Kein Krankengeld bei verspäteter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Das Landessozialgericht Schleswig-Holstein wies die Berufung der Klägerin ab, die nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses und verspäteter ärztlicher Feststellung der Arbeitsunfähigkeit Krankengeld beanspruchte. Das Gericht entschied, dass zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung kein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld bestand und somit kein Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für den strittigen Zeitraum besteht. Zudem wurde festgestellt, dass kein Ausnahmefall vorliegt, der eine rückwirkende Gewährung von Krankengeld rechtfertigen würde, da weder ein ausreichendes Bemühen der Klägerin um eine zeitnahe Feststellung der Arbeitsunfähigkeit noch ein ärztlicher Fehler erkennbar war.
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✔ Das Wichtigste in Kürze
Die zentralen Punkte aus dem Urteil:
- Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck wurde abgewiesen.
- Zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit bestand kein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld.
- Ein Ausnahmefall, der eine rückwirkende Gewährung von Krankengeld rechtfertigen würde, liegt nicht vor.
- Es fehlte sowohl an einem ausreichenden Bemühen der Klägerin um eine zeitnahe Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit als auch an einem erkennbaren ärztlichen Fehler.
- Die Kostenentscheidung orientiert sich am Ausgang des Verfahrens; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
- Die Revision wurde nicht zugelassen.
- Das Urteil betont die Bedeutung der rechtzeitigen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für den Anspruch auf Krankengeld.
- Unterschiede zwischen erstmaliger Feststellung und Folgebescheinigung der Arbeitsunfähigkeit werden hervorgehoben, insbesondere im Kontext versicherungsrechtlicher Aspekte.
Übersicht
- Kein Krankengeld bei verspäteter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- Rechtsanspruch trotz Arbeitsunfähigkeit: Lücke im Versicherungsschutz beachten
- Der Weg zur rechtlichen Auseinandersetzung
- Rechtliche Herausforderungen und Entscheidung des Gerichts
- Unterscheidung zwischen Erst- und Folgefeststellung der Arbeitsunfähigkeit
- Bedeutung für Versicherte und Versicherungsträger
- ✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Rechtsanspruch trotz Arbeitsunfähigkeit: Lücke im Versicherungsschutz beachten
Wer arbeitsunfähig ist, hat Anspruch auf Krankengeld. Doch was passiert, wenn das Versicherungsverhältnis endet, bevor die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird? Diese Lücke im Versicherungsschutz kann rechtliche Konsequenzen haben.
Auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können kurzfristige Lücken im Versicherungsschutz bestehen. Um den Anspruch auf Krankengeld aufrechtzuerhalten, ist eine sorgfältige Dokumentation der Arbeitsunfähigkeit und eine ärztliche Bestätigung entscheidend.
Im Zentrum eines rechtlichen Streits stand die Klage einer ehemaligen Mitarbeiterin einer Gebäudereinigungsfirma, die nach der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und einer darauffolgenden verspäteten ärztlichen Feststellung ihrer Arbeitsunfähigkeit Krankengeld beanspruchte. Der Fall, der vor dem Landessozialgericht Schleswig-Holstein unter dem Aktenzeichen L 5 KR 10010/21 verhandelt wurde, beleuchtet die komplexen Vorschriften rund um Versicherungsverhältnisse und Ansprüche auf Krankengeld.
Der Weg zur rechtlichen Auseinandersetzung
Die Klägerin beendete ihr Arbeitsverhältnis am 21. Oktober 2017 durch einen Aufhebungsvertrag. Nur einen Tag vor dem offiziellen Beschäftigungsende suchte sie die Praxis ihres Hausarztes auf, ohne jedoch eine ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit zu erhalten. Erst bei einem erneuten Arztbesuch am 23. Oktober wurde ihr die Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Krankenkasse lehnte daraufhin die Gewährung von Krankengeld ab, da zum Zeitpunkt der Feststellung kein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden habe.
Rechtliche Herausforderungen und Entscheidung des Gerichts
Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Entscheidung der Krankenkasse und führte an, sie habe sich bereits vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses krank gefühlt und der Arzt habe ihr rückwirkend Arbeitsunfähigkeit bescheinigen können. Das Sozialgericht Lübeck wies die Klage jedoch ab, und die darauf hin eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht bestätigte, dass zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung kein Anspruch auf Krankengeld bestand, da das Versicherungsverhältnis bereits beendet war.
Unterscheidung zwischen Erst- und Folgefeststellung der Arbeitsunfähigkeit
Ein wesentlicher Aspekt des Urteils war die Differenzierung zwischen der erstmaligen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und Folgebescheinigungen. Während bei Folgebescheinigungen unter Umständen Ausnahmefälle anerkannt werden können, die eine verspätete Feststellung erlauben, gilt dies nicht bei der erstmaligen Feststellung. Das Gericht betonte, dass ein Versicherter sein Patientenmanagement und den Arztbesuch so zu planen hat, dass ein lückenloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit möglich ist.
Bedeutung für Versicherte und Versicherungsträger
Das Urteil unterstreicht die Notwendigkeit, dass Versicherte die Formalitäten rund um die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ernst nehmen müssen, insbesondere im Kontext der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Für die Versicherungsträger bestätigt es die Relevanz des genauen Zeitpunkts der ärztlichen Feststellung für den Anspruch auf Krankengeld.
Das Urteil verdeutlicht die strikten Anforderungen an den Nachweis der Arbeitsunfähigkeit im Kontext von Krankengeldansprüchen. Es zeigt auf, dass der rechtzeitige und lückenlose Nachweis der Arbeitsunfähigkeit entscheidend ist, insbesondere bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt
Wie wird der Anspruch auf Krankengeld rechtlich definiert?
Der Anspruch auf Krankengeld wird in Deutschland durch das Sozialgesetzbuch (SGB) V geregelt und ist eine wesentliche Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Versicherte haben Anspruch auf Krankengeld, wenn sie aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig sind oder auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden müssen.
Arbeitnehmer erhalten in der Regel für die ersten sechs Wochen ihrer Arbeitsunfähigkeit eine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber. Nach diesem Zeitraum zahlt die Krankenkasse das Krankengeld, welches 70 Prozent des regelmäßig erzielten Bruttoarbeitsentgelts, jedoch nicht mehr als 90 Prozent des letzten Nettoarbeitsentgelts beträgt. Die Beitragsbemessungsgrenze für das Krankengeld liegt bei 4.837,50 Euro im Monat (Stand 2021). Die Dauer des Krankengeldbezugs ist auf 78 Wochen innerhalb von drei Jahren für dieselbe Krankheit beschränkt.
Für Eltern besteht unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Krankengeld, wenn sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben müssen und keine andere im Haushalt lebende Person diese Aufgabe übernehmen kann. Dies gilt für Kinder, die das 12. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder die behindert und auf Hilfe angewiesen sind.
Es gibt jedoch auch Personengruppen, die keinen Anspruch auf Krankengeld haben, wie bestimmte Gruppen von Versicherten nach § 5 SGB V oder hauptberuflich selbständig Erwerbstätige, es sei denn, sie haben gegenüber der Krankenkasse eine Wahlerklärung abgegeben, dass ihre Mitgliedschaft den Anspruch auf Krankengeld umfassen soll.
Die Höhe des Krankengeldes richtet sich nach dem regelmäßigen Einkommen des Versicherten und beträgt 70 Prozent des Bruttogehalts, mit weiteren Einschränkungen. Der Anspruch auf Krankengeld ist an gewisse Meldepflichten geknüpft, und die Nichtbeachtung dieser Pflichten kann zu Leistungskürzungen führen.
Zusammenfassend ist der Anspruch auf Krankengeld ein zentrales Element der sozialen Sicherung in Deutschland, das Versicherten bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit finanzielle Unterstützung bietet.
Welche Rolle spielt der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung für den Krankengeldanspruch?
Der Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (AU) spielt eine entscheidende Rolle für den Anspruch auf Krankengeld. Nach § 46 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld von dem Tag an, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Dies bedeutet, dass die ärztliche Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit eine zwingende Voraussetzung für den Beginn des Krankengeldanspruchs ist.
Das Bundessozialgericht hat in seiner Rechtsprechung klargestellt, dass eine lückenlose ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erforderlich ist, um einen durchgehenden Anspruch auf Krankengeld zu gewährleisten. Wenn die Arbeitsunfähigkeit weiterhin besteht, muss sie ärztlich festgestellt und der Krankenkasse gemeldet werden, bevor der vom Arzt prognostizierte Endzeitpunkt der bisherigen Arbeitsunfähigkeit erreicht ist. Andernfalls besteht kein Anspruch auf Krankengeld über diesen Zeitpunkt hinaus.
Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit hat somit nicht nur formale Bedeutung, sondern ist eine materielle Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld. Die Krankenkasse bewilligt Krankengeld nur bis zu dem Tag, an dem die weitere Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Fehlt eine solche Feststellung, kann dies zum Verlust des Krankengeldanspruchs führen.
Zusammengefasst ist die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ein unverzichtbarer Bestandteil des Krankengeldanspruchs, und Versicherte müssen darauf achten, dass ihre Arbeitsunfähigkeit lückenlos ärztlich bescheinigt und der Krankenkasse gemeldet wird, um ihren Anspruch auf Krankengeld nicht zu gefährden.
Was besagt die Rechtsprechung zu verspäteten Folgebescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit?
Die Rechtsprechung in Deutschland hat klare Richtlinien bezüglich verspäteter Folgebescheinigungen der Arbeitsunfähigkeit (AU) und deren Einfluss auf den Anspruch auf Krankengeld festgelegt. Ein zentrales Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21. September 2023 (Az: B 3 KR 11/22 R) verdeutlicht, dass Versicherte ihren Anspruch auf Krankengeld nicht verlieren, wenn sie die Folgebescheinigung ihrer Arbeitsunfähigkeit verspätet einreichen, sofern sie nachweisen können, dass sie rechtzeitig, d.h. am letzten Tag der vorherigen Bescheinigung, aktiv geworden sind, um eine neue Bescheinigung zu erhalten.
In dem spezifischen Fall suchte eine Versicherte am letzten Tag der Gültigkeit ihrer aktuellen AU-Bescheinigung ihren Arzt auf, um eine Folgebescheinigung zu erhalten, wurde jedoch aufgrund hohen Patientenaufkommens abgewiesen und erhielt einen Termin zwei Tage später. Die Krankenkasse stellte daraufhin die Zahlung des Krankengeldes ein, da die Bescheinigungen nicht lückenlos vorlagen. Das BSG entschied jedoch, dass die Versicherte ihren Anspruch auf Krankengeld durch ihr rechtzeitiges Handeln gewahrt hat. Die Verzögerung lag in diesem Fall nicht in der Verantwortung der Versicherten, sondern war durch die Umstände in der Arztpraxis bedingt.
Das Urteil unterstreicht, dass die Obliegenheit der Versicherten, für eine lückenlose Bescheinigung ihrer Arbeitsunfähigkeit zu sorgen, erfüllt ist, wenn sie nachweislich rechtzeitig aktiv werden, um eine Folgebescheinigung zu erhalten. Selbst wenn die Ausstellung der Bescheinigung dann verspätet erfolgt, darf dies nicht zu einem Verlust des Krankengeldanspruchs führen.
Zusätzlich hat das BSG in einem anderen Urteil klargestellt, dass seit 2021 die Vertragsärzte und nicht die Versicherten für die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen an die Krankenkassen verantwortlich sind. Dies bedeutet, dass eine verspätete Übermittlung der Bescheinigung durch den Arzt nicht zulasten des Versicherten gehen darf.
Diese Rechtsprechung zeigt, dass das BSG den Schutz der Versicherten in den Vordergrund stellt und darauf achtet, dass formale Hürden nicht zu einem ungerechtfertigten Verlust von Krankengeld führen. Versicherte sollten jedoch stets bemüht sein, ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen rechtzeitig zu erneuern und bei der Krankenkasse einzureichen, um ihren Anspruch auf Krankengeld nicht zu gefährden.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Schleswig-Holstein – Az.: L 5 KR 10010/21 – Urteil vom 20.12.2023
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 14. Juli 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Krankengeld für den Zeitraum 21. Oktober bis 4. Dezember 2017.
Die Klägerin war bei der Gebäudereinigungsfirma R. als Bürokraft und Vertreterin des Geschäftsführers beschäftigt. Am 9. Oktober 2017 schloss sie einen Aufhebungsvertrag, demzufolge das Arbeitsverhältnis zum 21. Oktober 2017 in gegenseitigem Einvernehmen beendet werden sollte. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 7 der Verwaltungsakte Bezug genommen.
Am Freitag den 20. Oktober 2017 suchte die Klägerin zwischen 9:30 und 10:00 Uhr ohne Termin die Praxis ihres Hausarztes Dr. S. auf. Nachdem sie dort ca. eine Stunde im Wartezimmer verbracht hatte, verließ sie die Praxis wieder, ohne dass es zu einem Kontakt mit dem Arzt und zu einer ärztlichen Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit kam.
Am Montag den 23. Oktober 2017 suchte die Klägerin die Praxis erneut auf. Dr. S. bescheinigte Arbeitsunfähigkeit zunächst bis zum 3. November 2017 unter der Diagnose R53 G (Unwohlsein und Ermüdung). Mit Folgebescheinigungen vom 3. und 23. November 2017 wurde die Arbeitsunfähigkeit lückenlos bis zum 4. Dezember 2017 verlängert.
Mit Bescheid vom 4. Dezember 2017 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld ab. Zur Begründung führte sie aus, dass zum Zeitpunkt der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 23. Oktober 2017 kein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld mehr bestanden habe.
Dagegen erhob die Klägerin am 21. Dezember 2017 Widerspruch. Bereits mit E-Mail vom 4. Dezember 2017 hatte sie mitgeteilt, dass der Arzt ihr „heute“ bestätigt habe, die AU-Bescheinigung bis zu 3 Tage rückdatieren zu dürfen. Sie habe sich nach Absprache dazu entschlossen, die überfüllte Praxis zu verlassen, da sie nicht so lange der Arbeit habe fernbleiben dürfen. Mittags habe sie die Arbeit dann abgebrochen und sei nochmals zur Praxis gekommen. Zu diesem Zeitpunkt sei allerdings schon geschlossen gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Gegen den Bescheid vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 hat die Klägerin am 11. Mai 2018 Klage beim Sozialgericht Lübeck erhoben.
Sie hat zur Begründung vorgetragen, dass die Terminsverschiebung am 20. Oktober 2017 wegen hohen Arbeitsaufkommens ärztlich veranlasst gewesen sei. Sie habe nicht ahnen können, dass sich die Bitte, sich am 23. Oktober 2017 erneut vorzustellen, negativ auf ihren Krankengeldanspruch auswirken könne. Ein Verschulden des Arztes müsse der Krankenkasse zugerechnet werden.
Sie hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für den Zeitraum 22. Oktober bis 4. Dezember 2017 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat auf ihre Bescheide Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat eine schriftliche Aussage des Dr. S. eingeholt. Wegen der Einzelheiten wird auf dessen Schreiben vom 28. Juni 2020 (Bl. 52 f. der Gerichtsakte SG) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 14. Juli 2021 hat das Sozialgericht Lübeck die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass – zwischen den Beteiligten unstreitig – Arbeitsunfähigkeit erst am 23. Oktober 2017 und damit zu einem Zeitpunkt ärztlich festgestellt worden sei, an dem ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld nicht mehr bestanden habe. Entgegen der Auffassung der Klägerin liege auch kein Ausnahmefall vor, bei dem eine lückenlose Kette von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entbehrlich wäre. Es sei bereits in hohem Maße zweifelhaft, könne jedoch im Ergebnis offenbleiben, ob die dazu in den Entscheidungen vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – und 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auf den vorliegenden Fall überhaupt Anwendung finde, weil es sich hier um eine erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit handele, während die höchstrichterliche Rechtsprechung sämtlich zu Folgebescheinigungen ergangen sei. Offenbleiben könne auch, ob wegen der Prüfung der Voraussetzungen eines Ausnahmefalls überhaupt auf den ersten Besuch der Praxis am 20. Oktober 2017 abgestellt werden könne, da die Klägerin im Anschluss an diesen Besuch wieder zur Arbeit gegangen sei. Zumindest seien nämlich die Voraussetzungen für die Annahme eines Ausnahmefalls nicht erfüllt, weil sich weder ein ausreichendes Bemühen der Klägerin um eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit noch eine Fehlentscheidung des Vertragsarztes oder seines Praxispersonals feststellen lasse. Im Übrigen bestünden erhebliche Zweifel daran, ob zugunsten der beweisbelasteten Klägerin überhaupt Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden könnte, weil es an aussagekräftigen ärztlichen Feststellungen fehle, die als Hinweistatsachen für eine Arbeitsunfähigkeit bereits am 20. Oktober 2023 dienen könnten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils (Bl. 81 ff. der Gerichtsakte SG) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 6. August 2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. September 2021 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie trägt zur Berufungsbegründung vor, dass sie die Praxis von Dr. S. am 20. Oktober 2017 wegen Arbeitsunfähigkeit aufgesucht habe mit dem Begehren, dass Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde. Sie sei jedoch durch die Praxis wegen einer Vielzahl an Patienten abgewiesen worden mit Bitte um Wiedervorstellung am 23. Oktober 2017. Anders als vom Sozialgericht dargestellt sei der Aufhebungsvertrag nicht am 9. Oktober, sondern erst am 20. Oktober 2017 geschlossen worden. Sie habe sich außerdem bereits am 23. Oktober 2017 bei der zuständigen Agentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet.
Sie beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 14. Juli 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Krankengeld für den Zeitraum 21. Oktober bis 4. Dezember 2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und nimmt auf ihre Bescheide Bezug.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 20. bzw. 21. Dezember 2021 einer Entscheidung durch den Berichterstatter zugestimmt.
Der Berichterstatter hat die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2023 ergänzend befragt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakten wird wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter, weil die Beteiligten dieser Vorgehensweise mit Schreiben vom 20. bzw. 21. Dezember 2021 zugestimmt haben und eine Befassung des gesamten Senats nicht angezeigt ist.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§ 153 Abs. 1 SGG). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil angesichts von Bruttobezügen von zuletzt monatlich 2.500,00 EUR davon auszugehen ist, dass der Wert des Beschwerdegegenstands die Grenze von 750,00 EUR deutlich überschreitet (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) als unbegründet abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. April 2018 ist rechtmäßig und vermag die Klägerin nicht zu beschweren. Sie hat keinen Anspruch auf Krankengeld für den Zeitraum 21. Oktober bis 4. Dezember 2017.
Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass die Regelvoraussetzungen für einen Anspruch auf Krankengeld nicht vorliegen, weil die für das Entstehen des Anspruchs auf Krankengeld gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) maßgebliche ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erst am 23. Oktober 2017 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, an dem die Klägerin wegen des zwischenzeitlich beendeten Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert war. Weil insbesondere am 20. Oktober 2017 die Arbeitsunfähigkeit nicht ärztlich festgestellt worden und deshalb auch ein Krankengeldanspruch nicht früher entstanden war, konnte die Klägerin ihre Mitgliedschaft als Beschäftigte auch nicht über § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrechterhalten. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Klägerin ist auch nicht unter Berücksichtigung eines Ausnahmefalls so zu stellen, als hätte sie bereits am 20. Oktober 2017 eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erwirkt. Anders als das Sozialgericht lässt der Senat die Frage, ob die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Anerkennung eines Ausnahmefalls bei verspäteter Folgebescheinigung (BSG, Urteile vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – BSGE 123, 134 = SozR 4-2500 § 46 Nr 8, juris Rn. 25 ff., vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – BSGE 130, 85 = SozR 4-2500 § 46 Nr 10, juris Rn. 22 ff. sowie zuletzt vom 21. September 2023 – B 3 KR 11/22 R – juris Rn. 20 ff.) auf diesen Fall überhaupt anwendbar ist, nicht offen, sondern verneint diese.
Dabei hat bereits das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass zwischen der verspäteten Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der hier vorliegenden verspäteten erstmaligen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit erhebliche Unterschiede bestehen. Zu Recht hat es insbesondere darauf hingewiesen, dass Folgebescheinigungen auf einer bereits zuvor regelmäßig aufgrund eigener Untersuchung erfolgten ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit fußen, während der Aussagewert der Folgebescheinigung sich im Wesentlichen in der Aussage erschöpft, dass sich der Gesundheitszustand noch nicht ausreichend gebessert hat, um wieder Arbeitsfähigkeit annehmen zu können. Ist eine solche Besserung auch im Zeitpunkt der verspäteten Feststellung noch nicht erreicht, kann zwangloser davon ausgegangen werden, dass auch zwischenzeitlich keine Arbeitsunfähigkeit bestanden hat, so dass die formal lückenlose Feststellung in diesen Konstellationen eher verzichtbar erscheint. Demgegenüber dient die erstmalige Feststellung wesentlich der (erstmaligen) Feststellung des Gesundheitszustands unter Beachtung der materiellen Voraussetzungen von Arbeitsunfähigkeit.
Darüber hinaus sind auch versicherungsrechtliche Aspekte für eine Unterscheidung von Erst- und Folgebescheinigung im Hinblick auf die Anerkennung eines Ausnahmefalls von Bedeutung: So muss dem Vertragsarzt im Fall der Folgebescheinigung regelmäßig bewusst sein, dass von der rechtzeitigen Feststellung wegen der Vorschrift des § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V der Anspruch auf Krankengeld insgesamt abhängen kann, während dies bei einer erstmaligen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig nicht der Fall ist. Der Vertragsarzt ist damit grundsätzlich in die Lage versetzt, sein Patientenmanagement entsprechend auszurichten. Das Handeln des Vertragsarztes oder seines Praxispersonals kann der Krankenkasse deshalb bei Folgefeststellungen typischerweise deutlich eher als fehlerhaft zugerechnet werden als bei erstmaligen Feststellungen.
Dementsprechend wird bereits in den Gründen der höchstrichterlichen Entscheidungen, mit denen sich das Sozialgericht auseinandergesetzt hat (BSG, Urteile vom 11. Mai 2017 – B 3 KR 22/15 R – juris Rn. 26 und vom 26. März 2020 – B 3 KR 9/19 R – juris Rn. 20, 23), deutlich, dass das BSG Ausnahmen von der strikten Anwendung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V unter den dort genannten Voraussetzungen nur bei Folgefeststellungen anerkennen will. Die jüngste Entscheidung vom 21. September 2023 – B 3 KR 11/22 R – juris Rn. 20 ff. zur Fortentwicklung dieser Rechtsprechung, die das Sozialgericht naturgemäß noch nicht hat berücksichtigen können, verdeutlicht dies nochmals. Danach wahrt ein Versicherter seinen Anspruch auf weiteres Krankengeld durch rechtzeitiges Tätigwerden grundsätzlich auch dann, wenn er ohne zuvor vereinbarten Termin am ersten Tag nach einer zuvor festgestellten Arbeitsunfähigkeit die Praxis des behandelnden Arztes zu üblicher Öffnungszeit persönlich aufsucht, um wegen derselben Krankheit eine Arbeitsunfähigkeits-Folgefeststellung zu erlangen (Rn. 20), sofern die Arbeitsunfähigkeit nachträglich ärztlich festgestellt wird und das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit feststeht (Rn. 22). Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn der Versicherte sich um eine rechtzeitige ärztliche Feststellung zumindest ernsthaft bemüht hat (Rn. 22). Nicht nur die hier textlich hervorgehobenen Passagen verdeutlichen, dass das BSG seine Rechtsprechung explizit auf Folgefeststellungen bezieht. Das BSG begründet seine jüngste Fortentwicklung auch mit dem zum 11. Mai 2019 durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz vom 6. Mai 2019 (BGBl. I S. 646) neu eingefügten § 46 Satz 3 SGB V, der sich seinerseits auf die ärztliche Feststellung der weiteren Arbeitsunfähigkeit und damit allein auf Folgebescheinigungen bezieht.
Ist die zu Folgefeststellungen ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall nach allem nicht anwendbar, sind hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme eines sonstigen Ausnahmefalls nicht ersichtlich. In tatsächlicher Hinsicht besteht bereits die Schwierigkeit, dass ein bestimmter Geschehensauflauf nicht zur vollen richterlichen Überzeugung hat festgestellt werden können, weil die materiell beweisbelastete Klägerin dazu über den gesamten Verfahrensverlauf hinweg und noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berichterstatter fortgesetzt angepasste, teils widersprüchliche Angaben gemacht hat. Dass es nicht zu einem Arztkontakt gekommen ist, hat sie im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. Dezember 2023 nicht mehr in Abrede gestellt. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin davon ausgehen wollte, dass sie am Morgen des 20. Oktober 2017 mit der Ehefrau und Praxishelferin des Dr. S. kommuniziert, sich nach der Wartezeit erkundigt und in Absprache mit ihr entschieden hat, sich am 23. Oktober 2017 erneut vorzustellen, würde das indes nicht ausreichen. Dass sie der Praxishelferin gegenüber darüber hinaus deutlich gemacht hätte, dass ihr Arbeitsverhältnis am 21. Oktober 2017 ende und deshalb ein Anspruch auf Krankengeld daher von der rechtzeitigen ärztlichen Feststellung abhänge, hat die Klägerin selbst nicht vorgetragen. Damit ist aber ein ärztlicher Fehler oder ein Fehler des Praxispersonals nicht ersichtlich. Denn ohne diese Information durfte der Arzt bzw. durfte sein Personal von einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses und davon ausgehen, dass eine rückwirkende Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 23. Oktober 2017 für die Klägerin ohne Nachteile möglich sei.
Nachdem der Berichterstatter ihr dies in der mündlichen Verhandlung auseinandergesetzt hat, hat die Klägerin zwar behauptet, Dr. S. sei die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bekannt gewesen. Auch dieses Vorbringen ist aber verfahrensangepasst und offensichtlich unzutreffend, weil die Klägerin nach eigenem Bekunden noch am 20. Oktober 2017 hoffte, das Arbeitsverhältnis fortsetzen zu können und eben aus diesem Grund – zur Führung eines Gesprächs mit ihrem Vorgesetzten – die Praxis vor der Vorstellung beim Arzt wieder verlassen haben will. Wie Dr. S. von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Kenntnis erlangt haben sollte, wenn die Klägerin diese Kenntnis bei Verlassen der Praxis selbst noch nicht gehabt haben will, entzieht sich einer inneren Logik.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.