SG Halle (Saale) – Az.: S 24 R 1004/10 – Urteil vom 04.06.2014
Der Bescheid der Beklagten vom 06.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 wird abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2009 bis zum Beginn der Regelaltersrente eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zur Hälfte.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).
Der am … 1959 geborene Kläger besuchte zehn Klassen einer allgemeinbildenden Schule und erlernte in der Zeit vom 01.09.1976 bis 28.04.1978 den Beruf eines Zerspanungsfacharbeiters und erwarb eine Facharbeiterqualifikation als Zerspanungsfacharbeiter mit der Spezialisierung Drehen auf Leit- und Zugspindeldrehmaschinen.
In der Folgezeit war der Kläger bis 1981 im erlernten Beruf tätig. In der Zeit von 1981 bis zum Arbeitsunfall am 24.02.1987 arbeitete der Kläger in der Bremsbackenaufbereitung. Er hatte die Aufgabe, gebrauchte Bremsbacken von den Bremsbelägen zu säubern, neue Beläge zuzuschneiden und aufzuziehen.
Nach einer komplexen Handverletzung rechts war der Kläger nach den Angaben der Berufsgenossenschaft von 1987 bis zur Abwicklung des Betriebes im Jahr 1992 als Telefonist und nach seinen eigenen Angaben auch im Lager mit Aufräumarbeiten beschäftigt.
Dem Sozialversicherungsausweis lässt sich entnehmen, dass der Kläger ab 01.10.1988 als Technischer Mitarbeiter beschäftigt war. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit war der Kläger nach eigenen Angaben von 1995 bis 1997 als Hilfsarbeiter und von 2002 bis 2004 als Wachmann beschäftigt. Von 2005 bis zum 17.06.2008 war der Kläger zuletzt unbefristet als Grobmüllsortierer beschäftigt.
Der Kläger stellte am 24.11.2009 einen Rentenantrag bei der Beklagten. Er begründete seinen Rentenantrag damit, dass er im Jahr 1987 eine Handverletzung erlitten habe und seit Juni 2008 unter einer Knochenhautentzündung im linken Ellenbogen leide.
Die Beklagte zog medizinische Unterlagen aus einem früheren Rehabilitationsverfahren bei. Dabei handelt es sich unter anderem um das Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt vom 09.10.2008 und den Ärztlichen Entlassungsbericht nach der stationären medizinischen Rehabilitation, die in der Zeit vom 25.11.2008 bis 16.12.2008 in der Rehabilitationsklinik in … stattfand.
Auf den aktuellen Rentenantrag holte die Beklagte einen Befundbericht des Hausarztes Dr. med … vom 07.12.2009 ein, dem weitere Unterlagen beilagen und zog Unterlagen der Bundesagentur für Arbeit bei.
Die Beklagte veranlasste weiterhin die Begutachtung des Leistungsvermögens des Klägers durch den Facharzt für Orthopädie und Chirotherapie DM … vom 24.03.2010. Dieser diagnostizierte einen Zustand nach Fingeramputation II- bis V. Finger rechts und partieller Fingeramputation des I. Fingers rechts im Februar 1987, einen Zustand nach Tenotomie und Re- Tenotomie linkes Ellenbogengelenk (Epicondylitis humeri radialis) 03/09 und 09/09, Fingergelenkspolyarthrose – Heberden I. und III. Finger links ohne funktionelle Beschwerden, Angina pectoris, Hyperlipidämie, essentielle Hypertonie, den Verdacht auf Alkohol- und Nikotinmissbrauch, Diabetes mellitus und Retinopathia diabetica mit Zustand nach Laserkoagulation beidseits.
Der Sachverständige schätzte ein, der Kläger sei in der Lage, vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, ohne Arbeiten an rotierenden Maschinen und ohne Hebe- und Tragetätigkeiten zu verrichten.
Die Beklagte holte eine prüfärztliche Stellungnahme vom 31.03.2010 ein und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 06.04.2010 ab. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar beeinträchtigt sei, er jedoch mit dem vorhandenen Restleistungsvermögen unter den üblichen Bedingungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Er sei auch nicht berufsunfähig.
Dagegen richtete sich der am 04.05.2010 erhobene Widerspruch des Klägers.
Er trägt vor, der linke Arm schmerze mehrere Tage nach längerer Belastung. Die Beklagte habe der Bewertung Röntgenaufnahmen einer anderen Person mit gleichem Namen zugrunde gelegt. Die Beklagte holte eine weitere prüfärztliche Stellungnahme vom 17.08.2010 ein und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2010 als unbegründet zurück. Sie begründete ihre Entscheidung damit, dass der Kläger über ein Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr für leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Nachtschicht, ohne Zeitdruck, ohne Akkord, ohne Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, ohne Heben und Tragen von Lasten, ohne Gefährdung durch Kälte und Nässe, ohne Tätigkeiten an rotierenden Maschinen, ohne dauernde Belastung der Hände und ohne häufige Überkopfarbeiten verfüge. Der Kläger sei auch nicht berufsunfähig. Auszugehen sei von einem Hauptberuf als Grobmüllsortierer. Der Kläger sei in die Gruppe der Angelernten im unteren Bereich einzuordnen und auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.
Dagegen richtet sich die am 29.10.2010 vor dem Sozialgericht Halle erhobene Klage.
Der Kläger trägt vor, er könne die rechte Hand nicht mehr gebrauchen. Der Kläger habe die Anforderungen der zuletzt ausgeübten Tätigkeit von vornherein nicht erfüllen können. Er habe die Gegenstände mit dem linken Arm bewegt und daraufhin eine Ellenbogenentzündung entwickelt. Daher sei der linke Arm nur eingeschränkt belastbar. Es sei von der letzten Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter auszugehen. Er sei berufsunfähig. Die Tätigkeit als Grobmüllsortierer habe er nicht auf Dauer, sondern nur drei Jahre ausgeübt. In die Leistungsbewertung sei das schwache Sehvermögen nicht eingeflossen. Wegen der Beschwerden im linken Ellenbogengelenk seien manuelle Tätigkeiten ausgeschlossen. Der Kläger habe sich entgegen der Darstellung der Beklagten nicht bereits vor dem Arbeitsunfall von der erlernten Tätigkeit gelöst.
Der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 06.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung und hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren, legte eine prüfärztliche Stellungnahme vom 15.06.2011 vor und trägt ergänzend vor, der Kläger habe zuletzt als Grobmüllsortierer gearbeitet. Er habe sich bereits vor dem Arbeitsunfall vom ursprünglichen Beruf gelöst und danach andere Tätigkeiten ausgeübt. Nach den Angaben des Klägers habe dieser vor dem Unfall in der Bremsbackenaufbereitung gearbeitet. Ausgehend von der letzten beruflichen Tätigkeit als Grobmüllsortierer sei der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.
Das Gericht hat Beweis erhoben und Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dabei handelt es sich um die Befundberichte der Fachärztin für Chirurgie Dr. med … vom 27.06.2011, des Augenarztes DM … vom 15.08.2011, des Facharztes für Chirurgie Dr. med … vom 01.07.2011, dem weitere Befunde beilagen und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. med … vom 11.07.2011.
Die Beklagte legte eine prüfärztliche Stellungnahme vom 18.11.2011 vor.
Das Gericht veranlasste die Begutachtung des Leistungsvermögens des Klägers durch die Fachärztin für Arbeits- und Umweltmedizin Dr. med … vom 25.02.2013.
Der Kläger trägt weiter vor, das Gutachten sei hinsichtlich der Ödeme widersprüchlich. Eine Tätigkeit mit den Leistungseinschränkungen des Klägers sei nicht vorstellbar. Er habe sein ganzes Leben nur körperliche Tätigkeiten verrichtet. Die Feststellungen der Gutachterin zur Wegefähigkeit seien unzutreffend.
Das Gericht holte eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen vom 04.06.2013 ein.
Das Gericht hat am 13.11.2013 eine öffentliche Sitzung durchgeführt.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben Vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, der durch Bescheid der Beklagten vom 06.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2010 abgelehnt worden ist.
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Im Übrigen ist sie unbegründet und war insoweit abzuweisen.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit. Einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung hat der Kläger gegen die Beklagte nicht.
1. Nach § 43 Abs. 1 und Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) – Gesetzliche Rentenversicherung (Artikel 1 des Gesetzes vom 18.12.1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.02.2002 (BGBl. I S. 754, 1404, 3384), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.04.2007 (BGBl. I S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte die wegen Art und Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Der Kläger ist bei der Beklagten versichert und hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung am 24.11.2009 die allgemeine Wartezeit nach § 50 Abs. 1 SGB VI von fünf Jahren (60 Monaten) erfüllt. Ausweislich der in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen Wartezeitaufstellung lagen bis zu diesem Zeitpunkt 392 Monate mit Beitragszeiten vor. Im maßgeblichen Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung sind 54 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, so dass auch die so genannte Drei-Fünftel-Belegung erfüllt ist. Der Leistungsfall der vollen oder der teilweisen Erwerbsminderung ist nicht eingetreten. Der Kläger verfügt über ein Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden für leichte körperliche Tätigkeiten ohne Arbeiten in Zwangshaltungen, insbesondere Armvorhalte oder Überkopfarbeiten, ohne Gerüst- und Leiterarbeiten oder andere Arbeiten mit Absturzgefahr, ohne Heben und Tragen schwerer Lasten, ohne feinmotorische Arbeiten, ohne festes Zugreifen und repetitive Belastungen, ohne Zugluft, Nässe und Kälte, ohne Arbeiten, die ein gutes Sehvermögen erfordern, mit nur leichten Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen, ohne Akkord- und Fließbandarbeit und ohne Arbeiten mit erhöhtem Zeitdruck. Dieses Leistungsbild folgt aus den Ermittlungen der Beklagten, die durch die gerichtlichen Ermittlungen bestätigt worden sind (Gutachten des DM … vom 24.03.2010 und Gutachten der Dr. med … vom 25.02.2013 mit ergänzender Stellungnahme vom 04.06.2013). Beide Sachverständige haben den Kläger untersucht und gelangten unabhängig voneinander und nachvollziehbar zu der Einschätzung eines über sechsstündigen Leistungsvermögens für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, der sich das Gericht aus eigener Überzeugung anschließt. Der Kläger leidet an einer chronische Entzündung der Sehnenansätze von Muskeln des Unterarms am linken Ellenbogen (Epicondylitis humeri radialis), einer unfallbedingten Amputation durch Stanzverletzung des Daumens rechts im Endglied und der Finger II bis IV im Grundglied, Diabetes mellitus, einer diabetesbedingten Schädigung der Netzhaut mit mittelgradiger Sehkrafteinschränkung, medikamentös eingestelltem Bluthochdruck, einer Fettleber und Gallensteinen ohne Beschwerden. Funktionsstörungen bestünden insoweit, als durch die Entzündung am Ellenbogen bei allen Streckbewegungen des Unterarms, der Hand oder der Finger Schmerzen auftreten. Wenn diese Bewegungen häufiger ausgeführt werden, wird die Entzündung aktiviert. Die rechte Hand kann nur noch für grobmotorische Tätigkeiten eingesetzt werden. Die Sehkraft ist auf beiden Augen irreparabel geschädigt.
Trotz der beim Kläger vorliegenden Erkrankungen und den daraus folgenden Funktionsstörungen reicht das vorhandene Restleistungsvermögen jedoch noch für leichte körperliche Tätigkeiten mit den beschriebenen qualitativen Einschränkungen für sechs Stunden und mehr täglich aus, so dass ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nicht nachgewiesen ist.
Der Kläger ist auch wegefähig.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehört zur Erwerbsfähigkeit auch die ausreichende Fähigkeit, Arbeitsplätze aufzusuchen. Danach ist eine ausreichende Gehfähigkeit dann gegeben, wenn Fußwege von über 500 Meter viermal täglich mit zumutbarem Zeitaufwand zurückgelegt werden können (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 30.01.2002 – B 5 RJ 36/01 R – Breithaupt 2002, 576 f.; vom 14.3.2002 – B 13 RJ 25/01 R – SGB 2002, 329 und vom 28.8.2002 – B 5 RJ 12/02 R – Soziale Sicherheit 2004, 180). Die Gehfähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Der Kläger kann auch öffentliche Verkehrsmittel und einen PKW benutzen.
Der Kläger ist nach Überzeugung der Kammer berufsunfähig und hat einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen. Nach § 240 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.02.2002 (BGBl. I S. 754) zuletzt geändert durch das Gesetz zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.02.2007 (BGBl. I S. 554) haben Versicherte einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, wenn sie vor dem 02.01.1961 geboren sind und berufsunfähig sind.
Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist.
Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die der Versicherte durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind.
Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Rechtsbegründende Voraussetzungen des Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit sind, dass das Leistungsvermögen des Versicherten allein wesentlich bedingt durch Krankheit oder Behinderung ab einem bestimmten Zeitpunkt dauerhaft, d. h. für mehr als 6 Monate derart herabgesunken ist, dass er seinen rentenversicherten „bisherigen Beruf (sog. Hauptberuf)“ nicht mehr hälftig und vollwertig (und bei der Arbeitsmarktrente wegen Berufsunfähigkeit vollschichtig) ausüben kann. Hierfür trägt der Versicherte die Darlegungs- sowie die objektive Beweislast. Ist mit Vollbeweises festgestellt, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss die von Amts wegen zu beachtende materiell-rechtliche rechtshindernde Einwendung des zumutbaren Vergleichsberufs (Verwei-sungsberufs) geprüft, also festgestellt werden, ob der Versicherte gesundheitlich fähig ist, einen Beruf, der seinem bisherigen Beruf qualitativ gleichwertig ist, noch vollwertig und wenigstens hälftig (bei der Arbeitsmarktrente wegen BU: vollschichtig) zu verrichten. Hierfür obliegt dem Versicherungsträger sowohl die Darlegungs- als auch die objektive Beweislast.
Kann der Versicherte den typischen Aufgaben eines zumutbaren Verweisungsberufs (fachliches Anforderungsprofil) und den mit diesen fachlichen Anforderungen üblicherweise verbundenen gesundheitlichen Belastungen (gesundheitliches Belastungsprofil) genügen, ist er grundsätzlich nicht berufsunfähig. Liegen besondere („spezifische“) Leistungseinschränkungen oder eine ungewöhnliche Summierung von Leistungseinschränkungen vor oder ist der benannte Vergleichsberuf nicht „arbeitsmarktgängig“, wofür der Versicherte die Darlegungs- und Beweislast trägt, muss konkret festgestellt werden, ob es gleichwohl genügend (grundsätzlich mehr als 300) Arbeitsplätze des Vergleichsberufs gibt, an denen der Versicherte arbeiten könnte oder bei der Arbeitsmarktrente wegen Berufsunfähigkeit, ob binnen eines Jahres ein geeigneter Arbeitsplatz vermittelt werden kann (BSG, Urteil vom 29.07.2004 – B 4 RA 5/04 R).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist bisheriger Beruf als Ausgangspunkt der Beurteilung in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, wenn diese die nach dem sogenannten Mehrstufenschema die qualitativ höchstwertige ist und keine so genannte Lösung von dem Beruf stattgefunden hat. Eine berufliche Lösung ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anzunehmen, wenn der rentenrechtlich relevante Berufswechsel freiwillig erfolgt.
Wurde die Arbeit dagegen gezwungenermaßen aufgegeben, ist zu unterscheiden:
Waren dafür gesundheitliche Gründe verantwortlich, bleibt in der Regel der Berufsschutz erhalten, da sich insofern gerade das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat. Dabei müssen die gesundheitlichen Gründe nicht allein ursächlich gewesen sein, ausreichend ist, dass sie den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben.
Lagen dagegen andere – insbesondere betriebliche – Gründe vor, ist eine Lösung vom höherwertigen Beruf jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Versicherte sofort oder im Laufe der Zeit mit dem Wechsel endgültig abgefunden hat. Dies muss nicht freiwillig sein, sondern kann auch unter dem Druck der Verhältnisse geschehen. Nur wenn sich der Versicherte mit der dauerhaften Ausübung des geringerwertigen Berufs deshalb abfindet, weil er zur Wiederaufnahme der früheren höherwertigen Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen außerstande ist, bleibt der Berufsschutz erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 26.04.2005 – B 5 RJ 27/04 R – SGb 2005, 337 mit weiteren Nachweisen).
Die zumutbare Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Für die Beantwortung der Frage, wie einerseits die bisherige Berufstätigkeit des Versicherten und andererseits Berufstätigkeiten, die der Versicherte nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen ausüben kann, zu beurteilen sind, hat das Bundessozialgericht aufgrund seiner Beobachtung der tatsächlichen Gegebenheiten der Arbeits- und Berufswelt ein Mehrstufenschema entwickelt. Dieses gliedert die Arbeiterberufe in verschiedene „Leitberufe“, nämlich diejenigen des „Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion“ bzw. des „besonders hoch qualifizierten Facharbeiters“, des „Facharbeiters“ (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des „angelernten Arbeiters“ (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des „ungelernten Arbeiters“. Die Gruppe der angelernten Arbeiter gliedert sich in einen Bereich der Angelernten im oberen Bereich (Ausbildungszeit von mehr als einem Jahr) und einen Bereich der unteren Angelernten (Ausbildungszeit von weniger als einem Jahr).
Zumutbar sind Versicherten, die ihren bisherigen Beruf nicht mehr ausüben können, alle Tätigkeiten, die zur Gruppe mit dem Leitberuf gehören, der eine Stufe niedriger einzuordnen ist, als der von ihnen bisher ausgeübte Beruf (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09.12.1997 – 8 RKn 26/96 – SozR 2-2960 § 46 Nr. 4). Ausschlaggebendes Merkmal für die Einstufung in das Mehrstufenschema ist der qualitative Wert der verrichteten Arbeit für den Betrieb. Für die Ermittlung der Wertigkeit des bisherigen Berufs hat das Bundessozialgericht neben der Ausbildung auch anderen Merkmalen Bedeutung beigemessen (z.B. die tarifliche Einstufung und damit der Höhe der Entlohnung, die Dauer der Berufsausübung, Anforderungen und Verantwortlichkeit sowie Bedeutung der bisherigen Tätigkeit für den Betrieb). Erst durch eine Gesamtschau aller in Betracht kommenden Gesichtspunkt ist bei freier richterlicher Beweiswürdigung eine abschließende Bewertung möglich (BSG a.a.O.).
Die Kammer ist hier zur Überzeugung gelangt, dass Hauptberuf des Klägers nicht die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Grobmüllsortierer, sondern die zuvor ausgeübte Tätigkeit in der Bremsbackenaufbereitung ist. Die Tätigkeit als Grobmüllsortierer kann bei der Prüfung des Berufsschutzes nicht zugrunde gelegt werden, weil sie nicht dem Leistungsbild des Klägers entspricht und der Kläger diese Tätigkeit auf Kosten seiner Gesundheit ausgeübt hatte. Der Kläger hatte manuelle Tätigkeiten auszuüben. Dadurch kam eine anlagebedingte chronische Entzündung der Sehnenansätze von Muskeln des Unterarms am linken Ellenbogen zum Ausbruch und besteht seitdem. Das Entstehen der Erkrankung wird ggf. auch durch die Verletzung der rechten Hand begünstigt worden sein, da dadurch der linke Arm beim Zufassen stärker beansprucht wird. Hauptberuf ist auch nicht die zuvor erlernte und höherwertige Tätigkeit des Klägers als Zerspanungsfacharbeiter.
Der Kläger hat zwar einen Facharbeiterabschluss als Zerspanungsfacharbeiter erworben und auch im erlernten Beruf gearbeitet. Im Jahr 1981 hat sich der Kläger jedoch aus nicht gesundheitlichen Gründen vom erlernten Beruf gelöst und in der Bremsbackenaufbereitung gearbeitet Dieser Wechsel erfolgte unter dem Druck der Verhältnisse. Der Kläger hatte angegeben, er habe sich dem Wechsel in diesen Betriebsteil nicht entziehen können. Das geschützte Risiko hat sich jedoch insofern nicht verwirklicht. Die Tätigkeit in der Bremsbackenaufbereitung hatte nur entfernt mit dem erlernten Beruf als Zerspanungsfacharbeiter zu tun. Der Kläger hatte nicht mehr Metall in großer Stückzahl zu bearbeiten, sondern war dafür verantwortlich, Bremsbacken mit den dafür vorgesehenen Maschinen zu reinigen und neu zu beziehen.
Die Kammer ist zur Überzeugung gelangt, dass diese Tätigkeit in die Stufe eines oberen Angelernten einzustufen ist. Der Kläger hatte angegeben, mehr Geld verdient zu haben, als vorher für die Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter. Ob es eine Ausbildung für diese Tätigkeit gab, kann nicht eingeschätzt werden. Letztlich hätte der Kläger seine vorher ausgeübte Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter auch jederzeit wieder aufnehmen müssen, wenn er dazu auf gefordert worden wäre. Es war ein einheitliches Betriebsgelände mit verschiedenen Werkstätten. Der Kläger kann diese Tätigkeit wegen der Handverletzung nicht mehr ausüben und hat sie nach dem Unfall auch nicht mehr ausgeübt.
Die von der Beklagten benannte Verweisungstätigkeit eines Pförtners an einer Nebenpforte kann der Kläger nach Überzeugung der Kammer nicht mehr verrichten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verbergen sich hinter der Berufsbezeichnung „Pförtner an einer Nebenpforte“ eine Vielzahl von konkreten Pförtnertätigkeiten die je nach Einsatz – und Aufgabenbereich unterschiedliche Anforderungen an den Versicherten stellen. Eine ausreichende Spezifizierung ist gegeben, wenn die allgemeinen berufskundlichen Erkenntnisse ausreichen, um sich ein Bild von den Anforderungen zu machen, die ein Arbeitnehmer erfüllen muss (BSG, 22.05.2001 – B 13 J 13/02 R – juris). Die Tätigkeit des Pförtners an einer Nebenpforte besteht hauptsächlich darin, überwiegend für den Verkehr der Betriebsangehörigen bei Bedarf von der Pförtnerloge aus Einlass z.B. durch Öffnen einer Schranke oder Pforte durch Knopfdruck zu gewähren. Der Arbeitsplatz ist in der Regel mit einem Schreibtisch und häufig mit Monitorwänden zur Videoüberwachung des Betriebsgeländes ausgestattet. Die Tätigkeit des Pförtners an einer Nebenpforte ist schwerpunktmäßig eine sitzende Tätigkeit mit stehenden und gehenden Tätigkeiten. Sie ist nicht mit dem Heben und Tragen von Lasten und verbunden und stellt auch an die Funktionstüchtigkeit der Arme und Beine keine besonderen Anforderungen. Der Pförtner an der Nebenpforte muss durchschnittlichen Anforderungen an Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Übersicht gewachsen sein und über ein normales Hör- und Sehvermögen verfügen. Schließlich sind Pförtner an der Nebenpforte keinen besonderen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen ausgesetzt, da sie lediglich gelegentlich Kontakt mit Mitarbeitern und nur ausnahmsweise mit Publikum haben. Der Pförtner an der Nebenpforte arbeitet zudem regelmäßig in zwei Tagesschichten.
Der Kläger kann diese Tätigkeit mit seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen nicht ausüben. Die Sehkraft ist auf beiden Augen irreparabel geschädigt. Er kann nur noch Arbeiten verrichten, die kein gutes Sehvermögen erfordern und nur leichten Anforderungen an das geistige Leistungsvermögen bewältigen.
Der Rentenbeginn richtet sich nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI in der Fassung des Rentenreformgesetzes vom 18.12.1989 (a. a. 0.). Danach wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Danach beginnt die Rente hier am 01.12.2009.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens mit teilweisem Obsiegen und teilweisem Unterliegen Rechnung.