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Prüfung eines Arbeitsunfalls ist in drei Schritte zu unterteilen

Fazialisparese nach Unfall nicht anerkannt: Gericht stützt Entscheidung der Beklagten

Das Urteil befasst sich mit der Frage, ob eine bei dem Kläger festgestellte Fazialisparese (Gesichtslähmung) als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen ist. Kernpunkt ist dabei, ob der geltend gemachte Unfallhergang geeignet war, die Gesichtslähmung zu verursachen.

Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Arbeitsunfalles nicht vorliegen. Weder konnte ein konkretes Unfallereignis mit Einwirkung von außen auf den Körper nachgewiesen werden, noch ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen dem geltend gemachten Unfall und der Gesichtslähmung.

Damit geht es im Kern um die Anforderungen an den Nachweis eines Arbeitsunfalles als Voraussetzung für entsprechende Entschädigungsleistungen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: S 40 U 28/16  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Klage auf Anerkennung einer Fazialisparese als Folge eines Arbeitsunfalls abgewiesen
  • Kein konkretes Unfallereignis mit Einwirkung von außen auf den Körper nachgewiesen
  • Keine äußeren Verletzungszeichen dokumentiert
  • Gutachter: Fazialisparese nicht auf äußeres Ereignis zurückzuführen
  • Kläger konnte keinen Gesundheitserstschaden nachweisen
  • Kein ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und Gesichtslähmung
  • Voraussetzungen für Anerkennung eines Arbeitsunfalls nicht erfüllt
  • Anspruch auf Entschädigung abgelehnt
  • Gericht folgte den Ausführungen der medizinischen Gutachter
  • Klage insgesamt unbegründet und abzuweisen

Arbeitunfall oder nicht – Die Ausgangssituation

Hintergrund des vorliegenden Falls ist ein Verkehrsunfall, der sich am 12. März 2014 ereignete. Der Kläger, ein Koch, war auf dem Weg von der Arbeit in seinem PKW unterwegs, als neben ihm ein Kleintransporter von der rechten auf die linke Spur wechseln wollte und dabei das Fahrzeug des Klägers übersah. Es kam zu einer Berührung der Fahrzeuge, die allerdings nur leichte Schäden verursachte. Die personenbezogenen Schäden wurden von den aufnehmenden Polizeibeamten nicht festgestellt. Der Kläger meldete den Unfall der Beklagten und gab an, einen kompletten Ausfall des Gesichtsnervs (Fazialisparese) links erlitten zu haben.

Die Untersuchungen der Beklagten ergaben, dass sich der Kläger einige Tage nach dem Unfallereignis medizinisch betreuen ließ, wobei die Ärzte vermuteten, dass beim Kläger ein entzündlicher Prozess vorlag. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene medizinische Untersuchungen durchgeführt und die Fazialisparese wurde umfangreich behandelt. Der Sachverständige, den die Beklagte beauftragt hatte, stellte jedoch fest, dass es keine sicheren Hinweise darauf gab, dass die Gesichtslähmung des Klägers durch den Verkehrsunfall verursacht worden war.

Gesundheitsschädigung – der Blick auf die Beweise

Das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus Hamburg (das beklagte Krankenhaus) erkannte das Unfallereignis vom 12. März 2014 als Arbeitsunfall an, aber nur mit einer unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit bis zum 19. März 2014. Da die Untersuchungen keinen Bruch des Felsenbeines (eine mögliche Ursache für eine Gesichtslähmung) zeigten und da zwischen dem Zusammenstoß und dem Auftreten der Symptome mehr als 24 Stunden vergangen waren, konnte das Zusammenstoßen des linken Ohres/des linken Schläfenbereiches mit dem Fenster nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Ursache der Gesichtslähmung gewertet werden.

Kausaltität – die Definition eines Arbeitsunfalls

In Bezug auf dieses Urteil liegt die rechtliche Herausforderung darin, einen kausalen Zusammenhang zwischen der Fazialisparese und dem Unfall herzustellen. Dies wirft wichtige Fragen zur Definition eines Arbeitsunfalls und zur Interpretation von Gesundheitsschäden auf, die durch solche Unfälle verursacht werden können. Hierbei ist zu beachten, dass ein Arbeitsunfall als ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis definiert ist, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Damit ein Arbeitsunfall vorliegt, muss die versicherte Verrichtung ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, also eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben.

Endgültiges Urteil und deren Konsequenzen

Das Gericht hat jedoch entschieden, dass die beklagte Beklagte ihre Entscheidung auf der Grundlage von Beweisen rechtlich korrekt getroffen hat. Dies basiert auf einer gründlichen Analyse der medizinischen Nachweise, die alle auf das Vorliegen einer idiopathischen Fazialisparese hindeuten. Hinweise auf ein chronisch-entzündliches Geschehen, das auf den Unfall zurückzuführen ist, lagen nicht vor. Daher konnte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Fazialisparese laut dem Urteil nicht sicher dargelegt werden.

Das Urteil unterstreicht auch, dass die Kausalität zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung nur dann hinreichend wahrscheinlich ist, wenn es aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnisse mehr für als gegen einen solchen Zusammenhang spricht. In diesem konkreten Fall ergab die fachärztliche Bewertung, dass weder eine Fraktur noch eine direkte Fazialisparese vorlagen, die den Zusammenstoß erklären könnten. Der Sachverständige führte auch aus, dass es unwahrscheinlich war, dass der Moment des Zusammenstoßes dazu geführt hat, dass der Kopf des Klägers gegen die linke Fensterscheibe stieß.

Daher ist das Hauptergebnis des Urteils, dass die Fazialisparese des Klägers nicht als Folge des Verkehrsunfalls anerkannt und entschädigt wird. Der Kläger hat nach diesem Fall keinen Anspruch darauf, dass die Gesundheitsschäden, die er in Folge seines Arbeitsunfalls erlitten hat, anerkannt werden. Das Gericht hat entschieden, dass die Fazialisparese wahrscheinlich durch eine Infektion des Mittelohres oder eine idiopathische Fazialisparese verursacht wurde, und dass diese Ursachen wahrscheinlicher waren als eine Fazialisparese als Folge eines Unfalls. Damit ist die Klage zulässig, aber unbegründet.

Aus dem Urteil geht hervor, dass, um Anspruch auf Entschädigungsleistungen nach einem Arbeitsunfall zu haben, der Gesundheitsschaden mit ziemlicher Sicherheit durch das Unfallereignis verursacht worden sein muss. Es reicht nicht aus, nur einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und dem Gesundheitsschaden darzulegen. Diese Entscheidung unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen und gründlichen Untersuchung sowie einer plausiblen Ursachenanalyse, wenn es darum geht, Gesundheitsschäden als Folge eines Arbeitsunfalls anzuerkennen und zu entschädigen.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wie wird die „haftungs-begründende Kausalität“ in Arbeitsunfällen bewertet?

Die „haftungsbegründende Kausalität“ ist ein zentraler Begriff im deutschen Arbeitsrecht und bezieht sich auf den Ursachenzusammenhang zwischen einem Unfallereignis und dem daraus resultierenden Gesundheitsschaden. Dieser Zusammenhang muss nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung bestehen. Diese Theorie besagt, dass nur solche Ursachen als kausal und rechtserheblich angesehen werden, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.

Ein Arbeitsunfall liegt vor, wenn die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod der versicherten Person verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität).

Die Beurteilung der haftungsbegründenden Kausalität erfolgt in zwei Stufen. Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d.h. ob ein Wirkungszusammenhang nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden besteht.

Als Beweismaßstab für die ursächlichen Zusammenhänge gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit. Diese ist gegeben, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Nicht genügend ist die bloße Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit.

Es ist auch zu beachten, dass ein Gesundheitsschaden durch einen Arbeitsunfall verursacht wurde und nicht ein schon vorhandener Schaden während einer versicherten Tätigkeit akut wurde.

Ob die Kausalitätskriterien erfüllt sind, prüft die gesetzliche Unfallversicherung. In der Regel dient ein Gutachten eines medizinischen Sachverständigen dafür als Entscheidungshilfe.


Das vorliegende Urteil

SG Hamburg – Az.: S 40 U 28/16 – Gerichtsbescheid vom 16.01.2018

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Feststellung einer Fazialisparese (Gesichtsnervenlähmung) aufgrund eines Ereignisses vom 12.3.2014.

Der 1969 geborene Kläger war als Koch bei der d. S. beschäftigt. Am 12.3.2014 fuhr er auf dem Weg von der Arbeit mit seinem Kraftfahrzeug, einem A., auf der linken Spur einer vierspurigen Straße, als der neben ihm fahrende Kleintransporter (LKW M.) von der rechten auf die linke Spur wechseln wollte und hierbei das Fahrzeug des Klägers übersah. Es kam zu einem Zusammenstoß (Touchieren) der Fahrzeuge. Nach der Verkehrsunfallanzeige der aufnehmenden Polizeibeamten vom 12.3.2014 kam es zu einem leichten Zusammenstoß der Fahrzeuge, wobei die Schadenshöhe bei der Unfallverursacherin mit 45 € geschätzt wurde, denn es wurden Kratzer an der Abdeckplane linksseitig festgestellt. Beim Fahrzeug des Klägers schätzte der aufnehmende Polizeibeamte die Schadenshöhe auf 3000 €. Als Schäden am Fahrzeug wurde festgehalten: Stoßfänger vorne rechts Lackschaden, Kotflügel vorne rechts Blechschaden, Beifahrertür Blechschaden, Kotflügel hinten rechts Lackschaden und rechter Außenspiegel abgerissen/fehlt. Personenschäden wurden nicht festgestellt.

Das Unfallereignis wurde der Beklagten mit Unfallanzeige vom 25.3.2014 gemeldet. Als Art der Verletzung wurde dort eine komplette Fazialisparese links angegeben. Die Ermittlungen der Beklagten ergaben unter anderem, dass sich der Kläger nach dem Unfallereignis am 17.3.2014 bei seinem Hausarzt Dr. S. erstmalig ärztlich vorstellte, der den Kläger in nervenfachärztliche und weiter in Krankenhausbehandlung überwies. Der Neurologe Dr. B. veranlasste MRT- und CT-Aufnahmen des Kopfes des Klägers und führte im Bericht vom 19.3.2014 unter anderem aus, nach den MRT-Befunden liege wahrscheinlich ein entzündlicher Prozess beim Kläger vor.

Am 20.3.2014 stellte sich der Kläger in der zentralen Notaufnahme des U.-krankenhaus H. vor. Hier gab der Kläger an, dass er seit einer Woche an einer Fazialisparese links leiden würde. Er sei linksseitig mit dem Kopf an die Scheibe gestoßen. In der Notaufnahme konnten keine äußerlichen Verletzungen festgestellt werden. Eine stationäre Behandlung der Fazialisparese fand dann im U. vom 27.3.2014 bis 4.4.2014 statt. In der Folgezeit kam es zu weiteren umfangreichen Behandlungen und stationären Untersuchungen im U. aufgrund der Fazialisparese.

Auf Veranlassung der Beklagten fertigte der Dr. M1 ein HNO-ärztliches Fachgutachten. In seinem Gutachten vom 9.12.2014 kam der Sachverständige zusammenfassend zum Ergebnis, die möglichen Ursachen einer Fazialisparese, im Rahmen eines zeitlichen Zusammenhangs mit einem stumpfen Anpralltrauma, sei der Nachweis einer Fraktur/Mikrofraktur im Bereich des Felsenbeines. Im Falle des Klägers sei kein Frakturzeichen, weder im MRT noch im durchgeführten CT festgestellt worden. Das Ohr selbst sei insgesamt unauffällig, das Hörvermögen normal. Alle klinischen und radiologischen Zeichen sprächen gegen ein Frakturgeschehen in dessen Zusammenhang eine periphere Fazialisparese erklärbar wäre. Hier kommen sowohl eine Spätparese, wie vom Kläger geschildert, im Verlauf des Tages nach dem Unfall, sowie eine Frühparese bei indirekter Einwirkung einer Fraktur und direkter Fazialisparese in Betracht. Beide Umstände würden jedoch beim Kläger nicht vorliegen.

Zusammenfassend könne die Schädigung des Gesichtsnervs nicht sicher mit dem stumpfen Anpralltrauma des Klägers in Verbindung gebracht werden. Die Untersuchungsbefunde und der Krankheitsverlauf selbst würden nicht ausschließen, dass es sich um eine idiopathische bzw. infektiöse Fazialisparese handele. Alle Hinweise der vorliegenden Untersuchungs-befunde deuten auf das Vorliegen einer idiopathischen Fazialisparese hin. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem geschilderten Ereignis und den angegebenen Beschwerden könne nicht sicher dargelegt werden.

Mit Bescheid vom 28.4.2015 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 12.3.2014 als Arbeitsunfall mit einer unfallbedingten Behandlungsbedürftigkeit bis zum 19.3.2014 an. Arbeitsunfähigkeit infolge des Arbeitsunfalles habe nicht bestanden. Zur Begründung führte die Beklagte aus, ein Bruch des Felsenbeines sei als Ursache für die Gesichtslähmung ausgeschlossen worden. Als Folge des Arbeitsunfalles sei eine folgenlos ausgeheilte Prellung des Kopfes anerkannt worden. Unfallunabhängig bestünde beim Kläger eine Gesichtslähmung links (Fazialisparese) als Gesundheitsschaden. Da zwischen dem Anpralltrauma und dem Auftreten der Beschwerden mehr als 24 Stunden gelegen hätten und knöcherne Verletzungen des Schädels durch die Computertomografie ausgeschlossen werden konnten, könne das Anpralltrauma des linken Ohres / der linken Schläfe an das Fenster nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit als Ursache der Gesichtslähmung gewertet werden.

Mit Schriftsatz vom 22.5.2015 legte der Kläger dagegen Widerspruch ein und bezog sich unter anderem auf eine E-Mail von Dr. D., der den Kläger im U. behandelt hatte. In dieser führte Dr. D. aus, dass er davon ausgehe, dass die Parese vom Unfall her komme. Er rät Widersprich einzulegen und ein weiteres Gutachten abzuwarten.

Im Widerspruchsverfahren beauftragte die Beklagte Dr. D. mit der Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens. Unter dem 10.9.2015 führte Dr. D. gutachterlich zusammengefasst aus, aufgrund der jetzt vorliegenden Unterlagen sowie des Gutachtens müsse er nach einer erneuten kritischen Prüfung des Sachverhaltes weiterhin an der Einschätzung einer möglichen schicksalsbedingten peripheren Fazialisparese festhalten, da bei fehlendem Frakturnachweis jedoch Hinweise auf ein chronisch-entzündliches Geschehen und ein zwingender Kausalzusammenhang mit dem Unfallereignis nicht erkennbar sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 8.1.2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück und führte zur Begründung aus, dass auch Dr. D. davon ausginge, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Fazialisparese nicht festzustellen sei. Eine Änderung des Ursprungsbescheides komme daher nicht in Betracht.

Mit Schriftsatz vom 12.2.2016 hat der Kläger dagegen Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass die bei ihm vorliegende Fazialisparese als Folge des Arbeitsunfalles vom 12.3.2014 anzuerkennen und zu entschädigen sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen (sinngemäß gefasst),

den Bescheid der Beklagten vom 28.4.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.1.2016 abzuändern und festzustellen, dass die Fazialisparese links beim Kläger die Folge des Arbeitsunfalles vom 12.3.2014 ist und Entschädigungsleistungen zu erbringen sind.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Verwaltungsakten (Band 1 und 2) der Beklagten beigezogen und umfangreiche medizinische Ermittlungen durchgeführt.

Auf Veranlassung des Gerichts hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr. F. den Kläger untersucht und unter den 22.1.2017 ein nervenfachärztliches Gutachten erstattet. Der Gutachter weist unter anderem darauf hin, dass die erstbehandelnden Ärzte, die der Kläger erst in den Folgetagen nach dem geschilderten Unfallereignis am 12.3.2014, frühestens am 17.3.2014, aufgesucht hatte, keine äußeren Verletzungszeichen im Sinne eines Anpralltraumas oder Ähnliches festgestellt haben. Insoweit sei schon fraglich, ob bei dem Unfallereignis überhaupt ein Gesundheitserstschaden eingetreten sei. Weiter weist Dr. F. darauf hin, dass der geschilderte Unfallhergang, wenn bei parallel fahrenden Fahrzeugen das rechte Fahrzeug das linke touchiert, es nicht dazu kommen könne, dass der Kopf des Fahrers hierbei gegen die B-Säule bzw. gegen das Fenster der linken Seite des Fahrzeuges geraten könne. Durch die Trägheit sei dieses mechanisch nicht möglich.

Weiter weist Dr. F. unter dezidierte Darlegung der vorliegenden Befunde darauf hin, dass bzw. warum vorliegend die Fazialisparese nicht auf ein äußeres Ereignis zurückgeführt werden könne. Insoweit hat er zusammengefasst ausführt, dass die Fazialisparese beim Kläger wahrscheinlich durch eine Infektion des Mittelohres zustande gekommen sei. Hierfür würden die weit überwiegenden Faktoren mit Wahrscheinlichkeit vorliegen. Auch eine idiopathische Fazialisparese sei vorliegend noch wahrscheinlicher, als eine Fazialisparese als Unfallfolge eines Anpralltraumas, wie der Kläger dies geschildert habe. Insgesamt seien keine Unfallfolgen bzw. Gesundheitsschäden durch das Unfallereignis festzustellen.

Einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Kläger trotz eines gerichtlichen Hinweises nicht gestellt.

Mit Verfügung vom 17.11.2017 hat das Gericht den Beteiligten mitgeteilt, dass durch Gerichtsbescheid entschieden werden soll. Den Beteiligten wurde eine angemessene Frist zur Stellungnahme gewährt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakte des Gerichtes und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 SGG nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid setzt nach § 105 Abs. 1 SGG kein Einverständnis der Beteiligten voraus.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Es kann nicht festgestellt werden, dass die bei dem Kläger am 17.3.2014 ärztlich festgestellte Fazialisparese links eine Folge des Ereignisses vom 12.3.2014 ist. Entschädigungsleistungen über den 19.3.2014 hinaus sind nicht zu erbringen.

Nach § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte Anspruch auf die Feststellung aller Gesundheitsschäden, die als Folge von Arbeitsunfällen im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII eingetreten sind.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das „infolge“, also unter anderem nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung. Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheits-erstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv (1. Kausalitätsstufe) und rechtlich wesentlich (2. Kausalitätsstufe) verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. Bundessozialgericht – BSG – Urteil vom 24. Juli 2012, Az.: B 2 U 23/11 R, nach juris).

Es kann nach diesen Grundsätzen nicht festgestellt werden, dass die Fazialisparese beim Kläger, die erst 5 Tage nach dem geschilderten Ereignis vom 12.3.2014 am 17.3.2014 ärztlich festgestellt wurde, durch ein einwirkendes Ereignis verursacht wurde.

Der Rechtsbegriff des „Unfalls“ ist bei der Prüfung eines Arbeitsunfalls in 3 Schritte zu unterteilen.

Es ist zu prüfen, ob

1. ein zeitlich begrenztes von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis als Wirkursache vorgelegen hat (äußeres-einwirkendes Unfallereignis),

2. ein Gesundheitserstschaden (zeitnah) eingetreten ist und

3. dieser Gesundheitserstschaden durch das einwirkende Unfallereignis nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen wesentlich verursacht wurde (haftungs-begründende Kausalität).

Das einwirkende Unfallereignis und der Gesundheitserstschaden sind im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen. Der kausale (naturwissenschaftliche) Zusammenhang zwischen dem einwirkenden Ereignis und dem Gesundheitserstschaden, sowie bei weiteren Folgeschäden, muss (nur) hinreichend wahrscheinlich sein, d.h. es muss naturwissenschaftlich mehr dafür als dagegen einen Zusammenhang sprechen.

Das Tatbestandsmerkmal des „von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses“ ist grundsätzlich erst erfüllt bzw. vollbewiesen, wenn durch ein Ereignis eine tatsächliche Einwirkung (Wirkursache) von außen auf den Körper vorgelegen hat. Bei körperlichen pathologischen Gesundheitsschäden ist es daher erforderlich, dass auf die geschädigte Körperregion tatsächlich eine von äußere Kraft (z.B. physikalisch, chemisch, biologisch usw.) eingewirkt hat. Der entsprechende Nachweis dieser Wirkursache ist beispielsweise erbracht, wenn unfallbedingte Verletzungszeichen vorliegen, wie Abschürfungen an der Haut, Prellmarken, Schwellungen oder Ähnliches sichtbar bzw. ärztlich feststellbar sind.

Sind solche äußeren Verletzungszeichen nicht ohne weiteres sichtbar, kann der Nachweis des einwirkenden Ereignisses auch dadurch erbracht werden, dass bildgebende Verfahren (z.B. Röntgen-, CT- oder MRT-Aufnahmen) einen verletzungsspezifischen Befund aufweisen (z.B. bone bruise im MRT) und somit der Nachweis einer von außen einwirkenden Kraft gegeben ist.

Diese Feststellung des einwirkenden Ereignisses als Wirkursache im Vollbeweis darf nicht mit der Frage/Prüfung verwechselt werden, ob das einwirkende Ereignis überhaupt geeignet war, den geltend gemachten Gesundheitsschaden zu verursachen. Dies ist ausschließlich eine Frage im Bereich der haftungsbegründenden Kausalität (bei Folgeschäden der haftungsausfüllenden Kausalität). Die Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität kann und darf erst erfolgen, wenn das einwirkende Ereignis und der Gesundheitserstschaden im Vollbeweis festgestellt worden sind.

Vorliegend mangelt es bereits an einem äußeren einwirkenden Ereignis (Unfallereignis). Wird, wie vorliegend, ein Anpralltrauma eines Körperteils (Kopf des Klägers an der Fahrzeugscheibe) geltend gemacht, der zu einer (pathologischen) Schädigung der körperlichen Integrität (Kopfprellung) führen soll, so ist die äußere (Kraft-)Einwirkung im Vollbeweis nur erbracht, wenn unfallspezifische Verletzungszeichen nachgewiesen sind. Dieser Nachweis muss nicht zwingend durch einen Arzt erfolgen, er kann auch durch (Augen-)Zeugen erbracht werden, die unmittelbar zum Ereignis diese Aussagen treffen.

Der Kläger hat diesen Nachweis nicht erbracht. Die am Unfallort aufnehmenden Polizeibeamten haben nach ihrem Unfallbericht gerade keine Verletzungszeichen beim Kläger durch den Verkehrsunfall (im zivilrechtlichen Sinne – den Anprall der beiden Kraftfahrzeuge mit Sachschäden) dokumentiert bzw. festgestellt. Dieses Nichtvorliegen eines Gesundheits-erst-schadens wird durch die medizinischen Unterlagen bestätigt, denn bei den Untersuchungen konnten keine äußeren Verletzungen festgestellt werden. Im Bericht der Notaufnahme beim U. wird ausdrücklich erwähnt, dass keine äußeren Verletzungszeichen festgestellt wurden. Auch der behandelnde Hausarzt bzw. der Neurologe Dr. B. haben keine äußeren Verletzungen dokumentiert.

Der gerichtlich bestellte Gutachter Dr. F. hat zutreffend ausgeführt, dass der vom Kläger geschilderte und von den Polizeibeamten festgestellte leichte Verkehrsunfall der beiden Fahrzeuge nicht dazu führen konnte, dass der Kopf des Klägers, wie dieser angibt, gegen die linke Seitenscheibe seines Fahrzeuges geschlagen ist. Vorliegend kann daher nicht festgestellt werden, dass eine äußere Einwirkung im Sinne eines Arbeitsunfalls vorgelegen hat.

Auch die von der Beklagten in den Bescheiden festgestellte „Prellung des Kopfes“ als Gesundheitsschaden ist nach den vorliegenden Unterlagen nicht im Vollbeweis gesichert. Eine Prellung als Gesundheitsschaden wird an keiner Stelle in den Akten als medizinischer Befund beschrieben. Insoweit stellt der Verkehrsunfall als Ereignis am 12.3.2014 keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar.

Obwohl ein Arbeitsunfall nicht vom Gericht festgestellt werden kann, hat die Beklagte das Ereignis vom 12.3.2014 als Arbeitsunfall mit dem Gesundheitsschaden „ausgeheilte Prellung des Kopfes“ anerkannt. Dies ist für das Gericht bindend (reformatio in peius). Daher ist zu prüfen, ob der anerkannte Gesundheitsschaden „ausgeheilte Prellung des Kopfes“ die (unstreitig) beim Kläger ab 17.3.2014 vorliegende Gesundheitsstörung einer Fazialisparese links verursacht hat.

Diese vom Kläger begehrte Anerkennung (und Entschädigung) der Fazialisparese links als weiteren Gesundheits-folge-schaden aufgrund des Ereignisses vom 12.3.2014 kann nicht festgestellt werden. Das Gericht folgt allen medizinischen Sachverständigen, die als Ursache der Fazialisparese beim Kläger von einer „inneren“ Ursache ausgehen, die nur im zeitlichen Zusammenhang nach dem Verkehrsunfall als Gesundheitsstörung beim Kläger aufgetreten ist.

Sämtliche Gutachter führen aus, dass nur eine Schädigung im Sinne einer Fraktur des Felsenbeines zu einer unfallbedingten Schädigung des Fazialisnervens und damit zu einer Gesichtslähmung führen kann. Durch die bildgebenden Verfahren konnte eine solche Verletzung/Gesundheitsstörung im Sinne einer (erforderlichen) Felsenbeinfraktur beim Kläger ausgeschlossen werden. Die Ärzte Dr. M1, Dr. D. und Dr. F. kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die beim Kläger festgestellte Gesichtslähmung nicht mit dem Ereignis vom 12.3.2014 in keinem ursächlichen Zusammenhang zu bringen ist. Es lag kein geeignetes Ereignis vor, wenn man einen Anprall unterstellen würde, der eine solche Schädigungsfolge verursachen könnte.

Das Gericht folgt den Gutachtern und stellt ihre Darlegungen als den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Schädigungen des Fazialisnervens fest. Diesen schlüssigen Ausführungen schließt sich das Gericht daher an und verweist insbesondere auf die sehr dezidierten und umfangreichen Ausführungen des Dr. F., der auch die mechanischen Vorgänge bei einem leichten Anstoß auf der rechten Fahrzeugseite plausibel dargelegt hat.

Ein verkehrstechnisches Gutachten oder sonstige weitere Sachaufklärung war nicht erforderlich, denn bereits nach dem Unfallbericht der Polizei ist weder Gesundheitsschaden, noch ein erheblicher Sachschaden dokumentiert, der Anlass für weitere Ermittlungen geboten hätte. Einen Antrag nach § 109 SGG hat der Kläger diesbezüglich nicht gestellt.

Auch die vom Kläger genannte Aussage des Dr. D. zum kausalen Zusammenhang in der Email vom 20.5.2015 führt zu keinem anderen Ergebnis. Der behandelnde Arzt Dr. D. hatte diese unzutreffende Äußerung bereits im Widerspruchsverfahren durch seine eigene gutachterliche Stellungnahme vom 10.9.2015 revidiert und kam ebenfalls zum Ergebnis, dass ein kausaler Zusammenhang mit dem Ereignis vom 12.3.2014 mangels fehlendem Frakturnachweises nicht feststellbar ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus den § § 183,193 SGG.

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