservice befasste, beschäftigt.

Er stellte sich am 16.03.2009 (Montag) dem Arzt für Chirurgie I in T vor, ausweislich dessen Durchgangsarztberichtes er angab, am 14.03.2009 beim Tragen eines Sofas plötzlich Schmerzen im Halswirbelsäulen (HWS)-Bereich verspürt zu haben, er habe jedoch weiter gearbeitet. Der Durchgangsarzt diagnostizierte nach Röntgen eine „Sonstige Spondylose: Zervikalbereich ICD 10 Bandscheibenvorfall HWK 4/5“. Bei Druckschmerzhaftigkeit im mittleren HWS-Bereich mit Ausstrahlung in beide Schultern und Sensibilitätsstörungen in der rechten Hand sowie allseitig schmerzbedingt leicht eingeschränkter Beweglichkeit der HWS läge unter Berücksichtigung deutlicher arthrotischer Veränderungen im Bereich der HWK (Halswirbelkörper) 4/5 und vorbestehendem Bandscheibenvorfall in der HWS vor vier Jahren ein Unfall im Sinne des Gesetzes nicht vor. Die von dem Durchgangsarzt angesprochene Vorerkrankung der HWS ergibt sich aus einem von der Beklagten im Feststellungsverfahren beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Vereinigten IKK. Danach war der Kläger unter der Diagnosestellung eines Zervikobrachial-Syndromes bzw. eines zervikalen Bandscheibenschadens mit Radikulopathie vom 12.01.2006 bis 18.01.2006, vom 30.01.2006 bis 08.02.2006 und zuletzt vom 07.03.2006 bis 14.03.2006 arbeitsunfähig erkrankt. Durch ein MRT der HWS vom 01.03.2006 waren seinerzeit neben einer Streckfehlhaltung der unteren HWS eine Höhenminderung der Bandscheibe im Segment C4/5 mit mäßigem Bandscheibenvorfall sowie Bandscheibenvorwölbungen in den beiden darunterliegenden Segmenten bei Einengungen des Spinalkanals sowie degenerativen osteochondrotischen Veränderungen der Wirbelkörper gesichert worden. Eine von dem Durchgangsarzt empfohlene MRT-Untersuchung nahm der Kläger nicht wahr. Der Fall wurde von der Beklagten zunächst abgeschlossen; die weitere Behandlung erfolgte durch die Krankenkasse. Wegen der aktuellen Beschwerden wurde der Kläger von dem Chirurg en I zunächst mit Analgetika versorgt, bei fehlender Besserung einige Tage später wurden Lokalanästhetika injiziert. Im Anschluss an die Injektionen verspürte der Kläger Schüttelfrost und massive Schmerzen. Es erfolgte deshalb in der Zeit vom 26.03.2009 bis 27.04.2009 eine stationäre Behandlung im Ev. Krankenhaus C. Bei der Aufnahme klagte der Kläger über eine Exazerbation von seit Langem bestehenden Nackenschmerzen nach Anheben einer schweren Last Mitte März 2009. Aus dem Entlassungsbericht vom 27.04.2009 ergibt sich die Diagnose einer staphylokokkeninduzierten Spondylodiszitis in Höhe der HWK 5/6 und HWK 6/7 bei Bandscheibenvorfall in Höhe HWK 4/5 mit intraspinaler und prävertebraler Abszedierung. Neurochirurgischerseits erfolgte eine Ausräumung der Bandscheibenfächer C4 bis C7, nachfolgend ein Ersatz mit lnterponaten und eine Versteifung mittels Plattenosteosynthese. Anschließend befand sich der Kläger vom 29.04.2009 bis 20.05.2009 in einer medizinischen Reha in der U-Klinik der DRV. Hier gab der Kläger an, er habe am 13.03.2006 zusammen mit einem Kollegen ein Schlafsofa die Treppen hinaufgetragen; als das Sofa zu fallen drohte, habe er es mit den Händen und dem Kopf abgestützt.

Im Februar 2011 fragte er bei der Beklagten an, ob das Ereignis vom 13.03.2009 als Arbeitsunfall anerkannt worden sei. Hierbei gab er an, im Rahmen seiner betrieblichen Tätigkeit am 13.03.2009 mit einem Mitarbeiter ein Sofa treppaufwärts getragen zu haben; seinem vorweggehenden Kollegen sei das in Folie eingepackte Sofa aus den Händen geglitten, sodass er dieses mit den Armen und dem Kopf habe abstützen müssen und nachfolgend plötzliche Schmerzen verspürt habe. Im Rahmen des Feststellungsverfahrens zog die Beklagte Behandlungsberichte der den Kläger behandelnden Ärzte sowie das Vorerkrankungsverzeichnis der Vereinigten IKK bei. Außerdem befragte sie den Arzt für Chirurgie I. Dieser bekräftigte am 22.03.2011 seine Auffassung, dass es sich bei dem Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt hat, da kein von außen wirkendes Ereignis beim Ausüben einer versicherten Tätigkeit stattgefunden habe und bekannt sei, dass der Kläger vorher mehrere Bandscheibenvorfälle gehabt habe.

Mit Bescheid vom 08.09.2011 stellte die Beklagte fest, dass das Ereignis vom 13.03.2009 kein Arbeitsunfall war und lehnte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Zur Begründung führte sie aus, ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Ereignis vom 13.03.2009 und den Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule lasse sich nicht herleiten. Nach den Behandlungsunterlagen leide der Kläger an erheblichen degenerativen Veränderungen im Bereich der HWS. Nach medizinischen Erkenntnissen genüge ein Zusatzimpuls, um bei vorgeschädigter Wirbelsäule aktuelle Beschwerden zu verursachen. Bei dem Ereignis habe es sich demnach nur um eine Gelegenheitsursache gehandelt, die nicht rechtlich wesentlich für die Beschwerden sei. Ursächlich für die Beschwerden sei vielmehr die Vorschädigung.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch, welchen der Kläger nicht begründete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16.12.2011 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 27.01.2012 vor dem Sozialgericht Detmold (SG) Klage erhoben. Er hat weiterhin die Auffassung vertreten, das Ereignis vom 13.03.2009 sei ein Arbeitsunfall gewesen. Zum Unfallhergang hat er seine im Feststellungsverfahren gemachten Angaben wiederholt. Die Angaben im Durchgangsarztbericht seien nicht richtig. Er habe der Sprechstundenhilfe den Unfallhergang detailliert beschrieben. Da er der Auffassung gewesen sei, sie habe seine Schilderungen an den Arzt weitergegeben, habe er sich diesem gegenüber nur noch kurzgefasst. Die bei dem Abrutschen des Sofas gemachte unkoordinierte Bewegung erfülle die Begrifflichkeit eines äußeren Ereignisses, das auch wesentliche Ursache der akuten Beschwerden sei, da in der Einwirkung des ca. 100 kg schweren Sofas eine außergewöhnliche Belastung zu sehen sei. Alltägliche Belastungen hätten, zumal er jahrelang vorher seine Tätigkeit habe wahrnehmen können, eine entsprechende Symptomatik nicht auslösen können.

Der Kläger hat beantragt, unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2011 festzustellen, dass das Ereignis vom 13.03.2009 ein Arbeitsunfall war.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig gehalten.

Das SG hat auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. E. Bei der Untersuchung durch Dr. E hat der Kläger den bisher beschriebenen Unfallhergang um die Angaben ergänzt, er habe beim reflexartigen Auffangen des Sofas mit Kopf und Brust eine Stufe rückwärts gehen müssen und habe sich dabei mit der rechten Hand am Geländer festgehalten. Dr. E ist in seinem Gutachten vom 11.09.2012 zu dem Ergebnis gelangt, das Ereignis sei allenfalls geeignet gewesen, eine zeitlich begrenzte Verschlimmerung eines vorbestehenden Gesundheitszustands auszulösen, die durch entsprechende therapeutische Maßnahmen in einem überschaubaren Zeitrahmen hätte zur Ausheilung gebracht werden können. Durch das unerwartete Auffangen des Sofas sei es zu einer unwillkürlich unkoordinierten Überlastung der Strukturen im Bereich der HWS gekommen. Da keine strukturellen Schäden nachgewiesen seien, müsse es hier zu einer Zerrung gekommen sein. Da die Behandlungen durch Injektion von Lokalanästhetika jedoch die Spondylodiszitis hervorgerufen hätten, seien die Folgen dieser Erkrankung als mittelbare Unfallfolge zu werten.

Die Beklagte ist dieser Auffassung unter Vorlage einer beratungsärztlichen Stellungnahme der Chirurgin Dr. I2 vom 18.10.2012 entgegengetreten. Das vom Kläger geschilderte Ereignis sei nicht bewiesen. Schon der Unfalltag sei unklar. Nach dem Durchgangsarztbericht solle das Ereignis am 14.03.2009 stattgefunden haben, nach den Angaben im Feststellungsverfahren dagegen am 13.03.2009. Der im Durchgangsarztbericht dargestellte Ereignishergang erfülle auch nicht den Unfallbegriff. Der zuletzt geschilderte Unfallhergang sei nicht geeignet, eine Zerrung im Bereich der HWS herbeizuführen. Ein derartiger Geschehensablauf traumatisiere die Hände und die Schulterregion, aber nicht den Nacken. Der Kläger habe danach auch noch weitergearbeitet. Die bei der Vorstellung am 16.03.2009 beschriebenen Beschwerden seien unspezifisch, eine Zerrung sei nicht bewiesen. Ein Befund, der auf eine Zerrung hinweise, sei nicht beschrieben worden. Auch die nachfolgende Behandlung durch den Chirurgen I sei nicht wegen Unfallfolgen erfolgt; vielmehr seien Vorschädigungen der HWS unzweifelhaft und die Injektion mit Schmerzmitteln offenkundig deshalb vorgenommen worden. Eine Zerrung hätte keine Injektionen erfordert.

Das SG hat sodann eine ergänzende Stellungnahme von Dr. E eingeholt. Dieser ist in seiner Stellungnahme vom 03.12.2012 bei seiner Auffassung geblieben. Aufgrund der eindeutigen und detaillierten Angaben des Klägers bei der Untersuchung gehe er davon aus, dass sich der Durchgangsarzt in seinem Bericht bzgl. des Datums des Ereignisses geirrt und keine genauere Befragung hinsichtlich des angeschuldigten Ereignisses vorgenommen habe. Strukturelle Verletzungen hätten eindeutig nicht stattgefunden. Die Behandlung einer Zerrung durch Lokalanästhesie sei eine etablierte Therapieform, wenn Schmerzmittel zur Linderung der Beschwerden nicht ausreichten.

Mit Urteil vom 13.02.2013 hat das SG unter Aufhebung des Bescheides vom 08.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2011 festgestellt, dass das Ereignis vom 13.03.2009 ein Arbeitsunfall war. Hierbei ist es von dem vom Kläger im Feststellungsverfahren und bei Dr. E geschilderten Unfallhergang ausgegangen und hat sich zur Begründung der Kausalität im Wesentlichen auf das Gutachten des Dr. E gestützt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 15.03.2013 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12.04.2013 Berufung eingelegt und zur Begründung eine beratungsärztliche Stellungnahme des Chirurgen Prof. Dr. S vorgelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, ein Erstschaden sei nicht belegt. Die Annahme eines durch das Ereignis bewirkten Schadens sei spekulativ. Die vom Durchgangsarzt genannten Befunde seien unspezifisch; anhand dieser Symptome könne nicht unterschieden werden, ob es sich um unfallbedingte oder bandscheibenbedingte Störungen handele. Die Symptome könnten auch Folge einer bereits eingetretenen Spondylodiszitis gewesen sein. Die Spondylodiszitis sei auch keine mittelbare Unfallfolge. Prof. Dr. S halte den zeitlichen Verlauf zwischen Ereignis und Diagnose der Spondylodiszitis für ungewöhnlich kurz, er halte es für naheliegender, dass als Infektionsquelle eine kurz zuvor behandelte Gallenblasenentzündung in Frage komme.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 13.02.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil unter Bezugnahme auf das Gutachten des Dr. E für zutreffend.

Der Senat hat Befundberichte eingeholt von dem Chirurgen I, dem Arzt für Allgemeinmedizin Dr. C1, dem Klinikum C S1, in dem beim Kläger im Februar 2009 wegen eines schmerzhaften Gallensteinleidens die Gallenblase entfernt wurde, und dem Ev. Krankenhaus C.

Da der Kläger vor dem Landgericht (LG) C Klage (Az.: 0 O 00/13) gegen den Durchgangsarzt erhoben hatte, in der er Behandlungsfehler bei der Injektion der Lokalanästhetika in den HWS-Bereich geltend machte, ist das Berufungsverfahren bis zum rechtskräftigen Abschluss des zivilrechtlichen Verfahrens zum Ruhen gebracht worden. Mit rechtskräftigem Urteil des LG C vom 12.01.2016 (bestätigt durch Urteil des OLG vom 22.11.2016 und Beschluss des BGH vom 25.09.2018, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des OLG zurückgewiesen wurde) ist die zivilrechtliche Klage des Klägers abgewiesen worden, da dem Durchgangsarzt kein ärztlicher Behandlungsfehler nachgewiesen werden konnte.

Das Berufungsverfahren wurde nach Kenntniserhalt des BGH-Beschlusses im Januar 2019 fortgesetzt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Dr. W. Dieser ist in seinem Gutachten vom 03.07.2019 aufgrund einer körperlichen Untersuchung des Klägers und einer Auswertung der in 2006 und 2009 angefertigten Aufnahmen (Röntgen-, CT und MRT) der HWS sowie unter Berücksichtigung des Inhalts der Verwaltungs- und Gerichtsakten zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Verletzung des Klägers als unmittelbare Folge des Ereignisses vom 14.03.2009 nicht nachweisbar sei, auch nicht eine Zerrung. Schon der Unfallhergang sei unklar, da der Kläger hierzu unterschiedliche Angaben gemacht habe. Beim Durchgangsarzt habe der Kläger erklärt, die Schmerzen seien beim Tragen des Sofas aufgetreten. Dies lasse keine Rückschlüsse auf eine Gewalteinwirkung zu. Bei Dr. E habe der Kläger dann ein aktives willentliches Drücken des Kopfes und der Brust gegen das Sofa beschrieben. Eine Zerrung würde aber eine passive, auf den Kopf einwirkende Gewalt voraussetzen. Unter Berücksichtigung aller medizinisch bewertbaren Anknüpfungstatsachen und nur unter der Annahme, dass es – im Gegensatz zu den Angaben des Klägers bei Dr. E – nicht zu einer willentlich intendierten, sondern zu einer passiven gewaltsamen Bewegung des Kopfes und damit der HWS gekommen sei, wäre eine Zerrung der Halsweichteile allenfalls möglich. Die wenige Tage nach dem Ereignis vom Durchgangsarzt beschriebene Symptomatik (Schmerzhaftigkeit der mittleren HWS mit schmerzbedingter Bewegungseinschränkung und Sensibiltätsstörungen in der rechten Hand) lasse gesicherte Rückschlüsse auf ihre Entstehung nicht zu, zumal ein vergleichbarer Befund schon 2006 von dem Orthopäden Dr. Baumann beschrieben worden sei. Dies habe vermutlich auch den erstbehandelnden Arzt zu der Einschätzung geführt, dass es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Dementsprechend habe dieser auch keine Diagnose mit einem potentiellen Unfallzusammenhang gestellt, sondern lediglich den erheblichen Vorschaden an den Bandscheiben der HWS diagnostiziert. Auch das MRT vom 23.03.2009 zeige keinerlei verletzungsspezifische Veränderungen. Danach seien ebenfalls keine Befunde erhoben worden, die spezifisch für eine Verletzung im Bereich der HWS wären, d.h., die sich ausschließlich oder zumindest weitaus überwiegend im Unfallzusammenhang fänden, sodass aus ihnen selbst heraus auf die Verletzung geschlossen werden könne. Sämtliche Befunde, die nach dem Ereignis erhoben wurden, seien sowohl mit der Annahme vereinbar, dass es bei dem Ereignis zu einer Zerrung gekommen ist, als auch mit der Annahme, dass es durch aktives Anspannen der Halsmuskulatur zur erneuten Manifestation eines bereits vorher bestehenden und zeitweise auch klinisch manifesten Bandscheibenschadens an der HWS gekommen ist. Bei der Schlussfolgerung des Dr. E, der Kläger habe sich eine „funktionelle“ Verletzung im Sinne einer Zerrung zugezogen, handele es sich nach alledem nur um eine Vermutung. Es sei auch nicht nachgewiesen und auch nicht wahrscheinlich zu machen, dass die beim Kläger festgestellte Spondylodiszitis Folge der Injektionstherapie sei, auch wenn er dies nicht ausschließen könne. Die Injektionstherapie wäre zur Behandlung einer Zerrung gar nicht erforderlich gewesen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Ihre Inhalte sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Im Gegensatz zu der Auffassung des SG ist der Kläger durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert, da die dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Denn die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid zutreffend festgestellt, dass das Ereignis vom 13./14.03.2009 kein Arbeitsunfall war.

Nach § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für einen Arbeitsunfall ist danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalles der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, ,,Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, ,,Unfallereignis“ sowie „Gesundheitsschaden“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der kausalen Zusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen der Grad der „hinreichenden“ Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. nur BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R – juris Rn. 8 f.). „Hinreichend wahrscheinlich“ bedeutet, dass mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht. Ist ein Arbeitsunfall nicht nachgewiesen oder lässt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen diesem und den geltend gemachten Gesundheitsstörungen nicht wahrscheinlich machen, geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Grundlagen handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Ereignis nicht um einen Arbeitsunfall.

Der Senat geht zunächst davon aus, dass der Kläger am 13.03.2009 (Angaben in der U-Klinik) oder am 14.03.2009 (Angaben beim Durchgangsarzt) beim Transport des Sofas eine versicherte Tätigkeit verrichtet hat. Der Senat unterstellt auch zu Gunsten des Klägers, dass diese Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf seinen Körper einwirkenden Ereignis geführt hat.

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls scheitert aber daran, dass der Transport des Sofas – unabhängig von dem genauen Hergang – beim Kläger keinen Gesundheitserstschaden verursacht hat. „Gesundheitserstschaden“ ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde (BSG, Urteil vom 17. 12. 2015 – B 2 U 8/14 R -). Der Gesundheitserstschaden setzt keine Dauerschädigung oder Störungen von erheblichem Gewicht oder mit notwendiger Behandlungsbedürftigkeit voraus; Umfang und Dauer sind ebenfalls unerheblich. Minimale Regelwidrigkeiten ohne Arbeitsunfähigkeit oder Behandlungsbedürftigkeit sind aber ebenso bedeutungslos wie bloße Schmerzen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Juli 2017 – L 6 U 2225/16 – juris Rn. 26, m. w. N. und vom 29.01.2016 – L 8 U 977/15 – juris Rn., 28, LSG Hessen, Urteil vom 25.02.2014 – L 3 U 94/12 – juris Rn. 27 ).

Einen solchen Gesundheitsschaden hat der Kläger infolge des Ereignisses vom 13.03. oder 14.03.2009 nicht erlitten.

Bei dem vom Durchgangsarzt am 16.03.2009 diagnostizierten Schaden an der HWS („Sonstige Spondylose: Zervikalbereich ICD 10 Bandscheibenvorfall HWK 4/5“) handelt es sich nicht um einen Gesundheitserstschaden infolge des Ereignisses, sondern um einen unfallunabhängigen Vorschaden. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und steht zur Überzeugung des Senats auch fest aufgrund der insoweit übereinstimmenden Auffassungen der Sachverständigen Dres. E und W, der Beratungsärzte der Beklagten Dr. I1 und Prof. Dr. S sowie des Durchgangsarztes I.

Auch ein anderer Gesundheitserstschaden an der HWS ist nicht nachgewiesen. Bei der Vorstellung beim Durchgangsarzt am 16.03.2009 hat der Kläger lediglich über Schmerzen im HWS-Bereich beim Tragen eines Sofas geklagt. Der bloße, bei einem Ereignis erlittene Schmerz stellt aber noch keinen Gesundheitserstschaden dar. Er könnte allenfalls als erstes Zeichen eines im weiteren Verlauf zu objektivierenden Gesundheitserstschadens gewertet werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. 01.2013 – L 6 U 2874/12 – juris Rn. 28). Eine derartige Wertung ist vorliegend aber nicht möglich, da ein Gesundheitserstschaden nicht zu objektivieren ist. Äußere Verletzungszeichen sind weder vom Durchgangsarzt noch im weiteren Verlauf dokumentiert worden. Auch eine Zerrung ist nicht bewiesen. Der Senat hält es aufgrund der Gutachten der Dres. E und W zwar für möglich, dass der Kläger bei dem streitgegenständlichen Ereignis eine Zerrung erlitten hat, allerdings den übereinstimmenden Ausführungen der Dres. E und W folgend auch nur dann, wenn es beim Abstützen des Sofas nicht zu einer willentlich intendierten, sondern zu einer passiven gewaltsamen Bewegung des Kopfes und damit der HWS gekommen wäre. Abgesehen davon, dass nicht geklärt ist, ob diese Voraussetzung überhaupt vorliegt, reicht die Möglichkeit einer Zerrung aber nicht aus; für den Senat müsste vielmehr im Grad des Vollbeweises, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass beim Kläger eine Zerrung vorlag. Hiervon konnte sich der Senat nicht überzeugen. Eine nicht-strukturelle muskuläre Verletzung ist nur auf dem Wege einer sorgfältigen klinisch-funktionellen Untersuchung verifizierbar (siehe etwa Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, Seite 485). Der Durchgangsarzt I hat aber nach der Untersuchung des Klägers keine Zerrung diagnostiziert. Auch die Beratungsärzte der Beklagten Dr. I1 und Prof. Dr. S sowie der Sachverständige Dr. W haben unter Berücksichtigung der unfallnahen Befunde keine Zerrung feststellen können. Schließlich hat auch Dr. E keine Zerrung festgestellt, sondern, worauf schon Dr. W zutreffend hingewiesen hat, eine solche lediglich vermutet und dies damit begründet, dass strukturelle Schäden auszuschließen seien und der Kläger zuletzt 2006 wegen Beschwerden im Bereich der HWS arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. So heißt es in seinem Gutachten wörtlich: „Es muss hier von einer funktionellen Verletzung der Wirbelsäule im Sinne der Zerrung ausgegangen werden.“ Abgesehen davon, dass Dr. E diesen Schluss aufgrund eines bisher unbewiesenen Unfallhergangs (unerwartetes Auffangen der vollen Last mit der Folge einer unwillkürlich unkoordinierten Überlastung der Strukturen im Bereich der HWS) gezogen hat, vermag der Senat der Schlussfolgerung Dr. Es aber auch deshalb nicht zu folgen, weil die vom Kläger geklagten Schmerzen nach dem Gutachten des Dr. W und den Ausführungen des Prof. Dr. S durchaus auch auf den vorbestehenden Bandscheibenschaden zurückgeführt werden können. Dr. W hat explizit ausgeführt, dass sämtliche Befunde, die nach dem Ereignis erhoben worden sind, sowohl mit der Annahme vereinbar seien, dass es bei dem Ereignis zu einer Zerrung gekommen ist, als auch mit der Annahme, dass es durch aktives Anspannen der Halsmuskulatur zur erneuten Manifestation eines bereits vorher bestehenden und zeitweise auch klinisch manifesten Bandscheibenschadens an der HWS gekommen ist, wobei es sich dann um eine rechtlich nicht wesentliche Gelegenheitsursache handeln würde. Auch Prof. Dr. S hat die Befunde für unspezifisch gehalten und ausgeführt, dass anhand der Symptome nicht unterschieden werden könne, ob es sich um unfallbedingte oder bandscheibenbedingte (also durch den Vorschaden bedingte) Störungen handelt. Darüberhinaus hat er es auch aufgrund der kurzen Zeitspanne zwischen dem streitgegenständlichen Ereignis und der Diagnose einer Spondyldiszitis für naheliegend gehalten, dass diese schon vor dem Unfallereignis vorlag und ebenfalls als Ursache für die vom Kläger beklagten Schmerzen in Betracht kommen könnte. Diese Ausführungen des Dr. W und des Prof. Dr. S hält der Senat für überzeugend, da Bandscheibenschäden häufig lange Zeit klinisch stumm verlaufen (siehe Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., Seite 457) und sich das bei der Untersuchung durch den Durchgangsarzt am 16.04.2009 gezeigte Schadensbild durch nichts von dem Schadensbild des Vorschadens unterscheidet.

Da Streitgegenstand allein die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist und ein Arbeitsunfall nicht vorliegt, hat der Senat nicht zu entscheiden, worauf die beim Kläger festgestellte Spondylodiszitis zurückzuführen ist. Vorsorglich weist der Senat jedoch darauf hin, dass es nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme im zivilrechtlichen und im sozialgerichtlichen Verfahren nicht wahrscheinlich ist, dass die Spondylidiszitis durch die erfolgten Injektionen des Chirurgen I verursacht wurde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Sozialrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Sozialrecht. Wir beraten uns vertreten Sie in sozialrechtlichen Fragen. Jetzt Ersteinschätzung anfragen.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Sozialrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!