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Voraussetzung der Zuerkennung des Merkzeichens „G“

Merkzeichen „G“: Keine Zuerkennung trotz gesundheitlicher Einschränkungen

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bestätigte in seinem Urteil vom 28.11.2014 (Az.: L 13 SB 186/12) die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin, dass der Kläger nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ erfüllt. Trotz seiner Behinderung und gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere aufgrund von Adipositas, wurde festgestellt, dass keine hinreichende Einschränkung des Gehvermögens vorliegt, die eine Zuerkennung des Merkzeichens rechtfertigen würde.

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✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Sozialgerichts Berlin: Die Berufung gegen das Urteil vom 19. Juli 2012 wurde zurückgewiesen.
  2. Merkzeichen „G“: Die Voraussetzungen für die Zuerkennung wurden nicht erfüllt.
  3. Gesundheitliche Einschätzungen: Es lagen keine wesentlichen Einschränkungen des Gehvermögens vor, die eine Zuerkennung rechtfertigen.
  4. Bewertung durch Sachverständige: Sowohl in der ersten Instanz als auch im Berufungsverfahren stützten sich die Entscheidungen auf ärztliche Gutachten.
  5. Keine organischen Ursachen: Für die behauptete erhebliche Gehbeeinträchtigung fanden sich keine organischen Gründe.
  6. Einfluss von Adipositas: Das Übergewicht des Klägers wurde als Faktor betrachtet, aber nicht als wesentlich für die Gehbeeinträchtigung.
  7. Kein Anspruch auf Merkzeichen „G“: Der Kläger konnte die ortsübliche Wegstrecke von etwa zwei Kilometern ohne erhebliche Schwierigkeiten zurücklegen.
  8. Keine Revision zugelassen: Eine weitere rechtliche Überprüfung des Urteils wurde nicht gestattet.

Die Bedeutung des Merkzeichens „G“ im Schwerbehindertenrecht

Das Merkzeichen „G“ im Schwerbehindertenausweis ist ein wichtiger Nachteilsausgleich für Menschen mit erheblicher Beeinträchtigung ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Um diesen Status zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, die sowohl auf Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen oder der Lendenwirbelsäule als auch auf innere Leiden wie Herzerkrankungen, Lungenfunktionsstörungen oder Anfallsleiden abzielen. Personen mit geistiger Behinderung und einem GdB von 100 können ebenfalls das Merkzeichen „G“ erhalten. Die genauen Anforderungen und Kriterien zur Zuerkennung des Merkzeichens „G“ sind in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen geregelt und werden von den zuständigen Behörden geprüft. In einem bevorstehenden Urteil wird ein konkreter Fall betrachtet, der die rechtlichen Herausforderungen und die Anwendung dieser Kriterien veranschaulicht.

Wenn Sie Fragen zu einem ähnlichem Fall haben, wo es um die Bedeutung des Merkzeichens „G“ im Schwerbehindertenrecht geht, fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.

Der Streit um das Merkzeichen „G“

Im Zentrum des Rechtsstreits stand die Frage, ob dem Kläger, geboren 1967, die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ zugesprochen werden sollten. Der Kläger, mit einem festgestellten Grad der Behinderung (GdB) von 60 aufgrund von Suchtkrankheit, chronischer Hepatitis und psychischen Störungen, sowie weiteren Funktionsbeeinträchtigungen, vertrat die Auffassung, dass seine Adipositas per magna eine hinreichende Einschränkung seines Gehvermögens bedinge. Dieser Antrag wurde jedoch vom Beklagten, gestützt auf ärztliche Stellungnahmen, abgelehnt.

Die Rolle ärztlicher Gutachten im Verfahren

Eine Schlüsselrolle im Verfahren spielten die ärztlichen Gutachten. Der Kläger argumentierte, nur 200 bis 300 Meter in der Ebene gehen zu können. Diese Angabe wurde jedoch von den eingeholten ärztlichen Expertisen infrage gestellt. Es wurden keine organischen Ursachen gefunden, die eine wesentliche Beschränkung der Gehfähigkeit bestätigen würden. Die Sachverständigen, darunter der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H und der Sachverständige Dr. G, ein Arzt für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin, kamen übereinstimmend zu dem Schluss, dass der Kläger in der Lage sei, eine Strecke von 2.000 Metern in etwa 30 Minuten zurückzulegen.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Anwendung

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg setzte sich intensiv mit den rechtlichen Rahmenbedingungen auseinander, insbesondere mit den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch (SGB IX) und der Versorgungsmedizin-Verordnung. Entscheidend war dabei die Beurteilung, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr aufgrund einer Einschränkung des Gehvermögens vorliegt. Die Richter folgten den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit, die besagen, dass für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ eine doppelte Kausalität erforderlich ist: Die Bewegungseinschränkung muss einerseits durch die Behinderung verursacht sein und andererseits das Gehvermögen einschränken.

Schlussfolgerungen des Gerichts

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ nicht erfüllt waren. Es stellte fest, dass der Kläger trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen und seines Übergewichts keine hinreichende Einschränkung des Gehvermögens aufwies. Der Trainingsmangel wurde als wesentlicher Faktor für die vom Kläger empfundenen Schwierigkeiten beim Gehen angesehen, fiel aber nicht unter die Kriterien für die Zuerkennung des Merkzeichens. Daher wurde die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin zurückgewiesen und keine Revision zugelassen.

Fazit: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bestätigte, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ im Fall des Klägers nicht vorlagen, basierend auf den umfassenden ärztlichen Begutachtungen und den rechtlichen Anforderungen an eine erhebliche Beeinträchtigung des Gehvermögens.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Was bedeutet das Merkzeichen „G“ im Kontext des Schwerbehindertenrechts?

Das Merkzeichen „G“ im Schwerbehindertenausweis steht für eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Personen, die dieses Merkzeichen erhalten, haben erhebliche Schwierigkeiten, sich zu Fuß im Straßenverkehr zu bewegen, was beispielsweise der Fall ist, wenn sie eine Strecke von 2 km nicht ohne Gefahr für sich oder andere in etwa einer halben Stunde zurücklegen können.

Die Vergabe des Merkzeichens „G“ erfolgt unter bestimmten Voraussetzungen, die im Sozialgesetzbuch IX und in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung festgelegt sind. Dazu gehören Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die allein einen Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50 bedingen, oder geistige Behinderungen, bei denen die Orientierungsfähigkeit im Straßenverkehr stark eingeschränkt ist.

Inhaber des Merkzeichens „G“ können verschiedene Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen, wie beispielsweise die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr. Allerdings berechtigt das Merkzeichen „G“ nicht zur Nutzung von Behindertenparkplätzen; diese sind Personen mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung) vorbehalten.

Wie wird der Grad der Behinderung (GdB) im deutschen Sozialrecht bestimmt?

Der Grad der Behinderung (GdB) im deutschen Sozialrecht wird durch ärztliche Gutachter auf Antrag bestimmt. Die Kriterien für die Bestimmung des GdB sind in der Versorgungsmedizin-Verordnung festgelegt, die seit dem 1. Januar 2009 gilt.

Die Versorgungsmedizin-Verordnung enthält eine Liste von Krankheiten, denen jeweils ein Grad der Behinderung (GdB) bzw. Grad der Schädigungsfolgen (GdS) zugewiesen ist. Der GdB ist ein Maß für die Auswirkungen einer Beeinträchtigung auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und ist in Zehnerschritten von 10 bis 100 eingeteilt.

Wenn mehrere Beeinträchtigungen vorliegen, wird ein Gesamt-GdB ermittelt. Dabei werden jedoch nicht die einzelnen GdB addiert, sondern die festgestellten Beeinträchtigungen und ihre Auswirkungen in ihrer Gesamtheit betrachtet.

Eine Behinderung liegt vor, wenn jemand eine oder mehrere Beeinträchtigungen hat, die länger als sechs Monate anhalten und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigen. Eine Feststellung über den Grad der Behinderung wird nur getroffen, wenn insgesamt ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Eine Behinderung ab einem GdB von 50 gilt als Schwerbehinderung.

Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber mindestens 30, die infolge ihrer Behinderung keinen geeigneten Arbeitsplatz erlangen oder behalten können, können unter bestimmten Voraussetzungen einem Schwerbehinderten gleichgestellt werden.

Die Feststellung des GdB und die Ausstellung eines entsprechenden Feststellungsbescheids erfolgen durch die Ämter der Versorgungsverwaltung. Bei einem GdB von 20 bis 50 wird nur ein Feststellungsbescheid, kein Schwerbehindertenausweis, ausgestellt. Ab einem GdB von 50 besteht die Schwerbehinderteneigenschaft und es wird auf Antrag ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt.

Die Feststellung einer Behinderung bzw. Schwerbehinderung erfolgt auf Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen.


Das vorliegende Urteil

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 13 SB 186/12 – Urteil vom 28.11.2014

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juli 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1967 geborene Kläger begehrt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 18. Januar 2007 hatte der Beklagte beim Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt, dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde lagen:

– Suchtkrankheit, chronische Hepatitis, psychische Störungen (Neurosen) mit Einzel-GdB 60,

– degeneratives Wirbelsäulenleiden bei Adipositas per magna, Gelenkbeschwerden, Einzel-GdB 20.

Mit Verschlimmerungsantrag vom 31. Juli 2008 machte der Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ aufgrund seiner Adipositas per magna geltend. Der Beklagte holte daraufhin eine ärztliche Stellungnahme ein, lehnte jedoch die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ mit Bescheid vom 5. November 2008 ab, in welchem er die Auflistung der Funktionsbeeinträchtigungen um die weitere Funktionsbeeinträchtigung Depression ergänzte, der er verwaltungsintern einen Einzel-GdB von 10 zuordnete.

Auf den Widerspruch des Klägers holte der Beklagte ein ärztliches Gutachten vom 24. August 2009 ein, in dem der Facharzt für Allgemeinmedizin H ausführte, gesundheitliche Voraussetzungen zur Anerkennung des Merkzeichens „G“ seien nicht erkennbar. Zwar gebe der Antragsteller an, dass er nur in der Lage sei, etwa 200 bis 300 m in der Ebene zu gehen, diese Angabe sei aber nach seinem ärztlichen Urteil nicht zu verifizieren. Es bestünden keinerlei Einschränkungen der Beweglichkeit und Funktion der Beine, des Herzens oder der Lunge bzw. der Lendenwirbelsäule, die eine derartige Entscheidung rechtfertigen könnten. Unbestritten seien Erschwernisse durch das „gigantische Übergewicht“, aber dieses sei nicht relevant nach den AHP. Im Widerspruch zur angegebenen Wegstrecke stehe auch die Angabe, dass der Antragsteller in der Lage sei, zwei Treppen ohne Halt zu steigen. Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2009 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Mit der am 28. Oktober 2009 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines ärztlichen Sachverständigengutachtens des Arztes für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin Dr. G vom 23. November 2011. Insgesamt ist der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, es lägen keine relevanten erkennbaren Einschränkungen des Gehvermögens, auch nicht durch innere Leiden, Anfallsleiden oder Störungen der Orientierungsfähigkeit vor. Funktionseinschränkungen seien im Lendenwirbelsäulenbereich als maximal mittelgradig mit einem GdB von 20 anzusetzen, sowie im Kniegelenk einseitig mit einem GdB bis maximal 10 sowie im unteren Sprunggelenk ebenfalls mit maximal 10. Nach Ansicht des Sachverständigen liege der Grund für das eingeschränkte Gehvermögen des Klägers mehr in einer psychogenen Komponente, wobei das Übergewicht ein belastender Faktor, allerdings nicht wesentlich für die eingeschränkte Gehfähigkeit sei. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.

Mit Urteil vom 19. Juli 2012 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und ist hierbei im Wesentlichen der Einschätzung des Sachverständigen Dr. G gefolgt. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. Juli 2012 zugestellt worden.

Mit der am 29. August 2012 erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juli 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 4. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2009 zu verpflichten, bei ihm das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleiches „G“ ab 31. Juli 2008 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin und physikalische und rehabilitative Medizin Dr. Sch vom 11. Februar 2014 mit ergänzender Stellungnahme vom 16. Mai 2014. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten nebst Ergänzung Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet, denn das Sozialgericht Berlin hat zu Recht das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Merkzeichens „G“ verneint.

Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX) haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Alternativ können sie nach § 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz eine Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer um 50 v. H. beanspruchen. Über das Vorliegen der damit angesprochenen gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX).

Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann. Das Gesetz fordert in § 145 Abs. 1 Satz 1, § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX darüber hinaus, dass Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung dessen Gehvermögen einschränken muss (sog. „doppelte Kausalität“, siehe Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 24. April 2008 – B 9/9a SB 7/06 R –, SozR 4-3250 § 146 Nr. 1). Hierzu hatte das Bundessozialgericht die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) herangezogen, die in Nr. 30 Abs. 3 bis 5 Regelfälle beschrieben, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen „G“ als erfüllt anzusehen waren und die bei der Beurteilung einer dort nicht erwähnten Behinderung als Vergleichsmaßstab dienen konnten (so BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gaben die AHP an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen mussten, bevor angenommen werden konnte, dass ein Behinderter infolge einer Einschränkung des Gehvermögens „in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist“. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass das menschliche Gehvermögen keine statische Messgröße ist, sondern von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird. Darunter sind neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also Körperbau und etwaige Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens (ökonomische Beanspruchung der Muskulatur, Gehtempo und Rhythmus) sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, zu nennen. Von diesen Faktoren filterten die AHP all jene heraus, die nach dem Gesetz außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des schwerbehinderten Menschen im Straßenverkehr nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung seines Gehvermögens, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen (vgl. BSG, Urteil vom 13. August 1997, a.a.O.).

Diese Grundsätze gelten auch auf der Grundlage der in der Anlage zu der am 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ weiter, und zwar unabhängig davon, ob – wie überwiegend vertreten wird (so Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4; Oppermann, in: Hauck/Noftz, GK SGB, Loseblattwerk Stand: 2013, Rn. 36a zu § 69 SGB IX; LSG Baden-Württemberg, seit Urteil vom 23. Juli 2010 – L 8 SB 3119/08 – in ständiger Rechtsprechung, zuletzt Urteil vom 24. Januar 2014 – L 8 SB 2723/13 –; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – L 10 SB 39/09 –; offen gelassen von: LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Oktober 2013 – L 10 SB 154/12 –; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2011 – L 13 SB 12/08 –) – die Vorschriften über die Voraussetzungen des Merkzeichens „G“ in Teil D Nr. 1d bis 1f der Anlage zu § 2 VersMedV mangels gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage nichtig sind. Denn die in den AHP aufgestellten Kriterien wurden über Jahre hinweg sowohl von der Verwaltung als auch von den Gerichten in ständiger Übung angewandt, weshalb die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ als gewohnheitsrechtlich anerkannt zu betrachten sind (so auch LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – L 10 SB 39/09 –). Hinzu kommt, dass mit ihrer Verrechtlichung durch die VersMedV keine Änderung des Rechtszustandes beabsichtigt war, da sie materiell die Regelungen zum Merkzeichen „G“ unverändert aus den AHP übernommen hat.

Gemessen an diesen Grundsätzen ist dem Kläger die ortsübliche Wegstrecke nicht „infolge einer Einschränkung des Gehvermögens“ (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) nicht möglich. Nach den überzeugenden Darlegungen und auf eingehenden Untersuchungen beruhenden Feststellungen bereits des in erster Instanz bestellten Sachverständigen Dr. G ist es dem Kläger grundsätzlich möglich, eine Wegstrecke von 2.000 Metern in etwa 30 Minuten zurückzulegen. Organische Ursachen für eine wesentliche Beschränkung der Gehfähigkeit hätten sich nicht finden lassen. So stünde insbesondere die geklagte Atemnot nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Ergometrie. Maßgeblich sei offenbar ein Schmerzempfinden, für das sich jedoch keine organische Ursache hätte finden lassen und über das der Kläger selbst auch nicht berichtet hätte, sondern hierüber seine bei der Untersuchung anwesende Begleitung hätte berichten lassen. Dies stimmt im Wesentlichen mit dem Ergebnis der Begutachtung durch den im Berufungsverfahren bestellten Sachverständigen Dr. Sch überein: Aus organischer Sicht sei der Kläger nicht daran gehindert, eine Strecke von etwa zwei Kilometern in etwa einer halben Stunde zurückzulegen. Keinesfalls liege bei ihm eine Funktionsstörung der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule vor, die für sich alleine einen Einzel-GdB von 50 oder zusammengefasst einen GdB von 50 rechtfertigten. Ebenso wenig bestünde eine Herzschwäche mit Beeinträchtigung der Herzleistung oder eine Atembehinderung mit dauernder Einschränkung der Lungenfunktion wenigstens mittleren Grades oder auch ein sonstiges internistisches Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Es seien keine hirnorganischen Anfälle festzustellen oder eine Störung der Orientierungsfähigkeit. Auch im Übrigen bestünden keine Gesundheitsstörungen, die sich auch nur im Ansatz auf die Gehfähigkeit auswirken könnten. Der Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, ein wesentlicher Faktor für den Umstand, dass die Bewältigung einer solchen Strecke dem Kläger Probleme bereite, sei der Trainingsmangel, mithin also ein Umstand, der nach dem dargelegten Maßstab nicht zur Zuerkennung des Merkzeichens führt. Diese Ausführungen sind für den Senat schlüssig und überzeugend. Soweit der Kläger dem entgegengetreten ist und eingewandt hat, er leide an einem diabetischen Fußsyndrom, das der Sachverständige offenbar übersehen habe, dringt er nicht durch. Zum einen hat der Sachverständige auf gerichtliche Nachfrage dargelegt, er habe keine der zu erwartenden Anzeichen für ein derartiges Syndrom beim Kläger feststellen können, zum anderen hat der Kläger kein ärztliches Attest über das behauptete Leiden vorgelegt. Bei dieser Sachlage bestand für den Senat kein Anlass zu weiterer medizinischer Ermittlung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

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