Hessisches Landessozialgericht – Az.: L 1 KR 282/19 – Beschluss vom 23.04.2020
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11. Juni 2019 wird zurückgewiesen
Die Beklagte hat dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 5. bis 13. Mai 2018 in Höhe von brutto 802,71 € hat.
Der 1970 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger war im streitigen Zeitraum als Arbeitnehmer bei der Beklagten versichert. Der gelernte Kfz-Schlosser war zuletzt als Geräteführer tätig. Am 2. März 2018 erkrankte er arbeitsunfähig. Am 6. März 2018 erfolgte eine Nierentumorresektion links. Vom 3. bis 24. April 2018 erfolgte eine stationäre Anschlussheilbehandlung im Urologischen Kompetenzzentrum für die Rehabilitation der Kliniken Hartenstein. Die bei der Beklagten am 24. April 2018 eingegangene Entlassungsmitteilung der Klinik enthält die Angabe, dass der Kläger arbeitsunfähig sei. In der „Checkliste bei Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Entlassung“ wurde ausgeführt, dass eine stufenweise Eingliederung nicht erforderlich sei, da die Arbeitsfähigkeit hierdurch voraussichtlich nicht wiederhergestellt werden könne.
Die den Kläger behandelnde Arztpraxis C. stellte am 24. April 2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 4. Mai 2018 aus, welche am 30. April 2018 bei der Beklagten einging. Danach wurden weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Als Diagnose wurde stets C64G (Bösartige Neubildung der Niere) angegeben.
Mit Bescheid vom 6. August 2018 bewilligte die Beklagte die Zahlung von Krankengeld für die Zeit vom 25. April 2018 bis 4. Mai 2018 sowie für den 14. Mai 2018. Für die Zeit vom 5. Mai 2018 bis 13. Mai 2018 lehnte sie hingegen die Zahlung von Krankengeld ab, da die erneute Attestierung der Arbeitsunfähigkeit erst am 16. Mai 2018 und damit nicht innerhalb einer Woche nach ärztlicher Feststellung angezeigt worden sei. Daher habe der Anspruch in der streitigen Zeit geruht.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2018 zurück.
Am 29. Oktober 2018 hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gießen Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, dass seine Ehefrau die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 4. Mai 2018 am 7. Mai 2018 zur Post gegeben habe. Die weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 14. Mai 2018 habe sie erst am 16. Mai 2018 zur Post gebracht. Es könne daher nicht sein, dass beide Bescheinigungen erst am 16. Mai 2018 gemeinsam bei der Beklagten eingegangen seien. Zudem habe seine Ehefrau der Sachbearbeiterin der Beklagten Frau D. Ende April 2018 telefonisch mitgeteilt, dass der Kläger langfristig erkrankt sei.
Die Beklagte hat erklärt, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 24. April 2018 beim zentralen Posteingang in Essen eingegangen und am 30. April 2018 eingescannt worden sei. Die am 4. und 14. Mai 2018 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien in der Dienststelle Siegen eingegangen und dort von der Poststelle abgestempelt worden. Der Reha-Entlassungsbericht liege ihr nicht vor.
Das Sozialgericht hat den Reha-Entlassungsbericht vom 24. April 2018 beigezogen. Danach ist der Kläger als arbeitsunfähig entlassen worden. Als Diagnose sind aufgeführt: Nierenzellkarzinom im Tumorstadium pT1a RO, Nierentumorresektion links am 6. März 2018 sowie Erschöpfungssyndrom. Unter Berücksichtigung des individuellen Verlaufs und einer weiteren Rekonvaleszenzzeit werde der Kläger voraussichtlich in einigen Wochen in der Lage sein, seine bisherige berufliche Tätigkeit wiederaufzunehmen. Eine volle Arbeitsunfähigkeit könne voraussichtlich durch stufenweise Wiedereingliederung nicht früher hergestellt werden. Eine tägliche Mindestarbeitszeit von zwei Stunden könne aufgrund der psycho-physischen Belastung innerhalb von vier Wochen nicht erreicht werden. Für die ersten drei bis vier postoperativen Monate sollte das Heben und Tragen von Gewichten über 10 kg vermieden werden.
Mit Urteil vom 11. Juni 2019 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 8. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2018 verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 5. bis 13. Mai 2018 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu zahlen. Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) hätten Versicherte u.a. Anspruch auf Krankengeld, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig mache. Gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entstehe der Anspruch auf Krankengeld vom Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit. Die Feststellung müsse nicht auf dem nach Maßgabe der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vorgesehenen Vordruck erfolgen. Es genüge, dass der Arzt formlos die Erkrankung feststelle und dass der Versicherte aufgrund dessen weder seine letzte noch eine ähnlich bzw. gleichgeartete Arbeit verrichten könne. Nach diesem Maßstab habe der Kläger Anspruch auf Krankengeld für den streitigen Zeitraum. Der Beklagten habe am 24. April 2018 die Entlassungsmitteilung der K. H. in B. vorgelegen. Auf dieser sei vermerkt, dass der Kläger arbeitsunfähig sei. Da kein Enddatum genannt sei, gelte die Angabe bis auf weiteres. Darüber hinaus habe der Arzt gerade nicht angekreuzt, dass eine stufenweise Wiedereingliederung deshalb nicht erforderlich sei, weil Arbeitsunfähigkeit auch ohne sie innerhalb von vier Wochen zu erwarten sei. Vielmehr habe er deutlich gemacht, dass Arbeitsfähigkeit voraussichtlich durch Wiedereingliederung nicht wiederhergestellt werden könne, weil noch voll Narbeninstabilität bestehe. Dies könne nur so verstanden werden, dass der Kläger zumindest für weitere vier Wochen arbeitsunfähig sein würde. Dies bestätige auch der Entlassungsbericht. Daher habe der Anspruch auf Krankengeld in der streitigen Zeit nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V geruht. Die Entlassungsmitteilung sei der Beklagten bereits am 24. April 2018 zugegangen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 19. Juli 2019 zugestellte Urteil am 29. Juli 2019 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, dass eine Reha-Entlassungsmitteilung grundsätzlich keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ersetzen könne. Sie weise weder einen Arbeitsunfähigkeitszeitraum, noch den Tag der ärztlichen Feststellung oder die Arbeitsunfähigkeit begründenden Diagnosen aus. Ärzte in Einrichtungen der medizinischen Rehabilitation seien nicht dazu berechtigt, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auszustellen. Es obliege dem Versicherten, die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zu melden. Die Entlassungsmitteilungen würden hingegen nicht den Versicherten ausgehändigt, sondern ausschließlich den Krankenkassen übermittelt, damit diese u.a. prüfen könnten, ob die Voraussetzungen für eine stufenweise Wiedereingliederung zu Lasten der Renten- oder Krankenversicherung vorlägen. Die Checkliste, aus der hervorgehe, dass noch Narbeninstabilität bestehe, sei bereits am 9. April 2018 und somit fast zu Beginn der Maßnahme ausgefüllt worden. Daher sei fraglich, ob dieser Zustand auch noch bei Entlassung bestanden habe. Die Entlassungsmitteilung sei zudem im Namen des Facharztes für Allgemeinmedizin E. jedoch durch F. ausgestellt worden. Ob es sich hierbei um eine berechtigte Person handele, könne nicht festgestellt werden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 11. Juni 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend und hat sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt.
Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 27. März 2020 dazu angehört worden, dass eine Entscheidung durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beabsichtigt ist. Sie haben sich damit ausdrücklich einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand Entscheidung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte durch Beschluss ergehen, da das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Vorgehensweise angehört worden, § 153 Abs. 4 SGG.
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere übersteigt der Beschwerdewert 750 € gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Bei einer Geldleistung ist der Wert des Beschwerdegegenstandes für das Berufungsverfahren nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird. Rechtliche und wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch bleiben außer Betracht (BSG, Urteil vom 27. Juli 2004, B 7 AL 104/03 R). Daher ist auf das Bruttokrankengeld abzustellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2019, L 11 KR 3841/18, juris Rn. 20).
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte mit Urteil vom 11. Juni 2019 zur Zahlung von Krankengeld für den streitigen Zeitraum verurteilt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.
Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass die notwendige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, nicht aber notwendigerweise durch einen Vertragsarzt erfolgen muss (BSG, Beschluss vom 14. August 2018, B 3 KR 5/18 B, juris, Rn. 9). Anlass und Zweck der ärztlichen Äußerung zur Arbeitsunfähigkeit sind unerheblich. Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte davon ausgeht, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch einen Arzt, der in Reha-Einrichtung tätig ist, nicht ausreichen sollte.
Auch auf die Verwendung des (für Vertragsärzte) in den Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V (Arbeitsunfähigkeit-RL) vorgeschriebenen Vordrucks (vgl. § 5 Abs. 1, 6 Abs. 1 Arbeitsunfähigkeit-RL) kommt es nicht an (BSG, Urteile vom 10. Mai 2012, B 1 KR 20/11 R, juris, Rn. 13 und vom 12. März 2013, B 1 KR 7/12 R, juris, Rn. 15). Inhaltlich genügt es, dass der Arzt nach persönlicher Untersuchung des Versicherten feststellt, dass der Patient krank ist und seiner letzten Beschäftigung nicht mehr nachgehen kann. Es es nicht erforderlich, dass die Diagnosen in der Arbeitsunfähigkeit-Bescheinigung aufgeführt werden.
Zudem ist die Verwendung des Begriffs Arbeitsunfähigkeit im Allgemeinen ausreichend, da unterstellt werden kann, dass der überkommene Rechtsbegriff den Ärzten bekannt ist und von ihnen im Allgemeinen zutreffend angewandt wird (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. März 2016, L 6 KR 192/15 B, juris, Rn. 25). Den Anforderungen des Wirtschaftlichkeitsgebots ist dann ausreichend Rechnung getragen. Die von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V geforderte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit kann daher auch in einem Reha-Entlassungsbericht getroffen werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2017, L 4 KR 2475/15, Rn. 42; ebenso LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24. April 2012, L 11 KR 384/10, Rn. 38; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. März 2016, L 6 KR 192/15 B, Rn. 25; Bayerisches LSG, Urteil vom 22. Juni 2016, L 4 KR 359/15, Rn. 34; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2019, L 1 KR 247/18; Sächsisches LSG, Urteil vom 27. September 2019, L 9 KR 63/19, Rn. 30 – jeweils juris).
Aufgrund der oben aufgeführten Maßstäbe gilt dies zudem nicht nur für einen Reha-Entlassungsbericht, sondern vielmehr auch für eine Reha-Entlassungsmitteilung in Verbindung mit der „Checkliste bei Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Entlassung“, die auf einer entsprechenden ärztlichen Feststellung beruht (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15. Januar 2020, L 1 KR 394/17, juris Rn. 30 und Beschluss vom 2. März 2016, L 6 KR 192/15 B, juris Rn. 25; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. Januar 2019, L 1 KR 247/18, juris Rn. 34).
Die Entlassung des Klägers aus der Rehabilitationsklinik als arbeitsunfähig erfolgte aufgrund einer persönlichen Abschlussuntersuchung. Die Anamnese wurde u.a. durch die Oberärztin Dr. G. und den Facharzt für Allgemeinmedizin E. erhoben (Reha-Entlassungsbericht vom 24. April 2018). Im Entlassungsbericht wurde festgestellt, dass eine tägliche Mindestarbeitszeit von zwei Stunden aufgrund der psycho-physischen Belastung innerhalb von vier Wochen nicht erreicht werden kann.
In der hier maßgeblichen Entlassungsmitteilung vom 24. April 2018 wiederum ist die Arbeitsunfähigkeit des Klägers festgestellt worden. Ferner wurde in der „Checkliste bei Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt der Entlassung“ ausgeführt, dass die Arbeitsunfähigkeit durch stufenweise Wiedereingliederung nicht wieder hergestellt werden könne, weil noch Narbeninstabilität bestehe. Die Entlassungsmitteilung der Kliniken Hartenstein wurde im Auftrag des Facharztes E. unterzeichnet, die „Checkliste“ durch den Facharzt persönlich. Weshalb die Beklagte davon ausgeht, dass eine persönliche Unterschrift des Arztes (auch) auf der Entlassungsmitteilung erforderlich sein sollte, ist für den Senat nicht nachvollziehbar.
Dass die „Checkliste“ bereits am 9. April 2018 von dem Facharzt unterzeichnet worden ist, ist vorliegend nicht von rechtlicher Relevanz, da der ebenfalls von diesem Arzt unterzeichnete Entlassungsbericht auf den 24. April 2018 (Entlassungstag) datiert ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.