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Verletztenrente wegen Arbeitsunfall – Voraussetzungen

Landessozialgericht NRW – Az.: L 15 U 294/19 – Urteil vom 18.05.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.04.2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer höheren Verletztenrente unter Anerkennung auch einer Myasthenia gravis als Folge eines anerkannten Arbeitsunfalls.

Der Kläger arbeitete als angestellter Geschäftsführer der C GmbH & Co.KG. Am 15.06.2011 hielt er auf einer Dienstreise mit seiner Mitarbeiterin auf einem Parkplatz an, um sich bei der dortigen Imbissbude Essen zu holen und sich dienstlich zu besprechen. Während er vor der Imbissbude wartete, wurde er von einem rückwärtsfahrenden PKW am linken Kniegelenk erfasst und verletzt. Die erstbehandelnden Ärzte diagnostizierten eine geschlossene dislozierte mehrfragmentäre Tibiakopfimpressionsfraktur. Der Kläger wurde daran am 20.06.2011 im C1 in Halle operiert und der Bruch mittels Osteosynthese reponiert. Ab dem 06.07.2011 erfolgte die Weiterbehandlung im N-Krankhaus Soest mit anschließender Arbeitsbelastungserprobung. Der dortige Chefarzt und Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. A teilte der Beklagten am 02.09.2011 mit, der Kläger habe sich zur Routinekontrolle vorgestellt und berichtet, die Arbeitsbelastungserprobung falle ihm sehr schwer, er habe diese teilweise abgebrochen und leide unter einer allgemeine Schlappheit und Schwächegefühl. Unter der Verdachtsdiagnose einer Myasthenia gravis wurde der Kläger am 08.09.2011 in das W-Krankenhaus in Paderborn überwiesen und dort stationär behandelt. Ausweislich des Berichts des dortigen Chefarztes und Facharztes für Neurologie Dr. B vom 26.09.2011 wurde die Diagnose einer Myasthenia gravis durch eindeutig positive Antikörper gegen Acetylcholinrezeptoren sowie nachweisbare Dekrements in der repetetiven Simulation gesichert. Ein Thymon konnte nicht nachgewiesen werden. Am gleichen Tage erfolgte beim Kläger eine arthroskopische Revision des linken Kniegelenkes mit Knorpelglättung und Teilmetallentfernung. Ab dem 26.01.2012 war der Kläger wieder arbeitsfähig.

Verletztenrente wegen Arbeitsunfall - Voraussetzungen
(Symbolfoto: Soonthorn Wongsaita/Shutterstock.com)

Nach Gutachterauswahl ließ die Beklagte den Kläger durch Dr. A begutachten, welcher in seinem Gutachten vom 27.03.2012 als Unfallfolgen insbesondere eine posttraumatische Gonarthrose mit Valgusfehlstellung, eingeschränkte dynamische und statische Belastbarkeit des linken Kniegelenks und einen rezidivierenden Reizzustand des linken Kniegelenkes festhielt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte er für die Zeit ab dem 26.01.2012 auf 20 v.H. ein. Die zwischenzeitlich aufgetretene Myasthenia gravis bewertete er als unfallunabhängig.

Mit Bescheid vom 17.09.2012 gewährte die Beklagte dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 15.06.2011 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 20 v.H. für die Zeit ab dem 26.01.2012. Dabei erkannte sie als Unfallfolgen an:Belastungs- und Bewegungseinschränkungen im linken Kniegelenk nach mit nochliegenden Fremdmaterial versorgtem, knöchern verheilten verschobenem Schienbeinkopfmehrfragmentbruch links. Sie führte zudem aus, dass die körperliche Schwäche mit Schweißausbrüchen und Abgeschlagenheit im Sinne einer Myasthenia gravis unfallunabhängig bestünde. Hiergegen legte der Klägerbevollmächtigte Widerspruch ein, soweit in dem Bescheid die Myasthenia gravis als unabhängig von dem Arbeitsunfall eingeschätzt worden sei. Es handele sich dabei um einen Anlageschaden, der zuvor nie zum Ausbruch gekommen sei und bis zum Erreichen des Rentenalters nach aller Wahrscheinlichkeit auch nicht zum Ausbruch gekommen wäre.

Nach weiterer Gutachterauswahl ließ die Beklagte den Kläger erneut durch Dr. A zur Bestimmung der Rente auf unbestimmte Zeit begutachten. Dieser hielt in seinem Gutachten vom 15.01.2014 die Unfallfolgen wie zuvor fest. Er teilte jedoch mit, die posttraumatische Gonarthrose habe deutlich zugenommen, die Seitenbänder seien stabil, die Beweglichkeit des linken Kniegelenkes annähernd physiologisch, es bestehe allerdings eine endgradige Flexionseinschränkung im Seitenvergleich, die Oberschenkelmuskulatur sei linksseitig gering verschmächtigt, die muskuläre Führung des linken Kniegelenkes sei jedoch sehr gut. Er schätzte die MdE für die Zeit ab dem 09.11.2013 mit 25 v.H. ein. Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme des leitenden Oberarztes der Unfallchirurgie des Krankenhaus B1 in Duisburg, Dr. D, vom 29.01.2014 ein. Dieser führte aus, die Bewegungsausmaße für das betroffene linke Kniegelenk seien als befriedigend bis gut zu bezeichnen. In Anlehnung an die MdE-Erfahrungswerte sei die MdE unter 20 v.H. einzuschätzen. Unbestritten sei jedoch, dass mittlerweile eine posttraumatische Arthrose vorliege. Die im Operationsbericht beschriebenen Knorpelveränderungen der Patella seien unfallunabhängig.

Nach Anhörung des Klägers entschied die Beklagte mit Bescheid vom 04.03.2014, dass wegen der Folgen des Arbeitsunfalls kein Rentenanspruch auf unbestimmte Zeit bestehe und entzog die vorläufige Entschädigung mit Ablauf des Monats März 2014. Sie erkannte dabei als Unfallfolge an: Operativ versorgter, knöchern fest verheilter Bruch des linken Schienbeinkopfes mit endgradiger Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes sowie subjektive Beschwerden. Unabhängig vom Unfall lägen vor: Körperliche Schwäche in Form von Abgeschlagenheit und Schweißausbrüchen (sog. Myasthenia gravis), Verschleißerscheinungen (sog. degenerative Veränderungen) der linken Kniescheibe. Ferner teilte sie mit, der Bescheid sei gemäß § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des bereits anhängigen Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 17.09.2012 geworden.

Auch hiergegen legte der Kläger über seinen Bevollmächtigten Widerspruch ein, zu dessen Begründung er auf das Gutachten von Dr. A verwies. Zudem überreichte er zur weiteren Begründung ein für die Allianz Versicherungs-AG erstelltes Gutachten des den Kläger behandelnden Oberarztes der Klinik C3, Prof. Dr. E, vom 22.01.2014. Prof. Dr. E halte in diesem Gutachten fest, dass das Unfallereignis am 15.06.2011 bzw. die aufgrund des Unfallereignisses notwendige Operation am 20.06.2011 sehr wahrscheinlich als auslösendes Ereignis für das Auftreten einer Myasthenia gravis bei dem zu Begutachtenden anzusehen sei. Prof. Dr. E gehe im Mittel von einer MdE von 40 v.H. aus.

Die Beklagte zog weitere medizinische Unterlagen von der R+V-Versicherung als der privaten BU-Versicherung des Klägers sowie von der Allianz Versicherungs-AG als Versicherung der Unfallverursacherin sowie von weiteren den Kläger behandelnden Ärzten bei, u.a. ein Schreiben des Chefarztes des W-Krankenhauses, Facharzt für Neurologie, Dr. B, vom 12.06.2012 an die Allianz Versicherungs-AG. Darin teilte dieser mit, dass eine Myasthenia eine Autoimmunerkrankung sei, deren letztendliche Ursache bis dato völlig unbekannt sei. Daher sei die Ursache der Myasthenia gravis als Unfallfolge aus neurologischer Sicht auszuschließen. Anschließend ließ die Beklagte den Kläger nach zweifacher Gutachterauswahl auf neurologischem Fachgebiet vom Facharzt für Neurologie, Psychiatrie, Umweltmedizin und Verkehrsmedizin Dr. F sowie auf unfallchirurgisch/orthopädischen Fachgebiet vom Facharzt für Unfallchirurgie und Orthopädie Prof. Dr. G begutachten.

Dr. F schrieb in seinem nervenärztlichen Gutachten nach Aktenlage vom 05.09.2014, der postulierte Zusammenhang der bei dem Versicherten im Jahr 2011 diagnostizierten Myasthenia gravis und des Unfallgeschehens vom 15.06.2011 sei eindeutig zu verneinen. Die Diagnose einer Myasthenia gravis werde immer wieder im Zusammenhang mit operativen Eingriffen gestellt, es liege jedoch kein kausaler Zusammenhang vor. Die Patienten entwickelten vielmehr aufgrund der vorbestehenden stumm verlaufenden Erkrankung Unverträglichkeiten gegenüber den in der Narkose verwendeten Muskelrelaxantien, woraus sich meist postoperative Konsequenzen ergäben mit der Notwendigkeit einer längeren Intubation oder Beatmung. Die Myasthenia gravisstelle eine Autoimmunerkrankung dar, bei der sich Autoantikörper gegen die postsynaptischen nikotinergen Acetylcholinrezeptoren bildeten. Die neuromuskuläre Übertragung sei bei intakten Nerven und Muskeln gestört. Anhand der Literatur lägen keine hinreichend wahrscheinlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass die Myasthenia gravis und insbesondere die Entwicklung von Antikörpern gegen neuromuskulare Überleitung durch ein Unfallgeschehen oder durch operative Eingriffe bzw. durch Stress unmittelbar im Sinne einer Verursachung auftreten könne. Es handele sich um eine schicksalhafte autoimmunbedingte Erkrankung, die in ihren verschiedenen Formen in verschiedenen Altersklassen vorkommen könne. Es sei ausschließlich von einem zeitlichen Zusammenhang der Diagnose mit dem Unfallereignis auszugehen. Eine zumindest wesentliche Teilverursachung sei zu verneinen.

Prof. Dr. G untersuchte den Kläger am 03.09.2014 und hielt in seinem Gutachten vom 29.09.2014 als Unfallfolgen fest: Deutliche Valgusstellung des linken Kniegelenkes, relative Seitenbandinstabilität erheblichen Ausmaßes, deutliche Veränderung des lateralen Schienbeinkopfes im Sinne einer deutlichen posttraumatischen Arthrose, Muskelminderung linker Oberschenkel, Narbenbildung, die röntgenologisch erhobenen Befunde. In früheren Gutachten sei die unfallbedingte Valgusstellung und die relative Seitenbandlockerung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Er schätzte die MdE mit 20 v. H. ein.

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.11.2014 half die Beklagte dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 04.03.2014 teilweise ab und bewilligte dem Kläger über den Monat März 2014 hinaus weiterhin auch eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20 v.H. Im Übrigen und insbesondere soweit die Myasthenia gravis als Unfallfolge geltend gemacht wurde, wies sie den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, Dr. F komme zu dem Ergebnis, dass die beim Kläger diagnostizierte Myasthenia gravis nicht durch den Unfall vom 15.06.2011 oder dessen Folgen rechtlich wesentlich verursacht worden sei. Das Unfallereignis sei weder im Sinne der Entstehung noch einer wesentlich richtungweisenden Verschlimmerung geeignet, die Erkrankung zu verursachen oder auszulösen. Das von Prof. Dr. E für die Allianz Versicherungs-AG erstellte Gutachten habe nicht die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Kausalitätslehre beachtet. Auf chirurgischem Fachgebiet sei Prof. Dr. G ferner schlüssig zu der Einschätzung gelangt, dass von einer MdE von 20 v.H. auszugehen sei.

Der Kläger hat am 23.12.2014 vertreten durch seinen Bevollmächtigten vor dem Sozialgericht Dortmund Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, der Kläger habe etwa zwei bis vier Wochen nach der ersten Operation eine deutliche Erschöpfungssymptomatik, eine Kauschwäche bei längerem Kauen sowie flukturierende Doppelbilder bemerkt. Prof. Dr. E habe das Unfallereignis vom 15.06.2011 bzw. die aufgrund des Unfallereignisses notwendige Operation vom 20.06.2011 sehr wahrscheinlich als auslösendes Ereignis des Auftretens der Myasthenia gravis angesehen. Er habe bestätigt, dass es sich bei der Myasthenia gravis um eine Autoimmunerkrankung handele, die eine veranlagungsbedingte Komponente (genetische Disposition für Autoimmunerkrankungen) habe und damit insoweit als schicksalhaft bezeichnet werden könne. Allerdings habe er auch ausdrücklich festgestellt, dass offensichtliche Ursachen – wie eine krankhafte Veränderung des Thymus – bei dem Kläger nicht vorgelegen hätten. Vorliegend sei für den Gesundheitsschaden der Myasthenia gravis nicht die latente genetische Disposition, sondern deren akute Erscheinung in Form einer myasthenen Symptomatik infolge des Unfalles maßgeblich. Nach der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie sei der Unfall des Klägers Ursache dieser myasthenen Symptomatik und könne nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Erfolg entfiele. Denn der Kläger habe vor dem 15.06.2011 keinerlei Symptome einer Myasthenia gravis gezeigt. Auch wenn der Kläger unstreitig eine schicksalhafte genetische Disposition habe, welche auch zum Eintritt des Gesundheitsschadens beigetragen habe, sei das Unfallereignis wesentlich gewesen. Der Unfall sei hier nicht nur als Gelegenheitsursache zu bezeichnen. Die genetische Disposition des Klägers sei am 15.06.2011 nicht so stark oder so leicht ansprechbar gewesen, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurft hätte, also durch jedes andere alltägliche Ereignis ausgelöst worden wäre. Für die besondere Beziehung des Unfalls zum Ausbruch der myasthenen Erscheinungen spräche die Schwere des Unfalls, welcher kein alltägliches Ereignis darstelle und schon orthopädisch eine MdE von 20 v.H. nach sich ziehe. Auch die Erscheinungen der Myasthenia gravis beeinträchtige den Kläger erheblich, nach Prof. Dr. E im Mittel um 40 v.H. Der Klägerbevollmächtigte hat dem Gericht zudem ein Gutachten des Facharztes für Neuologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie psychosomatische Medizin Dr. J vom 17.07.2014 für die AXA Lebensversicherung vorgelegt. Darin führte Dr. J aus, dass er der klinisch-wissenschaftlichen Beurteilung durch Prof. Dr. E bis ins Detail zustimme, er auf einen weiteren Beleg der Zusammenhänge bzw. der klinisch-wissenschaftlichen Zuordnung bezüglich der Auslösung der Myasthenia gravis jedoch weitgehend verzichte.

Der Kläger hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2012 sowie den Bescheid vom 04.03.2014 beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2014 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, auch die Myasthenia gravis des Klägers als Folge des Arbeitsunfalls vom 15.06.2011 anzuerkennen und dem Kläger eine höhere Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die angefochtenen Bescheide seien rechtmäßig und hat zur Begründung auf den Inhalt der Verwaltungsakte, die angefochtenen Bescheide sowie  insbesondere auf das Gutachten des Dr. F verwiesen. Dem Gutachten des Prof. Dr. E könne nicht gefolgt werden, da dieser die Annahme, dass der Unfall bzw. die notwendige Operation als auslösendes Ereignis anzusehen sei, im Wesentlichen mit dem zeitlichen Zusammenhang des Auftretens begründe, jedoch in seinem Gutachten vom 22.01.2014 auch darauf hinweise, dass die Myasthenia gravis in der Mehrzahl der Fälle ohne auslösendes Ereignis in jedem Lebensalter ausbrechen könne. Auch lägen keine hinreichenden Studien vor. Prof. Dr. E beziehe sich auf Einzelfälle. Das für eine private Versicherung erstattete Gutachten von Dr. J erstrecke sich auf das aktuelle Beschwerdebild und enthalte keine eigene Ursachendiskussion.

Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG hat das Sozialgericht Prof. Dr. E mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Prof. Dr. E hat in seinem weiteren Gutachten vom 21.01.2016 festgehalten, dass die Gesundheitsstörungen des Klägers die charakteristischen Beschwerden der Myasthenia gravis seien. Aus den Aktenunterlagen ergebe sich kein Anhalt dafür, dass zum Zeitpunkt des Unfalls Beschwerden einer Myasthenia gravis bestanden hätten. Eine erschwerte Narkoseausleitung bei der ersten Operation sei nicht beschrieben worden, was bei vorbestehender Myasthenia gravis ein in der Praxis häufig bekanntes Problem sei und dafür spreche, dass zum Zeitpunkt dieser Operation die Myasthenia gravis klinisch noch nicht manifest gewesen sei. Wahrscheinlich sei die Erkrankung zwischen Mitte bis Ende August 2011 erstmalig aufgetreten. Bei einem stationären Aufenthalt zwischen dem 08.09.2011 und 20.09.2011 sei sie zweifelsfrei diagnostiziert worden. Es gebe keinerlei wissenschaftliche Daten, die belegen könnten, dass die autoimmun bedingte Myasthenia gravis vor Ausbruch der Beschwerden „stumm“ verlaufen würde. Im Einzelfall könnten Beschwerden im Rahmen milder klinischer Verläufe erst später bei der Diagnosestellung als der Myasthenia gravis zugehörig festgestellt werden. Für solche milden Beschwerden, welche vor dem 15.06.2011 aufgetreten seien, gebe es keinerlei Anhalt. Entscheidend sei, ob der Unfall die ca. acht Wochen später beginnende Myasthenia gravis wahrscheinlich ausgelöst habe. Aufgrund des vorliegenden Wissens zur Myasthenia gravis könne beim Kläger ein erhöhtes anlagebedingtes Risiko für den Ausbruch der Myasthenia gravis unterstellt werden.

Zu der Frage, ob die Myasthenia gravis regelmäßig spontan, d.h. ohne auslösende Faktoren auftrete oder ob sich häufig vor dem Auftreten ein auslösendes Ereignis nachweisen lasse, hat Prof. Dr. E zunächst auf sein Vorgutachten vom 22.01.2014 für die Allianz Versicherungs-AG verwiesen, in welchem er u.a. ausgeführt hatte, dass man davon ausgehe, dass die Myasthenia gravis als Autoimmunerkrankung eine veranlagungsbedingte Komponente habe und damit als schicksalhaft bezeichnet werden könne. Aufgrund 1. des zeitlichen Verlaufes der Krankengeschichte des zu Begutachtenden, 2. fehlender Hinweise in den Unterlagen auf einen Ausbruch der myasthenen Symptomatik vor dem Unfallereignis, 3. der in der Literatur mit ähnlichen Zeitverläufen zu findenden zeitlichen Assoziation des Erstauftretens der myasthenen Symptomatik mit auslösenden Faktoren wie dem Unfallereignis und/oder 4. der kurz darauf folgenden Operation, sowie 5. der Exazerbation der myasthenen Symptomatik in Folge der Revisionsoperation am 26.09.2011, sei sehr wahrscheinlich, dass die Myasthenia gravis bei dem zu Begutachtenden infolge des Unfalls bzw. der aufgrund des Unfalls notwendigen Operation ausgebrochen sei. Ob die Erkrankung ohne das Unfallereignis bei dem zu Begutachtenden ausgebrochen wäre und wenn ja, wann, lasse sich nicht beantworten. Weiter legte er in diesem Vorgutachten dar, dass die Myasthenia gravis in der Mehrzahl der Fälle ohne auslösendes Ereignis ausbreche. Allerdings kenne die Fachliteratur hinreichend viele Fälle, bei denen ein physisches Trauma oder Operationen als Auslöser einer Myasthenia gravis beschrieben würden. Hierbei verwies er auch auf eine Fallstudie von Grob et al. (2008) mit 1976 Patienten, bei denen Symptome einer Myasthenia gravis erstmalig in der Folge von psychischem Stress (4 % aller Patienten) oder von Operationen (1 % aller Patienten) aufgetreten seien.

Ergänzend hat der Sachverständige in seinem Gutachten für das Sozialgericht zu der Frage der spontanen Auslösung der Mysthenia gravis neben dem Verweis auf das Vorgutachten ausgeführt, dass Infektionen, Entzündungen, Operationen, Traumata, Schwangerschaft, Medikamente und emotionale Stress bekannte Auslöser seien (Meriggioli und Sanders, 2009). In der Fachliteratur würden physische Traumata und Operationen als Auslöser einer Myasthenia gravis beschrieben (Grob et al, 2008). So würden in Fallberichten Verkehrsunfälle (Peterson et al, 2012 und Lane et al. 2009) oder Operationen (Scopetta et al., 2003) als auslösende Faktoren benannt werden. In einer neueren vergleichsweise großen australischen Studie von Blum et al. (2015) mit 165 Patienten seien in 63% der Fälle Auslösefaktoren identifiziert worden, in 20% der Fälle starker physischer bzw. emotionaler Stress, in 17,5% der Fälle Operation oder Trauma, in 6,1% der Fälle Infektionen oder Impfung, in 3,6 % der Fälle Schwangerschaft und in 18,2% der Fälle nicht näher spezifizierte Erkrankungen. Damit ließen sich in einer großen Zahl von Fällen auslösende Faktoren für die Myasthenia gravis beschreiben. Die Krankheit trete also nicht regelhaft spontan ohne auslösende Faktoren auf. Mit dem Unfallereignis vom 15.06.2011 seien mit dem direkten Trauma und der damit verbundenen notwendigen Operation zwei allgemein akzeptierte Auslösefaktoren für die Myasthenia gravis (nach Sanders et al. (2009) und nach Blum et al.(2015)) vorhanden. Diese seien mehrere Wochen vor den myasthenen Beschwerden aufgetreten und stünden damit in einem typischen zeitlichen Zusammenhang zum Beginn der Myasthenia gravis. Auch wenn anlagebedingte Faktoren der Myasthenia gravis allgemein unterstellt werden müssten, sei der ursächliche Zusammenhang zum Unfall als direkt und über die Operation indirekt auslösender Faktor der Myasthenia gravis als wahrscheinlich anzusehen. Ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ergäben sich insofern nicht, als dass keine anderen unfallunabhängigen Faktoren bekannt seien. Dazu gehöre insbesondere auch, dass bei dem Kläger keine pathologische Veränderung der Thymusdrüse als Auslösefaktor vorliege. Die MdE für die Myasthenia gravis hat Prof. Dr. E letztlich unter Hinweis auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht mit 40 v.H. eingeschätzt.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat Prof. Dr. E ergänzend zur Bildung der MdE (Stellungnahme vom 27.06.2016) und auf Veranlassung der Beklagten Dr. F zu den klägerseitig vorgetragenen Einwänden (Stellungnahme vom 28.06.2016) Stellung genommen. Beide sind bei ihrer bisherigen Ansicht verblieben. Ferner hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. Schwenkreis, Facharzt für Neurologie, eingereicht (Stellungnahme vom 27.08.2016). Dieser hat ausgeführt, auch ohne Thymomnachweis müsse von einer zentralen Rolle des Thymus bei der Krankheitsentstehung ausgegangen werden und eine Unterschenkelfraktur bzw. deren Operation könne nicht plausibel  wesentliche Teilursache für die beim Kläger vorliegende Myasthenia gravis sein.

Das Sozialgericht hat sodann zur Aufklärung des Sachverhalts gem. § 106 SGG den Neurologen und Psychiater Dr. L mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 24.02.2017 ausgeführt, dass es sich bei der Myasthenia gravis um eine Autoimmunerkrankung handele. Auch wenn interkurrente Infektionen, Operationen oder beispielsweise Medikamente eine Mysthenia verschlechtern könnten, sei dies nicht gleichbedeutend damit, dass Unfälle oder Operationen ursächlich für deren Entstehung wären. Es sei medizinisch nicht plausibel, weshalb eine zweieinhalb Monate zurückliegende Kniegelenksoperation die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis ursächlich hervorgerufen haben sollte. Auf die weiteren Ausführungen des Sachverständigen wird verwiesen.

Der Klägerbevollmächtigte hat anschließend einen Befangenheitsantrag gegen den Sachverständigen gestellt, den das Sozialgericht nach Anhörung des Sachverständigen mit Beschluss vom 29.03.2018 als unbegründet abgelehnt hat. Anschließend hat das Sozialgericht den Direktor der Klinik für Neurologie des Klinikums F1, Prof. Dr. M, gem. § 106 SGG mit der Begutachtung des Klägers beauftragt.

Der Sachverständige hat den Kläger am 16.08.2018 untersucht und festgehalten, dass der Kläger durch die Einwirkungen des Ereignisses vom 15.06.2011 eine mehrfragmentäre dislozierte Tibiakopffraktur links erlitten habe. Zu den bei der Begutachtung noch feststellbaren Gesundheitsstörungen, die bei dem Kläger infolge des Unfalls entstanden seien, zähle eine posttraumatische Arthrose und Seitenbandinstabilität des linken Kniegelenkes und die damit einhergehenden Schmerzen, die schmerzbedingt verminderte Beweglichkeit des linken Kniegelenkes und die vom operativen Eingriff herrührende Narbe und die dort bestehenden Sensibilitätsstörungen. Darüber hinausgehende Gesundheitsstörungen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die oben genannten Primärschäden bzw. das Unfallereignis zurückzuführen seien, lägen nicht vor. Unstreitig liege beim Kläger eine Myasthenia gravis vor, die den Großteil der vom Kläger geschilderten, aktuell im Vordergrund stehenden Beschwerden erklärten. Bei der Myasthenia gravis handele es sich um eine Antikörper-vermittelte und T-Zell-abhängige Autoimmunerkrankung. Die Ursachen der Krankheitsentstehung seien nicht vollständig geklärt. Aktuelle Hypothesen gingen von einem Zusammenspiel aus prädisponierender genetischer Veranlagung und epigenetischen Faktoren, d.h. erworbenen Veränderungen der Genexpression ohne Veränderung der DNA-Sequenz und verschiedenen diskutierten Umweltfaktoren aus. Hinsichtlich der Umweltfaktoren, denen eine ursächliche Rolle in der Entstehung der Myasthenia gravis zugeschrieben werde, ließen sich prädisponierende und krankheitsauslösende triggernde Faktoren unterscheiden. Den prädisponierenden Faktoren würden unter anderem hormonelle Faktoren und niedrige Vitamin-D-Spiegel zugerechnet, zudem würden Einflüsse der Zusammensetzung der Darmflora bzw. der Ernährung diskutiert. Als Triggerfaktoren der Autoimmunreaktion seien nach heutigem Erkenntnisstand vor allem bestimmte infektiöse Erreger, im Fall der Myasthenia gravis insbesondere das Epstein-Barr-Virus, sowie diverse Pharmaka zu betrachten. Überzeugende Evidenz für direkte physische Traumata oder operative Eingriffe im Bereich der unteren Extremitäten als Trigger der Myasthenia gravis bestünden hingegen nicht. Einer besonderen Bedeutung bei der Frage der Induktion der Autoimmunerkrankung bei der Myasthenia gravis komme dem Thymus zu. Bei einer Vielzahl der Myasthenie-Patienten mit Nachweis von Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörpern fänden sich morphologische Veränderungen des Thymus im Sinne einer lymphofollikulären Hyperplasie, bei etwa 10% der Myasthenie-Patienten sei die Erkrankung mit Tumoren des Thymus assoziiert. Bei dem Kläger könne eine generalisierte Myasthenia gravis mit positivem Nachweis von Anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörpern und Erstmanifestation etwa Mitte bis Ende August 2011 konstatiert werden. Die zuvor vom Kläger geschilderte, allgemeine Kraftlosigkeit könnte prinzipiell zwar bereits Ausdruck einer beginnenden neuromuskulären Erkrankung gewesen sein, ebenso jedoch mit unspezifischen perioperativen physischen und psychischen Belastungen zu erklären sein. Sicheres Erstsymptom der später zweifelsfrei diagnostizierten Myasthenia gravis seien die erstmals etwa zwei Monate nach dem Unfallereignis aufgetretenen Doppelbilder. Für das Bestehen der Myasthenia gravis bereits vor dem Unfallereignis vom 15.06.2011 fände sich hingegen kein Hinweis. Dafür, dass das Unfallereignis, die erlittene Tiabiakopffraktur oder der erforderliche operative Eingriff als ursächlich für die entwickelte Myasthenia gravis zu betrachten sein könnten, ergebe sich aus wissenschaftlicher Sicht allerdings ebenfalls keinerlei Anhalt. Die vorliegende Myasthenie und die damit assoziierten Gesundheitsstörungen seien nicht kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen. Auch unter Berücksichtigung der Theorie der wesentlichen Bedingung sei ein kausaler Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschäden infolge der Myasthenia gravis zu verneinen, das Unfallereignis sei vor dem Hintergrund der referierten wissenschaftlichen Ätiologie der Myasthenia gravis auch nicht als wahrscheinlicher Auslöser der Erkrankung zu betrachten. Der von Prof. Dr. E in seinem Gutachten vom 21.01.2016 gemachten Annahme, im Falle der Myasthenia gravis könnten sich mehrheitlich definierte krankheitsauslösende Umweltfaktoren bestimmen lassen, sei zu widersprechen. Unter näherer Erläuterungen zu den einzelnen von Prof. Dr. E angegebenen Studien hat er ausgeführt, dass auch diese Studien für die von Prof. Dr. E vertretene Ansicht, das vom Kläger erlittene Trauma bzw. die nachfolgende Operation habe die Myasthenia gravis wahrscheinlich ausgelöst, keine hinreichende Evidenz böten. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das zu den Akten gereichte Sachverständigengutachten Bezug genommen.

Die Beklagte hat sich dem Gutachten des Prof. Dr. M angeschlossen. Der Klägerbevollmächtigte hat die Auffassung vertreten, das Gutachten sei nicht verwertbar, da es kein ärztliches Gutachten im Sinne der Rechtsprechung sei, sondern sich lediglich mit einem vorher eingeholten Gutachten auseinandersetze und daher lediglich eine beratende Stellungnahme sei. Prof. M beantworte die Fragestellung allein auf der Grundlage des medizinischen Kausalitätsbegriffes, die Kausalität sei jedoch auf der Grundlage der Theorie der wesentlichen Bedingung zu bestimmen.

Mit Urteil vom 15.04.2019 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zu Recht habe die Beklagte es abgelehnt, die beim Kläger vorliegende Myasthenia gravis als Folge des Unfalls vom 15.06.2011 anzuerkennen und dem Kläger wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls eine höhere Verletztenrente zu gewähren. Dabei hat sich das Sozialgericht insbesondere auf das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. M gestützt. Es spreche nach dem aktuellen medizinischen Wissensstand nicht mehr dafür als dagegen, dass die Myasthenia durch den Unfall mit Verletzung des Tibiakopfes und der anschließenden Operation ausgelöst worden sei. Es erübrige sich daher eine Prüfung auf der zweiten Stufe, ob nach Wertung des Faktors Unfall zum einen und des Faktors einer angenommenen genetischen Disposition zum anderen der Unfall als wesentlich zu bezeichnen war. Auf dem orthopädischen Gebiet sei die MdE nach den medizinischen Erfahrungswerten ausreichend mit 20 v.H. bewertet worden. Auf die weiteren Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 08.05.2019 zugestellte Urteil hat der Kläger am 06.06.2019 Berufung eingelegt. Zwar seien die orthopädischen Gesundheitsschäden zutreffend mit einer MdE von 20 v.H. festgesetzt, die Myasthenia gravis sei aber  als Unfallfolge anzuerkennen und bei der Gewährung der Verletztenrente mitzuberücksichtigen. Gebe es keinen aktuellen wissentschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, könne nach der BSG-Rechtsprechung in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung, wie vorliegend der von Prof. Dr. E, gefolgt werden. Der Kläger habe vor dem Unfallereignis keinerlei Symptome einer anderen Autoimmunerkrankung, deren Vorliegen eine Myasthenia gravis prädisponieren könnte, gehabt. Bekannte Auslöser der Myasthenia könnten u.a. bestimmte Medikamente, emotionaler Stress, physische Traumata oder Operationen sein. Erste krankhafte Symptome hätten sich erst im Anschluss an die erste Operation des Klägers gegeben. Der Unfall könne somit nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele. Das Sozialgericht habe die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten und verkenne bei Verneinung bereits der Kausalität im Sinne der Äquivalenztheorie, dass auf dieser Stufe nicht auf den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen abzustellen sei, sondern die Kausalität allein anhand von naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen zu beurteilen sei. Die höchstrichterliche Rechtsprechung führe dazu aus, dass die Ursachen unbegrenzt seien, während der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand notgedrungen eher begrenzt wäre. Im Rahmen der Kausalitätsprüfung nach der Äquivalenztheorie sei daher nicht auf irgendwelche „Studien“ abzustellen, welche die Verletzung des Tibiakopfes dem Ausbruch der Erkrankung assoziierten. Vielmehr könne ohne das Hinzudenken weiterer Umstände und ohne die wertende Betrachtung des „aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes“ der Arbeitsunfall bzw. die OP nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Ausbruch der Myasthenia gravis entfiele. Das BSG führe im Urteil vom 24.07.2012 (- B 2 U 9/11 R-,juris Rn. 58), wörtlich zur Äquivalenztheorie aus: „Die Formel schließt nur „Bedingungen“ aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.“ Es sei daher entgegen Prof. Dr. M  nicht von einer vermeintlich überzeugenden Evidenz auszugehen. Auch Prof. Dr. M habe vielmehr ausgeführt, dass die Ursachen der Krankheitsentstehung nicht vollständig geklärt seien, so dass ein negativer Ausschluss als Wirkursache wegen Unmöglichkeit bereits ausgeschlossen sei. Ebenso sei der Unfall kausal im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung, denn er habe am Eintritt der myasthenen Symptome wesentlich mitgewirkt. Zwar sei die latente Krankenanlage des Klägers eine weitere Ursache, diese habe aber keine überragende Bedeutung. Für die Entstehung der Myasthenia gravis sei nach Prof. Dr. E die genetische Anlage alleine ebenso nicht hinreichend wie der krankheitsauslösende Faktor. Wenn aber sowohl die genetische Anlage des Klägers als auch der krankheitsauslösende Faktor für die Entstehung der Myasthenia gravis notwendig seien, seien beide Faktoren wesentlich im Sinne der Theorie der wesentlichen Bedingung. Auch bei einer Krankheitsanlage sei nach der Rechtsprechung des BSG darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark und so leicht ansprechbar gewesen sei, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurft habe, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Dies sei auch von der Beklagten zu beweisen. Für die Wesentlichkeit des Unfalls spreche aber bereits die Schwere des Unfalls, der seiner Art nach kein alltäglich vorkommendes Ereignis gewesen sei. Zudem komme zwar, wie Prof. Dr. M ausführe, grundsätzlich dem Thymus bei der Entstehung der Myasthenia gravis eine besondere Bedeutung zu, bei dem Kläger seien aber weder ein Thymom noch andere morphologische Veränderungen des Thymus festgestellt worden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 15.04.2019 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 04.03.2014, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2014, zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, auch die Myasthenia gravis als Folge des Arbeitsunfalls vom 15.06.2011 anzuerkennen und dem Kläger eine höhere Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Kausalitätsbeurteilung habe auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeiten von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Das schließe die Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet sei, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Hier sei bereits die Existenz eines wissenschaftlichen Erkenntnisstandes, wonach das stattgehabte Trauma oder die Operation als Ursache/Auslöser der Myasthenia gravis geeignet sei, nicht im Vollbeweis gesichert und damit die Kausalität im naturwissenschaftlichen philosophischen Sinne nicht gegeben. Selbst bei Annahme eines Zusammenhangs im Sinne der Bedingungstheorie sei der Unfall nicht wesentliche Ursache gewesen. Es gebe nach der BSG-Rechtsprechung (BSG, Urt. v. 07.09.2004, – B 2 U 34/03 R-) keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache sei, weil dies bei komplexen Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Selbst wenn man dem Trauma oder der OP eine ihrer Art unersetzliche äußere Einwirkung zuspräche, käme der Krankheitsanlage überragende Bedeutung zu. Denn die Qualität einer Ursache als Gelegenheitsursache werde maßgeblich durch die Krankheitsanlage selbst mitbestimmt. Wenn diese wie hier so leicht ansprechbar sei, dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis, wie z.B. eine Stresssituation, zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst haben könnte, sei die Krankheitsanlage von so überragender Bedeutung, dass Trauma und/oder OP nach der Theorie der wesentlichen Bedingung für die Entstehung des Gesundheitszustandes keine Bedeutung mehr zukommen könne. Ferner müsse neben der Feststellung der vor liegenden Gesundheitsstörung klar festzustellen sein, worin das oder die schädigenden Ereignisse gelegen hätten. Denn ohne eine solche klare Feststellung könnten keine zuverlässige Ursachenbeurteilung erfolgen und die Ereignisse und Ursachen nicht zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Vorliegend diskutiere aber auch Prof. Dr. E sowohl den Unfall als auch die Operation neben anderen möglichen Ursachen als Auslöser der Erkrankung ohne sich festzulegen. Ob die Erkrankung ohne das Unfallereignis ausgebrochen wäre und, wenn ja, wann vermöge auch er nicht zu beantworten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streit- und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist.

1.

Die vorliegende kombinierte Anfechtungs- Verpflichtungs- und Leistungsklage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 54 Abs.1, Abs. 4, 56 SGG). Insbesondere ist das Vorverfahren als Klagevoraussetzung nach § 78 SGG durchgeführt. Der Bescheid vom 04.03.2014, mit dem innerhalb des Dreijahreszeitraumes gemäß § 62 Abs. 2 S.1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Unfallversicherung – (SGB VII)  über ein Recht des Klägers auf Rente auf unbestimmte Zeit entschieden worden ist (vgl. BSG Urt. v. 16.03.2010 – B 2 U 2/09 R – BSGE 106,43), ist gemäß § 86 SGG Gegenstand des bereits gegen den Bescheid vom 17.09.2012 anhängigen Vorverfahrens geworden.

2.

Die auf die Gewährung einer höheren Verletztenrente wegen des Arbeitsunfalls vom 15.06.2011 gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide vom 17.09.2012 und vom 04.03.2014, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2014, nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG beschwert, denn die Bescheide sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer höheren Verletztenrente.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn ihre Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist. Unfallfolgen sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 S. 3 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (sog. Stütztatbestand). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII).

Diese Voraussetzungen liegen für eine über die bereits gewährte Verletztenrente hinausgehende Rente nicht vor. Denn die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist infolge des im Bescheid vom 17.09.2012 als Arbeitsunfall anerkannten Ereignisses vom 15.06.2011 nicht um mehr als 20 v.H. gemindert.

a)

Für die Feststellung einer rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sind zunächst nur solche Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die entweder als Gesundheitserstschäden kausal (haftungsbegründende Kausalität) auf das Unfallereignis selbst oder als Gesundheitsfolgeschäden kausal (haftungsausfüllende Kausalität) auf den Gesundheitserstschaden bzw. die Gesundheitserstschäden zurückzuführen sind. Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt dabei, dass Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschäden, ebenso wie die Merkmale versicherte Tätigkeit, Verrichtung zur Zeit des Unfalls, Unfallereignis im Rahmen der Voraussetzungen des § 8 SGB VII, im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen (haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität) die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Urt. v. 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R -, juris Rn. 16 m. w. N.).

Vorliegend steht unstreitig fest, dass der Kläger einen Schienenbeinkopfmehrfragmentbruch links mit den im Gutachten von Prof. Dr. G vom 29.09.2014 aufgeführten Folgen erlitten hat. Auch ist bei ihm sowohl nach den Ausführungen von Prof. Dr. E als auch Prof. Dr. M eine Myasthenia gravis seit Mitte/Ende August 2011 gesichert. Ebenso ist die dem Schienenbeinkopfbruch nachfolgende Operation im Vollbeweis gesichert.

Für die im nächsten Schritt erforderliche Beurteilung des Ursachenzusammenhangs (haftungsbegründende und/oder haftungsausfüllende Kausalität) zwischen dem Gesundheitserstschaden bzw. der hierdurch erforderlichen Operation und den festgestellten Gesundheitsstörungen gilt die Zurechnungslehre der Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. u. a. BSG, Urt. v. 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R -, juris Rn. 12 m.w.N.).

Diese Kausalitätsprüfung erfordert zunächst die Ermittlung der objektiven – naturwissenschaftlichen – Verursachung, bei der es darauf ankommt, ob die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheits(erst)/folgeschaden oder den Tod eine Wirkursache war (BSG, Urt. v. 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R – BSGE 112,177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz.31 ff; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). Wirkursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Eine Ursache im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn liegt vor, wenn sich der Schaden ohne die Tätigkeit mit Wahrscheinlichkeit nicht zum selben Zeitpunkt eingestellt hätte (BSG, Urt. v. 18.03.1997 – 2 RU 8/96 -, juris Rn. 24), d.h. der Unfall sich ohne die konkrete Tätigkeit nicht identisch und mit identischen Folgen ereignet hätte (BSG Urt. v. 24.02.1988 – 2 RU 30/87 – juris Rn. 18). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen beantwortet werden (grundlegend BSG, Urt. v. 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz.55 ff; BSG, Urt. v. 13.11.2012 – B 2 U 19/11 R – BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 46, Rz. 31 ff.). Dies schließt die Prüfung mit ein, ob ein Ereignis nach medizinisch-wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen und welche Vorerkrankungen/Schadensanlagen ggfls. bestanden haben, die nach den genannten wissenschaftlichen Kriterien ebenfalls geeignet sind, die geltend gemachte Gesundheitsstörung zu bewirken (BSG, Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/06 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Steht die versicherte Tätigkeit als eine der Wirkursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Kriterien zur Beurteilung der Wesentlichkeit einer Ursache bei medizinischen Sachverhalten sind die versicherte Ursache als solche hinsichtlich Art und Stärke, einschließlich des zeitlichen Ablaufs, die konkurrierende(n) Ursache(n) hinsichtlich Art und Stärke, Krankheitsbild und Krankengeschichte, also die weitere Entwicklung und mögliche Vorgeschichte (siehe hierzu statt vieler BSG, Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.).

Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist sodann zu fragen, ob und in welchem Umfang das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen infolge der kausal auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitsschäden beeinträchtigt ist und dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt dabei als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (zum Ganzen BSG, Urt. v. 18.01.2011 – B 2 U 5/10 R -, juris Rn. 15 f. m.w.N.).

b)

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch den Arbeitsunfall vom 15.06.2011 nicht um mehr als 20 v.H. gemindert. Dies folgt aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens.

Dabei stützt der Senat seine Entscheidung auf orthopädischem Gebiet auf das im Wege des Urkundsbeweis (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 415 ff der Zivilprozessordnung) zu würdigende Verwaltungsgutachten vom 29.09.2014 von Prof. Dr. G. Verwaltungsgutachten können nach ständiger Rechtsprechung des BSG auch alleinige Entscheidungsgrundlage sein, wenn das Gutachten – wie hier- in Form und Inhalt den (Mindest-)Anforderungen entspricht, die an ein wissenschaftlich begründetes Sachverständigengutachten zu stellen sind (vgl. BSG, Urt. v. 07.05.2019 – B 2 U 25/17 R-, juris Rn. 14  m.w.N.).

Nach dem schlüssigen und widerspruchsfreien Gutachten von Prof. Dr. G sind auf orthopädischem Gebiet wesentlich kausal auf den Unfall vom 15.06.2011 eine deutliche Valgusstellung, eine relative Seitenbandinstabilität erheblichen Ausmaßes, eine deutliche posttraumatische Arthrose sowie eine Muskelminderung bei ansonsten guter Beweglichkeit zurückzuführen. Diese Unfallfolgen sind nach überzeugender Einschätzung von Prof. Dr. G sowie auch nach Ansicht aller Beteiligten mit der vorliegend gewährten MdE von 20 v.H. zutreffend eingeschätzt. Dies entspricht den in der medizinischen Fachliteratur aufgeführten Erfahrungswerten, die für eine muskulär nicht kompensierbare Instabilität des Knies eine MdE von 20 v.H. vorsehen (statt aller: Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 686).

Darüber hinaus ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht wegen der beim Kläger bestehenden Myasthenia gravis unfallbedingt gemindert. Die Myasthenia gravis ist weder unmittelbar noch mittelbar wesentlich ursächlich auf den Gesundheitserstschaden bzw. die Gesundheitserstschäden zurückzuführen, weil es bereits an der Wirkursächlichkeit, d.h. der 1. Stufe der Kausalitätsprüfung, fehlt.

Dies hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil vom 15.04.2019 unter Hinweis auf die Feststellungen und Beweiserhebungen im Gerichtsverfahren zutreffend begründet dargelegt, so dass der Senat zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf dessen Ausführungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug nimmt.

Der Senat folgt ebenso wie das Sozialgericht den als Sachverständigenbeweis (§ 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. §§ 402 ff der Zivilprozessordnung) zu würdigenden medizinischen Äußerungen im Gutachten von Prof. Dr. M vom 16.08.2018. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. M fehlt es an der haftungsausfüllenden Kausalität, weil nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden kann, dass die Myasthenia gravis im Sinne der 1. Stufe der Kausalitätsprüfung wirkursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen ist. Es spricht nicht mehr für als gegen die Annahme, dass der Schienenbeinkopfbruch oder die nachfolgende Operation Wirkursache für die entstandene Myasthenia gravis ist. Prof. Dr. M hat überzeugend ausgeführt, dass die vorliegende Mysthenia gravis hinreichend wahrscheinlich weder auf das Trauma noch auf die nachfolgende Operation zurückgeführt werden kann. Es besteht keine hinreichend erkennbare Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen dem erlittenen Tibiakopfbruch oder der nachfolgenden Operation mit der Mitte/Ende August 2011 aufgetretenen Mysthenia gravis.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist allein das Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfall und der Krankheitsentstehung nicht ausreichend, um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zu begründen. Es gibt im Unfallversicherungsrecht keinen Rechtssatz, dass bei einer Erkrankung deren Ursache nicht geklärt ist, aufgrund eines zeitlichen Zusammenhangs des Auftretens der Erkrankung mit einem Arbeitsunfall die Wirkursächlichkeit anzunehmen ist. Unabhängig hiervon, hat auch  bereits Prof. Dr. E festgestellt, dass der genaue Beginn der Beschwerden häufig „schleichend“ über Tage, Woche, Monate erfolgt (S.14 seines Gutachtens vom 21.01.2016). Die Annahme eines Ursachenzusammenhangs des Unfalls bzw. der nachfolgenden Operation wegen eines zeitlichen Zusammenhang von ca. acht Wochen relativiert sich daher bereits vor den auch von Prof. Dr. E  angegeben unspezifischen  Zeitverläufen der Erkrankung.

Auch aus der Berufungsbegründung im Übrigen ergeben sich keine anderweitigen oder neuen Gesichtspunkte.

Soweit der Kläger der Ansicht ist, aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich- philosophischen Ursachen für einen Erfolg reiche es für die Bejahung einer Wirkursache aus, wenn diese lediglich nicht unmöglich ist, verkennt er, dass es auch auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit bedarf, das heißt, es muss mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen und es müssen ernste Zweifel ausscheiden. Auch die vom Kläger für seine Argumentation in Bezug genommenen Ausführung des BSG im Urteil vom 24.07.2012 (- B 2 U 9/11 R-, juris Rn. 58) „Die Formel schließt nur Bedingungen aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können“, kann nicht isoliert herangezogen werden, sondern ist im gesamten Kontext der Ausführungen zu betrachten. So hat das BSG in diesem Urteil  (Urt. v. 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R -,  juris Rn. 58-59) wie folgt wörtlich ausgeführt:

„Insoweit kann […] [die Bedingungstheorie] zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den „Erfolg“) verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne „notwendige“) Bedingung erkannter Umstand den „Erfolg“ wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, […]. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur „Bedingungen“ aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat.[…]“

Insoweit hat das BSG deutlich entgegen der Ansicht des Klägers formuliert, dass die Anwendung der reinen Bedingungstheorie nicht ausreicht, sondern festgestellt werden muss, ob eine mögliche Ursache mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch Wirkursache war.

Für die Klärung der Frage der Wirkursächlichkeit kommt es grundsätzlich auf den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft an. Dieser Erkenntnisstand ist die Basis für die Beurteilung jedes Sachverständigen, von der er nur wissenschaftlich begründet abweichen kann. Denn auch für die Beurteilung des Einzelfalles ist nicht auf die allgemeine wissenschaftliche Auffassung des einzelnen Sachverständigen abzustellen, sondern auf den aktuellen medizinischen Erkenntnisstand (s. BSG, Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 28).

Zutreffend hat der Kläger zwar unter Berufung auf die BSG Rechtsprechung (s. BSG, Urt. v. 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R -, juris Rn. 18) ausgeführt, dass – soweit ein aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisstand fehlt – in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden könne. Dies bedeutet aber nicht, dass deshalb dem Sachverständigen zu folgen ist, der den Ursachenzusammenhang bejaht. Vielmehr ergibt sich hieraus, dass das Gericht bei fehlendem aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht die Grenzen seines Rechts, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, überschreitet, wenn es im Falle eines Auseinandergehens medizinischer Meinungen über die Entstehungsursache einer Krankheit unter abwägender und sachentsprechender Würdigung des Einzelfalls einer nicht nur vereinzelt vertretenen medizinischen Auffassung folgt, mögen auch anerkannte Wissenschaftler eine andere medizinische Lehrmeinung vertreten. Maßgeblich ist stets, ob sich das erkennende Gericht von der Ursache-Wirkungsbeziehung auf der Grundlage sachverständiger Äußerungen überzeugen kann.

Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass sowohl Prof. Dr. E als auch Prof. Dr. M in Übereinstimmung mit sämtlichen anderen gehörten Ärzten festgestellt haben, dass die Ursachen der Krankheitsentstehung einer Myasthenia gravis nicht vollständig geklärt sind. Prof. Dr. M hat zwar – auch von Prof. Dr. E unwidersprochen – überzeugend ausgeführt, dass aktuelle Hypothesen von einem Zusammenspiel aus prädisponierender genetischer Veranlagung, epigenetischer Faktoren und verschiedenen diskutierten Umweltfaktoren, die wiederum in prädisponierende und krankheitsauslösende, triggernde Faktoren zu unterscheiden sind, ausgehen. Der tatsächliche pathologische Wirkungsmechanismus zur Entstehung einer Myasthenia gravis ist aber nicht bekannt. Allein deshalb fällt es schwer, die Wirkursächlichkeit des Unfalls für diese Erkrankung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Soweit demgegenüber Prof. Dr. E mit vermeintlichen epidemiologischen Erkenntnissen argumentiert, hat Prof. Dr. M plausibel dargelegt, dass keine epidemiologische Studie und kein wissenschaftlicher Nachweis besteht, dass ein direktes physisches Traumata oder operative Eingriffe im Bereich der unteren Extremitäten ohne Bezug zur Thymusdrüse als Trigger eine Myasthenia gravis auslösen können. Überzeugend hat er die einzelnen von Prof. Dr. E für eine Triggerfunktion in Bezug genommenen Studien widerlegt und insbesondere klargestellt, dass es sich bei den in den dortigen Studien von Peterson et al. (2012), Lane et al. (2009) und Scopetta et al (2003) angegebenen Traumata bzw. Operationen, um solche gehandelt hat, die – anders als bei einem Schienbeinkopfbruch – die Möglichkeit einer Thymusläsion aufgewiesen hätten (Schilddrüsenoperation, Thoraxtrauma, Sternumfraktur). Ebenso hat er überzeugend dargelegt, dass die Studie von Blum et al (2015), in der von 165 befragten Patienten 63 % möglicherweise krankheitauslösende Ereignisse (17,5 % Trauma und Operation) vor Beginn ihrer mysthenen Symptomatik genannt haben, zu unspezifisch ist, um eine hinreichende Ursachenzusammenhang zu begründen. Unabhängig hiervon widerspricht diese Studie den Ergebnissen der ebenfalls von Prof. Dr. E hervorgehobenen Studie von Grob et al (2008), in dem dieser ausführt, dass sich bei 1976 Myasthenia- Patienten lediglich bei 3 % ein physisches Trauma und bei 1% Operationen gefunden habe.

Nach alledem ist festzuhalten, dass es keine hinreichend belastbaren Erkenntnisse für einen pathologischen Wirkungsmechanismus für die Entstehung einer Myasthenia gravis gibt und eine epidemiologische oder auch nur empirische Erkenntnis für einen Schienenbeinkopfbruch oder eine nachfolgenden Operation am Schienenbeinkopf als Wirkursache für die Entstehung einer Myasthenia gravis nicht besteht. Die von Prof. Dr. E hierzu in Bezug genommenen Studien bilden keine tragfähige Grundlage für die Annahme einer hinreichend wahrscheinlichen Wirkursächlichkeit. Nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft auch unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. E vorgetragenen epidemiologischen Erkenntnisse ist ein Zusammenhang zwischen dem Schienenbeinkopfbruch oder der nachfolgenden Operation und der beim Kläger bestehenden Myasthenia gravis vielmehr nicht hinreichend wahrscheinlich.

Entgegen der Auffassung des Klägers gilt nicht deshalb ein zugunsten des Klägers abweichender Beweismaßstab, weil es sich bei der Myasthenia gravis um eine seltene Erkrankung handelt. Abgesehen davon, dass für seltene Erkrankungen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Ausnahmen von dem Grundsatz anerkannt sind, dass nur aufgrund hinreichender medizinischer Erkenntnisse auf die Wirkursächlichkeit eines Ereignisses für eine Gesundheitsstörung geschlossen werden kann, handelt es sich bei der Myasthenia gravis nicht um eine seltene Erkrankung im Rechtssinne. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung zum Krankenversicherungsrecht nur solche Krankheiten, die aufgrund ihrer Singularität medizinisch nicht erforschbar sind (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R-, juris Rn. 40 m.w.N.). Hiervon kann bei der Myasthenia gravis nach den von den Sachverständigen zitierten Studien keine Rede sein.

3.

Die auf die Verpflichtung zur Anerkennung der Myasthenia gravis als Unfallfolge des Arbeitsunfalls vom 15.06.2011 gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist ebenso unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht sowohl im Bescheid vom 17.09.2012 als auch im Bescheid vom 04.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2014 die Anerkennung der Myasthenia gravis als Unfallfolge aus den oben unter Ziffer 2 genannten Gründen abgelehnt.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§193, 183 SGG.

5.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

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