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Infektion mit Covid-19-Virus als Arbeitsunfall

Covid-19-Infektion am Arbeitsplatz: Keine Anerkennung als Arbeitsunfall

In einem Fall vor dem Sozialgericht Speyer wurde entschieden, dass die Infektion eines Montageelektrikers mit dem Covid-19-Virus nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird, da ein intensiver Kontakt zu einer infektiösen Person am Arbeitsplatz nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte und somit die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht erfüllt sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: S 12 U 178/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Klage des Montageelektrikers, der sich mit Covid-19 infizierte, wurde abgewiesen, da nicht nachweisbar war, dass die Infektion unter Arbeitsbedingungen stattfand.
  • Der Kläger argumentierte, sich aufgrund von Arbeitsumständen und Kontakt zu infizierten Kollegen angesteckt zu haben, was jedoch nicht zweifelsfrei bewiesen werden konnte.
  • Trotz mehrerer infizierter Kollegen am Arbeitsplatz und möglicherweise förderlichen Bedingungen für eine Infektion konnte ein direkter, intensiver Kontakt zu einer Indexperson nicht festgestellt werden.
  • Die beruflichen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen, darunter AHA+L-Regeln, wurden laut Arbeitsgeber eingehalten.
  • Die Beklagte lehnte die Anerkennung der Infektion als Arbeitsunfall ab, da ein eindeutiger Nachweis fehlte und andere Infektionsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden konnten.
  • Das Gericht folgte dieser Auffassung und entschied, dass die Infektion nicht zweifelsfrei auf die Arbeitsbedingungen zurückgeführt werden kann.
  • Die Entscheidung beruht auf dem Grundsatz, dass ein Arbeitsunfall nur anerkannt werden kann, wenn ein intensiver Kontakt zu einer Indexperson bei der Arbeit nachgewiesen wird.
  • Die Möglichkeit einer Infektion im privaten Umfeld oder andere Umstände, die eine Ansteckung erklären könnten, ließen sich nicht ausschließen.
  • Die objektive Beweislast für die Anerkennung einer Erkrankung als Arbeitsunfall trägt der Versicherte.

Covid-19 am Arbeitsplatz

Die Coronavirus-Pandemie hat die Arbeitswelt nachhaltig verändert. Infektionsschutzmaßnahmen und Hygieneregeln bestimmen seither den Arbeitsalltag. Dennoch kam es in vielen Betrieben zu Ansteckungen mit dem Coronavirus. Dies führt zur Frage, ob eine Infektion mit Covid-19 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.

Die gesetzliche Unfallversicherung schützt Beschäftigte im Fall von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die durch eine versicherte Tätigkeit verursacht wurden. Dabei ist entscheidend, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Verletzung oder Erkrankung besteht. Bei Infektionskrankheiten wie Covid-19 stellt sich häufig die Frage nach dem Nachweis einer Ansteckung am Arbeitsplatz.

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➜ Der Fall im Detail


Covid-19-Infektion am Arbeitsplatz: Kein Arbeitsunfall

Im März 2021 infizierte sich ein Montageelektriker mit dem Covid-19-Virus, woraufhin er schwer erkrankte. Der Kläger, 1960 geboren, litt unter anderem unter Atemnot, Schlafproblemen und körperlicher Erschöpfung als Folge der Infektion mit der B1.1.7-Variante, bekannt als „England-Variante“.

Covid 19 Infektion als Arbeitsunfall
Covid-19 am Arbeitsplatz: Gericht lehnt Anerkennung als Arbeitsunfall ab (Symbolfoto: Ground Picture /Shutterstock.com)

Der Fall gelangte vor das Sozialgericht Speyer, da um die Anerkennung der Infektion als Arbeitsunfall gestritten wurde. Der Kläger war bei der Firma C GmbH in M beschäftigt und behauptete, sich im Arbeitsumfeld angesteckt zu haben, insbesondere da mehrere Kollegen ebenfalls positiv getestet wurden.

Ermittlungen und Entscheidungen der Versicherung

Nachdem die Krankenkasse die Infektion als möglichen Arbeitsunfall gemeldet hatte, führte die Beklagte umfangreiche Ermittlungen durch. Diese umfassten unter anderem eine Befragung des Klägers und eine Untersuchung seines Arbeitsplatzes. Trotz der Feststellung, dass elf weitere Beschäftigte im Betrieb positiv getestet wurden und teilweise in unmittelbarem Arbeitsumfeld des Klägers tätig waren, lehnte die Versicherung die Anerkennung der Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall ab. Als Begründung wurde angeführt, dass ein intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte.

Die Urteilsbegründung des Sozialgerichts Speyer

Das Gericht wies die Klage ab und folgte der Argumentation der Beklagten. Für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls sei erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist und zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper wirkenden Ereignis führt, das einen Gesundheitsschaden verursacht. Im vorliegenden Fall konnte ein solcher direkter Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Infektion nicht im erforderlichen Maß nachgewiesen werden.

Kein intensiver Kontakt zu infektiösen Personen nachweisbar

Die Überprüfung der Arbeitsbedingungen und Kontakte des Klägers ergab keinen Nachweis eines intensiven Kontakts zu einer sog. Indexperson. Zwar waren im relevanten Zeitraum weitere Beschäftigte des Betriebes positiv auf das Virus getestet worden, doch ein direkter, intensiver Kontakt, der eine Infektion wahrscheinlich gemacht hätte, ließ sich nicht feststellen. Das Gericht betonte, dass für die Anerkennung als Arbeitsunfall der Vollbeweis über die anspruchsbegründenden Umstände erbracht werden muss.

Folgen der Entscheidung und Beweislast

Das Urteil unterstreicht die Schwierigkeiten im Umgang mit Infektionskrankheiten im Kontext der gesetzlichen Unfallversicherung. Da eine Covid-19-Infektion überall und jederzeit erfolgen kann, sieht das Gericht keine Veranlassung, von den etablierten Grundsätzen der Beweisführung abzuweichen. Die objektive Beweislast trägt demnach der Versicherte, der im vorliegenden Fall nicht nachweisen konnte, dass die Infektion im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit erfolgte.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Kann eine Covid-19-Infektion grundsätzlich als Arbeitsunfall anerkannt werden?

Ja, eine Covid-19-Infektion kann grundsätzlich als Arbeitsunfall anerkannt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind:

  1. Die Infektion muss infolge einer versicherten Tätigkeit eingetreten sein, also während der Arbeitszeit und durch die Ausübung der beruflichen Tätigkeit.
  2. Es muss ein intensiver Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person bei der Arbeit stattgefunden haben. Dabei kommt es vor allem auf die Dauer und Nähe des Kontakts an.
  3. Die Ansteckung muss diesem Kontakt und der versicherten Tätigkeit unmittelbar zugeordnet werden können. Unversicherte Gefährdungen wie private Kontakte mit Infizierten dürfen in der Inkubationszeit nicht vorgelegen haben.
  4. Die Infektion muss durch einen positiven PCR-Test oder vergleichbaren Erregernachweis belegt sein. Der reine Verdacht einer Infektion ohne Krankheitszeichen reicht nicht aus.
  5. Die Infektion muss zu einer Erkrankung an Covid-19 geführt haben, die ärztlich festgestellt wurde.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die zuständige Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse die Covid-19-Erkrankung als Arbeitsunfall anerkennen. Für bestimmte Berufsgruppen wie im Gesundheitsdienst und in der Wohlfahrtspflege mit häufigen Personenkontakten können dabei Beweiserleichterungen gelten.

Wird die Infektion als Arbeitsunfall anerkannt, erbringt die gesetzliche Unfallversicherung umfassende Leistungen. Diese reichen von der Heilbehandlung und Rehabilitation über Verletztengeld bis hin zu Renten. Damit geht der Schutz deutlich über den der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus.

Welche Rolle spielt der Nachweis eines intensiven Kontakts zu einer infektiösen Person bei der Anerkennung als Arbeitsunfall?

Der Nachweis eines intensiven Kontakts zu einer infektiösen Person spielt eine zentrale Rolle bei der Anerkennung einer Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall. Denn nur wenn sich die Ansteckung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen solchen Kontakt bei der versicherten Tätigkeit zurückführen lässt, besteht Versicherungsschutz.

Dabei kommt es vor allem auf die Intensität des Kontakts an, die sich aus der Dauer, der räumlichen Nähe und der Art des Kontakts ergibt. Je länger und enger der Kontakt war, desto eher kann von einer Infektionsübertragung ausgegangen werden. Auch die Umgebungsbedingungen wie Belüftung oder Tragen von Schutzausrüstung spielen eine Rolle.

Der Kontakt muss zu einer Person stattgefunden haben, deren Infektion zum Zeitpunkt des Kontakts bereits nachgewiesen war oder die kurz danach positiv getestet wurde. Ideal ist es, wenn die Kontaktperson namentlich bekannt ist und der Kontakt genau dokumentiert wurde. Aber auch bei unbekannten Kontaktpersonen kann der Nachweis gelingen, wenn die Umstände eindeutig für eine Infektion im Betrieb sprechen.

Allerdings dürfen in der Inkubationszeit von bis zu 14 Tagen vor Symptombeginn keine unversicherten Gefährdungen vorgelegen haben, die als Ursache ebenso oder sogar mehr in Betracht kommen. Dazu zählen vor allem private Kontakte mit Infizierten im familiären oder gesellschaftlichen Bereich. Lässt sich nicht ausschließen, dass die Ansteckung dort erfolgte, scheidet eine Anerkennung als Arbeitsunfall aus.

Für Beschäftigte in Gesundheitsdienst, Wohlfahrtspflege und Laboratorien, die durch ihre berufliche Tätigkeit einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind, gelten Beweiserleichterungen. Hier kann der Kontakt zu einer infektiösen Person vermutet werden, wenn die weiteren Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt sind.

In der Praxis bereitet der Nachweis eines intensiven beruflichen Infektionskontakts oft Schwierigkeiten und erfordert umfangreiche Ermittlungen durch die Verwaltung. Im Zweifel müssen die Betroffenen Klage vor den Sozialgerichten erheben und dort den Nachweis führen. Gelingt dies, wird die Covid-19-Erkrankung als Arbeitsunfall anerkannt und umfassend entschädigt.

Welche Beweislast gilt für die Anerkennung einer Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall?

Grundsätzlich trägt der Versicherte die Beweislast dafür, dass seine Covid-19-Infektion die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls erfüllt. Er muss also nachweisen, dass er sich die Infektion infolge einer versicherten Tätigkeit durch einen intensiven Kontakt mit einer nachweislich infizierten Person zugezogen hat.

Dabei gilt der sogenannte Vollbeweis, das heißt es muss eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass sich der Unfall so zugetragen hat. Bloße Vermutungen oder die rein theoretische Möglichkeit einer Ansteckung im Betrieb reichen nicht aus.

Der Versicherte muss konkrete Tatsachen vortragen und gegebenenfalls Beweise wie Zeugenaussagen, Kontakttagebücher oder betriebliche Unterlagen vorlegen, die seine Darstellung stützen. Auch epidemiologische Erkenntnisse zur Verbreitung des Virus im Betrieb können herangezogen werden.

Die Verwaltung ist zwar verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, kann aber weitere Angaben und Nachweise vom Versicherten verlangen. Bestehen trotz Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten Zweifel am Geschehensablauf, geht dies zu Lasten des Versicherten.

Für Beschäftigte in Gesundheitsdienst, Wohlfahrtspflege und Laboratorien mit erhöhter Infektionsgefahr reicht es dagegen aus, dass die Infektion mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch einen intensiven Kontakt im Betrieb verursacht wurde. Hier wird der Kontakt zu einer infektiösen Person also vermutet, wenn die weiteren Anerkennungsvoraussetzungen vorliegen.

Lehnt die Unfallversicherung eine Anerkennung mangels Nachweises ab, bleibt dem Versicherten oft nur der Klageweg zu den Sozialgerichten. Dort muss er im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten alle Tatsachen vortragen, die eine Infektion im Betrieb belegen, und die erforderlichen Beweise anbieten.

Gelingt ihm dabei der Vollbeweis oder greift eine Beweiserleichterung, ist dem Klagebegehren stattzugeben und der Arbeitsunfall anzuerkennen. Verbleiben dagegen Zweifel, ist die Klage abzuweisen, weil der Versicherte seiner Beweislast nicht genügt hat.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 8 Abs. 1 SGB VII (Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung): Regelt, was unter einem Arbeitsunfall zu verstehen ist – nämlich Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Dieser Paragraph ist zentral, um zu klären, ob eine Covid-19-Infektion unter bestimmten Umständen als Arbeitsunfall gelten kann.
  • § 2, 3, 6 SGB VII: Diese Paragraphen definieren den Personenkreis, der unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung fällt. Sie sind wichtig, um zu bestimmen, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Infektion versichert war und somit potenziell Anspruch auf Leistungen im Falle eines Arbeitsunfalls hat.
  • § 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz): Erläutern die Zulässigkeit von Klagen und die Möglichkeit, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage Ansprüche geltend zu machen. Dies ist relevant für das Verständnis des rechtlichen Weges, den der Kläger beschritten hat.
  • Beweislast und Vollbeweis: Kein spezifischer Paragraph, aber ein fundamentales Prinzip im Sozialrecht und anderen Rechtsgebieten. Es geht um die Notwendigkeit, dass der Kläger die anspruchsbegründenden Umstände eines Arbeitsunfalls nachweisen muss. Im vorliegenden Fall musste der Kläger beweisen, dass seine Covid-19-Infektion direkt aus seiner beruflichen Tätigkeit resultierte.
  • Prima-facie-Beweis (Anscheinsbeweis): Wiederum kein spezifischer Paragraph, aber ein wichtiges rechtliches Konzept. Es beschreibt die Beweiserleichterung, die greift, wenn ein typischer Geschehensablauf den Schluss auf eine bestimmte Ursache nahelegt. Im Kontext des Falles relevant, da diskutiert wurde, ob aufgrund der Umstände ein Anscheinsbeweis für die Infektion als Arbeitsunfall in Betracht kommt.
  • Berufskrankheitenverordnung (BKV), insbesondere Nr. 3101: Obwohl nicht direkt im Text genannt, implizit relevant. Die BKV listet Krankheiten auf, die unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheiten anerkannt werden können. Covid-19 kann unter bestimmten Bedingungen hierunter fallen, was für die rechtliche Einordnung von Covid-19-Infektionen im beruflichen Kontext von Bedeutung ist.


Das vorliegende Urteil

SG Speyer – Az.: S 12 U 178/22 – Urteil vom 07.02.2024

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 (nachfolgend: Covid-19-Virus) als Arbeitsunfall festzustellen ist.

Der 1960 geborene Kläger infizierte sich im März 2021 mit dem Covid-19-Virus. Ab dem 25.03.2021 befand er sich in ärztlicher Behandlung. Ein Nachweis im PCR-Test erfolgte am 27.03.2021. Es folgte eine stationäre Behandlung im Klinikum L vom 05.04.2021 bis 15.04.2021 (vgl. Endgültiger Arztbrief des J1 vom 15.04.2021). Eine Mutationsanalyse zeigte die B1.1.7-Variante (sog. „England-Variante“). Beim Kläger bestehen – nach eigenen Angaben – als Folge seiner Covid-19-Erkrankung insbesondere Atemnot und Schlafprobleme sowie ein Zustand körperlicher Erschöpfung.

Zum fraglichen Zeitpunkt war der Kläger als Montageelektriker bei der Firma C GmbH in M beschäftigt.

Mit Schreiben vom 05.07.2021 meldete die Krankenkasse des Klägers dessen SARS-CoV-2-Infektion als möglichen Arbeitsunfall. Daraufhin führte die Beklagte Ermittlungen, u.a. am Arbeitsplatz des Klägers (vgl. Unfalluntersuchungsbericht vom 30.11.2021), Befragung des Klägers (vgl. Fragebogen vom 25.07.2021) und des Arbeitsgebers (vgl. Fragebogen vom 29.09.2021), durch.

Die Beklagte stellte fest, dass im Betrieb des Klägers 11 weitere Beschäftigte, die teilweise in dessen unmittelbaren Arbeitsumfeld tätig waren, im hier fraglichen Zeitraum positiv auf das Covid-19-Virus getestet wurden. Im Rahmen der täglichen Sicherheitsgespräche mit einer Dauer von ca. 10 Minuten und einer Anzahl von vier Mitarbeitern unter Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 m in der Produktionshalle, manchmal auch im Pausenraum, hatte der Kläger Kontakt zum Vorarbeiter J2, dessen Covid-19-Infektion am 24.03.2021 durch ein positives Testergebnis bestätigt wurde und bei dem erste Symptome einer Erkrankung am 23.03.2021 aufgetreten waren. Ferner befand sich der Montageplatz des Klägers in ca. vier bis fünf Metern Entfernung zum dem des Kollegen R, der am 19.03.2021 positiv getestet wurde und bei dem Symptome einer Erkrankung am 18.03.2021 aufgetreten waren. Darüber hinaus führte der Kläger mit A (Symptome am 24.03.2021, positiv getestet am 27.03.2021), F (Symptome am 29.03.2021, positiv getestet am 04.04.2021) und K1 (keine Symptome, positiv getestet am 08.04.2021) gemeinsame Tätigkeiten bei der Montage aus. Im Bereich der Elektromontage waren eins bis zwei Elektriker an einem Motor damit beschäftigt, diese entsprechend zu verkabeln. Jeder Elektriker verkabelte eine Seite des Motors. Ferner bestand eine Fahrgemeinschaft mit dem Kollegen T, der am 27.02.2021 Symptome einer Erkrankung zeigte und am 31.03.2021 positiv getestet wurde.

Laut Auskunft des Arbeitsgebers (vgl. Fragebogen vom 21.09.2021) entsprachen die Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen den AHA+L Regeln (Abstand halten, Handhygiene einhalten und eine Alltagsmaske tragen sowie Lüften). Alle Beschäftigte waren angehalten, soweit der Abstand von 1,5 m nicht eingehalten werden konnte, mindestens eine medizinische Mund-Nasen-Bedeckung (OP-Maske) zu tragen. Um die Abstandsregeln einzuhalten, wurde die Nutzung der Pausenräume auf maximal vier Personen begrenzt. Die Pausenzeiten (Mittagspause 30 min) wurden versetzt wahrgenommen (vgl. Bilddokumentation: Aktuelle Verhaltensregeln Pausenräume). Teilweise wurden die Pausen auch am Arbeitsplatz selbst verbracht. Die Belüftung erfolgte im Betrieb über eine Lüftungsanlage.

Mit Bescheid vom 06.05.2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Covid-19-Infektion des Klägers als Arbeitsunfall ab, da ein stattgehabter intensiver Kontakt mit einer infektiösen Person (Indexperson) nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte festgestellt werden können und sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben würden, dass Arbeitsbedingungen mit größeren Einfluss auf die Erregerverbreitung und -aufnahme bestanden hätten.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, dass nicht nur sein Vorarbeiter J2 als Indexperson im Betracht käme, da schließlich weitere Kollegen erkrankt waren. Arbeitsbedingt sei es die meiste Zeit nicht möglich gewesen, den Abstand einzuhalten. Mehrere Personen seien gleichzeitig in einem Arbeitsumfeld tätig gewesen. Es habe ein ständiger Wechsel der Kollegen stattgefunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.09.2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, ein nachweislicher intensiver Kontakt mit einer erkrankten Person im Vollbeweis sei nicht gesichert, so dass die Tatbestandsvoraussetzungen eines Arbeitsunfalles nicht bewiesen seien. Die bloße Vermutung, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort

unter (nicht genau aufklärbaren) Umständen möglicherweise mit Krankheitserregern infiziert worden zu sein, reiche im Sinne der Beweisanforderungen nicht aus.

Hiergegen hat der Kläger am 11.10.2022 Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Rahmen seiner Tätigkeit als Montageelektriker angesteckt habe. Zunächst müsse geklärt werden, wann genau der Kläger erste Symptome einer Covid-19-Infektion gezeigt habe. Ausgehend davon stelle sich die Frage, wer geeignete Indexperson war. Beklagtenseitig erschöpfe sich fälschlicherweise die ermittelte Indexperson ausschließlich auf den Vorarbeiter J2. Im Hinblick auf die aktenkundig erwähnte Inkubationszeit von durchschnittlich 5-6 Tage kämen aber auch der Kollegen R in Betracht. Völlig falsch sei es, dass der Kläger in einem gut belüfteten Bereich gearbeitet habe. Es habe sich gerade nicht um einen Arbeitsbereich mit Absaugung, sondern zulasten der Beschäftigten und Begünstigung der Ausbreitung von Aerosolen um ein Heizgebläse gehandelt. Auch hätten die Arbeiten nicht alleine ausgeübt werden und Mindestabstände nur soweit möglich eingehalten werden können. Ein Mund-Nasen-Schutz sei auch nicht immer getragen wurden. Eine Ansteckung im privaten Umfeld könne der Kläger ausschließen.

Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 06.05.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2022 aufzuheben und festzustellen, dass seine Covid-19-Erkrankung ein Arbeitsunfall ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die – aus ihrer Sicht zutreffenden – Gründe in den angegriffenen Bescheiden. Ergänzend weist die Beklagte darauf hin, dass es unerheblich sei, ob der Kläger am 22.03.2021 (Fragebogen vom 25.07.2021) oder erst am 24.03.2021 (Datum im Bescheid) erste Symptome zeigte. Denn ausweislich des Unfalluntersuchungsberichts vom 30.11.2021 konnte ein gesicherter und intensiver Kontakt mit einer Indexperson nicht innerhalb des regelmäßigen Inkubationszeitraum von 5-6 Tagen nachgewiesen werden. Sämtliche in Betracht kommenden Personen seien entweder zeitgleich oder nach dem Kläger positiv auf das Covid-Virus getestet worden. Wenn vom Kläger angeführt wird, dass eine Maske nicht durchgehend getragen worden sei, so verkenne er, dass dies nur dann der Fall gewesen sei, wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden konnte, mithin kein intensiver Kontakt zwischen den Mitarbeitern bestand. Ferner bestand zum Zeitpunkt der Infektion eine hohe 7-Tage-Inzidenz am Wohnort des Klägers, eine außerberufliche Infektion (zum Beispiel beim Einkaufen) sei daher in Betracht zu ziehen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Speyer am 07.02.2024 ist der Kläger gehört worden. Hinsichtlich der Einvernahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG; zum Wahlrecht eines Versicherten, den Anspruch auf Feststellung, dass ein Ereignis ein Arbeitsunfall ist, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder einer Kombination aus Anfechtungs- und Feststellungsklage zu verfolgen, vgl. BSG, Urteil vom 27. April 2010 – B 2 U 23/09 R -, juris Rn. 9; Meyer-Ladewig/Keller, SGG, 13. Aufl., § 55 Anm. 13, 13b m.w.N.) zulässig, jedoch nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 06.05.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.09.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat es die Beklagte abgelehnt, die Covid-19-Infektion des Klägers als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod des Versicherten führen. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), dass die Verrichtung zu einem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper wirkenden Ereignis dem Unfallereignis geführt hat (sog. Unfallkausalität) und letzteres einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (sog. haftungsbegründende Kausalität). Die Feststellung eines Versicherungsfalls und gegebenenfalls die Gewährung bestimmter Leistungen setzen voraus, dass der Vollbeweis über die anspruchsbegründenden Umstände und Ereignisse erbracht werden kann. Das bedeutet, das Gericht muss diese aufgrund seiner freien Überzeugungsbildung als mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zutreffend feststellen können. Dies ist der Fall, wenn ihr Vorliegen in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass sämtliche Umstände des Einzelfalles unter Berücksichtigung der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu begründen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Einwirkung und einem Gesundheitserstschaden sowie zwischen einem Gesundheitserst- und einem Gesundheitsfolgeschaden der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. zum Ganzen BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 11/19 R -, juris Rn. 12 m.w.N.). Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass die richterliche Überzeugung hierauf gestützt werden kann. Kommen mehrere Ursachen in Betracht, so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben. Insoweit ist eine wertende Gegenüberstellung der ursächlichen Faktoren erforderlich. Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 06.04.1989 – 2 RU 69/87 -, juris Rn. 16).

Grundsätzlich kann zwar auch eine Infektion mit Covid-19-Virus ein Unfallereignis im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sein, denn das Eindringen eines Krankheitserregers – hier von Viren – in den Körper ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (zu einer Infektion mit Bakterien vgl. BSG, Urteil vom 07.05.2019 – B 2 U 34/17 R -, juris Rn. 18 m.w.N., SG Augsburg, Urteil vom 29.11.2022 – S 11 U 92/22 -, juris Rn. 26). Die Kammer konnte sich jedoch vorliegend nicht im erforderlichen Beweisgrad des Vollbeweises vom Vorliegen einer solchen konkreten Einwirkung von außen auf den Körper überzeugen. Ein intensiver Kontakt des Klägers zu einer sog. Indexperson bei seiner beruflichen Tätigkeit war nicht nachzuweisen.

Der Kläger geht davon aus, dass er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Rahmen seiner Tätigkeit als Montageelektriker angesteckt hat und zwar entweder direkt (Tröpfchen) oder indirekt (Aerosole).

Nach der erfolgten Befragung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung und nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist die Kammer jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass vorliegend mehr gegen eine Infektion des Klägers am Arbeitsplatz spricht.

Für eine Infektion am Arbeitsplatz spricht grundsätzlich, dass im relevanten Zeitraum mindestens 11 weitere Beschäftigte desselben Betriebes positiv auf das Covid-19-Virus getestet worden sind. Auch lagen mit einer Belüftung durch Umluft durchaus Umstände vor, die eine Infektion begünstigen können. Zudem ist SARS-CoV-2 grundsätzlich sehr leicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Dies gilt insbesondere für die sog. England-Variante, mit der sich der Kläger infiziert hatte (RKI, Risikobewertung zu COVID-19, 02.02.2023, abrufbar unter www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html).

Gegen eine Infektion am Arbeitsplatz spricht aber, dass ein intensiver Kontakt zu einer sog. Indexperson – der nach Ansicht der Kammer als anspruchsbegründender Umstand im Sinnes eines von außen, auf den Körper einwirkenden Ereignisses im Vollbeweis gesichert sein muss – nicht nachzuweisen war.

Nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist ein intensiver persönlicher Kontakt innerhalb von zwei Wochen vor dem Eintritt der Erkrankung mit einer mit dem Corona-Virus infizierten Person (sog. Indexperson) geeignet, um eine Infektion mit dem Corona-Virus auszulösen (vgl. Brandenburg/Woltjen, MedSach 2021, 113, 116; Empfehlung des Robert-Koch-Institutes zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS.CoC-2-Infektionen , Stand 12.01.2022 , Ziff. 3; vgl. auch Merkblatt der DGUV und der DIVI, Corona-Virus (SARS-CoV-2) COVID 19 als Berufskrankheit, 04.06.2020).

Ein solch intensiver persönlicher Kontakt ist entweder anzunehmen (vgl. zum Ganzen Empfehlung des Robert-Koch-Institutes für zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS.CoC-2-Infektionen , Stand 12.01.2022 , Ziff. 3.1; vgl. auch Sckell/Rauch/Middeldorf, Orthopädie und Unfallchirurgie, 2021, S. 54, 56), (1.) wenn ein „enger“ Kontakt zu einer nachweislich mit dem Corona-Virus infizierten Person bestand. Dies ist der Fall, wenn eine räumliche Distanz zwischen den Personen von weniger als 1,5 m für mehr als 10 Minuten bestand und die infizierte Person keinen adäquaten Schutz (Mund-Nase-Schutz; FFP2-Maske) trug; (2.) wenn ein Gespräch (unabhängig von der Gesprächsdauer) mit einer nachweislich mit dem Corona-Virus infizierten Person geführt wurde und weder ein Abstand von 1,5 m eingehalten noch ein adäquater Schutz von der infizierten Person getragen wurde; (3.) wenn ein gleichzeitiger Aufenthalt für mehr als 10 Minuten im selben Raum mit infizierten Person und wahrscheinlich hoher Konzentration infektiöser Aerosole (unabhängig vom eingehaltenen Abstand und dem Tragen eines adäquaten Schutzes) nachgewiesen ist.

Der Kläger muss sich in der Zeit vom 3. bis zum 20. März 2021 infiziert haben. Medizinisch sind die Symptome des Klägers durch die attestierte Arbeitsunfähigkeit seines Hausarztes K2 ab dem 25.03.2021 belegt. Die Kammer geht entsprechend der unfallnahen Angaben des Klägers im Fragebogen vom 25.07.2021 davon aus, dass sich erste Krankheitssymptome bereits am 22.03.2021 gezeigt haben. Unter dieser Prämisse müsste sich der Kläger zwischen dem 3. und dem 20. März infiziert haben. Denn die Infektion kann frühestens 18 Tage, spätestens 2 Tage, wahrscheinlich 6 Tage vor dem 22.03.2021 stattgefunden haben. Die Inkubationszeit (die Zeitspanne von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung) ist bei Covid-19 sehr volatil. Die kürzeste belegte Inkubationszeit beträgt 1,8 Tage, die längste 18,87 Tage. Die in einer Metaanalyse gepoolte Inkubationszeit (142 Studien mit 8.112 infizierten Studienteilnehmern) über alle Virusvarianten hinweg reichte von 1,80 bis 18,87 Tagen (aerzteblatt.de/nachrichten/136846/Kuerzere-Inkubationszeit-Omikron-fuehrt-schneller-zur-Erkrankung-als-fruehere-Varianten am 18. April 2023). Es ist unwahrscheinlich (aber möglich), dass sich der Kläger vor dem 10.03.2021 angesteckt hat, denn die 95-Prozent-Perzentile für die Inkubationszeit wurde mit 11,7 Tagen angegeben (95 Prozent Konfidenzintervall 9,7-14,2 Tage; RKI, Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Kapitel 5: Inkubationszeit und serielles Intervall, Stand November 2021, rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html am 18. April 2023 m.w.N.). Dass sich der Kläger noch am 19.03.2021angesteckt hat, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich aber möglich, weil dies nur zwei Tage vor Erkrankungsbeginn liegt. Wahrscheinlich hat er sich am bzw. um den 16.03.2021 herum infiziert. Denn die Inkubationszeit wurde im Mittel mit 5,8 Tage (95 Prozent Konfidenzintervall 5,0-6,7 Tage) berechnet (RKI, a.a.O.).

Als mögliche Indexperson wurde durch den Kläger der Kollege R benannt. Dieser zeigte erste Symptome am 18.03.2021, mithin innerhalb der regelmäßigen Inkubationszeit. Zwar ergab die Befragung des Klägers durch die Vorsitzende, dass sich dessen Montageplatz neben dem des R befand, jedoch betrug der Abstand vier bis fünf Meter. Ein direkter Kontakt während seiner betrieblichen Tätigkeit wurde durch den Kläger ausdrücklich verneint. Eine indirekte Infektion durch in der Luft befindliche Aerosole (akkumulierte infektiöse Partikel) hält die Kammer für unwahrscheinlich. Auch wenn eine detaillierte wissenschaftliche Beschreibung der Übertragungswege noch aussteht, ist eine indirekte Übertragung durch Anreicherung infektiöser Aerosole in der Luft insgesamt unwahrscheinlicher als eine Übertragung über direkten Kontakt (vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19, 02.02.2023, a.a.O). Zwar können sich Aerosole vor allem auch in Innenräumen über die Zeit akkumulieren und enthalten diese Aerosole virale Partikel ist auch eine Ansteckung über größere Distanzen möglich. Ausweislich der Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung war die Produktionshalle aber „gut“ belüftet.

Der Kläger hat ferner angegeben, sich bei seinem Vorabeiter J2 infiziert haben zu können. Dieser zeigte am 23.03.2021 erste Symptome und wurde am 24.03.2021 positiv getestet. Hier spricht bereits der zeitliche Zusammenhang gegen eine Infektion. Jedenfalls hat der Kläger aber im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine Umstände benannt, die einen gefährdenden intensiven persönlichen Kontakt begründen können. Im Rahmen der Sicherheitsgespräche ist der erforderliche Mindestabstand von 1,5 m stets eingehalten worden. Bei engeren Kontakt hat der Kläger – so sein Vortrag – gewissenhaft eine Maske getragen.

Sämtliche weitere in Betracht kommenden Personen wurden ebenfalls entweder zeitgleich oder nach dem Kläger positiv auf das Covid-Virus getestet bzw. zeigten Symptome einer Erkrankung. Der Kläger hatte eine Fahrgemeinschaft mit T, der Symptome einer Erkrankung am 27.03.2021 zeigte und am 31.03.2021 positiv getestet wurde. Mit den Kollegen A (Symptome am 24.03.2021, positiv getestet am 27.03.2021), F (Symptome am 29.03.2021, positiv getestet am 04.04.2021) und K1 (keine Symptome, positiv getestet am 08.04.2021) hatte der Kläger lediglich im Bereich der Elektromontage Kontakt, wobei jeder Elektriker ohne direkten Kontakt eine Seite des Motors verkabelte.

Soweit der Kläger angibt, während der Mittagspause im Pausenraum des Werkes in Gegenwart weiterer Kollegen Mahlzeiten ohne Mund-Nasen-Schutz zu sich genommen zu haben, besteht damit genauso gut die Möglichkeit, dass sich der Kläger im Zuge dessen infiziert hat. Nach ständiger Rechtsprechung fällt aber die Nahrungsaufnahme selbst nicht unter den gesetzlichen Schutz der Unfallversicherung (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 18. November 2022 – S 18 U 205/21 –, Rn. 17, juris m.w.N).

Demgegenüber ist – selbst bei wie vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft vorgetragener gewissenhafter Vorsicht – eine Ansteckung im privaten Bereich hinreichend wahrscheinlich möglich. Der Kläger war zwar nach eigenen Angaben fast vollständig isoliert (Frau und Tochter befanden sich um Urlaub). Zum Zeitpunkt der Infektion bestand jedoch eine hohe 7-Tage-Inzidenz am Wohnort des Klägers. Zwar ist das Infektionsrisiko im Freien grundsätzlich wesentlich geringer, insbesondere wenn der Abstand von 1,5 m eingehalten und eine Maske getragen wird. Aber auch dort kann es zu einer Übertragung von SARS-CoV-2 durch Tröpfchen kommen (Positionspapier der Gesellschaft für Aerosolforschung, Zum Verständnis der Rolle von Aerosolpartikel beim SARS-CoV-2 Infektionsgeschehen, abrufbar unter www.info.gaef.de/positionspapier, S. 16). Dies gilt insbesondere für die damals zirkulierende England-Variante.

Nach alledem hält es die Kammer schlussendlich für nicht aufklärbar, ob sich der Kläger bei der beruflichen Tätigkeit oder außerberuflich im privaten Bereich mit dem Covid19-Virus angesteckt hat.

Die Folgen dieser objektiven Beweislosigkeit hat der Kläger zu tragen. Denn die haftungsbegründende Kausalität gehört zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, für die der Anspruchssteller die objektive Beweislast nach dem allgemeinen Grundsatz trägt, dass die Folgen der Nichtfeststellbarkeit einer Tatsache demjenigen Beteiligten zur Last fallen, der aus der Tatsache ein recht herleiten will (BSG, Urteil vom 28.08.1990 – 2 RU 64/89 -, juris Rn. 18).

Dem Kläger ist auch keine Beweiserleichterung im Zusammenhang mit dem Kausalitätsnachweis in Form des prima-facie-Beweis (Anscheinsbeweis) einzuräumen. Der Beweis des ersten Anscheins kommt bei typischen Geschehensabläufen in Betracht in Fällen, in denen ein gewisser Tatbestand nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache hinweist und infolgedessen wegen des typischen Charakters des Geschehens die konkreten Umstände des konkreten Einzelfalles für die tatsächliche Beurteilung ohne Bedeutung sind (BSG, Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U2/11 R-, juris Rn. 30 und 31). Der Anscheinsbeweis scheidet vorliegend schon deshalb aus, weil im Hinblick auf die Inkubationszeit und die mannigfaltigen Möglichkeiten einer anderweitigen Infektion es nicht typischerweise oder geradezu zwangsläufig zu einer Infektion im dienstlichen Rahmen zum fraglichen Zeitraum gekommen sein muss (vgl. auch SG Konstanz, Urteil vom 16.09.2022 – S 1 U 452/22 -, juris Rn. 29; VG Aachen, Urteil vom 08.04.2022 – 1 K 450/21 -, juris Rn. 33, VG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.2022 – 23 K 8281/21 -, juris Rn. 45 bis 56).

Die Kammer sieht zudem keine Veranlassung in Fällen wie dem vorliegenden, in denen eine Infektion praktisch jederzeit und überall erfolgt sein kann, eine quasi Beweislastumkehr über die Heranziehung des Anscheinsbeweises zu Gunsten der Versicherten für die gesetzliche Unfallversicherung zu begründen. Denn der Gesetzgeber hat der bestehenden Beweisproblematik bezogen auf Infektionskrankheiten mit der Berufskrankheit nach Nr. 3101 der Anlage 1 zur BKV, die grundsätzlich auch die Erkrankung an Covid-19 erfasst, Rechnung getragen. Zum anderen soll der Versicherungsträger nur für Schadensereignisse einstehen müssen, die einem Nachweis zugänglich sind. Eine Beweislastumkehr aus reinen Billigkeits- und/oder Gerechtigkeitsgründen kommt ohnehin nicht in Betracht.

Es lässt sich somit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass sich der Kläger während der beruflichen Tätigkeit mit dem Covid19-Virus angesteckt hat.

Anhaltspunkte, die die Kammer zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen gedrängt hätten, ergeben sich nicht.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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