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Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen

Richtungsweisendes Urteil: Psychische Leiden als Erwerbsminderungsgrund anerkannt

Das Sozialgericht Nordhausen verpflichtete die Beklagte, der Klägerin wegen voller Erwerbsminderung aufgrund psychischer und physischer Erkrankungen befristet Rente zu gewähren, nachdem frühere Bescheide die Leistungsfähigkeit der Klägerin für den Arbeitsmarkt anders eingeschätzt hatten.

Übersicht

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✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht entschied, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen und physischen Gesundheitsprobleme voll erwerbsgemindert ist und somit Anspruch auf eine befristete Rente hat.
  • Die vorherigen Entscheidungen der Beklagten, die ein Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten annahmen, wurden aufgehoben.
  • Die Klägerin litt unter mehreren Erkrankungen, darunter rezidivierende depressive Störungen und chronische Schmerzsyndrome, die ihre Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten.
  • Ein psychiatrisches Gutachten belegte die vollständige Aufhebung des Leistungsvermögens der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
  • Die Rente wurde befristet gewährt, mit der Perspektive, dass eine Besserung des Leistungsvermögens durch medizinische Behandlung und Rehabilitation möglich sei.
  • Die Kosten des Verfahrens wurden zwischen der Klägerin und der Beklagten geteilt.
  • Die Entscheidung beruhte auf umfassenden medizinischen Gutachten und Befundberichten, die die Erkrankungen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit der Klägerin detailliert darlegten.
  • Die Berücksichtigung der psychiatrischen Erkrankung spielte eine entscheidende Rolle für das Urteil zugunsten der vollen Erwerbsminderungsrente.

Psychische Erkrankungen als Ursache für Erwerbsminderung

Psychische Erkrankungen stellen eine häufige Ursache für verminderte Erwerbsfähigkeit und damit den Anspruch auf Rente dar. Die Bandbreite reicht von Depressionen und Angststörungen über Psychosen bis hin zu Persönlichkeitsstörungen. Entscheidend für die Anerkennung als Erwerbsminderungsgrund sind die Schwere der Erkrankung und deren nachhaltige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben.

Neben der medizinischen Beurteilung spielen auch soziale Faktoren wie Qualifikation, bisheriger Werdegang und die konkreten Anforderungen des Arbeitsmarkts eine Rolle. Die Prüfung des Rentenanspruchs erfolgt stets individuell und kann durchaus zu unterschiedlichen Einschätzungen führen. Wichtig sind umfassende Begutachtungen durch Fachärzte, um die Leistungsbeeinträchtigungen fundiert bewerten zu können.

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➜ Der Fall im Detail


Der Weg zur Anerkennung psychischer Erkrankungen im Rentenrecht

Der Fall rund um die Klage einer Frau gegen die Ablehnung ihrer Erwerbsminderungsrente durch die Rentenversicherung bildet einen exemplarischen Streitfall im deutschen Sozialrecht ab.

Erwerbsminderungsrente bei psychische Erkrankung
Psychische Erkrankungen: Anerkennung im Rentenrecht – wegweisendes Urteil des Sozialgerichts Nordhausen (Symbolfoto: CalypsoArt /Shutterstock.com)

Die Klägerin, eine ehemalige Zigarettenfacharbeiterin und später in verschiedenen Beschäftigungsmaßnahmen tätig, sah sich aufgrund diverser psychischer und physischer Leiden nicht mehr in der Lage, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Nach der Ablehnung ihres Antrags auf Erwerbsminderungsrente durch die Rentenversicherung und dem erfolglosen Widerspruchsverfahren zog die Frau vor das Sozialgericht Nordhausen. Der Kern des Rechtsstreits lag in der Bewertung ihres Gesundheitszustands und der daraus resultierenden Arbeitsfähigkeit.

Medizinische Gutachten als Dreh- und Angelpunkt

Zentral für die juristische Auseinandersetzung waren mehrere medizinische Gutachten, die ein breites Spektrum an Erkrankungen der Klägerin dokumentierten. Unter anderem wurden eine rezidivierende depressive Störung, Agoraphobie mit Panikstörung, chronische Schmerzstörungen sowie eine allgemeine Muskelschwäche attestiert. Ein Gutachter kam zu dem Schluss, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes lediglich weniger als drei Stunden täglich arbeiten könne – ein Schlüsselmoment in der rechtlichen Bewertung ihrer Erwerbsfähigkeit.

Die Entscheidung des Sozialgerichts Nordhausen

Das Gericht folgte der Argumentation der Klägerin und ihrer Anwälte, wonach sie aufgrund der Gesamtheit ihrer Erkrankungen voll erwerbsgemindert sei. Es hob die vorangegangenen Bescheide der Rentenversicherung auf und verpflichtete diese zur Gewährung der begehrten Rente wegen voller Erwerbsminderung, allerdings befristet für einen Zeitraum von zwei Jahren. Die Entscheidung basierte maßgeblich auf der Einschätzung, dass die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr erwerbstätig sein könne.

Die rechtlichen Grundlagen der Erwerbsminderungsrente

Die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht die Anwendung des § 43 SGB VI, der die Voraussetzungen für den Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung regelt. Voll erwerbsgemindert sind demnach Versicherte, die aufgrund von Krankheit oder Behinderung außerstande sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin diese Bedingungen erfüllt.

Die Rolle von medizinischen Gutachten im Verfahren

Das Urteil unterstreicht die essenzielle Bedeutung von medizinischen Gutachten in Verfahren um Erwerbsminderungsrenten. Diese Gutachten bilden oft die Basis für die gerichtliche Entscheidungsfindung, insbesondere wenn es um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen geht. Die umfangreiche medizinische Dokumentation im vorliegenden Fall ermöglichte eine differenzierte Betrachtung der individuellen Situation der Klägerin und trug maßgeblich zu ihrem Obsiegen bei.

Die Anerkennung psychischer Erkrankungen als Grund für eine vollständige Erwerbsminderung stellt einen wichtigen Schritt im Verständnis und in der Anerkennung solcher Leiden im Sozialrecht dar. Dieses Urteil mag für andere Betroffene einen Orientierungspunkt darstellen und die Wichtigkeit einer umfassenden medizinischen Dokumentation unterstreichen.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Voraussetzungen müssen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit erfüllt sein?

Um Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in Deutschland zu haben, müssen bestimmte versicherungsrechtliche und medizinische Voraussetzungen erfüllt sein:

Versicherungsrechtliche Voraussetzungen:

  • Allgemeine Wartezeit: Sie müssen mindestens fünf Jahre in der Deutschen Rentenversicherung versichert sein.
  • Pflichtbeitragszeiten: In den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung müssen mindestens drei Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nachgewiesen werden.
  • Besondere versicherungsrechtliche Regelungen: In bestimmten Fällen, wie bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten, können die Mindestversicherungszeiten auch kürzer sein.

Medizinische Voraussetzungen:

  • Erwerbsfähigkeit: Voll erwerbsgemindert sind Personen, die aufgrund einer Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
  • Teilweise Erwerbsminderung: Personen, die noch mindestens drei, aber weniger als sechs Stunden täglich arbeiten können, erhalten eine volle Erwerbsminderungsrente, wenn sie keine entsprechende Teilzeitarbeit finden können.

Sonstige Hinweise:

  • Anwartschaftserhaltungszeiten: Diese Zeiten sind eine Ausnahme von der Regel, dass in den letzten fünf Jahren vor der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge geleistet worden sein müssen.
  • Anrechnungszeiten: Zeiten, in denen keine Beiträge gezahlt wurden, können unter bestimmten Umständen als Versicherungszeit zählen, wie zum Beispiel die Zeit des Studiums.

Es ist wichtig zu beachten, dass nicht nur die versicherungsrechtlichen, sondern auch die gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine Erwerbsminderungsrente zu erhalten. Die Deutsche Rentenversicherung prüft diese Voraussetzungen im Einzelfall.

Wie wird die Erwerbsfähigkeit im Kontext psychischer Erkrankungen bewertet?

Die Bewertung der Erwerbsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen ist eine komplexe Aufgabe, da psychische Leiden oft weniger offensichtlich sind als körperliche Erkrankungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit individuell sehr unterschiedlich sein können. Psychische Erkrankungen sind mittlerweile die häufigste Ursache für die Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente.

Bewertungskriterien und Verfahren

  • Diagnostik: Zunächst muss eine fachgerechte Diagnose der psychischen Erkrankung erfolgen, die auf anerkannten Klassifikationssystemen wie dem ICD-10 basiert. Hierbei werden Symptome wie gedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit, Konzentrationsprobleme oder Angstzustände berücksichtigt.
  • Funktionsfähigkeit: Die Bewertung der Arbeitsfähigkeit orientiert sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), die einen biopsychosozialen Ansatz verfolgt. Es wird beurteilt, wie die psychische Erkrankung die Denk-, Verhaltens- und Wahrnehmungsfähigkeit sowie das Gefühlsleben und den Antrieb der betroffenen Person beeinträchtigt.
  • Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben: Es wird geprüft, inwieweit die psychische Erkrankung die Fähigkeit der Person einschränkt, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig zu sein. Dabei wird auch berücksichtigt, ob eine Teilzeitarbeit möglich ist oder ob die Person weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann.
  • Individuelle Prognose: Die individuelle Prognose spielt eine wichtige Rolle. Es wird bewertet, ob und in welchem Umfang eine Besserung der Erkrankung möglich ist und wie sich dies auf die Arbeitsfähigkeit auswirken könnte.
  • Therapeutische Maßnahmen: Die Möglichkeit und der Erfolg von therapeutischen Maßnahmen, wie Psychotherapie oder medikamentöse Behandlung, werden in die Bewertung einbezogen. Auch die Teilnahme an Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben kann relevant sein.

Herausforderungen

Die Bewertung der Erwerbsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen ist besonders herausfordernd, da die Symptome subjektiv und variabel sind. Zudem können psychische Erkrankungen in ihrer Intensität schwanken und von externen Faktoren wie Stress am Arbeitsplatz beeinflusst werden. Die Deutsche Rentenversicherung und andere Institutionen bieten spezifische Orientierung und Unterstützung bei psychischen Erkrankungen an, um eine angemessene Beurteilung zu gewährleisten. Es ist wichtig, dass die Bewertung der Erwerbsfähigkeit durch Fachleute erfolgt, die Erfahrung im Umgang mit psychischen Erkrankungen haben und die individuelle Situation des Betroffenen umfassend berücksichtigen.

Welche Rolle spielen medizinische Gutachten im Verfahren um Erwerbsminderungsrente?

Medizinische Gutachten spielen eine zentrale Rolle im Verfahren um die Erwerbsminderungsrente. Sie dienen als wesentliche Grundlage für die Entscheidung der Rentenversicherungsträger und, falls notwendig, auch der Gerichte über die Gewährung oder Ablehnung einer Erwerbsminderungsrente. Die Gutachten werden von medizinischen Sachverständigen erstellt, die als neutrale Experten fungieren. Ihre Aufgabe ist es, den Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des Antragstellers objektiv zu beurteilen.

Bedeutung medizinischer Gutachten

  • Objektive Bewertung: Medizinische Gutachten bieten eine objektive Bewertung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Sie helfen zu bestimmen, inwieweit eine Person aufgrund von Krankheit oder Behinderung in der Lage ist, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
  • Entscheidungsgrundlage: Die Gutachten dienen den Rentenversicherungsträgern als wichtige Entscheidungsgrundlage. Ohne diese Expertise wäre es für die Rentenversicherung schwierig, eine fundierte Entscheidung über den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente zu treffen.
  • Rechtssicherheit: Sie tragen zur Rechtssicherheit bei, indem sie sicherstellen, dass alle Anträge auf Erwerbsminderungsrente nach einheitlichen medizinischen Standards beurteilt werden. Dies ist besonders wichtig, um Gleichbehandlung und Fairness im Verfahren zu gewährleisten.
  • Beweismittel: In gerichtlichen Verfahren dienen medizinische Gutachten als Beweismittel. Sie können ausschlaggebend sein, wenn es um die Klärung strittiger Fälle vor dem Sozialgericht geht.

Anforderungen an medizinische Gutachten

  • Qualifikation der Gutachter: Die Gutachter müssen über die notwendige medizinische Fachkompetenz verfügen und mit den rechtlichen Grundlagen der Begutachtung vertraut sein.
  • Objektivität und Neutralität: Gutachter müssen neutral und sachgerecht erstellen, ohne dem Rentenversicherungsträger oder dem Versicherten gegenüber voreingenommen zu sein.
  • Vollständigkeit und Transparenz: Ein Gutachten muss alle relevanten medizinischen Befunde und Informationen umfassen und transparent darlegen, wie die Schlussfolgerungen zustande gekommen sind.

Herausforderungen

Die Erstellung medizinischer Gutachten kann herausfordernd sein, insbesondere bei komplexen Krankheitsbildern oder wenn die medizinische Situation des Antragstellers sich nicht eindeutig beurteilen lässt. Zudem ist die subjektive Wahrnehmung der eigenen Leistungsfähigkeit durch den Antragsteller oft schwer mit objektiven medizinischen Kriterien in Einklang zu bringen. Zusammenfassend sind medizinische Gutachten ein unverzichtbarer Bestandteil im Verfahren um die Erwerbsminderungsrente. Sie ermöglichen eine fundierte und gerechte Entscheidung, indem sie eine objektive Bewertung der Leistungsfähigkeit des Antragstellers liefern.

Was bedeutet eine befristete Gewährung der Erwerbsminderungsrente?

Eine befristete Gewährung der Erwerbsminderungsrente bedeutet, dass die Rente nicht dauerhaft, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum bewilligt wird. Seit 2001 werden Renten wegen Erwerbsminderung in Deutschland grundsätzlich befristet vergeben. Die Befristung erfolgt in der Regel für einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren, abhängig von der medizinischen Einschätzung der Erwerbsminderung.

Gründe für die Befristung

Die Befristung basiert auf der Annahme, dass sich der Gesundheitszustand des Rentenempfängers verbessern könnte und somit eine Rückkehr ins Erwerbsleben möglich ist. Sie ermöglicht eine regelmäßige Überprüfung der Erwerbsfähigkeit und stellt sicher, dass die Rentenzahlungen an die aktuelle Situation des Empfängers angepasst sind.

Verlängerung der befristeten Erwerbsminderungsrente

Eine Verlängerung der befristeten Erwerbsminderungsrente ist möglich, muss jedoch beantragt werden. Der Antrag sollte rechtzeitig gestellt werden, idealerweise vier bis fünf Monate vor Ablauf der Befristung. Für die Verlängerung ist es notwendig, dass der Rentenversicherungsträger erneut die medizinische Situation des Antragstellers prüft, um zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Erwerbsminderungsrente weiterhin vorliegen.

Unbefristete Gewährung

Eine unbefristete Erwerbsminderungsrente wird nur dann bewilligt, wenn es als unwahrscheinlich gilt, dass die Erwerbsminderung des Versicherten jemals behoben werden kann. Dies muss durch einen Gutachter der Rentenversicherung bestätigt werden.

Wichtige Hinweise

  • Antragstellung: Die Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente muss aktiv beantragt werden. Ohne einen solchen Antrag endet die Rentenzahlung automatisch mit dem Ablauf der Befristung.
  • Vorbereitung: Es ist ratsam, sich frühzeitig auf die Antragstellung vorzubereiten, indem man regelmäßige Arztbesuche wahrnimmt und aktuelle medizinische Befunde sammelt, die die Fortdauer der Erwerbsminderung belegen.
  • Arbeitsmarktrente: In einigen Fällen kann die Erwerbsminderungsrente auch von der Arbeitsmarktlage abhängig sein. Diese Renten werden ebenfalls befristet geleistet.

Die befristete Gewährung der Erwerbsminderungsrente ermöglicht es, die Rentenzahlungen flexibel an die individuelle Situation des Empfängers anzupassen und regelmäßig zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Rente noch gegeben sind.

Wie können Betroffene gegen eine Ablehnung der Erwerbsminderungsrente vorgehen?

Betroffene, deren Antrag auf Erwerbsminderungsrente abgelehnt wurde, haben das Recht, gegen diese Entscheidung vorzugehen. Hierfür gibt es ein festgelegtes Verfahren:

  • Widerspruch einlegen: Nach Erhalt des Ablehnungsbescheids haben Betroffene einen Monat Zeit, Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch muss schriftlich bei der Rentenversicherung eingereicht werden und sollte die Versicherungsnummer, den Namen und die Anschrift des Versicherungsträgers, das Datum des Bescheids und eine Begründung enthalten. Ein Muster für den Widerspruch kann von der Website der Deutschen Rentenversicherung Bund heruntergeladen werden.
  • Prüfung des Widerspruchs: Nach Einreichung des Widerspruchs prüft der Rentenversicherungsträger diesen erneut. Ein Ausschuss, bestehend aus Vertretern der Rentenversicherung, der Versicherten und der Arbeitgeber, kann die Entscheidung der Verwaltung ändern oder weitere Prüfungen einleiten.
  • Klage vor dem Sozialgericht: Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, besteht die Möglichkeit, Klage vor dem Sozialgericht zu erheben. Für Klageverfahren vor Sozialgerichten besteht kein Anwaltszwang, und es fallen keine Gerichtskosten an, wenn der Kläger dem Personenkreis der Versicherten, Leistungsempfänger oder behinderten Menschen angehört. Das Gericht führt eine Amtsermittlung durch und kann unabhängige Gutachten einholen.
  • Unterstützung durch Sozialverbände: Organisationen wie der Sozialverband VdK oder der Sozialverband Deutschland (SoVD) bieten Unterstützung beim Widerspruch und bei Klageverfahren an. Sie können auch rechtliche Beratung und Vertretung anbieten.
  • Akteneinsicht: Es ist ratsam, Akteneinsicht zu beantragen, um die Gründe für die Ablehnung zu verstehen und den Widerspruch oder die Klage gezielt vorzubereiten.
  • Rechtsschutzversicherung: Falls vorhanden, kann eine Rechtsschutzversicherung die Kosten für eine anwaltliche Vertretung übernehmen. Es ist jedoch zu beachten, dass nicht alle Rechtsschutzversicherungen die Kosten für das Widerspruchsverfahren abdecken.
  • Prozesskostenhilfe: Sollten finanzielle Mittel für eine rechtliche Vertretung fehlen, kann Prozesskostenhilfe beantragt werden.

Es ist wichtig, dass Betroffene die Fristen für den Widerspruch und die Klage einhalten und sich rechtzeitig Unterstützung suchen, um ihre Chancen auf eine erfolgreiche Anfechtung der Ablehnung zu erhöhen.

Inwiefern beeinflusst die Arbeitsmarktlage den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente?

Die Arbeitsmarktlage kann den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente beeinflussen, insbesondere wenn es um die sogenannte Arbeitsmarktrente geht. Die Arbeitsmarktrente ist eine Form der vollen Erwerbsminderungsrente, die dann geleistet wird, wenn ein Versicherter zwar grundsätzlich nur teilweise erwerbsgemindert ist, aber aufgrund der Arbeitsmarktlage keine Teilzeitbeschäftigung finden kann.

Einfluss der Arbeitsmarktlage:

  • Teilweise Erwerbsminderung: Wenn das Leistungsvermögen eines Versicherten auf unter sechs Stunden täglich gesunken ist, aber noch mindestens drei Stunden beträgt, liegt eine teilweise Erwerbsminderung vor.
  • Verschlossener Arbeitsmarkt: Gilt der Arbeitsmarkt als „verschlossen“, weil kein geeigneter Teilzeitarbeitsplatz vermittelt werden kann, wird trotz teilweiser Erwerbsminderung eine volle Erwerbsminderungsrente als Arbeitsmarktrente geleistet.
  • Abstrakte Betrachtungsweise: Bei der Beurteilung der Erwerbsminderung wird eine abstrakte Betrachtungsweise des Arbeitsmarktes angewendet. Das bedeutet, dass nicht die individuelle Arbeitsmarktsituation des Versicherten, sondern die allgemeine Arbeitsmarktlage betrachtet wird.
  • Keine Berücksichtigung bei voller Erwerbsfähigkeit: Die Arbeitsmarktlage wird nicht berücksichtigt, wenn das Leistungsvermögen des Versicherten sechs Stunden täglich oder mehr beträgt. In diesem Fall besteht kein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.

Wichtige Aspekte:

  • Arbeitsmarktrente: Die Arbeitsmarktrente ist eine rechtliche Konstruktion, die von der Rechtsprechung entwickelt wurde, um das Risiko der Arbeitslosigkeit teilweise auf die gesetzliche Rentenversicherung zu übertragen.
  • Ausgleichsbetrag: Für die durch die Arbeitsmarktrente entstehenden Mehrausgaben leistet die Bundesagentur für Arbeit einen Ausgleichsbetrag an die Rentenversicherung.

Zusammenfassend ist die Arbeitsmarktlage ein relevanter Faktor bei der Gewährung einer vollen Erwerbsminderungsrente, wenn ein Versicherter zwar teilweise erwerbsgemindert ist, aber aufgrund der Arbeitsmarktsituation keine entsprechende Teilzeitarbeit finden kann. In solchen Fällen kann die volle Erwerbsminderungsrente als Arbeitsmarktrente gewährt werden.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 43 SGB VI: Regelt den Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Dieser Paragraph ist zentral für den Fall, da er die rechtliche Grundlage für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit und den Anspruch auf Erwerbsminderungsrente bildet.
  • Sozialgerichtsbarkeit: Der Rechtsbereich, der für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Sozialleistungen, einschließlich Erwerbsminderungsrenten, zuständig ist. Die Entscheidung des Sozialgerichts Nordhausen in diesem Fall zeigt die Anwendung und Auslegung sozialrechtlicher Normen in der Praxis.
  • Medizinische Gutachten: Wichtig für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen des § 43 SGB VI. Im konkreten Fall waren Gutachten entscheidend für die Feststellung der vollständigen Erwerbsminderung aufgrund psychischer Erkrankungen.
  • Psychische Erkrankungen als Grund für Erwerbsminderung: Dieser Aspekt betrifft die Anerkennung psychischer Leiden als hinreichenden Grund für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Im vorgestellten Fall wurde die Erwerbsminderung aufgrund verschiedener psychischer Störungen anerkannt.
  • Befristung der Rentengewährung: Betrifft die zeitliche Begrenzung der Rentenzahlung, die im Fall einer möglichen Besserung der Leistungsfähigkeit durch medizinische Behandlung oder Rehabilitation vorgesehen ist. Im analysierten Urteil wurde die Rente befristet gewährt, was die Notwendigkeit einer regelmäßigen Überprüfung der Erwerbsfähigkeit unterstreicht.
  • Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG: Bestimmt, wer die Kosten des Gerichtsverfahrens zu tragen hat. Im vorliegenden Fall wurde entschieden, dass die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen muss, was die teilweise Anerkennung der Ansprüche der Klägerin widerspiegelt.


Das vorliegende Urteil

SG Nordhausen – Az.: S 20 R 1842/13 – Urteil vom 30.04.2015

1. Der Bescheid der Beklagten vom 20.09.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung im gesetzlichen Umfang befristet vom 01.03.2015 bis zum 28.02.2017 zu gewähren.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am … geborene Klägerin ist gelernte Zigarettenfacharbeiterin, sie war zuletzt als Webereimitarbeiterin und in ABM-Maßnahmen beschäftigt.

Am 18.04.2012 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Erwerbsminderungsrente.

Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen bei, holte ein Gutachten auf orthopädischem Fachgebiet und augenärztlichem Fachgebiet ein und lehnte mit Bescheid vom 20.09.2012 den Antrag der Klägerin ab. Dagegen legte die Klägerin am 01.10.2012 Widerspruch ein. Die Beklagte holte sodann ein Gutachten auf nervenärztlichem Fachgebiet ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2013 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen, da nach dem Ergebnis der weiteren medizinischen Ermittlungen bei der Klägerin noch ein Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit Einschränkungen für mindestens 6 Stunden täglich vorliege. Im Hinblick auf einen Rentenanspruch wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ordnete die Beklagte den Hauptberuf der Klägerin dem Bereich der Angelernten des unteren Bereiches zu und verwies die Klägerin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.07.2013 Klage erhoben.

Sie führt an, dass aufgrund der Gesamtheit der diagnostizierten Erkrankungen eine Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben sei.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 20.09.2012 in Fassung des Widerspruchbescheides vom 02.07.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Rente wegen voller hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im gesetzlichen Umfang ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihre Bescheide.

Das Gericht hat Befundberichte von Dr. G., Dr. H., Dr. P., Dr. K., Dr: Sch.; und Dr. G. und Dipl.-Med. Sch. beigezogen. Ferner wurden eingeholt ein orthopädisches Gutachten bei Dr. M. und ein psychiatrisch- psychosomatisches Gutachten bei Dr. B.

Nach dem Gutachten von Dr. M. 15.10.2014 bestehen auf orthopädischem Fachgebiet folgende Gesundheitsstörungen:

1. chronisches muskelstatisches Lendenwirbelsäulensyndrom bei leichten degenerativen Veränderungen mit diskreter Instabilität L4/5 und allgemeiner Muskelschwäche

2. muskuläres Halswirbelsäulensyndrom mit chronischer Kopfschmerzsymptomatik bei degenerativen Veränderungen

3. leichte Funktionsstörung mit Belastungsschwäche der Hüftgelenke rechtsbetont ohne nennenswerte morphologische Veränderungen

4. leichte Belastungsschwäche der Kniegelenke bei anzunehmender beginnender Knorpelscheibengleitlager und innenseitiges Kompartiment beidseits

5. Plattfußdeformität mit Zehendeformitäten (Hallux valgus), Schmerzen der Mittelfußköpfchen

Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mindestens 6 Stunden täglich überwiegend im Sitzen, ohne Zwangshaltungen, gebückte Belastungen, ohne schweren Heben und Tragen (Hebe und Tragebelastungen im Einzelfall nicht über 10 kg, als Dauerbelastung nicht mehr als 5 kg), unter Witterungsschutz, ohne Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten ausüben.

Nach dem Gutachten von Dr. B. vom 29.10.2014 bestehen folgende Gesundheitsstörungen:

Symptomdiagnosen:

• Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittel- bis schwergradig

(ICD 10: F33.2)

• Agoraphobie mit Panikstörung, situativ mit phobischem Schon- und sozialem Meideverhalten

(ICD 10: F40.01)

• Spannungskopfschmerzen, mehrmals wöchentlich (ICD 10: F54, G44.2)

• Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren

(ICD 10: F45.41)

• Tiefstehende niedrige Intelligenz (IQ 76)

Strukturdiagnose:

• Depressiv-abhängige, altruistische Bildung der Persönlichkeit mit derzeit aufgehobener individueller Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit der Struktur

Körperliche Diagnosen im Übrigen

• Leichtgradige bewegungs- und belastungsabhängige Schmerzen und Funktionsstörungen der HWS, LWS (ohne neurologische Defizite), der Schultern und der Knie, bei degenerativen Veränderungen.

• Sero-negative Rheumatoidarthritis mit geringfügigen Ausprägungen und fehlender Klinik (keine Entzündung der Knorpel, keine systemischen Aktivität)

• Schilddrüsenfunktionsstörung, medikamentös behandelt

• CTS rechts, behandelt, gebessert

• Arterielle Hypertonie, medikamentös eingestellt

• Mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit, noch nicht ausreichend mit Hörgeräten versorgt

• Adipositas (110 kg Körpergewicht bei 165 cm Körpergröße)

• Gesicherte Hyperlipidämie, medikamentös eingestellt

• Niereninsuffizienz Grad II

Zum Zeitpunkt der Untersuchung (20.08.2014), der als Zeitpunkt des Leistungsfalls vorgeschlagen wird, sei das Leistungsvermögen aufgehoben. Die Klägerin könne nur noch weniger als 3 Stunden täglich unter Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein. Als Zeitpunkt des Leistungsfalls wird der 20.08.2014 vorgeschlagen. Zur möglichen Besserung wird eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme vorgeschlagen.

Diese Leistungseinschätzung wird in der ergänzenden Stellungnahme von Dr. B. vom 31.03.2015 nochmals bestätigt und eine befristete Rentengewährung bis zum Abschluss einer Reha-Maßnahme zur Diskussion gestellt.

Ferner liegt die ergänzende Stellungnahme von Dr. B. vom 27.04.2015 zur Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 22.04.2015 vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozess- und Beklagtenakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung waren.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Sie ist auch überwiegend begründet, denn die angegriffenen Bescheide verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

Die Klägerin hat Anspruch auf eine befristet Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.03.2013.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der ab dem 01.01.2001 gültigen Fassung (n.F.) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1. erwerbsgemindert sind,

2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet haben oder

3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeits-marktes mindestens 3 Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs.1 S 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbs-gemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes kann dies gegebenenfalls auch dann schon erfüllt sein, wenn das Leistungsvermögen innerhalb des Bereichs von durchschnittlich täglich drei bis unter sechs Stunden angesiedelt ist. Darüber hinaus haben nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit Versicherte, die teilweise erwerbsgemindert sind, jedoch keinen Teilzeitarbeitsplatz innehaben, einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BSG, Urt. v. 08.09.2005 – B 13 RJ 10/04 R, SozR 4-2600 § 101 Nr. 2 und BSG, Urt. v. 10.12.2003 – B 5 RJ 64/02 R, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1).

Die Klägerin leidet unter Erkrankungen auf orthopädischem, internistischem und psychiatrisch-psychosomatischem Fachgebiet, die länger als 6 Monate bestehen und einen leistungsmindernden Dauereinfluss auf die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben haben. Auf die in den Gutachten von Dr. M. und Dr. B. angeführten Diagnosen und beschriebenen Leistungseinschränkungen wird verwiesen.

Die Kammer geht aufgrund der Feststellungen des Gutachtens von Dr. B. davon aus, dass der Leistungsfall der vollständigen Aufhebung des Leistungsvermögens im Sinne des Absinkens für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter 3 Stunden ab August 2014, also zum Zeitpunkt der ambulanten Untersuchung durch den Gutachter Dr. B. erwiesen ist.

Die Kammer hat keine Zweifel, dass die Sachverständigen die medizinischen Befunde zutref-fend erhoben und aus ihnen die richtigen sozial – medizinischen Schlussfolgerungen gezogen haben. Die von den Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen entsprechen auch den allgemein anerkannten Begutachtungsmaßstäben. Insbesondere stehen sie in Übereinstimmung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen und Leitlinienempfehlungen der einschlägigen wissenschaftlichen Fachgesellschaften.

Soweit von Seiten des beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten, die Kompetenz des Gutachters unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe im Verfahren L 12 R 1801/13 in Frage gestellt wird, kann dies die Kammer nicht nachvollziehen. Aus dem Umstand, dass ein Senat des Thüringer Landessozialgerichts in einem anderen Fall von der Leistungseinschätzung des Gutachters abgewichen ist, folgt insoweit nichts. Die von der Beklagten behauptete Vergleichbarkeit der Fälle ist aus den dem Gericht übersandten Entscheidungsgründen nicht ersichtlich, denn diese setzen sich schwerpunktmäßig mit der Frage auseinander, ob die Wegefähigkeit der Klägerin aufgrund von Panikattacken und Agoraphobie gegeben ist, bzw. inwieweit diesbezüglich der Vollbeweis geführt wurde. Die Leistungseinschätzung gründet sich im vorliegenden Verfahren schwerpunktmäßig auf eine rezidivierenden depressive Störung, die gegenwärtig schwer bis mittelgradig ausgeprägt ist.

Dass Gutachter auf psychiatrischem Fachgebiet – wie die Praxis der Sozialgerichte aber auch wissenschaftliche Untersuchungen (Philipp, Med Sach 106 5/2010, S. 181ff, Meins, Med Sach 106 4/2010, S. 153ff) zeigen, in Grenzfällen nicht selten zu unterschiedlichen Leistungseinschätzungen gelangen, führt in der sozialgerichtlichen Praxis nicht dazu, dass die Gutachten nicht als geeignetes Beweismittel für einen Vollbeweis angesehen werden. Andernfalls würde der Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente aufgrund psychischer Erkrankungen und physischer Komorbidität entgegen dem Willen des Gesetzgebers weitgehend leerlaufen.

Ein solcher Grenzfall ist nach Auffassung der Kammer allerdings nicht gegeben:

Der Gutachter hat festgestellt, dass bei der Klägerin eine Erschöpfung der körperlichen und seelischen Ressourcen vorliegt, die sie an einer Wiederherstellung der Selbstwertgefühlregulation hindert, so dass eine dauerhafte chronische Depression eingetreten ist (S.26 des Gutachtens). Diese Einschätzung konnte die Kammer aufgrund der Anamnese und der Ergebnisse der Testdiagnostik nachvollziehen. Hierbei zeigt sich z.B. im Rahmen des Benton-Tests ein Konzentrationsvermögen im weit unterdurchschnittlichen Bereich, eine weit unterdurchschnittliche grundlegende Informationsverarbeitungskapazität mit weit überdurchschnittlicher Fehlerquote. Durch den Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest ist zudem das Vorliegen einer niedrigen Intelligenz (IQ 76) abgesichert. Vor dem Hintergrund der biographischen Anamnese (langjährige Arbeitslosigkeit soweit die seit 2000 geschilderten psychosozialen Beeinträchtigungen) können daher die Folgerungen des Gutachters im Rahmen der Diagnostik der Persönlichkeitsentwicklung, Struktur und Konfliktdynamik, Krankheitsverarbeitung (S.34 des Gutachtens) ebenso nachvollzogen werden wie die Aussagen zum kognitiv-psychisch emotionalen Leidens- und /oder Beeinträchtigungsgrad. Nachvollziehbar ist auch, dass die ohnehin durch die festgestellten kognitiven Einschränkungen begrenzten Ressourcen zur Krankheitsbewältigung vor dem Hintergrund der langjährigen Leidensgeschichte mittlerweile erschöpft sind.

Die Kammer ist daher überzeugt, dass bei der Klägerin insbesondere auf psychiatrisch-psychosomatischen Fachgebiet Erkrankungen vorliegen, die sie psycho-sozial stark beeinträchtigen und eine Leistungsfähigkeit für den allgemeinen Arbeitsmarkt aufheben.

Die Stellungnahme des sozialmedizinischen Dienstes vom 30.01.2015 setzt sich demgegenüber nicht umfassend mit der Argumentation des Gutachtens auseinander und beschränkt sich auf eine punktuelle Kritik, die weder im Einzelnen noch in der Gesamtschau überzeugend ist. Der Verweis auf einen Arztbrief vom August 2013 in der Stellungnahme ist ein schwaches Argument gegen eine auf den August 2014 bezogene Leistungsfeststellung. Dass innerhalb der dörflichen Gemeinschaft eines kleinen Ortes täglich die dort wohnenden engen Verwandten, insbesondere die Mutter aufgesucht wurde, ist kein eindeutiges Indiz gegen das Vorliegen einer mittelschweren bis schweren Depression, sondern ist im Gesamtkontext eher als ein Indiz für mangelnde Autonomie, das Gefühl der Hilfsbedürftigkeit und Schutzwünsche zu werten. Auch der Umstand, dass die Klägerin nur in kleineren Lebensmittelläden in Begleitung ihrer Töchter einkaufen geht, spricht genauso wenig gegen eine aktuell vorliegende Agoraphobie mit Panikstörungen wie der Verweis auf Feststellungen eines älteren Gutachtens aus dem März 2013. Die Frage, welche Erledigungen die Klägerin für ihre mit Pflegestufe 1 pflegebedürftige Mutter verrichtet, gründet sich angesichts des Umstandes, dass die Klägerin selbst in größerem Umfang die Hilfe ihrer Verwandten in Anspruch nimmt und auch die zahlreichen Geschwister im Dorf wohnen, nur auf unsubstantiierte Spekulationen.

Im Übrigen ist die Klage abzuweisen, da ein vorhergehender Leistungsfall nicht erwiesen Die Rente ist zu befristen, da bei einer konsequenten medizinischen Behandlung und Rehabilitation noch die Aussicht für eine Besserung des Leistungsvermögens besteht.

Entgegen der Auffassung der Beklagten im Schriftsatz vom 22.04.2015 implizieren entsprechende Feststellungen des Gutachters Dr. B. nicht, dass das die Aussagen zum derzeitigen Leistungsvermögen widersprüchlich und unschlüssig sind. Die Stellungnahme des Gutachters vom 31.03.2015 ist in der Sache eindeutig: Derzeit um zum Zeitpunkt der Untersuchung im August 2014 Leistungsvermögen unter 3 Stunden, Unklarheit über Besserungswahrscheinlichkeit, so das keine positive Feststellung eines dauerhaft aufgehobenen Leistungsvermögens getroffen werden konnte. Konsequenterweise empfahl der Gutachter bei Vorliegen der Rehabilitationsfähigkeit sowohl eine zielgerichtete Rehamaßnahme als auch eine befristete Rentengewährung. Das Instrument der befristeten Rentengewährung ist nur unter der Prämisse sinnvoll, dass aktuell das Leistungsvermögen aufgehoben bzw. einschränkt ist und Behandlungs- oder Rehabilitationsmöglichkeiten bestehen, die das Leistungsvermögen bessern oder wiederherstellen können. Der Einwand der Beklagten beruht daher auf der Konstruktion eines Gegensatzes, der der Gesetzessystematik gerade nicht entnommen werden kann.

Die Kostenentscheidung entspricht dem teilweisen Obsiegen in der Hauptsache und ergibt sich aus § 193 SGG.

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