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Gesamt-GdB-Bildung für seelisches Leiden und Wirbelsäulenschaden

Landessozialgericht erhöht Grad der Behinderung – Medizinische Gutachten ausschlaggebend

Im vorliegenden Fall des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Az.: L 13 SB 43/12, Urteil vom 22.04.2015) wurde entschieden, dass der Kläger rückwirkend ab dem 26. Januar 2009 Anspruch auf die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 hat, nachdem das Sozialgericht Berlin einen GdB von 40 als zu niedrig eingestuft hatte. Die Revision wurde nicht zugelassen, und der Beklagte wurde zur Übernahme der außergerichtlichen Kosten des Klägers verpflichtet.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Der Kläger erstritt erfolgreich einen höheren Grad der Behinderung (GdB) von 50, nachdem ursprünglich nur ein GdB von 40 festgestellt wurde.
  • Die Erhöhung des GdB basiert auf der Gesamtbewertung von seelischen Leiden und einem Wirbelsäulenschaden, einschließlich Bandscheibenvorfalls und Funktionsbehinderung der Finger.
  • Die Entscheidung berücksichtigt die wechselseitigen Beeinflussungen der verschiedenen Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers.
  • Mehrere medizinische Gutachten und die Anwendung versorgungsmedizinischer Grundsätze waren ausschlaggebend für die Feststellung des höheren GdB.
  • Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung einer umfassenden medizinischen Bewertung und der Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen verschiedener Beeinträchtigungen auf die Lebensführung.
  • Die Entscheidung unterstreicht die Möglichkeit der Berufung gegen erstinstanzliche Urteile und Bescheide im Sozialrecht, speziell im Schwerbehindertenrecht.
  • Das Gericht hat auch die außergerichtlichen Kosten zugunsten des Klägers entschieden und keine Revision zugelassen.
  • Der Fall zeigt die Relevanz von § 109 SGG (Sozialgerichtsgesetz), der es Beteiligten ermöglicht, eigene Beweismittel, wie ärztliche Gutachten, einzubringen.

Grad der Behinderung – Eine ganzheitliche Betrachtung

Der Grad der Behinderung (GdB) ist ein wichtiger Begriff, wenn es um die Feststellung und Bewertung von Behinderungen geht. Er dient als Maßstab, um den Umfang einer Beeinträchtigung zu quantifizieren. Dabei gilt es, nicht nur einzelne Aspekte wie körperliche Beeinträchtigungen oder seelische Leiden zu berücksichtigen. Vielmehr muss eine ganzheitliche Sichtweise auf alle Auswirkungen der Behinderung im Alltag eingenommen werden.

Insbesondere bei Mehrfachbehinderungen, wenn also verschiedene Leiden oder Wirbelsäulenschäden gleichzeitig vorliegen, ist es essenziell, die wechselseitigen Beziehungen dieser Beeinträchtigungen zu analysieren. Nur so lässt sich der Gesamt-GdB sachgerecht und unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren bestimmen.

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➜ Der Fall im Detail


Streit um den Grad der Behinderung erreicht Landessozialgericht

Der Fall dreht sich um die Auseinandersetzung zwischen einem Kläger und dem zuständigen Sozialversicherungsträger über die Höhe des festgestellten Grades der Behinderung (GdB). Ausgangspunkt war die Ablehnung eines Verschlimmerungsantrags durch den Beklagten, in dem der Kläger, geboren 1962 und bereits mit einem GdB von 40 anerkannt, eine Erhöhung sowie die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ begehrte. Nach eingehender medizinischer Begutachtung setzte der Beklagte den GdB trotz festgestellter Verschlimmerungen unverändert bei 40 fest, was den Kläger zur Klage beim Sozialgericht Berlin veranlasste. Dort wurde sein Antrag auf einen GdB von mindestens 60 zunächst abgewiesen, was eine Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zur Folge hatte.

Landessozialgericht korrigiert vorinstanzliche Entscheidung

Das Landessozialgericht gab der Berufung statt und hob die Entscheidung des Sozialgerichts sowie den ursprünglichen Bescheid des Beklagten auf, indem es einen GdB von 50 ab dem 26. Januar 2009 feststellte. Die Entscheidung begründete das Gericht mit den detaillierten medizinischen Gutachten, die verschiedene Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers bewerteten: psychische Störungen mit einem Einzel-GdB von 40, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit 20 und Funktionsbehinderung der Finger mit 10. Besonders gewichtet wurde die wechselseitige Verschärfung der Beeinträchtigungen, die letztlich zur Anhebung des Gesamt-GdB führte.

Medizinische Gutachten als Entscheidungsgrundlage

Zentral für die Urteilsfindung waren die umfangreichen medizinischen Begutachtungen durch Fachärzte verschiedener Disziplinen. Die Bewertungen der Experten variierten zunächst erheblich, sowohl in der Einschätzung der Einzel-GdBs als auch in der Beurteilung des Gesamt-GdBs. Das Gericht folgte schlussendlich der Einschätzung, die eine ganzheitliche Betrachtung der Funktionsbeeinträchtigungen vornahm und dabei besonders die wechselseitigen Verstärkungen der einzelnen Beeinträchtigungen berücksichtigte.

Rechtliche Grundlagen der GdB-Feststellung

Die Urteilsfindung basierte auf den gesetzlichen Vorgaben des Sozialgesetzbuches IX sowie den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“, die eine detaillierte und differenzierte Bewertung der Auswirkungen von Funktionsstörungen vorsehen. Dabei wurde deutlich, dass die juristische Bewertung eng an die medizinische Beurteilung gekoppelt ist und eine sorgfältige Abwägung der vorliegenden medizinischen Befunde erfordert.

Bedeutung für die Praxis

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg unterstreicht die Bedeutung einer individuellen und ganzheitlichen Betrachtung von Gesundheitsbeeinträchtigungen bei der Feststellung des GdB. Es zeigt auf, dass juristische Entscheidungen in diesem Bereich maßgeblich von medizinischen Expertisen abhängen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Recht und Medizin erfordern. Die Entscheidung betont zudem die Möglichkeit für Betroffene, gegen als ungerecht empfundene Bescheide erfolgreich vorzugehen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Wie wird der Grad der Behinderung (GdB) festgestellt?

Der Grad der Behinderung (GdB) wird in Deutschland festgestellt, um das Ausmaß einer Behinderung zu quantifizieren. Dies geschieht auf Antrag der betroffenen Person bei den zuständigen Ämtern, wie dem Versorgungsamt oder dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung. Der GdB wird in Zehnergraden von 20 bis 100 angegeben, wobei ein höherer Wert eine stärkere Beeinträchtigung bedeutet. Ab einem GdB von 50 gilt eine Person als schwerbehindert.

Die Feststellung des GdB basiert auf den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“, die Teil der Versorgungsmedizin-Verordnung sind. Diese Grundsätze enthalten eine GdB-Tabelle mit medizinischen Befunden und den entsprechenden GdB-Werten. Bei der Feststellung des GdB werden alle Gesundheitsstörungen berücksichtigt, unabhängig von ihrer Ursache. Liegen mehrere Behinderungen vor, wird ein Gesamt-GdB gebildet, wobei die einzelnen Grade nicht einfach addiert werden, sondern das Gesamtbild der Beeinträchtigung bewertet wird.

Für die Beurteilung des GdB sind aktuelle medizinische Unterlagen und Gutachten entscheidend. Die Antragstellenden sollten daher ihrem Antrag aktuelle Atteste, Röntgenbilder, Laborbefunde und ähnliche Dokumente beifügen. Die Gutachter bewerten die Unterlagen und erstellen ein Gutachten, das die Grundlage für den Feststellungsbescheid bildet. Dieser Bescheid enthält Informationen über den anerkannten GdB und die berücksichtigten Gesundheitsstörungen.

Es ist wichtig zu beachten, dass der GdB keine Prozentangabe darstellt, sondern eine Maßeinheit für die Stärke der Beeinträchtigung. Zudem kann der GdB bei Veränderungen des Gesundheitszustandes neu festgestellt werden, was sowohl zu einer Erhöhung als auch zu einer Herabsetzung führen kann.

Die Feststellung des GdB ist ein komplexer Prozess, der individuell auf die Person und ihre Beeinträchtigungen abgestimmt ist. Die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ dienen dabei als Richtlinie für die Bewertung und sorgen für eine einheitliche Handhabung.

Was bedeutet eine Verschlimmerung für den Grad der Behinderung?

Eine Verschlimmerung bedeutet im Kontext des Grades der Behinderung (GdB), dass sich die bestehenden Beeinträchtigungen einer Person verschlechtert haben oder neue Beeinträchtigungen hinzugekommen sind, die den Alltag weiter einschränken als bisher. Dies kann dazu führen, dass der GdB neu bewertet und gegebenenfalls erhöht wird, um die veränderte Situation der betroffenen Person widerzuspiegeln.

Betroffene, die eine Verschlimmerung ihrer Beeinträchtigungen feststellen, können einen sogenannten Verschlimmerungsantrag stellen, der auch als Änderungsantrag bezeichnet wird. Dieser Antrag ist bei dem zuständigen Versorgungsamt einzureichen und muss die gleichen Voraussetzungen erfüllen wie ein Erstantrag. Das bedeutet, dass der GdB komplett neu ermittelt wird und die Antragstellenden müssen erneut medizinisch relevante Befunde, Berichte oder Entlassungsbriefe vorlegen, um die gesundheitliche Veränderung zu belegen.

Es ist jedoch zu beachten, dass ein Verschlimmerungsantrag auch Risiken birgt. Während der Antrag die Chance auf eine Erhöhung des GdB bietet, kann es auch passieren, dass das Versorgungsamt den GdB herabsetzt, falls eine Verbesserung in bestimmten Bereichen festgestellt wird. Dies kann beispielsweise nach einer erfolgreichen Operation oder Therapie der Fall sein. Daher wird empfohlen, sich vor der Antragstellung beraten zu lassen und die Meinung des behandelnden Arztes einzuholen, der die gesundheitliche Entwicklung des Patienten am besten kennt.

Insgesamt gesagt, ist eine Verschlimmerung ein wichtiger Grund für die Neubewertung des GdB, wobei der Prozess sorgfältig abgewogen und mit entsprechenden medizinischen Nachweisen unterstützt werden sollte.

Was kann man tun, wenn man mit der Feststellung des GdB nicht einverstanden ist?

Wenn man mit der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) nicht einverstanden ist, gibt es die Möglichkeit, rechtliche Schritte einzuleiten. Der erste Schritt ist, gegen den Feststellungsbescheid des Versorgungsamtes Widerspruch einzulegen. Dies muss innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids geschehen. Der Widerspruch sollte schriftlich erfolgen und kann entweder per Post oder zur Niederschrift beim Versorgungsamt eingereicht werden.

In dem Widerspruch sollten die Gründe für die Unzufriedenheit dargelegt und gegebenenfalls neue ärztliche Gutachten oder andere Nachweisdokumente beigefügt werden, die die eigene Einschätzung des GdB unterstützen. Es ist ratsam, Akteneinsicht zu beantragen, um die Entscheidungsgrundlagen des Versorgungsamtes nachvollziehen zu können und die eigene Argumentation entsprechend auszurichten.

Sollte das Versorgungsamt den Widerspruch ablehnen oder nicht innerhalb von drei Monaten darauf reagieren, besteht die Möglichkeit, Klage vor dem zuständigen Sozialgericht zu erheben. Die Klage muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Widerspruchsbescheids oder nach Ablauf der Dreimonatsfrist eingereicht werden. Für das Klageverfahren fallen keine Gerichtskosten an.

Es ist zu beachten, dass die Klage gut begründet sein sollte und sich auf die tatsächlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen konzentrieren muss, nicht nur auf die Diagnose. Oft wird im Rahmen des Klageverfahrens ein externer Gutachter eingesetzt, dessen Kosten in der Regel vom Gericht übernommen werden.

Da die rechtlichen Schritte komplex sein können, ist es empfehlenswert, sich von einem Anwalt für Sozialrecht beraten und gegebenenfalls vertreten zu lassen. Ein Anwalt kann die Erfolgsaussichten einer Klage besser einschätzen und weiß, wie man am besten vorgeht.

Wie wirken sich verschiedene Beeinträchtigungen auf den Gesamt-GdB aus?

Die Ermittlung des Gesamt-Grades der Behinderung (Gesamt-GdB) bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen ist ein komplexer Prozess, der nicht einfach auf der Addition der Einzel-GdB-Werte basiert. Stattdessen wird eine Gesamtbetrachtung aller Beeinträchtigungen und ihrer Wechselwirkungen vorgenommen, um zu bestimmen, wie sich diese gemeinsam auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken.

Einzel-GdB und ihre Wechselwirkungen

Jede Beeinträchtigung wird zunächst einzeln bewertet und erhält einen Einzel-GdB-Wert. Die Feststellung des Gesamt-GdB erfolgt dann unter Berücksichtigung der Auswirkungen aller Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit. Dabei spielen die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Beeinträchtigungen eine entscheidende Rolle.

Keine einfache Addition

Die Einzel-GdB-Werte werden nicht einfach addiert, um den Gesamt-GdB zu ermitteln. Stattdessen wird geprüft, ob und inwieweit sich die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen überschneiden, voneinander unabhängig sind oder sich gegenseitig verstärken.

Beispiele für Wechselwirkungen

  • Überschneidungen: Wenn sich die Auswirkungen von Beeinträchtigungen überschneiden, kann es sein, dass die Gesamtauswirkung nicht so stark ist, wie es die Summe der Einzel-GdB vermuten lassen würde.
  • Unabhängigkeit: Sind die Auswirkungen der Beeinträchtigungen voneinander unabhängig und betreffen ganz verschiedene Bereiche des täglichen Lebens, kann dies zu einem höheren Gesamt-GdB führen.
  • Verstärkung: In einigen Fällen kann eine Beeinträchtigung die Auswirkungen einer anderen verstärken. In solchen Fällen kann der Gesamt-GdB höher ausfallen, als es die Addition der Einzel-GdB nahelegen würde.

Individuelle Bewertung

Die Ermittlung des Gesamt-GdB ist immer eine individuelle Bewertung, die die spezifischen Umstände und die Wechselwirkungen zwischen den Beeinträchtigungen einer Person berücksichtigt. Es gibt keine festen Formeln für die Berechnung des Gesamt-GdB, und die Entscheidung basiert auf einer umfassenden Beurteilung durch die zuständigen Behörden unter Anwendung der versorgungsmedizinischen Grundsätze. Zusammenfassend ist die Feststellung des Gesamt-GdB ein differenzierter Prozess, der die individuellen Auswirkungen und Wechselwirkungen aller Beeinträchtigungen einer Person berücksichtigt, um eine gerechte Bewertung ihrer Gesamtbeeinträchtigung zu gewährleisten.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 69 SGB IX (Feststellung des Grades der Behinderung): Dieser Paragraph regelt, wie der Grad der Behinderung (GdB) festgestellt wird, und ist zentral für den vorliegenden Fall, da er die rechtliche Grundlage für die Bewertung der Behinderung des Klägers bildet. Er legt fest, dass der GdB nach den Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bemessen wird und dass die Bewertung in Zehnergraden erfolgt.
  • Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV): Diese Verordnung enthält die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“, die für die Bewertung von Gesundheitsstörungen und deren Auswirkungen auf den Grad der Behinderung herangezogen werden. Sie war entscheidend für die Beurteilung der verschiedenen Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers, wie psychische Störungen und Wirbelsäulenschäden, und deren Zusammenfassung zu einem Gesamt-GdB.
  • § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG): Dieser Paragraph ermöglicht es den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens, auf eigene Kosten einen Arzt als Gutachter zu beauftragen. Im vorliegenden Fall war dies relevant für die Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens, das zur Festsetzung eines höheren GdB führte.
  • § 2 Abs. 1 SGB IX (Behinderungsbegriff): Dieser Abschnitt definiert, was unter einer Behinderung zu verstehen ist, und bildet die Grundlage für die Feststellung und Bewertung von Behinderungen. Er ist besonders wichtig für das Verständnis, wie Behinderungen rechtlich eingeordnet und bewertet werden.
  • § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) (Kostenentscheidung): Bestimmt die Regelungen zu den Kosten eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Im Kontext des Urteils war dies relevant für die Entscheidung über die Übernahme der außergerichtlichen Kosten des Klägers durch den Beklagten nach dem erfolgreichen Ausgang des Verfahrens.
  • Bundesversorgungsgesetz (BVG) § 30 (Grundlagen für die Bewertung von Gesundheitsstörungen): Obwohl nicht direkt im Text erwähnt, bildet dieser Paragraph die rechtliche Grundlage für die Bewertung der Schädigungsfolgen und ist eng mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen verknüpft, die in der VersMedV konkretisiert werden. Er ist relevant für das Verständnis der Bewertungsmaßstäbe von Behinderungen.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 13 SB 43/12 – Urteil vom 22.04.2015

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2012 aufgehoben sowie der Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 verpflichtet, bei dem Kläger mit Wirkung ab 26. Januar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens im vollen Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei dem Kläger festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Der 1962 geborene Kläger, bei dem der Beklagte 2001 einen GdB von 40 festgestellt hatte, stellte am 26. Januar 2009 einen Verschlimmerungsantrag, mit dem er auch das Merkzeichen „G“ begehrte. Nach versorgungsärztlicher Auswertung der eingeholten medizinischen Unterlagen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2009 den Antrag ab. Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte das Gutachten des Orthopäden Dr. V vom 5. Juli 2011 ein, der auf der Grundlage der (mit den aus den Klammerzusätzen ersichtlichen Einzel-GdB bewerteten) Funktionsbeeinträchtigungen

a) psychische Störungen mit Somatisierung (40),

b) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschäden (20),

c) Funktionsbehinderung der Finger (10)

einen Gesamt-GdB von 40 vorschlug. Dem folgend wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2010 zurück.

Mit der beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger zunächst einen GdB von mindestens 60 begehrt, im Laufe des Klageverfahrens sein Klageziel auf einen GdB von 60 gerichtet.

Das Sozialgericht hat das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. T vom 20. Juli 2011 mit ergänzender Stellungnahme vom 5. Oktober 2011 eingeholt, der als GdB-relevante Funktionsbeeinträchtigungen

a) psychische Komorbidität (30),

b) Funktionsbehinderungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, Bandscheibenvorfälle (10),

c) Fingerpolyarthrose und Daumensattelgelenkarthrose (10)

ermittelt und den Gesamt-GdB mit 30 bewertet hat.

Mit Urteil vom 30. Januar 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40. Das Sozialgericht ist hierbei im Wesentlichen der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt.

Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt hat.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. G vom 2. August 2013, der das seelische Leiden mit einem Einzel-GdB von 40 bewertet und unter Berücksichtigung des orthopädischen Bereichs einen Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen hat.

Auf den Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. S gehört, der im Gutachten vom 16. Juli 2014 ausgeführt hat, dass der Gesamt-GdB mit 50 zu bemessen sei.

Die Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Januar 2012 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2010 zu verpflichten, bei ihm mit Wirkung ab dem 26. Januar 2009 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Denn der Kläger hat Anspruch auf Festsetzung eines GdB von 50.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ heranzuziehen.

Das seelische Leiden des Klägers bedingt nach den übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. G und Dr. S in deren psychiatrischen Gutachten vom 2. August 2013 bzw. vom 16. Juli 2014 einen Einzel-GdB von 40. Dieser Bewertung, die den Vorgaben in Teil B Nr. 3.7 der Anlage zu § 2 VersMedV entspricht, schließt der Senat sich an. Die abweichende Einschätzung mit einem Einzel-GdB von 30 durch den Facharzt für Orthopädie und Chirurgie Dr. T im Gutachten vom 20. Juli 2011 vermag der Senat nicht nachzuvollziehen.

Ferner besteht bei dem Kläger ein pseudoradikuläres Halswirbelsäulensyndrom bei Bandscheibenvorfall C5/C6, leichten degenerativen Wirbelsäulenveränderungen und leichten Funktionsstörungen sowie ein lokales Brust- und Lendenwirbelsäulensyndrom bei leichter Fehlstatik, Bandscheibenvorfall L5/S1 und leichten Funktionsstörungen. Der Senat folgt der Bewertung durch den Sachverständigen Dr. S, der – in Übereinstimmung mit dem im Widerspruchsverfahren herangezogenen Gutachter Dr. V – unter Heranziehung des Bewertungsmaßstabs für Wirbelsäulenschäden in Teil B Nr. 18.7 der Anlage zu § 2 VersMedV für diesen Funktionsbereich einen Einzel-GdB von 20 vorgeschlagen hat. Die funktionellen Auswirkungen in allen Wirbelsäulenabschnitten sind mit einem Einzel-GdB in dieser Höhe zu würdigen.

Die Bewertung der Funktionsbehinderung der Finger mit einem Einzel-GdB von 10 steht zwischen den Beteiligten – zu Recht – nicht im Streit.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei dem Kläger ist der Gesamt-GdB danach mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 40 für das seelische Leiden ist unter Berücksichtigung der mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden Wirbelsäulenschäden um einen Zehnergrad heraufzusetzen. Überzeugend hat der Sachverständige Dr. S dargelegt, dass sich die psychische Erkrankung durch ihre Spannung negativ auf die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und die Gebrauchsfähigkeit der Hände auswirkt, während umgekehrt die somatischen Erkrankungen verstärkend auf die seelische Störung wirken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.

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