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Voraussetzungen der Zuerkennung des Merkzeichens aG

Merkzeichen aG: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg bestätigt Berechtigung für schwerbehinderten Kläger

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in seinem Urteil vom 15.01.2015 (Az.: L 13 SB 22/14) entschieden, dass der Kläger weiterhin das Merkzeichen aG für außergewöhnliche Gehbehinderung führen darf. Dieses Urteil revidiert die vorherige Entscheidung, bei der ihm dieses Merkzeichen entzogen wurde. Der Kläger, der seit einer schweren Hirnblutung im Kindesalter erhebliche körperliche Beeinträchtigungen hat, wurde somit in seinen Rechten bestätigt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: L 13 SB 22/14 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Bestätigung des Merkzeichens aG: Das Urteil stellt die Berechtigung des Klägers für das Merkzeichen aG wieder her.
  2. Überprüfung der Gehbehinderung: Die Entscheidung basiert auf einer detaillierten Überprüfung der Gehbehinderung des Klägers.
  3. Bedeutung der außergewöhnlichen Gehbehinderung: Die außergewöhnliche Gehbehinderung, definiert nach § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz, ist zentral für das Merkzeichen aG.
  4. Kriterien für die Gehbehinderung: Wesentlich ist, ob sich eine Person nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung außerhalb eines Kraftfahrzeuges bewegen kann.
  5. Keine wesentliche Besserung des Gesundheitszustands: Das Gericht sah keine wesentliche Besserung im Gesundheitszustand des Klägers.
  6. Relevanz der individuellen Mobilitätseinschränkungen: Die individuellen Einschränkungen des Klägers im Alltag wurden besonders berücksichtigt.
  7. Bedeutung von medizinischen Gutachten: Medizinische Gutachten spielten eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Gehbehinderung.
  8. Rechtsfolgen der Entscheidung: Die Kosten des Verfahrens wurden dem Kläger erstattet; eine Revision wurde nicht zugelassen.

Die Bedeutung des Merkzeichens aG im Schwerbehindertenrecht

Das Merkzeichen aG (außergewöhnliche Gehbehinderung) ist ein wichtiger Bestandteil des Schwerbehindertenausweises und gewährt Inhabern besondere Vergünstigungen im öffentlichen Leben. Um dieses Merkzeichen zu erhalten, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Dazu gehört eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, die mindestens einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 entspricht. Die anamnestische und hausärztliche Angabe eines Gehvermögens von ca. 100 m langsamen Schrittes mit Rollator muss der sozialmedizinischen Einschätzung entsprechen.

Die Versorgungsämter bewerten die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG und stellen bei Erfüllung der Kriterien den entsprechenden Schwerbehindertenausweis aus. Neue Leitlinien des Bundessozialgerichts sollen eine einheitliche Bewertung der Voraussetzungen gewährleisten und somit für mehr Transparenz und Rechtssicherheit sorgen. Die Zuerkennung des Merkzeichens aG hat nicht nur Auswirkungen auf die Vergünstigungen im öffentlichen Leben, sondern kann auch die Lebensqualität der Betroffenen erheblich verbessern.

Der Kampf um das Merkzeichen aG

Der Fall dreht sich um die Auseinandersetzung eines seit seiner Kindheit schwerbehinderten Klägers mit den Behörden über die Berechtigung des Merkzeichens aG für außergewöhnliche Gehbehinderung. Im Jahr 2003 erlitt der Kläger, geboren 1995, eine schwere Hirnblutung, die zu Lähmungen, einer starken Gesichtsfeldeinschränkung sowie Beeinträchtigungen des Sprachvermögens und der kognitiven Leistungsfähigkeit führte. Im Jahr 2004 wurde ihm ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 zugesprochen, inklusive der Berechtigung für die Merkzeichen B, G, aG und H. Diese Anerkennung wurde jedoch im März 2010 nach einer Überprüfung durch den Beklagten teilweise widerrufen. Der GdB wurde auf 70 reduziert, und die Merkzeichen B, H und aG wurden entzogen.

Der rechtliche Kern des Disputs

Das zentrale rechtliche Problem des Falls lag in der Beurteilung der außergewöhnlichen Gehbehinderung des Klägers und der daraus resultierenden Berechtigung für das Merkzeichen aG. Der Kläger und seine Vertreter argumentierten, dass seine Gehfähigkeit in einem normalen Lebensumfeld stark eingeschränkt sei, sodass die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG weiterhin gegeben seien. Dies wurde durch ein medizinisches Sachverständigengutachten unterstützt, das die anhaltenden Einschränkungen des Klägers bestätigte.

Entscheidungsfindung des Landessozialgerichts

Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hob das Urteil des Sozialgerichts Cottbus und den Bescheid des Beklagten auf, da es keine wesentliche Veränderung in der Gehfähigkeit des Klägers feststellte, die den Entzug des Merkzeichens aG rechtfertigen würde. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger nach wie vor nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges in der Lage ist, sich zu bewegen. Diese Einschätzung basiert auf den detaillierten Ausführungen zur Definition der außergewöhnlichen Gehbehinderung, die in § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz und den entsprechenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften festgelegt ist.

Die Bedeutung des Urteils

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung einer individuellen und detaillierten Bewertung von Behinderungen im Kontext des Sozialrechts. Es zeigt, dass pauschale Beurteilungen und Verallgemeinerungen bei der Beurteilung der Gehbehinderung nicht ausreichen und dass die individuellen Lebensumstände des Betroffenen ausschlaggebend sind. Das Gericht bekräftigte, dass die straßenverkehrsrechtliche Sichtweise, welche die tatsächlichen Lebensbedingungen des Einzelnen berücksichtigt, maßgeblich ist.

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg stellt einen bedeutenden Fall im Bereich des Sozialrechts dar, der die Rechte von schwerbehinderten Menschen stärkt. Es betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen und individuellen Bewertung jeder Behinderung, insbesondere in Fällen, in denen es um wichtige Merkzeichen wie das aG geht, die erhebliche Auswirkungen auf das tägliche Leben und die Mobilität der betroffenen Personen haben.

Der vollständige Urteilstext kann unten nachgelesen werden.

✔ Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt

Was bedeutet das Merkzeichen aG im Kontext der Schwerbehinderung?

Das Merkzeichen aG steht für „außergewöhnliche Gehbehinderung“ und wird im Schwerbehindertenausweis eingetragen. Es wird Personen zugesprochen, die aufgrund einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung eine außergewöhnliche Gehbehinderung aufweisen. Diese Beeinträchtigung muss mindestens einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 entsprechen.

Die außergewöhnliche Gehbehinderung ist gegeben, wenn sich die betroffene Person dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung fortbewegen kann. Dies betrifft insbesondere Menschen, die auch für kurze Strecken auf einen Rollstuhl angewiesen sind.

Zu den Personen, die das Merkzeichen aG erfüllen, zählen unter anderem Querschnittgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte, einseitig Oberschenkelamputierte, Personen mit Herzschäden mit schweren Dekompensationserscheinungen oder Ruheinsuffizienz, und Personen mit Erkrankungen der Atmungsorgane mit schwerer Einschränkung der Lungenfunktion.

Das Merkzeichen aG bringt verschiedene Vorteile mit sich. So kann es beispielsweise dazu dienen, gegenüber Jobcentern und Sozialämtern nachzuweisen, dass eine größere und teurere Wohnung benötigt wird, da die Fortbewegung im Rollstuhl in engen Wohnräumen oft nicht möglich ist. Zudem berechtigt der Ausweis mit dem Merkzeichen aG zur unentgeltlichen Beförderung im öffentlichen Nahverkehr.

Wie wird der Grad der Behinderung (GdB) festgestellt und welche Rolle spielt er bei der Zuerkennung von Merkzeichen?

Der Grad der Behinderung (GdB) wird auf Antrag von den Ämtern der Versorgungsverwaltung festgestellt. Die Feststellung erfolgt auf Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen. Der GdB wird in 10er-Graden von 10 bis 100 angegeben. Eine Feststellung der Behinderung mit Ausstellung eines Feststellungsbescheids erfolgt erst ab einem GdB von 20. Die Schwerbehinderteneigenschaft besteht ab einem Grad der Behinderung von 50 und höher.

Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis kennzeichnen die Art der Behinderung und die damit verbundenen Beeinträchtigungen. Sie werden zusammen mit dem GdB vom Versorgungsamt festgestellt. Es gibt verschiedene Merkzeichen, die jeweils bestimmte Arten von Behinderungen oder Beeinträchtigungen repräsentieren. Beispiele sind „aG“ für außergewöhnlich gehbehindert, „B“ für Begleitung erforderlich, „Bl“ für blind, „G“ für gehbehindert, „Gl“ für gehörlos, „H“ für hilflos, „RF“ für Rundfunkbeitragsbefreiung oder -ermäßigung und „TBl“ für taubblind.

Die Merkzeichen spielen eine wichtige Rolle bei der Zuerkennung von Nachteilsausgleichen und bestimmten Rechten. Zum Beispiel berechtigt das Merkzeichen „aG“ Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die mindestens einem GdB von 80 entspricht, zur Nutzung von Behindertenparkplätzen. Das Merkzeichen „G“ wird Personen mit erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr bzw. erheblicher Geh- und/oder Stehbehinderung zuerkannt.

Es ist zu beachten, dass die Zuerkennung von Merkzeichen und der GdB auf individuellen gesundheitlichen Zuständen und Beeinträchtigungen basiert. Daher kann der Prozess der Feststellung und Zuerkennung je nach Einzelfall variieren.

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung erfüllt sein?

Die Anerkennung einer außergewöhnlichen Gehbehinderung (Merkzeichen aG) ist an bestimmte rechtliche Voraussetzungen gebunden. Nach § 229 Abs. 3 SGB IX ist außergewöhnlich gehbehindert, wer eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung hat, die allein einem Grad der Behinderung (GdB) von 80 entspricht. Diese ist gegeben, wenn sich schwerbehinderte Menschen wegen der Schwere der Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.

Zu den Personen, die das Merkzeichen aG erfüllen, zählen insbesondere schwerbehinderte Menschen, die aufgrund verschiedenster Gesundheitsstörungen dauerhaft in ihrer Gehfähigkeit und Fortbewegung beeinträchtigt sind. Hierzu gehören Störungen bewegungsbezogener, neuromuskulärer oder mentaler Funktionen und Störungen des kardiovaskulären oder Atmungssystems. Beispiele für solche Personen sind Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können.

Die Nutzung eines Rollstuhls alleine reicht nicht aus, um eine außergewöhnliche Gehbehinderung anzunehmen. Vielmehr ist eine ständige Nutzung des Rollstuhls maßgeblich, wenn ansonsten die Fortbewegung nur mit großer Anstrengung oder fremder Hilfe möglich ist. Die Gehfähigkeit im öffentlichen Raum ist dabei entscheidend.

Es ist wichtig zu beachten, dass der GdB von 80 sich auf eine „erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung“ beziehen muss. Das bedeutet, dass die Behinderung oder Krankheit so stark sein muss, dass die betroffene Person sich nicht mehr selbstständig fortbewegen kann. Ein GdB von 100 aufgrund einer psychischen Erkrankung oder Krebs würde nicht bedeuten, dass das Merkzeichen aG erhalten wird.

Mit der Anerkennung des Merkzeichens „außergewöhnliche Gehbehinderung“ können verschiedene Nachteilsausgleiche in Anspruch genommen werden, wie zum Beispiel Parkerleichterungen nach den Regelungen der Straßenverkehrsordnung oder Freifahrt im öffentlichen Nahverkehr mit Eigenbeteiligung.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg – Az.: L 13 SB 22/14 – Urteil vom 15.01.2015

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2013 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 29. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 wird aufgehoben, soweit das Merkzeichen aG entzogen worden ist.

Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten für das gesamte Verfahren im vollen Umfang zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung des Merkzeichens aG.

Der im Jahre 1995 geborene Kläger erlitt im Jahre 2003 im Alter von 8 Jahren eine schwere Hirnblutung, als deren Folge unter Anderem Lähmungen der oberen und unteren Extremitäten, eine starke Gesichtsfeldeinschränkung, Beeinträchtigungen des Sprachvermögens und Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit verblieben sind. Mit Bescheid vom 25. Februar 2004 stellte der Beklagte zugunsten des Klägers mit Wirkung vom 17. Juni 2003 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen B, G, aG und H fest. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

In der Folgezeit führte der Beklagte von Amts wegen eine Überprüfung durch. Als deren Ergebnis erteilte er dem Kläger mit Wirkung vom 29. März 2010 einen Bescheid, in dem der GdB auf den Wert von 70 herabgesetzt und die Merkzeichen B, H und aG entzogen wurden. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2010 mit der Begründung zurück, die Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers hätten sich wesentlich verändert, weil eine Besserung eingetreten sei.

Im anschließenden Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Berlin hat aufgrund richterlicher Beweisanordnung der Facharzt für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. am 26. April 2012 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist er zu der Einschätzung gelangt, gegenüber der Bewilligung aus dem Jahre 2004 sei es zu einer wesentlichen Veränderung in Gestalt einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gekommen. Unter anderem lägen die Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht mehr vor.

Aufgrund richterlicher Beweisanordnung auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat am 22. Juni 2013 die Ärztin für Neurologie Dr. ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Darin ist sie zu der Einschätzung gelangt, dem Kläger sei zwar das Gehen auf einem Krankenhausgang möglich, nicht jedoch in einem normalen Lebensumfeld mit Bordsteinkanten, abfallenden und ansteigenden Wegen, Bodenunebenheiten und der ständigen Möglichkeit, im Gedränge und auch auf Treppen angerempelt zu werden. Es sei keine wesentliche Besserung eingetreten. Die Voraussetzungen des Merkzeichen aG seien weiterhin erfüllt.

Mit Urteil vom 17. Dezember 2013 hat das Sozialgericht Cottbus der Klage hinsichtlich des GdB stattgegeben, die Klage hinsichtlich des Merkzeichens aG jedoch abgewiesen, weil es insoweit der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt ist.

Mit seiner zum Landessozialgericht erhobenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren, bezogen auf das Merkzeichen aG, weiter. Er macht geltend, die Voraussetzungen für das Merkzeichen hätten auch im Entziehungszeitpunkt weiterhin vorgelegen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 17. Dezember 2013 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 29. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juni 2010 insoweit aufzuheben, als darin das Merkzeichen aG entzogen worden ist.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie auf die Verwaltungsakten des Beklagten, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 SGG, sie hat auch in der Sache Erfolg. Das Urteil des Sozialgerichts war zu ändern, die angefochtenen Bescheide insoweit aufzuheben, als darin das Merkzeichen aG entzogen worden war. Denn zum Zeitpunkt der Entziehung lagen die Voraussetzungen nach § 48 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) nicht vor, weil keine hinsichtlich des Merkzeichens aG rechtserhebliche wesentliche Veränderung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht eingetreten war. Vielmehr bestand auch zum Entziehungszeitpunkt der Anspruch des Klägers auf Beibehaltung des Merkzeichens aG fort.

Anspruchsgrundlage für die Zuerkennung dieses Merkzeichens ist § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch/Neuntes Buch (SGB IX). Hiernach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Zu diesen Merkmalen gehört die außergewöhnliche Gehbehinderung im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz oder entsprechender straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, für die in den Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen aG einzutragen ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 29. März 2007, B 9a SB 5/05 R, juris Randnummer 11).

Ausgangspunkt für die Feststellung der außergewöhnlichen Gehbehinderung ist Abschnitt II Nr. 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Verwaltungsvorschriften–Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO). Die VwV-StVO selbst ist als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung nach Artikel 84 Abs. 2 Grundgesetz wirksam erlassen worden (Bundessozialgericht aaO, juris Randnummer 12). Hiernach ist außergewöhnlich gehbehindert im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 14 Straßenverkehrsgesetz, wer sich wegen der Schwere seines Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb seines Kraftfahrzeuges bewegen kann.

Während die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 Halbsatz 1 zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 VwV-StVO aufgeführten Schwerbehinderten relativ einfach zu bestimmen sind, ist dies bei der Gruppe der gleichgestellten Schwerbehinderten nicht ohne Probleme möglich. Ein Betroffener ist gleichzustellen, wenn seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und er sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die erstgenannten Gruppen von Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen kann (BSG aaO, juris Randnummer 13). Schwierigkeiten bereitet hierbei der Vergleichsmaßstab, weil die verschiedenen, im 1. Halbsatz aufgezählten Gruppen in ihrer Wegefähigkeit nicht homogen sind und einzelne Vertreter dieser Gruppen – bei gutem gesundheitlichen Allgemeinzustand, hoher körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler prothetischer Versorgung – ausnahmsweise nahezu das Gehvermögen eines nicht Behinderten erreichen können (BSG aaO).

Für die Gleichstellung ist bei dem Restgehvermögen des Betroffenen anzusetzen. Ein anspruchsausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig weder quantifizieren noch qualifizieren (BSG a.a.O., juris Randnummer 14).

Weder der gesteigerte Energieaufwand noch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugen grundsätzlich dazu. Denn die maßgeblichen straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist: Nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (BSG aaO, juris Randnummer 14).

Ein an einer bestimmten Wegstrecke und einem Zeitmaß orientierter Maßstab liegt auch nicht wegen der Methode nahe, mit der die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festgestellt werden. Denn für das Merkzeichen aG gelten gegenüber G nicht gesteigerte, sondern andere Voraussetzungen (BSG, aaO, juris Randnummer 17 mit weiteren Nachweisen). Ebenso wenig lässt sich ein allein maßgebliches Wegstrecken-Zeit-Kriterium aus dem straßenverkehrsrechtlichen Zweck des Merkzeichens aG herleiten (BSG, aaO, juris, Randnummer 19).

An diesen Voraussetzungen gemessen steht für den Senat der Anspruch des Klägers auf eine fortbestehende Zuerkennung des Merkzeichens aG außer Zweifel. Denn der Kläger ist praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an nur noch mit fremder Hilfe in der Lage, eine Wegstrecke zurückzulegen. Dies ergibt sich aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 SGG). So steht fest, dass der Kläger auch im Entziehungszeitpunkt weiterhin durch starke Lähmungserscheinungen der oberen und unteren Extremitäten und durch starke Gesichtsfeldeinschränkungen beeinträchtigt war. Die Lähmung insbesondere des rechten Armes machte ihm zugleich die Benutzung einer Gehstütze unmöglich. Darüber hinaus besteht bei dem Kläger ein eingeschränktes Gesichtsfeld mit einer Quadrantenanopsie nach rechts unten, was beim Blick geradeaus dazu führt, dass Gegenstände, die rechts auf dem Boden liegen, nicht gesehen werden. Daher ist zwar, wie auch in den Rehabilitationsberichten beschrieben, das Gehen auf einem Krankenhausgang möglich, nicht jedoch das Gehen in einem normalen Lebensumfeld mit Bordsteinkanten, abfallenden und ansteigenden Wegen und Bodenunebenheiten. Dies hat die Sachverständige Dr. zweifelsfrei und in jeder Hinsicht überzeugend festgestellt. Der Senat hat an der Richtigkeit dieser Feststellungen keine Zweifel, zumal sie sich auch mit den sonstigen medizinischen Einschätzungen in der Sache decken.

Damit steht aber zugleich fest, dass sich der Kläger außerhalb seines Kraftfahrzeuges nur noch mit fremder Hilfe bewegen kann, und zwar praktisch von den ersten Schritten an. Denn genau die vorgenannten widrigen Umstände wie Bordsteinkanten, abfallende und ansteigende Wege sowie Bodenunebenheiten wird der Kläger stets bereits auf den ersten Schritten nach Verlassen des Kraftfahrzeuges antreffen.

Dem steht nicht entgegen, dass der Sachverständige festgestellt hat, dass der Kläger unter bestimmten geschützten Bedingungen, so etwa innerhalb geschlossener Gebäude auf hindernisfreien Wegen, durchaus in der Lage ist, längere Wegstrecken zurückzulegen. Denn auf diese – im Übrigen unstreitigen – Sachverhaltsumstände kommt es aus den vorgenannten Gründen nicht entscheidend an. Vielmehr ist die straßenverkehrsrechtliche Sicht, wie sie durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeformt wurde, maßgeblich; maßgeblich sind somit nicht die Verhältnisse innerhalb geschlossener Räume, sondern unmittelbar nach Verlassen eines Kraftfahrzeuges.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst Rechnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht bestehen.

 

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