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Rente wegen voller Erwerbsminderung – Voraussetzungen

Komplexe Anforderungen der Erwerbsminderungsrente

In einer rechtlichen Auseinandersetzung wurden die Voraussetzungen für eine Rente wegen voller Erwerbsminderung verhandelt. Der Kläger hatte eine Reihe von körperlichen und geistigen Einschränkungen, die seine Arbeitsfähigkeit beeinträchtigten. Doch die Annahme seiner Einschränkungen und die Bewertung seiner Leistungsfähigkeit standen im Mittelpunkt der Diskussion.

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Die medizinische Beurteilung und ihre Komplexität

Die medizinischen Gutachter fanden beim Kläger eine Reihe von gesundheitlichen Einschränkungen. Dazu zählten unter anderem ein leichter Hirndefekt, ein verschwommenes Sehen auf dem rechten Auge, ein beidseitiger Tinnitus, leichte Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen und subjektiv empfundene Konzentrationsschwächen. Die Experten meinten, dass der Kläger trotz dieser Beeinträchtigungen in der Lage sein sollte, mittelschwere körperliche Arbeiten für sechs Stunden täglich auszuüben, sofern die üblichen Ruhezeiten eingehalten würden. Einige spezifische Tätigkeiten, wie Arbeiten in Höhen oder unter Lärmbelastung, wurden jedoch nicht empfohlen.

Die juristischen Aspekte der Erwerbsminderungsrente

Laut Sozialgesetzbuch (SGB) VI haben Personen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie aufgrund von Krankheit oder Behinderung nicht mehr in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Hierfür müssen sie in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre lang Pflichtbeiträge gezahlt haben und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Im Fall des Klägers wurde diskutiert, ob seine Beschwerden diese Voraussetzungen erfüllen.

Die Diskrepanz zwischen subjektiver und objektiver Darstellung

Ein kritischer Punkt in diesem Fall war die Diskrepanz zwischen der subjektiven Darstellung des Klägers und seiner tatsächlichen Leistungsfähigkeit. Trotz der genannten gesundheitlichen Einschränkungen konnte der Kläger offenbar bestimmte Tätigkeiten ausführen, die eine hohe Verantwortung erfordern, wie beispielsweise den sicheren Umgang mit Waffen. Dies stand im Widerspruch zu seiner dargestellten Höhenangst und schnellen Ermüdbarkeit. Das Gericht führte aus, dass eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht als Ausgleichsfunktion für ein schweres Unfallereignis gedacht sei.


Das vorliegende Urteil

Die Rolle des allgemeinen Arbeitsmarktes

Die Kasuistik, also die Sammlung von Fallbeispielen, zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes wurde in diesem Fall ebenfalls behandelt. Hierbei ging es um die Frage, ob der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nur noch körperlich mittelschwere Arbeiten verrichten kann und somit der allgemeine Arbeitsmarkt für ihn verschlossen sei.2

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 3 R 226/19 – Urteil vom 08.12.2020

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Juli 2019 aufgehoben und die Klage auch im Übrigen abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander Kosten in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI) für die Zeit vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2021.

Der 1984 geborene Kläger, der aus einer Familie im Dachdeckerhandwerk stammt, legte im Juli 2004 die Gesellenprüfung in diesem Handwerk ab. Nach der Ausbildung wechselten sich Beschäftigungsverhältnisse von kurzer Dauer, u.a. als Tierpfleger beim Gut K. und Dachdecker, mit gemeldeten Zeiten der Arbeitslosigkeit ab. Ab dem 1. April 2008 nahm der Kläger eine Berufsausbildung zum Berufsjäger bei einem Forstgut auf, die während der Probezeit am 9. Mai 2008 endete. Vom 1. bis zum 18. Juli 2008 war er als Monteur von Lichtkuppeln versicherungspflichtig beschäftigt. Zum 22. Juli 2008 wurde von Seiten eines Dachdeckerbetriebes aus dem Nachbardorf die Aufnahme einer Beschäftigung durch den Kläger als Dachdecker gemeldet. Der Kläger erlitt am Tag der Aufnahme der Beschäftigung, nach anderen Angaben am zweiten Tag der Beschäftigung, bei einem von der zuständigen Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG Bau) anerkannten Arbeitsunfall ein offenes Schädelhirntrauma mit einer Kalottenimpressionsfraktur und Frakturen des Jochbeins, der Orbitalhinterwand und des rechten Felsenbeins.

Auf Grund der Unfallfolgen bezieht der Kläger Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen. Er stand von Oktober bis Dezember 2011 in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis und seit dem Jahr 2012 in versicherungspflichtigen Saisonbeschäftigungsverhältnissen als landwirtschaftlicher Mitarbeiter bei einem Saatgutbetrieb (von April bis November 2012, April bis November 2013, Mai bis Dezember 2014, April bis November 2015, Juni bis November 2016 und Februar bis Juli 2017, nach Angaben des Klägers „nie mehr als 3-6 h täglich“). In den übrigen Zeiträumen bezog er Arbeitslosengeld. Nach dem Arbeitsvertrag vom 7. Juli 2017 wurde der Kläger ab dem 17. Juli 2017 als Aushilfskraft bei einem Saatgutbetrieb „auf Abruf“ mit einem Bruttostundenlohn von 14,52 € beschäftigt. Aus dem Versicherungsverlauf vom 1. Dezember 2020 ergibt sich daneben seit dem 1. März 2018 ein weiteres geringfügiges Beschäftigungsverhältnis. Hierzu hat der Kläger die Beschäftigung bei der Lebenshilfe angegeben, die darin bestehe, in Nachtschicht zwei bis drei Nächte im Monat von 21.45 Uhr abends bis 7.45 Uhr morgens in einem Heim für Menschen mit Behinderungen aufzupassen. Die Arbeit werde im Wesentlichen im Sitzen ohne besondere Aufgaben verrichtet und ende morgens regelmäßig mit dem Kaffee Kochen für das Frühstück der Heimbewohner.

Auf den Antrag des Klägers vom 15. November 2013 stellte das Landesverwaltungsamt bei dem Kläger ab Antragstellung einen Grad der Behinderung von 20 fest. Der Kläger begründete seinen Antrag dort wie folgt: „Den Antrag stelle ich deshalb [,] weil mein damaliger Arbeitsunfall sehr Dolle war, ich im Koma lag und sehr viel Glück hatte [,] dies zu überleben. Außerdem wurde ich von der Agentur für Arbeit hingewiesen [,] einen Antrag für Schwerbehinderung zu stellen.“

Auf den ersten Antrag des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung vom 15. Februar 2011 holte die Beklagte das Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. T. vom 9. Juni 2011 ein, der den Kläger für in leichten bis mittelschweren körperlichen Arbeiten sechs Stunden und mehr täglich einsetzbar hielt. Die vor dem Sozialgericht Magdeburg gegen die Ablehnung des Rentenantrages mit Bescheid vom 31. Mai 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. September 2011 geführte Klage (S 42 R 1413/11) blieb nach Ausschöpfung des Instanzenzuges erfolglos (Urteil des erkennenden Senats des Landessozialgerichts [LSG] Sachsen-Anhalt vom 29. Dezember 2016 – L 3 R 173/14 -, Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 22. März 2017 – B 13 R 173/14 -).

Im Rahmen des ersten Rechtsstreits beauftragte das Sozialgericht den Direktor der Klinik für Neurologie an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken H., Privat-Dozent Dr. med. habil. W. (im Folgenden: Dr. W.), mit der Erstellung eines neurologischen Sachverständigengutachtens. In dem radiologischen Zusatzgutachten von Dr. B., Direktor der Klinik für bildgebende Diagnostik und Interventionsradiologie an derselben Einrichtung, vom 20. Juli 2012 sind auf Grund der dort durchgeführten Kernspintomographie des Schädels des Klägers eine posttraumatische residuale Läsion und eine minimale Fremdkörperinkorporation beschrieben. Es bestünden regressiv degenerative Veränderungen. Dr. W. stellte in seinem Gutachten vom 30. Januar 2013 einen leichtgradigen Hirndefekt bei dem Kläger fest. Als Einschränkungen seien ein Verschwommensehen rechts, ein Tinnitus beidseits, eine leichtgradige Störung des Gleichgewichtssinns, subjektiv empfundene Konzentrationsstörungen in der Daueraufmerksamkeit, eine schnelle Ermüdbarkeit und regelmäßig auftretende drückende Kopfschmerzen zu berücksichtigen. Eine Konzentrationsschwäche und eine schnelle Ermüdbarkeit hätten im Rahmen der Begutachtung nicht sicher gefunden werden können, könnten aber weitergehende Beeinträchtigungen darstellen, die bei einem längeren Einsatz zu berücksichtigen seien. Eine mittelschwere körperliche Tätigkeit sei dem Kläger bei Einhaltung der üblichen Ruhezeiten sechs Stunden täglich möglich. Nicht zu empfehlen seien Arbeiten im Akkord, am Fließband, mit individueller oder mehr als einfacher Verantwortung oder geistiger Beanspruchung, Arbeiten an Maschinen mit besonderer Verletzungsgefahr, auf Leitern und Gerüsten, mit Anforderungen an die volle Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane sowie Arbeiten mit Lärmbelastung. Diese Einschränkungen ergäben sich aus der leichten Störung des Gleichgewichtssinns mit Angabe von Schwindel, insbesondere bei schnellem Lagewechsel, der Visusminderung rechtseitig, dem Tinnitus, den geklagten Kopfschmerzen, der Konzentrationsstörung und der raschen Ermüdbarkeit. Der Kläger sei mit dem verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb gut einsetzbar. Der Zustand habe sich seit dem Unfall zunehmend verbessert. Es sei auch davon auszugehen, dass der nun beschriebene Zustand nicht dauerhafter Natur sei. Die von dem Kläger angegebenen Beschwerden könnten durch ein neuropsychologisches Zusatzgutachten geklärt werden. Weitere Untersuchungen oder Begutachtungen seien nicht notwendig.

Das Sozialgericht holte in dem vorgenannten Rechtsstreit im Übrigen das nervenärztliche Gutachten von dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie H. vom 1. Juli 2013 ein, der den Kläger am 28. Mai 2013 ambulant untersuchte. Der Kläger sei selbst mit dem Pkw angereist und gehe zur Jagd. Es bestünden bei ihm leichte Gesichtsfeldeinschränkungen. Als Diagnose bestehe eine chronische posttraumatische Belastungsstörung mit einer Persönlichkeitsänderung. Diese habe erheblichen Krankheitswert und sei dauerhafter Natur. Die Konzentrations- und Merkfähigkeit des Klägers seien gemindert, sodass von einer Einsatzfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich für die nächsten zwei bis fünf Jahre auszugehen sei. Er, der Sachverständige, sei der Meinung, dass die Beklagte hier für die von dem Kläger dringend gewünschte Berufsfindung/Umschulung weiter in die Pflicht genommen werden solle.

Im Rahmen des Berufungsverfahrens L 3 R 173/14 wurde das Gutachten von dem Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum M. Prof. Dr. J. vom 15. März 2016 eingeholt. Dem neuropsychologischen Zusatzgutachten von Diplom-Psychologin Dr. M. vom 17. Februar 2016 ist zu entnehmen, bei dem Kläger sei nicht von einer Aggravation oder Simulation auszugehen. Er verfüge über eine im unteren Durchschnittsbereich liegende prämorbide intellektuelle Befähigung im verbalen und eine durchschnittliche intellektuelle Befähigung im logisch-abstrakten Bereich. Prof. Dr. J. untersuchte den Kläger am 10. Februar 2016 ambulant und führte in seinem Gutachten aus, aus psychiatrischer Sicht liege bei dem Kläger ein posttraumatisches hirnorganisches Psychosyndrom mit Persönlichkeits- und Wesensveränderungen vor. Eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe bei ihm nicht. Es sei von einem Leistungsvermögen von „drei bis maximal sechs Stunden täglich“ auszugehen. Die weitere Entwicklung sei nicht genau einschätzbar. Für die Zeit seit dem Arbeitsunfall sei von einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit auszugehen. Der Sachverhalt sei in medizinischer Hinsicht geklärt. In seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18. Juli 2016 hielt Prof. Dr. J. an seiner Leistungseinschätzung fest. Es sei unverändert von einer Leistungsfähigkeit des Klägers „im Bereich von drei bis sechs Stunden“ auszugehen.

Die BG Bau ermittelte über die Zusammenhangsfrage weiter durch Einholung des neurologischen Gutachtens von Dr. W. vom 5. Oktober 2017, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 14. August 2017 mit dem Facharzt für Neurologie Dr. U. erstattet wurde. Der Kläger habe angegeben, dass ihm häufig schwindelig sei, z.B. bei einem Lagewechsel im Bett, nicht aber beim Autofahren. Er fühle sich auch durch einen Tinnitus mit einem hohen Pfeifton sehr beeinträchtigt. Er leide gelegentlich unter Konzentrationsstörungen, die sich z.B. durch „Aussetzer beim Erzählen“ zeigten. Gelegentlich fielen ihm Worte nicht ein, ohne dass er dies näher beschreiben könne. Es bestehe eine chronische Müdigkeit (wobei der Kläger bei diesen Worten „prompt“ gegähnt habe) und er müsse sich oft hinlegen. Seit dem Unfall bestehe eine Höhenangst. Zwei- bis dreimal im Monat träten Kopfschmerzen auf, die sich als Druckgefühl mit einer Stärke von maximal 5 von 10 auf der visuellen Analogskala äußerten. Die Beschwerden bestünden seit dem Unfall im Juli 2008 ohne wesentliche Änderungen. An Medikamenten nehme er nur bei Auftreten der Kopfschmerzen Kopfschmerztabletten ein. Er sei im Besitz eines Führerscheins und eines Pkw. Zu seinem Hobby des Jagens habe der Kläger angegeben, er jage im Winter bis zu zweimal pro Woche, im Sommer etwas seltener. Meist werde früh morgens vor Sonnenaufgang oder abends vor Sonnenuntergang gejagt. Er bilde einen Hund zum Jagdhund aus. Die neurologische Begutachtung habe Hinweise auf ein allenfalls leichtes organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma zehn Jahre zuvor ergeben. Morphologisch lasse sich in der Magnetresonanztomografie ein Substanzdefekt im rechten Schläfenlappen darstelle. Es sei eine adäquate zeitnahe Rehabilitation erfolgt, bei der relevante neuropsychologische Defizite nicht hätten festgestellt werden können. Die Folgen des Hirntraumas könnten nicht schwergradig sein, da der Kläger problemlos einen Pkw führen und sich zumindest lange genug konzentrieren könne, um zu jagen. In der aktuellen gutachterlichen Situation hätten sich Hinweise auf eine Symptomaggravation gefunden, wobei dies nicht mit Simulation verwechselt werden sollte. Die genaue Einschätzung falle nach zehn Jahren eher schwer; wie ein roter Faden zögen sich aber die eher diffusen Symptome durch die verschiedenen medizinischen Berichte und Gutachten durch die Akten. Aus Sicht des Gutachters stünde auch einer mehr als sechsstündigen beruflichen Tätigkeit des Klägers aus neurologischer Sicht nichts im Wege. Die von dem Kläger angegebene Höhenangst sei aus Sicht des Gutachters nicht plausibel. Allein das Fehlen des subjektiven Erlebens durch die unfallbedingte Amnesie des Klägers mache die Entwicklung einer spezifischen Höhenphobie unwahrscheinlich. Der von dem Kläger angegebene Schwindel lasse sich zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht mit manifesten klinischen Befunden stützen. Eine weitere Änderung der Befunde sei nicht zu erwarten. Auf neurologischem Gebiet werde eine MdE von 15 v.H. auf Dauer empfohlen. Zumindest auf neurologischem Gebiet sei keine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu erkennen. Die BG Bau holte weiter das Gutachten von dem Chefarzt der Klinik für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Klinikum M. Dr. K. vom 30. Oktober 2017 ein, der auf seinem Fachgebiet bei dem Kläger, ausgehend von einer mittel- bis hochgradigen Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers von 10 v.H. einschätzte. Die Versorgung des Ohres mit einem Hörgerät sei indiziert. Zu dem Gutachten des Direktors der Universitätsklinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Prof. Dr. E. vom 22. Februar 2018 wird auf Blatt L 264/1 von 7, Seite 761 bis 767 von 1373, zu dem Gutachten des Facharztes für HNO-Heilkunde Privat-Dozent Dr. Kh. vom 18. Juli 2019 auf Blatt L 280/1 von 7, Seite 788 bis 794 von 1373 der Verwaltungsakte der BG Bau verwiesen. Mit Bescheid vom 1. August 2019 stellte die BG Bau bei dem Kläger seit dem 1. Januar 2012 (Beginn des nicht verjährten Zeitraumes) eine MdE von 20 v.H. bei Gesundheitsstörungen durch ein leichtes organisches Psychosyndrom, eine linksseitige Hörminderung mit kompensiertem Tinnitus, Gefühlsstörungen im Gesichtsbereich nach offenem Schädelbruch mit Hirnblutungen, Brüchen der Augenhöhle und des rechten Joch- und Felsenbeines fest.

Der Kläger beantragte am 6. September 2017 bei der Beklagten erneut die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog die Unterlagen aus dem ersten Rentenverfahren bei und holte einen Befundbericht von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. F. vom 25. September 2017 ein. Daraufhin lehnte sie auch den zweiten Rentenantrag ab. Bei dem Kläger liege ein Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen vor (Bescheid vom 3. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2018).

Mit seiner am 26. März 2018 vor dem Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er könne keine Tätigkeiten sechs Stunden täglich unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben. Prof. Dr. J. habe tatsächlich in seinem Gutachten ein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich festgestellt und dies nur etwas unglücklich formuliert.

Von den Ärzten, bei denen das Sozialgericht auf die Mitteilung einer ambulanten Behandlung durch den Kläger Befundberichte abgefordert hat, hat nur Dr. F. unter dem 28. September 2018 eine aktuelle Behandlung des Klägers bestätigt. Er schätze ein, dass der Kläger im mittelschweren bis schweren Arbeiten vollschichtig arbeiten könne. Er denke, dass der Kläger unter einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten gegenüber Höhe leide und darum alles versuche, solche Arbeiten nicht durchzuführen. Eine Therapie dieses Verhaltens erscheine ihm nicht erfolgsversprechend. Weiterhin könne das Arbeiten an schnell rotierenden Maschinen und unter besonderem Zeitdruck den Kläger überfordern. Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 40 bis 41, 42 bis 44, 45 und 46 Bd. I der Gerichtsakten Bezug genommen.

Das Sozialgericht hat sodann Beweis erhoben durch Einholung des Gutachtens von dem Chefarzt der Klinik für Neurologie und Schlafmedizin am Fachklinikum U. Dr. B. vom 20. Mai 2019, das auf der Grundlage der ambulanten Untersuchung des Klägers am 12. März 2019 und einer testpsychologischen Untersuchung der Psychologische Psychotherapeutin D. vom 2. Mai 2019 erstellt worden ist. Die Sprache des Klägers sei dezent lallend. Es sei eine durchschnittliche intellektuelle Befähigung mit einer weit unterdurchschnittlichen Konzentration festzustellen gewesen. Zum Tagesablauf des Klägers ist Folgendes angegeben: „Herr D. stehe zwischen 7.30 und 8 Uhr auf, frühstücke mit den Kindern, die Kinder werden abwechselnd von ihm oder seiner Lebensgefährtin zur Kindereinrichtung gebracht. Herr D. fahre die Kinder in der Regel mit dem Pkw zur Kindereinrichtung. Dann gehe er mit dem Hund raus und beschäftige sich im Haushalt. Herr D. benötige nach bestimmten Tätigkeiten dann aber auch Ruhe. In der Regel versuche er aber am Tag nochmals mit dem Hund rauszugehen. Er fahre dann mit dem Fahrrad in den Wald. Herr D. gehe auch im Monat zwei- bis dreimal für maximal drei Stunden zur Jagd. Mit anderen betreue er ein Revier […]“. Als „Hobby“ sei von dem Kläger die Jagd genannt worden. Als Hauptbeschwerden habe er mitgeteilt, die Konzentration bereite ihm bei längerer Tätigkeit Mühe. Er benötige dann Pausen. Weiterhin habe er einen Dauer-Tinnitus, mit dem er in der Regel zurechtkomme. Bei Anspannungen erlebe er diesen aber als belastend. Dann komme es bei schnellem Lagerungswechsel zu „diffusen Gleichgewichtsstörungen“, die circa fünf bis höchstens 20 Sekunden anhielten. Weiter bestünden bei ihm die Höhenängste weiter fort, sodass er keine Tätigkeiten auf Leitern oder in der Höhe ausübe. Kopfschmerzen habe er eher selten. Bei der Fahrt zur Begutachtung habe er sich mit seiner Lebensgefährtin abgewechselt, da er selbst nicht so lange unbekannte Strecken mit dem Auto fahre. Bei dem Kläger lägen folgende Diagnosen vor:

Posttraumatisches hirnorganisches Psychosyndrom und zentrale Gleichgewichtsstörungen nach Schädel-Hirn-Trauma mit hirnstrukturellen Veränderungen.

  • Spezifische Phobien (Höhenangst, Agoraphobie).
  • Innenohrschwerhörigkeit rechts.
  • Tinnitus aurium.

Von Seiten des neuropsychiatrischen Fachgebietes lägen bei dem Kläger ein hirnorganisches Psychosyndrom mit leichten kognitiven Störungen und Persönlichkeitsveränderungen und eine spezifische Phobie vor. Der Kläger könne bei diesen Gesundheitsstörungen nur noch leichte körperliche Tätigkeiten vorrangig im Sitzen, zeitweilig im Gehen und Stehen, weiter ausüben. Er könne keine Tätigkeiten ausüben, die mit Gerüst- und Leiterarbeiten und mit häufigem Bewegungswechsel verbunden seien. Die Tätigkeiten sollten auf Grund der Einschränkung in der psychomentalen Belastungsfähigkeit nicht mit einer Lärmbelästigung oder stärkeren Geräuschkulisse einhergehen. Er könne Tätigkeiten mit nur noch einfachen geistigen Anforderungen und durchschnittlichen bis geringen Anforderungen an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit und Verantwortungsbewusstsein ausüben. Er sollte keine Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck und nicht mit ständiger Nachtschicht verrichten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könne der Kläger für vier bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. Diese Belastungen entsprächen nach seiner Auffassung auch den aktuellen Tätigkeiten im Tagesablauf. Es lägen keine Einschränkungen der Gehfähigkeit des Klägers vor. Er könne ein Kraftfahrzeug im Umkreis von 30 bis 50 km benutzen. Bei längeren Fahrten sei das Einlegen von Pausen zu empfehlen. Die festgestellte Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe so, wie sie 2016 im letzten psychiatrischen Fachgutachten beschrieben worden sei, für den Verlauf der zurückliegenden drei Jahre so weiter fort. Die dargestellte Minderung der Leistungsfähigkeit bestehe auf Dauer. Unter einer Therapie könnte es ggf. zu einer Besserung der Höhenängste im Verlauf kommen. Hinsichtlich des Gutachtens von Herrn H. lägen zum Zeitpunkt der aktuellen Untersuchung keine posttraumatische Belastungsstörung, sondern Symptome im Sinne einer Phobie vor. Die Einholung weiterer Gutachten werde nicht für erforderlich gehalten.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 2. Juli 2019 unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2021 zu bewilligen. Der Kläger sei teilweise (und daher wegen der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes voll) erwerbsgemindert, da mit einem Leistungsfall am 6. September 2017 ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich vorliege. Dies ergebe sich aus dem gerichtlichen Sachverständigengutachten von Dr. B. vom 20. Mai 2019, das in den Einschätzungen in den Gutachten von Herrn H. und Prof. Dr. J. insoweit übereinstimme, dass ein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich bestehe.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 10. Juli 2019 zugestellte Urteil am 16. Juli 2019 Berufung bei dem LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. Durch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. vom 20. Mai 2019 habe ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können. Der Sachverständige sei in seiner Beurteilung vorwiegend dem subjektiven Beschwerdevortrag des Klägers gefolgt. Bei der testpsychologischen Untersuchung sei keine erhöhte psychische Gesamtbelastung sichtbar geworden. Eine nervenärztliche Mitbehandlung finde bei dem Kläger seit Jahren nicht statt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den im ersten Klage- und Berufungsverfahren eingeholten Gutachten von Herrn H. und Prof. Dr. J..

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 2. Juli 2019 aufzuheben und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Im Rahmen des Berufungsverfahren hat der Kläger unter dem 28. August 2019 auf dem ihm übersandten Vordruck eine ambulante ärztliche Behandlung verneint. Hierzu wird auf Blatt 147 Bd. II der Gerichtsakte verwiesen.

Zu der im Internet veröffentlichten Übersicht des Landesverwaltungsamtes – Referat Forst- und Jagdhoheit vom 28. November 2017, in welcher der Kläger als bestätigter Schweißhundeführer im Land Sachsen-Anhalt im Sinne der Nr. 16 der Ausführungsbestimmungen zum Landesjagdgesetz für Sachsen-Anhalt ([AB-LJagdG], geändert durch Runderlass vom 10. März 2015, MBl. LSA, S. 155) geführt wird, hat der Landkreis, untere Jagdbehörde, telefonisch bestätigt, dass die dortigen Angaben dem aktuellen Stand entsprechen. Zu der Streckenliste für das Jagdjahr 2018/2019 des im Sinne des § 26 Landesjagdgesetz Sachsen-Anhalt ([LJagdG], zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 2019, GVBl. LSA, S. 286) ist in diesem Zusammenhang der Abschuss durch den Kläger als Pächter im Jagdbezirk K. von fünf Rehen, zwei Hirschen, einem Hirschkalb und vier Wildschweinen und für den Eigenjagdbezirk R. ein Abschuss von fünf Rehen, einem Damhirsch und drei Wildschweinen mitgeteilt worden. Der Kläger hat hierzu zunächst schriftsätzlich mitgeteilt, die Angaben bezögen sich teilweise auf die anderen Jagdpächter der Reviere, er selbst habe nur fünf Rehe erlegt und benutze nur einen „Erdsitz“ oder „Erdschirm“. Unter Hinweis des Senats auf die maximale Schussdistanz von bis zu 10 m bei der angegebenen Schussposition hat der Kläger sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend ergänzt, dass auch der Abschuss von Schwarzwild in dem vorgenannten Zeitraum erfolgt sei und er den Kugelfang durch die geländebedingten Höhenunterschiede, gelegentlich auch unter Benutzung eines Ansitzstandes, der mit einer kurzen Leiter zu besteigen sei, gewährleiste.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakte der Beklagten und der Verwaltungsakten der BG Bau (Bd. I – VII), der Gegenstand mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. April 2018 bis zum 31. März 2021 zu bewilligen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist auch, soweit er vom Sozialgericht aufgehoben worden ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtgerichtsgesetz [SGG]). Er hat keinen Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Versicherte sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI teilweise erwerbsgemindert, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein, bzw. nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI voll erwerbsgemindert, wenn sie unter diesen Bedingungen außer Stande sind, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert im Sinne der vorgenannten Regelung, weil er unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Er kann nach Auffassung des Senats noch körperlich mittelschwere Verrichtungen mit mindestens einfachen Anforderungen an die geistigen, psychischen und mnestischen Fähigkeiten in diesem zeitlichen Umfang verrichten.

Der Senat kann neben dem im vorliegenden Rechtsstreit eingeholten Gutachten auch die Gutachten, die Gegenstand der Verwaltungsakten (auch der BG Bau) geworden sind, im Wege des Urkundenbeweises verwerten (vgl. hierzu die Nachweise bei Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG Kommentar, 13. Aufl. 2020, § 128 RdNr. 7f).

Als mit hinreichender Gewissheit feststehenden Sachverhalt hält der Senat zunächst, dass sich der Kläger am 22. Juli 2008 bei einem Sturz aus großer Höhe schwerste Kopfverletzungen zugezogen hat, die im Grundsatz geeignet wären, auch gravierende Einschränkungen der geistigen, psychischen und mnestischen Fähigkeiten eines Verletzten zu erklären, aber mit Ausnahme des in bildgebenden Verfahren festzustellenden Defektes auch weitgehend folgenlos verheilt sein können. Weiter steht fest, dass nach der Rekonvaleszenz ein Dauerzustand eingetreten ist, sodass seit dem ersten Rentenantrag im Wesentlichen von einem gleichgebliebenen Leistungsbild des Klägers auszugehen ist.

Die von den Sachverständigen mitgeteilten körperlichen und geistigen Einschränkungen des Klägers beruhen im Wesentlichen auf dessen subjektiver Darstellung seiner Beschwerden, die indes mit seiner tatsächlichen Teilnahme am Leben nicht übereinstimmen. Unter Berücksichtigung der fehlenden Objektivierung der qualitativen Einschränkungen ist auch die quantitative Leistungsfähigkeit des Klägers nicht zur vollen Überzeugung des Senats zu begründen.

Der Kläger arbeitet inzwischen seit mehreren Jahren regelmäßig in Nachtschichten mit einer – nach seinen Angaben – jeweiligen Dauer von zehn Stunden. Weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen des Klägers ist zu entnehmen, dass diese Tätigkeit auf Kosten der Gesundheit verrichtet wird.

Der Kläger nimmt regelmäßig Verrichtungen vor, die einer körperlich mittelschweren bis schweren Arbeit entsprechen. Die Annahme, dass es sich bei der Jagd des Klägers um ein reines Hobby handele, steht mit den gesetzlichen Regelungen nicht überein. Vielmehr ist mit der Pacht eines Jagdbezirkes die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Hege und insbesondere zur Erfüllung des von der Jagdbehörde genehmigten Abschussplanes verbunden. Damit korrespondiert, dass insbesondere in der gesetzlichen Unfallversicherung der Jagdpächter als Unternehmer angesehen wird (§ 123 Abs. 1 Nr. 5 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung [SGB VII] und hierzu z.B. Feddern in JurisPraxiskommentar SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 123 RdNr. 71). Die Jagdpacht ist in einem der Jagdbehörde zur Prüfung anzuzeigenden Vertrag auf eine Dauer von mindestens neun Jahren festzulegen und bezieht sich regelmäßig auf einen Bezirk mit einer Mindestgröße von 250 Hektar (§ 11 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 Satz 3, § 12 Bundesjagdgesetz ([BJagdG], zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 14. November 2018, BGBl. I, S. 1850). Auch durch die Regelung insbesondere zur Erteilung von Dienstausweisen der Jagdbehörde für bestätigte Schweißhundeführer in Nr. 16.2 der AB-LJagdG wird deutlich, dass es sich auch bei dieser Aufgabe nicht um ein Hobby handelt.

Ausgehend davon, dass Rehwild (aufgebrochen) zwischen 10 und 25 kg und Schwarzwild („Wildschwein“, aufgebrochen) zwischen 45 und 160 kg wiegt (vgl. z.B. Das Große Kosmos Jagdlexikon, 2004, S. 541 und 617) und über weite Strecken durch unwegsames Gelände bewegt werden und nachfolgend auf ein Transportfahrzeug gehoben werden muss, sind wiederkehrende Verrichtungen des Klägers im Umfang einer körperlich mittelschweren Arbeit (nach der REFA Klassifikation Heben und Tragen mittelschwerer Lasten in der Ebene von 10 bis 15 kg oder Hantierungen, die den gleichen Kraftaufwand erfordern), wenn nicht sogar einer körperlich schweren Arbeit anzunehmen. Für körperlich schwere Arbeiten spricht hier, dass entsprechend der REFA-Klassifikation regelmäßig mit der Jagdpacht ein Bewegen von bis zu 40 kg schweren Lasten in der Ebene, ein Steigen unter mittleren Lasten, ein Handhaben von Werkzeugen über 3 kg Gewicht (Gewehr) oder belastende Körperhaltungen wie Haltearbeit bzw. Zwangshaltungen verbunden sind, welche die Arbeitsschwere um eine Stufe erhöhen. Die Pflichten der Hege beinhalten eine regelmäßige Begehung eines sehr großflächigen Geländes, das nach den Angaben des Klägers von starken Höhenunterschieden geprägt ist. In Bezug auf die zeitliche Inanspruchnahme ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger regelmäßig Fahrzeiten von circa einer Stunde zu dem entfernter liegenden Jagdbezirk zurücklegen muss. Soweit der gerichtliche Sachverständige Dr. B., gestützt auf die von dem Kläger hiervon abweichenden Angaben, auf eine eingeschränkte Tagesstruktur geschlossen hat, fehlt es diesbezüglich bereits an hinreichend glaubhaften Angaben des Klägers. Insoweit hat der Senat auch berücksichtigt, dass dem Gutachten von Dr. W. vom 5. Oktober 2017, das zeitnah zu dem vom Sozialgericht angenommenen Leistungsfall der Erwerbsminderung erstattet wurde, deutlich andere Angaben des Klägers zu einer weitergehenden Teilhabe zu entnehmen sind.

Der Kläger kann auch nicht von einer Begrenzung seiner Tätigkeit auf Arbeiten mit maximal einfacher Verantwortung betroffen sein, da er regelmäßig im Rahmen seiner öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen mit einem Großkaliber-Gewehr Wald und Feld im Landkreis B. begeht und für die Sicherheit von Verwendung, Transport und Aufbewahrung seiner Waffen nach dem Waffengesetz eine hohe Verantwortung trägt. Diese Fähigkeit steht in Zusammenhang mit der nach seiner Beschwerdeschilderung, nicht aber nach seinen tatsächlichen Verrichtungen bestehenden Höhenangst, die, wenn diese wirklich vorläge, es ihm verwehren würde, sicher eine Schusswaffe zu bedienen. Die Annahme des gerichtlichen Sachverständigen Dr. B. beruht entsprechend auch insoweit auf der unzutreffenden Annahme, dass der Kläger nicht regelmäßig freiwillig Leitern benutzt, was zwingend ist, um auch nur einen Ansitzstand zu erreichen. Der Kläger hat nach seinen Angaben ab Februar 2017 im Übrigen in Nachschichten die Aufsicht in einem Heim für Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen geführt. Es ist deshalb nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Kläger nicht in der Lage sein könnte, in Nachtschicht zu arbeiten, da er entsprechende Aufgaben freiwillig übernommen hat.

Vor dem Hintergrund, dass sämtliche Gutachter von einer seit der Rekonvaleszenz nach dem Unfallereignis im Wesentlichen unveränderten geistigen, mnestischen und psychischen Leistungsfähigkeit ausgehen, ist für den Senat das Gutachten von Prof. Dr. J., der unter dem 15. März 2016 und in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 18. Juli 2016 von einem Leistungsvermögen des Klägers von bis zu sechs Stunden täglich ausgeht, weiterhin überzeugend. Nach dessen ergänzender gutachterlicher Stellungnahme ist auch das Argument des Klägers, dass es sich bei der zeitlichen Leistungseinschätzung um ein Versehen des Sachverständigen gehandelt habe, nicht haltbar. Gestützt wird diese Einschätzung des Senats im Übrigen durch das von Dr. W. für die BG Bau erstattete Gutachten vom 5. Oktober 2017 und das von Dr. T. im Auftrag der Beklagten eingeholte Gutachten vom 9. Juni 2011, in denen jeweils ein Leistungsvermögen des Klägers von sechs Stunden und mehr täglich angenommen wird. Für die von Herrn H. in seinem Gutachten vom 1. Juli 2013 diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung fehlt es nach den Feststellungen der übrigen Sachverständigen an einer hiermit korrespondierenden psychischen Beeinträchtigung des Klägers. Das hirnorganische Psychosyndrom wird von Dr. B. schwergradiger als durch Prof. Dr. J. beurteilt, von Dr. W. in dem für die BG Bau erstatteten Gutachten indes als allenfalls leichtgradig beschrieben. Die Einschätzung von Dr. B. beruht auf der Beschwerdeschilderung des Klägers, die indes unter Berücksichtigung seiner alltäglichen Verrichtungen durch das Rentenbegehren geleitet sein kann. Eine Ausgleichsfunktion für ein schweres Unfallereignis, die der Kläger insbesondere gegenüber dem Landesverwaltungsamt und der BG Bau in den dort gestellten Anträgen sinngemäß als notwendig erachtet hat, hat die Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht.

Die Kasuistik zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes ist vor dem Hintergrund der dem Kläger zumutbaren körperlich mittelschweren Arbeiten hier nicht einschlägig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

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