Erwerbsunfähigkeitsrente trotz Heimweh nach Kuba?
Der 1962 geborene Kläger gab an, von 1981 bis 1983 als Soldat der kubanischen Armee in Angola gedient zu haben. Dabei habe er unter anderem den Tod von Kameraden miterlebt. Später sei er in die damalige DDR ausgereist und habe dort zunächst als Werkzeugschleifer, dann als Heizungsinstallateur gearbeitet. Nach einer Entlassung 1997 habe er Arbeitslosengeld und ab 2005 Grundsicherung bezogen.
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Übersicht
Seit 2009 litt der Kläger nach eigenen Angaben zunehmend unter Depressionen, Ängsten und Albträumen aufgrund von Kriegstraumata sowie unter starken Heimwehgefühlen nach Kuba, wo er alle zwei bis drei Jahre Urlaub machte. Nach gutachterlicher Einschätzung der Bundesagentur für Arbeit könne er nur noch drei Stunden täglich arbeiten. Der Rentenversicherungsträger lehnte eine Erwerbsunfähigkeitsrente jedoch ab, da der Kläger noch sechs Stunden leichte Arbeit verrichten könne.
Verfahren vor den Sozialgerichten
Das Sozialgericht holte ein psychiatrisches Gutachten ein, das keine Hinweise auf eine schwere posttraumatische Belastungsstörung ergab. Vielmehr litt der Kläger unter Depressionen aufgrund von Heimweh nach Kuba. Das Gericht wies die Klage ab, da keine Erwerbsunfähigkeit vorliege.
In der Berufung verwies der Kläger auf ein weiteres Gutachten, das eine nur dreistündige Leistungsfähigkeit bescheinigte. Das LSG folgte jedoch der Überzeugung des Sozialgerichts. Es sah keine Anzeichen für eine so schwere Kriegsbelastung, die die Erwerbsfähigkeit mindern könnte. Vielmehr stehe ein schweres Heimweh nach Kuba im Vordergrund, was aber keine Krankheit sei. Somit sei der Kläger noch zu leichten Arbeiten sechs Stunden täglich fähig. Die Berufung wurde zurückgewiesen.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 3 R 150/20 – Urteil vom 07.01.2021
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI).
Der 1962 geborene Kläger hat die deutsche und die kubanische Staatsangehörigkeit. Nach seinen Angaben arbeitete er vom 1. September 1982 bis zum 31. März 1984 in der Republik Kuba, seinem ursprünglichen Heimatland, in der Landwirtschaft. Er war von 1981 bis 1983 in Angola als Wehrdienstleistender der kubanischen Armee eingesetzt. Nachweise hierzu liegen dem Senat nicht vor. Nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestand seine Aufgabe darin, als Soldat der Infanterie von der russischen Artillerie eingenommene Gebiete auf Überlebende zu prüfen, die von dem Vorgesetzten des Klägers dann getötet worden seien. Der Kläger ist nach seinen Angaben nicht verletzt worden und hat keine positive Kenntnis, selbst anderen Verletzungen zugefügt zu haben. Der Kläger wurde während seines nachfolgenden Aufenthaltes in der ehemaligen DDR von April 1984 an als Werkzeugschleifer angelernt und arbeitete bis September 1991 in diesem Beruf. Vom 1. Januar 1992 bis zum 25. Mai 1993 absolvierte er eine aus Mitteln der Arbeitsförderung getragene Umschulung zum Heizungsinstallateur, die er nach seinen Angaben durch Unterstützung bei den Prüfungen erfolgreich abschloss. Er war in diesem Beruf bis zu seiner betriebsbedingten Kündigung mit Wirkung von Juli 1997 versicherungspflichtig beschäftigt und bezog in Anschluss daran Leistungen der Arbeitsförderung bzw. ab dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II). Am 7. September 2005 nahm der Kläger eine Tätigkeit als Hausmeistergehilfe auf, die er bis Juli 2006 im Rahmen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses und ab dem 1. Dezember 2011 im Rahmen einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung ausübte, vom 1. Januar 2014 bis zum 1. April 2015 im Umfang von 22 Monatsstunden.
Der Kläger stellte am 13. Mai 2009 seinen ersten Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung, der mit Bescheid der Beklagten vom 24. September 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Februar 2010 nach einem erfolglosen Klageverfahren bestandskräftig abgelehnt wurde. Er stellte am 17. Juni 2014 den Rentenantrag, der dem im Berufungsverfahren angefochtenen Bescheid zugrunde liegt. Im Verwaltungsverfahren wurde das von Dr. S. für die Agentur für Arbeit D. erstellte Gutachten nach Aktenlage vom 12. Juli 2014 beigezogen, in dem von einer vollständigen Leistungsunfähigkeit des Klägers ausgegangen wurde. In dem mit diesem Gutachten übersandten für die Agentur für Arbeit von der Dipl.-Psych. W. erstellten psychologischen Gutachten vom 2. Juli 2013 wird auf eine in den letzten Jahren schwierige berufliche Integration des Klägers verwiesen. Hinzugekommen seien körperliche Einschränkungen, die den Kläger in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit einschränkten und nur noch bestimmte Tätigkeiten zuließen. Im Rahmen der Vermittlung seien auch psychische Einschränkungen des Klägers deutlich geworden. Mit den auch im Alltag zu Beeinträchtigungen führenden Schmerzen seien erhebliche seelische Einschränkungen verknüpft. Der Kläger berichte über Flashbacks, die vermutlich auf ein Kriegstrauma zurückzuführen seien, das er als Jugendlicher bzw. junger Heranwachsender als Soldat in Angola erlebt habe. Eine therapeutische Aufarbeitung sei nie erfolgt. Psychologischerseits bestehe der Verdacht auf eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) mit depressiven Symptomen und Ängsten, wie Panikattacken mit körperlichen Symptomen, innerer Unruhe, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und lebensmüden Gedanken. Nach Angabe des Klägers hätten sich die Symptome in den letzten Jahren verschlimmert. Dies dürfte auch in den zunehmenden körperlichen Beschwerden, der langen Beschäftigungslosigkeit und der stetigen Sehnsucht nach Kuba, wo der Kläger immer noch stark verwurzelt sei, begründet sein. Aus psychologischer Sicht sei eine Psychotherapie, nach Möglichkeit auch eine spezielle Traumatherapie, dringend angezeigt. Zu einem stationären Aufenthalt sei der Kläger nicht bereit, auch weil er den familiären Rückhalt und seinen Nebenverdienst als stabilisierend empfinde.
Die Beklage holte das Gutachten von dem Nervenfacharzt Dipl.-Med. R. vom 14. Januar 2015 zu einer erforderlichen medizinischen Rehabilitation ein. In der ambulanten Untersuchung am 4. Dezember 2014 habe der Kläger über Probleme mit den Knochen und dem Rücken sowie Allergien mit Hautausschlägen, Asthma bronchiale und Heuschnupfen geklagt. Er befinde sich für eine nervenärztliche Behandlung auf einer Warteliste. Mit Ausnahme eines Laborwertes hätten sich keine Hinweise auf einen Alkoholmissbrauch oder eine Alkoholabhängigkeit gezeigt. Die Stimmungslage des Klägers müsse nach dem psychischen Befund als „depressiv resigniert“ bezeichnet werden. Der Mehrfachwortwahltest und der NEO-FFI-Test hätten wegen sprachlicher Barrieren abgebrochen werden müssen. Als Diagnosen lägen eine mittelgradige depressive Episode mit ausgeprägten neurotischen Anteilen, ein chronisches Lumbalsyndrom, ein chronisches Halswirbelsäulensyndrom, eine Gonarthrose, eine Coxarthrose, eine Polyarthrose, ein allergisches Asthma bronchiale bei allergischer Diathese und eine fragliche PTBS vor. Für die letztgenannte Diagnose ergäben sich kaum Anhaltspunkte; diese sei auf Grund des Kriegseinsatzes in Angola von 1981 bis 1983 jedoch nicht mit Sicherheit auszuschließen. In der Zusammenschau von Rücken- und Gelenkschmerzen, welche die körperliche Leistungsfähigkeit einschränkten, und psychischen Beschwerden im Zusammenhang mit dem depressiven Formenkreis, welche die psychische Belastbarkeit beträchtlich reduzierten, schließe er sich der sozialmedizinischen Beurteilung von Dr. S. insoweit an, dass gegenwärtig auch eine leichte körperliche Tätigkeit nur unter drei Stunden täglich und unter 15 Stunden pro Woche möglich sei. Dabei sollte auch die psychische Belastung gering sein. Zu vermeiden seien insbesondere Verantwortung für Personen oder Maschinen, Publikumsverkehr, die Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge und Zeitdruck. Erforderlich sei eine relativ langfristige stationäre Psychotherapie unter Einbeziehung einer körperlichen Konditionierung. Dazu sei der Kläger in keiner Weise motiviert. Zu berücksichtigen seien auch die bei dem Kläger vorhandenen sprachlichen Barrieren, die bei einer einfachen umgangssprachlichen Unterhaltung nicht sofort auffielen, sich aber in großen Problemen bei dem Lesen und Schreiben in deutscher Sprache äußerten. Der Kläger scheine seit circa 1997 eine depressive Entwicklung durchgemacht zu habe, die zu einer gewissen „Verfestigung praktisch nicht nützlicher Erlebnis- und Verhaltensweisen“ geführt habe. Von einer Leistungsminderung von unter drei Jahren könne vorerst nicht ausgegangen werden.
Im Übrigen holte die Beklagte das Gutachten von dem Facharzt für Orthopädie Dr. Si. vom 10. Mai 2015 ein, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 5. Mai 2015 erstattet wurde. Der Kläger habe über seit 1983 bestehende Rückenschmerzen mit Ausstrahlung in beide Beine mit zunehmenden Schulter-Nacken-Schmerzen geklagt. Später seien auch Schmerzen in beiden Kniegelenken hinzugetreten. Die Schmerzen seien belastungs-, nicht witterungsabhängig. Nachts habe er lageabhängige Schmerzen und Albträume. Die maximale Gehstrecke liege zwischen 500 und 1.000 m. Treppensteigen sei ihm kaum noch möglich. Der Kläger habe sich bei der Untersuchung in einem altersentsprechenden Allgemein- und Ernährungszustand (175 cm/93 kg) befunden und ein sicheres Gangbild gezeigt. Als Diagnosen lägen jeweils beidseits ein pseudoradikuläres Lumbalsyndrom, eine Retropatellararthrose, ein Impingementsyndrom, eine Depression und ein Zervikobrachialsyndrom vor. Eine Behandlung sei nach Angaben des Klägers in der davorliegenden Zeit nicht durchgeführt worden. Aus orthopädischer Sicht sei der Kläger vollschichtig für leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend sitzend ohne Hocken, Knien, Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten, Steigen auf Treppen, Leitern und Gerüste einsetzbar.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab. Bei dem Kläger liege ein Leistungsvermögen von sechs Stunden täglich für leichte Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen vor (Bescheid vom 3. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015).
Mit seiner am 21. Juli 2015 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er sei unter Berücksichtigung der Feststellungen durch die Bundesagentur für Arbeit nicht in der Lage, täglich mehr als drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.
Befragt zu einer psychologischen oder psychiatrischen Fachbehandlung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2015 mitgeteilt, sich zwar schon einmal um einen Termin bemüht, dies wegen der langen Wartezeiten indes aufgegeben zu haben.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte eingeholt. Die Fachärztin für Innere Medizin Dr. M. hat unter dem 28. Dezember 2015 mitgeteilt, von dem Kläger zweimal jährlich konsultiert zu werden. Es erfolge auf Grund der fehlenden Therapeuten in Dessau keine psychologische Behandlung. Sie habe die Therapie mit einem Antidepressivum eingeleitet. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 33 bis 37, 38 bis 42 und 43 bis 47 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Das Sozialgericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie St. vom 21. November 2016, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 9. November 2016 erstattet und mit Schreiben vom 7. Dezember 2016 in Bezug auf die Antwort zur Frage IV (Seite 23 des Gutachtens) berichtigt worden ist. Der Kläger habe angegeben, einen Führerschein zu haben. Das vorhandene Kfz werde von der Ehefrau für Fahrten zur Arbeit benötigt. Der Kläger habe von seinen Kriegserlebnissen in Angola berichtet, bei denen Kameraden gefallen und insbesondere durch Minen zerfetzt worden seien. Sich um den Krieg drehende Albträume habe er drei- bis viermal im Jahr. Er sei sieben- bis achtmal bei einem Diplompsychologen gewesen, dessen Namen er nicht angeben könne; wohl im Jahr 2015. Der Psychologe habe ihn zum Arbeitsamt zurückgeschickt, da er ihm nicht habe helfen können. Er stehe noch bei einer namentlich nicht zu benennenden Psychologin auf einer Warteliste. In psychiatrischer Behandlung habe er sich nie befunden. Seine Ehefrau habe nun für ihn einen Termin bei einem Psychiater in Dessau vereinbart, der im Januar 2017 stattfinden solle. Der Kläger gebe an, zeit seines Lebens immer Heimweh nach Kuba gehabt zu haben, wo er seit der Wende circa alle zwei bis drei Jahre Urlaub mache, zuletzt im Jahr 2015. Jedes Mal, wenn er aus Kuba nach Deutschland zurückmüsse, gehe es ihm schlecht. Er leide seit circa 2009 an Depressionen und habe das Ganze, auch die Erinnerung an die Kriegserlebnisse, bis dahin wohl unterdrückt. Grund für die Vermeidung eines Klinikaufenthaltes sei weniger seine geringfügige Beschäftigung als die Sorge, in einer Gruppe sprechen zu müssen. Der Kläger schildere zeitweilig auftretende aufsteigende Ängste, jedoch nicht vom Ausmaß klassischer/ausgeprägter Panikattacken. Er vermeide nach Möglichkeit Menschenansammlungen. Befragt zu seinem Alkoholkonsum habe der Kläger angegeben, ab mittags, zumeist aber abends, zwei bis drei Bier pro Tag zu trinken. Wenn ein Kumpel komme, könnten es auch vier bis sechs Bier und zusätzlich Rum werden. Zwei- bis dreimal im Monat trinke er dann, bis er „besoffen“ sei. Abhängig sei er jedoch nicht und kenne keine Entzugssymptome. Er habe im Übrigen wiederkehrende Kribbelmissempfindungen der Hände, insbesondere wenn er auf dem Sofa liege. Sein Hobby sei die Vogelzucht. Er halte 30 Vögel, u.a. Wellensittiche, Kanarienvögel und Kubafinken, in einer Voliere in der Garage bzw. Volieren. Zu seinem Tagesablauf befragt habe der Kläger angegeben, nach dem Frühstück seine Vögel zu versorgen, was auch schon einmal den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen könne, wenn er z.B. den Sand der Volieren (in Abschnitten) durchsiebe. Nach dem Mittagessen, das er nur selten selbst zubereite, kümmere er sich wieder um die Vögel und trinke auch schon mal ein Bier. Spaziergänge unternehme er nicht. Rad fahre er nur, wenn seine Enkel da seien. Bei der Untersuchung habe sich der Kläger in gepflegtem, kräftigem Allgemeinzustand und etwas übergewichtigem Ernährungszustand befunden. Die körperlichen Befunde seien im Wesentlichen unauffällig. Die Fortbewegung sei in der Praxis zügig und sicher gewesen. Während der länger dauernden Exploration habe die sitzende Position ohne erkennbare Beeinträchtigungen beibehalten werden können. Auch nach längerem Sitzen seien keine Anlaufprobleme erkennbar. Das An- und Auskleiden, Hinlegen und Aufrichten aus der liegenden Position sei ohne erkennbare schmerzbedingte Beeinträchtigung erfolgt. Im psychischen Befund sei die Stimmungslage weitgehend ausgeglichen, teils leicht ins Subdepressive abdriftend, emotional deutlich berührt und lacrimal bei Thematisierung der Kriegserlebnisse. Der Kläger fange sich jedoch schnell wieder. Außerhalb dieses Themas liege eine durchgängig ausgeglichene Stimmungslage ohne Einschränkung der aktiven Schwingungsfähigkeit vor. Der Kläger sei freundlich, aufheiterbar und humorvoll im Gespräch. Der Antrieb sei unbeeinträchtigt und psychomotorisch unauffällig erschienen. Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit seien auch während der länger andauernden Exploration in ausreichendem Maße vorhanden gewesen. Kurz- und Langzeitgedächtnis seien intakt. Die Intelligenz des Klägers liege vom klinischen Eindruck her im Durchschnittsbereich. Formales Denken und Wahrnehmung seien unauffällig. Es gebe keine Hinweise auf Persönlichkeitsstörungen oder hirnorganische Beeinträchtigungen. Der Kläger verfüge über gute Deutschkenntnisse, so dass sich nur ganz selten sprachliche Missverständnisse und Klärungsbedarf ergeben hätten. Bei dem Kläger lägen folgende Diagnosen vor:
- Anhaltende leichtgradige depressive Störung/Dysthymia.
- Verdacht auf Alkoholmissbrauch.
- Episodischer Spannungskopfschmerz.
- Blandes Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom ohne neurologische Ausfälle.
- Carpaltunnelsyndrom beidseits rechtsbetont.
Außerhalb des nervenärztlichen Fachgebiets lägen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Schultergelenkschmerzen, anamnestisch eine Schultergelenkarthrose, ein allergisches Asthma bronchiale und Heuschnupfen vor. Als im Vordergrund stehend beschreibe der Kläger eine depressive Symptomatik, die er in Zusammenhang bringe mit seinen Kriegserlebnissen in Angola während des zweijährigen Wehrdienstes für die kubanische Armee 1980 bis 1982 währenddessen er den Tod von Kameraden miterlebt habe. Der Kläger, der schließlich nach Ablauf des Kontraktes und Rückkehr nach Kuba auf Einladung seiner heutigen Ehefrau in die DDR zurückgekehrt sei, um dort mit ihr und seiner Tochter zu leben, schildere ein lebenslang anhaltendes Heimweh nach Kuba. Wenn er nach dem Urlaub nach Deutschland zurückmüsse, gehe es ihm jedes Mal schlecht. Dass er sich auf Grund seiner Familie mit zwei Kindern und zwei Enkeln nie dazu habe durchringen können, dauerhaft wieder nach Kuba zurückzukehren, sei sein eigentliches Dilemma, das wesentlich mitverantwortlich für die anhaltende leichtgradige depressive Symptomatik sein dürfte. Bezüglich der geschilderten Kriegserlebnisse lasse sich eine Traumafolgestörung im eigentlichen Sinne, z.B. in Form einer PTBS, nicht verifizieren. Auf Befragen gebe der Kläger an, nur drei- bis viermal im Jahr (!) [Hervorhebung durch den Sachverständigen] Albträume von den Kriegserlebnissen zu haben, wesentlich häufiger aber von anderen Dingen, z.B. seinen Eltern auf Kuba, zu träumen. Darüber hinaus lasse sich auch auf gezieltes Befragen keine Symptomatik eruieren, die mit den Kriegserlebnissen in Zusammenhang zu bringen wäre. Die aktenkundige Verdachtsdiagnose einer PTBS lasse sich demnach nicht bestätigen. Die emotionale Berührtheit bei Schilderung der Kriegserlebnisse sei normalpsychologisch nachvollziehbar und keinesfalls pathologisch. Die depressive Symptomatik sei diagnostisch am ehesten als anhaltende leichtgradige Depression/Dysthymia einzuordnen. Auf gezieltes Befragen werde keine Angstsymptomatik geschildert, welche die Diagnose einer eigenständigen Angsterkrankung rechtfertige. Auf Befragen gebe der Kläger Ängste, jedoch nicht vom Ausmaß von Panikattacken an. Auch ein agoraphobisches Vermeidungsverhalten lasse sich nicht eruieren. Zeichen einer Alkoholabhängigkeit, wie Entzugssymptome oder eine Tendenz zur Dosissteigerung, würden nicht beschrieben und ergäben sich auch aus dem allgemeinkörperlichen und neurologischen Befund nicht. In Bezug auf die Alltagstauglichkeit habe der Kläger die Haushaltsführung weitestgehend an seine Ehefrau delegiert und kümmere sich offenbar um sein Vogelzuchthobby. Anhaltspunkte für Simulation oder Aggravation ergäben sich nicht. Der Kläger sollte bei dem aus neurologisch-psychiatrisch-psychosomatischer Sicht eingeschränkten Leistungsvermögen in der Lage sein, körperlich leichte bis mittelschwere und geistig mittelschwierige Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung sowie überwiegend im Sitzen vollschichtig zu verrichten. Vermieden werden sollten Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, in Nachtschicht, mit Alkoholexposition, in Zwangshaltungen mit häufigem Bücken oder Gehen, häufigem Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel und unter ungünstigen Witterungsbedingungen (Nässe, Kälte, Zugluft). Der Kläger könne insbesondere noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Verrichtungen und Tätigkeiten, wie Zureichen, Abnehmen und Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen, ausüben. Die Gehfähigkeit des Klägers sei aus Sicht des Fachgebietes des Sachverständigen nicht eingeschränkt. Der Leistungseinschätzung in dem Vorgutachten von Dipl.-Med. R. sei nicht zu folgen, da in Bezug auf die Traumafolgestörung insbesondere die Steigerung der Symptomatik im Verlauf der Jahre dem bekannten Verlauf derartiger Störungen widerspreche, die sich mit zeitlicher Distanz in der Regel abschwächten. Die Empfehlung in dem Gutachten von Dipl.-Psych. W., den Kläger zu schonen und ihm auch sinnvolle Therapien nicht aufzunötigen, wirke im verhaltensmedizinischen Sinne symptomverstärkend. Die genannten Krankheiten und Gebrechen seien chronischer Natur und hätten bereits zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung bestanden. Die auf psychiatrisch-psychotherapeutisch-psychosomatischem Fachgebiet verfügbaren Therapiemaßnahmen seien in keiner Weise ausgeschöpft. Der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht geklärt.
Der Kläger hat mit seinem am 29. März 2018 bei dem Sozialgericht eingegangenen Schriftsatz vom 28. März 2018 den in einer Privatpraxis tätigen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit der Zusatzbezeichnung Gerontopsychiatrie und ehemaligen Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie am Fachklinikum B. Dr. E. als weiteren Sachverständigen vorgeschlagen, den das Sozialgericht nachfolgend zum gerichtlichen Sachverständigen bestellt hat. Dr. E. hat das Gutachten vom 4. März 2019 auf der Grundlage einer Untersuchung des Klägers in dessen Haus am 29. Juni 2018 mit Befragung der Ehefrau erstattet. Der Kläger beherrsche einen genügenden Wortschatz, um einfache Sachverhalte und alltägliche Probleme zu schildern. Komplexe Zusammenhänge habe er aber kaum erklären können. Es sei der Eindruck entstanden, dass dem Kläger ein tieferes Verständnis für psychologische Zusammenhänge fehle und ihm die intensive Beschäftigung mit solchen Themen auch gar nicht möglich sei, sei es aus Abwehr oder wegen kultureller Unterschiede, Letzteres also unabhängig von der Frage der Sprachbarriere. Der Kläger habe berichtet, nach einer schweren Kindheit mit vielen traumatischen Erlebnissen und erlebter physischer Gewalt durch den Großvater zurück in die Familie des Vaters gekommen zu sein, wo es ihm besser gegangen sei. Das Leiden im Wehrdienst habe mit der Schiffsüberfahrt mit Seekrankheit und Hunger begonnen. Er sei als Krieger im Busch in Angola „durch die Hölle gegangen“. Beim Minenlegen habe er Freunde verloren und sie seien bombardiert worden. Er könne sich noch immer an den Geruch von Leichen erinnern. Während dieser Schilderungen sei der Kläger zeitweise verstummt, habe Unruhe und vegetative Erscheinungen, wie verkrampfte, schweißige Hände, gezeigt. Schlimm sei auch der ständige Hunger bei nicht ausreichender Versorgung gewesen. Der Kläger habe während seiner Erinnerungen immer wieder zu weinen angefangen, was ihm unangenehm gewesen sei. Einmal habe er kurz den Raum verlassen. Die Erinnerungen beschäftigten ihn schon sein Leben lang. Wenn er im Fernsehen Kriegsbilder sehe, müsse er ausschalten; er halte das nicht aus. Insofern sei von dem Kläger typisches Vermeidungsverhalten berichtet worden. Die Ehefrau habe geschildert, dass der Kläger ungefähr drei- bis viermal in der Woche nachts ganz unruhig sei, während des Schlafes weine, spreche und wie weglaufen wolle. Die Beine des Klägers zuckten und er sei wie schweißgebadet. Sie wecke und beruhige ihn dann. Der Kläger habe mitgeteilt, seit seiner Ausreise nach Deutschland von Anbeginn an Heimweh gehabt zu haben. Seine Familie fehle ihm. Vielleicht gehe er nach Kuba, wenn beide das Rentenalter erreichten. In seiner Heimat gehe es ihm immer besser, weil dort seine Familie sei und es mehr Ablenkung von den schlimmen Erlebnissen gebe. Der Kläger habe mitgeteilt, nicht mehr arbeiten zu können, weil ihm die Knochen und die Gelenke wehtäten. Auch zu Hause sei er nicht über einen Zeitraum von mehr als drei Stunden täglich belastbar. Der Kläger habe mitgeteilt, im Wesentlichen zu warten, dass seine Ehefrau nach Hause komme, kaum spazieren zu gehen und kaum Freunde zu haben. Selten komme ´mal ein „Kumpel“ bei ihnen vorbei. Meistens sitze er einfach nur in seinem Zimmer. Alkohol, in der Woche einen bis zwei Kästen, benutze er als Stimmungsaufheller. Richtig depressiv sei er seit dem Tod seiner Stiefmutter sieben Jahre vor der Begutachtung geworden. Auch hierbei habe der Kläger zu weinen angefangen. Der Kläger sei während der gemeinsamen Erörterung von Zukunftsaussichten, Möglichkeiten zur Verbesserung seiner Stimmung und Handlungsalternativen pessimistisch gewesen. Dies sei nach Auffassung des Sachverständigen einerseits ein depressives Symptom an sich, andererseits Ausdruck einer persönlichkeitsbedingten Gefangenheit in der aktuellen Lebenslage. Im psychopathologischen Befund seien die kognitiven Fähigkeiten des Klägers in Aufmerksamkeit und Konzentration mäßig beeinträchtigt. Der Kläger habe deshalb während der neurologischen Testung mehrfach Flüchtigkeitsfehler gemacht. Es habe sich eine deutliche Einengung auf die Beschwerden gefunden. Eine leichte Verlangsamung und Umständlichkeit der Denkabläufe habe registriert werden können. Eine echte Auflockerung sei tatsächlich nur gelungen, wenn über die Erinnerungen des Klägers an seine Heimat Kuba gesprochen worden sei. Die Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen. Es bestünden häufige Einschlaf- und Durchschlafstörungen mit etwa zwei- bis viermal wöchentlichen Albträumen. Themen dieser Albträume, wie auch der „Flashback“-Eindrücke am Tage, seien meist Kriegserinnerungen. Die Gedanken des Klägers in Form von Schuldgefühlen wegen seiner ökonomischen Verhältnisse seien eher als adäquat anzusehen. In der somatischen Anamnese sei eine Schädigung der Wirbelsäule im Lenden- und Sakralbereich durch Verschleiß, der zu wechselnden, teils aber starken Schmerzen führe, zu berücksichtigen. Die Kniegelenke seien von Arthrose betroffen. Der Kläger nehme zweimal täglich zwei starke Schmerzmittel ein. Er leide unter Asthma bronchiale und Sodbrennen. In der Zusammenfassung und Beurteilung sei ein komplexes Leiden des Klägers zu berücksichtigen, der nie in Deutschland angekommen sei. Die Gesellschaft sei ihm in Deutschland immer fremd geblieben, besonders nach der Wende mit dem Verlust der Arbeit. Die psychischen Störungen seien über viele Jahre unbehandelt geblieben, was zur Chronifizierung geführt habe. Einige Behandlungsversuche seien erfolglos geblieben. Hierfür sei nicht die mangelnde Motivation des Klägers verantwortlich zu machen, da die Therapeuten diesem nach langen Wartezeiten mitgeteilt hätten, nicht die nötige Kompetenz für die Behandlung der spezifischen Störung zu haben. Oft sei der Kläger von vornherein abgewiesen worden. Im Übrigen würden die begrenzten Sprachkenntnisse des Klägers die Möglichkeiten einer psychotherapeutischen Beeinflussung seiner Störung erheblich einschränken. Der Kläger leide aus psychiatrischer Sicht an einem mäßiggradigen depressiven Syndrom, das sich rückblickend wohl seit mindestens zehn Jahren entwickelt habe. Die Kriterien einer PTBS seien sicher erfüllt. Man könne hier im Übrigen von einer andauernden Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung sprechen. Das unflexible und fehlangepasste Verhalten des Klägers wäre demnach Teil der Störung. Außerdem betreibe der Kläger Alkoholmissbrauch, der von ihm nicht als solcher erkannt werde. Ob der Kläger seine Beschwerden nun übertrieben dargestellt oder aggraviert haben könnte, könne er – der Sachverständige Dr. E. – nicht sicher beantworten. Sein Eindruck sei es aber gewesen, dass dies nicht so gewesen sei. Der Kläger habe während der Schilderung körperliche Reaktionen gezeigt, die so nicht hätten vorgetäuscht werden können. Es habe sich ein überzeugendes homogenes Bild ergeben. Im Zusammenwirken aller psychischen Störungen und Belastungen ergebe sich beim Kläger ein Unvermögen, noch drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auch in leichten Arbeiten im Gehen oder Sitzen, am besten im Wechsel von verschiedenen Körperhaltungen, nachzugehen. Nicht mehr möglich seien ihm Arbeiten mit einseitigen körperlichen Belastungen oder Zwangshaltungen sowie Arbeiten im Sinne der Frage 3 e) der Beweisanordnung. Hinsichtlich des Gebrauchs der Hände bestünden aus psychiatrischer Sicht keine Einschränkungen. Der Kläger könne keine Arbeiten, die seine Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und Ausdauer forderten, keine Arbeiten mit Publikumsverkehr, aber wahrscheinlich noch Arbeiten mit einfachen Anforderungen, die sein Verantwortungsbewusstsein erforderten, ausüben. Würde man vom Kläger eine Tätigkeit von sechs Stunden täglich verlangen, könne er die Anforderungen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfüllen, würde Fehler machen, unzuverlässig arbeiten, deshalb in Konflikte mit dem Arbeitgeber geraten und sich wahrscheinlich nach kurzer Zeit arbeitsunfähig melden. Es sei auch wahrscheinlich, dass in der Folge seine Depression in ihrer Ausprägung schwerer werde. Zumindest aus psychiatrischer Sicht sei die Gehfähigkeit des Klägers nicht eingeschränkt. Er könne auch öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Nach den gut nachvollziehbaren und plausiblen Schilderungen des Klägers hätten die vorgenannten Störungen mindestens seit Juni 2014 durchgehend bestanden und bestünden wahrscheinlich auf Dauer. Verantwortlich sei insoweit u.a. die besondere Lebenssituation des Klägers. Einer Therapie, selbst unter Hinzuziehung eines Dolmetschers, würden keine besseren Erfolgs-aussichten eingeräumt. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen St. werde in vielerlei Hinsicht dem Kläger nicht gerecht, weil Symptome unterbewertet, ignoriert, falsch dargestellt oder in falsche Zusammenhänge gesetzt worden seien.
Zu den Einwendungen des Prüf-/Gutachterarztes N. vom 15. April 2019 und 6. Februar 2020 wird auf Blatt 206 bis 207 und 233 Bd. II der Gerichtsakten verwiesen.
Dr. E. hat nach Zugang der von ihm erneut angeforderten Akten am 10. Juni 2019 in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 4. Januar 2020, zu der auf Blatt 221 bis 225 der Gerichtsakten Bezug genommen wird, an seiner Leistungseinschätzung festgehalten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Kläger sei weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Er sei zur Überzeugung des Gerichts seit der Rentenantragstellung in der Lage, Arbeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich sechs Stunden und mehr zu verrichten. Dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers werde durch die sozialmedizinisch benannten qualitativen Beschränkungen hinreichend Rechnung getragen. Die Kammer folge den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen St. in seinem Gutachten vom 21. November 2016. Demgegenüber hätten die Gutachten von Dipl.-Med. R. und Dr. E. die Kammer nicht zu überzeugen vermocht. Es werde der Eindruck gewonnen, dass der inzwischen gutachtenerfahrene Kläger, vielleicht unbewusst, sein Narrativ zunehmend den Voraussetzungen für eine Rentengewährung anpasse. Begutachtungsablauf und in dem Gutachten wiedergegebene Angaben des Klägers zum Verhalten des Vorgutachters und der Kammervorsitzenden lösten Erstaunen aus und seien in Bezug auf die behaupteten Äußerungen der Kammervorsitzenden unzutreffend. Die medizinischen Voraussetzungen einer PTBS blieben unter Berücksichtigung von Biografie und Schilderungen des Klägers schwer nachvollziehbar. Unabhängig von der auf dem vollständig bebauten Grundstück zumindest möglichen Vogelzucht bestätige der Schrein das Heimweh des Klägers nach Kuba, welches schon der Sachverständige St. als zentralen Gesichtspunkt betont habe.
Der Kläger hat gegen das ihm am 17. Juni 2020 zugestellte Urteil am 9. Juli 2020 Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt. Zur Begründung seines Rechtsmittels hat er sein Vorbringen aus der ersten Instanz wiederholt und vertieft. Das Gutachten von Dr. E. sei schlüssig und nachvollziehbar und maßgebend für die Feststellung eines Leistungsvermögens von täglich unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 9. Juni 2020 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Juni 2014 Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie hat darauf hingewiesen, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit letztmalig am 31. Oktober 2020 erfüllt seien und auf den Versicherungsverlauf vom 29. Dezember 2020 verwiesen.
Zu dem vom Senat bei der Hausärztin des Klägers abgeforderten Befundbericht nebst Anlagen wird auf Blatt 285 bis 303 Bd. II der Gerichtsakten verwiesen. In psychiatrischer Behandlung befindet sich der Kläger nach seinen Angaben weiterhin nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 3. Februar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Versicherte sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, bzw. nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI voll erwerbsgemindert, wenn sie unter diesen Bedingungen außerstande sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert im Sinne der vorgenannten Regelung. Er kann zumindest noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung oder bei überwiegendem Sitzen mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Nicht zumutbar sind dem Kläger Arbeiten unter Zeitdruck, im Akkord, am Fließband, in Nachtschicht, mit Alkoholexposition, in Zwangshaltungen mit häufigem Bücken oder Gehen, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel, dem Besteigen von Treppen, Leitern oder Gerüsten und Arbeiten unter ungünstigen Witterungsbedingungen.
Das Sozialgericht hat in nicht zu beanstandender Weise in der angefochtenen Entscheidung auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen St. vom 21. November 2016 abgestellt, der ein über das vorgenannte Leistungsbild hinausgehendes körperliches und geistiges Leistungsvermögen des Klägers angenommen hat. Ausgehend von den weit in der Vergangenheit liegenden von dem Kläger angegebenen schädigenden Umständen hält der Senat das Gutachten auch für ausreichend aktuell. Wesentliche Änderungen in Krankheitsverlauf oder -behandlung sind weder den Akten zu entnehmen noch vorgetragen worden. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen St. legt überzeugend dar, dass nicht von einer schweren PTBS auszugehen ist, die Grundlage einer quantitativen Leistungsminderung des Klägers sein könnte. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, dass dem Senat keine Nachweise über Wehrdienst, Einsatzort, militärische Verwendung etc. vorliegen. Der Senat hält die Würdigung des gerichtlichen Sachverständigen St. für schlüssig, da der Kläger eine besondere Belastung erstmals im Kontext einer Heranziehung zu einer Tätigkeit auf dem zweiten Arbeitsmarkt durch die Agentur für Arbeit hervorgehoben hat. Eine so einschneidende Belastung, die den Kläger zu der Inanspruchnahme von Hilfe veranlasst hätte, ist nicht dokumentiert. Der Senat sieht auch keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass der Belastung durch Kriegserlebnisse zumindest gleichwertig ein schweres Heimweh gegenübersteht, das nicht von einem die Heimkehr nach Kuba begünstigenden Rentenwunsch losgelöst werden kann. In diesem Zusammenhang wird ein durch eine familiäre und soziale Verwurzelung begründetes Heimweh, das bei Rückkehr in das Heimatland entfiele, nur fraglich eine Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 bzw. Abs. 2 Satz 2 SGB VI darstellen können. Zumindest ist die Belastung des Klägers durch seine soziale Einbettung in die in Deutschland lebende Familie nicht in der Weise ausgeprägt, dass es rechtserheblich auf diese Frage ankäme. Den Gesichtspunkt des im Belastungsgeschehen dominanten Heimwehs hob bereits Dipl.-Psych. W. in ihrem Gutachten hervor und verwies gleichzeitig auf die Notwendigkeit, die damals noch in geringfügigem Umfang ausgeübte Beschäftigung des Klägers auf dem ersten Arbeitsmarkt zu erhalten. Eine nachvollziehbare Begründung für die Abgrenzung zwischen einer förderlichen geringfügigen und einer zu Lasten der Gesundheit gehenden Beschäftigung von sechs Stunden und mehr täglich lässt sich diesem Gutachten ebenso wenig wie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dipl.-Med. R. vom 15. Januar 2015 entnehmen. Der Kläger selbst hat gegenüber Dr. E. angegeben, es gehe ihm u.a. bei mehr Ablenkung besser. Die von Dr. E. erwarteten Mängel einer über sechs Stunden andauernden Arbeitsleistung des Klägers sind auch vor diesem Hintergrund nicht überzeugend, zumal vom Senat nur geistig einfache Arbeiten für zumutbar erachtet werden.
Das erst mehr als acht Monate nach der Untersuchung des Klägers abgefasste Gutachten von Dr. E., das vom Sozialgericht eingeholt worden ist, um den Gesichtspunkt einer möglichen PTBS des Klägers besonders zu beleuchten, genügt den Anforderungen nicht. Eine besondere Fachkompetenz für diese Erkrankung ist vor dem Hintergrund der langjährigen Tätigkeit und Spezialisierung des Gutachters im Bereich der Gerontopsychiatrie sowie -psychotherapie nicht gegeben. Im Übrigen hätte er bei der für ihn unzureichenden Kommunikationsmöglichkeit mit dem Kläger in deutscher Sprache die Hinzuziehung eines Dolmetschers bei dem Gericht anregen müssen. Indes gelingt Dr. E. in seinem Gutachten dennoch eine differenzierte Betrachtung der psychischen Belastungen des Klägers in deren Zuordnung einerseits zu einer depressiven Erkrankung und andererseits zur aktuellen Lebenslage. In dem Gutachten fehlt in der Schlussfolgerung insoweit dann die diesbezügliche Abgrenzung, die für die rentenrelevante Einschätzung der Leistungsfähigkeit maßgebend ist. Insbesondere in Bezug auf die Umdeutung der Angaben des Klägers zu der nicht betriebenen Therapie in eine – bei langjähriger und intensiver Suche so nicht mögliche – Behandlungsverweigerung durch verschiedene Therapeuten kommt zum Ausdruck, dass eine einseitige und kritiklose Gewichtung der Angaben des Klägers und dessen Ehefrau nicht hinreichend ausgeschlossen werden kann. Hierfür spricht im Übrigen, dass Dr. E. erkennbar unberücksichtigt gelassen hat, dass der Kläger gegenüber mehreren Vorgutachtern zum Ausdruck gebracht hat, bereits eine mögliche Therapie in Gruppen schließe eine stationäre Therapie von vornherein aus.
In Bezug auf die Erkrankungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet haben sich keine Funktionsstörungen ermitteln lassen, die wesentlichen Einfluss auf das quantitative Leistungsvermögen des Klägers in körperlich leichten bis mittelschweren Arbeiten haben könnten. Solche Funktionsstörungen sind insbesondere in dem orthopädischen Gutachten von Dr. Si. vom 10. Mai 2015 nicht dokumentiert. Für eine nach dieser Begutachtung eingetretene wesentliche Verschlechterung der körperlichen Befunde des Klägers sind keine Anhaltspunkte zu erkennen.
Bei dem Kläger bestehen keine Anknüpfungspunkte an die Kasuistik zu einer Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes (vgl. Beschluss des Großen Senats [GS] des Bundessozialgerichts [BSG] vom 19. Dezember 1996 – GS 2/95 -, BSGE 80, 24, 33 f., und zur Anwendung dieser Rechtsprechung auf die aktuelle Rechtslage BSG, Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R -, juris, RdNr. 22ff.). In diesem Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, dass der Kläger gegebenenfalls auf Grund von Defiziten in der deutschen Sprache besonderen Vermittlungshemmnissen gegenübersteht (vgl. BSG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – B 5 RJ 64/02 R -, RdNr. 28; BSG, Urteil vom 15. Mai 1991 – 5 RJ 92/89 -, juris, RdNr. 14).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.