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Zu Unrecht bezogene Leistungen in der Grundsicherung wegen verschwiegenen Einkommens

Jobcenter fordert zu Unrecht bezogene Leistungen zurück: Gericht bestätigt Rechtmäßigkeit – Transparenz und Ehrlichkeit bei Einkünften gefordert

Das Gericht SG Neuruppin hat die Klagen eines Ehepaars abgewiesen, das zu Unrecht Leistungen der Grundsicherung bezog, weil es Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit verschwiegen hatte. Die Kläger hatten versäumt, dem Jobcenter ihr tatsächliches Einkommen mitzuteilen, was zur teilweisen Aufhebung der Bewilligungsbescheide und einer Rückforderung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen führte. Das Gericht fand, dass die Kläger grob fahrlässig gehandelt hatten, indem sie ihre Einkünfte nicht angaben und somit keine Ansprüche auf die erhaltenen Leistungen hatten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: S 26 AS 33/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht wies die Klagen gegen die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide des Jobcenters ab.
  • Die Kläger hatten Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit verschwiegen und somit zu Unrecht Leistungen erhalten.
  • Das Jobcenter war berechtigt, die Bewilligungen teilweise aufzuheben und die Erstattung der zu Unrecht erhaltenen Beträge zu fordern.
  • Die Kläger hatten mindestens grob fahrlässig gehandelt, indem sie ihr Einkommen nicht angaben.
  • Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide waren sowohl formell als auch materiell rechtmäßig.
  • Das Gericht fand keine Veranlassung, den Klägern hinsichtlich ihrer Pflicht zur Offenlegung ihres Einkommens Vertrauensschutz zu gewähren.
  • Die Kläger konnten sich nicht darauf berufen, keinen Gewinn erzielt zu haben, da sie bereits die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit verneint hatten.
  • Die Entscheidung beruhte auf der Feststellung, dass die Kläger die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hatten.

Verschwiegenes Einkommen bei Grundsicherungsleistungen: Was Sie wissen sollten

Die Grundsicherung für Arbeitsuchende, umgangssprachlich auch als Hartz IV bekannt, ist eine staatliche Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Wer diese Leistung bezieht, ist verpflichtet, sein Einkommen und Vermögen offenzulegen. Doch was passiert, wenn man sein Einkommen verschweigt oder falsche Angaben macht? In diesem Artikel erfahren Sie, welche rechtlichen Konsequenzen es haben kann, wenn man seine Einkünfte nicht korrekt angibt und wie Sie sich davor schützen können.

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Leistungen zurückzahlen? Gericht urteilt zu Grundsicherung
Grundsicherung: Muss ich Leistungen zurückzahlen, wenn ich Einkommen verschweige? (Symbolfoto: Brigitte Jankord /Shutterstock.com)

Im Zentrum eines Rechtsstreits am Sozialgericht Neuruppin stand die Frage, ob das Jobcenter zu Recht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende teilweise aufgehoben und von einem Ehepaar die Erstattung zu Unrecht bezogener Beträge gefordert hat. Die Kläger, langjährige Empfänger von Grundsicherungsleistungen, sahen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit verschwiegen zu haben.

Verborgene Einkünfte führen zu gerichtlicher Auseinandersetzung

Der Fall nahm seinen Anfang, als die Klägerin im April 2011 Leistungen der Grundsicherung für sich und ihren Ehemann beantragte, dabei jedoch angab, dass weder sie noch weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Einkommen erzielten. Diese Angaben standen im Widerspruch zu späteren Erkenntnissen des Jobcenters, wonach der Kläger seit 2008 einer selbstständigen Tätigkeit nachging. Aufgrund dieser Diskrepanz hob das Jobcenter rückwirkend Bewilligungsbescheide auf und forderte die zu Unrecht erhaltenen Leistungen zurück.

Das Jobcenter ermittelt und handelt

Erste Zweifel an den Angaben der Kläger kamen auf, als die Krankenversicherung des Klägers 2014 mitteilte, dass dieser aufgrund seines Einkommens pflichtversichert werden müsse. Trotz Aufforderungen, Einkommensnachweise vorzulegen, blieben die Kläger Beweise für die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben aus der selbstständigen Tätigkeit des Klägers schuldig. Erst auf wiederholte Nachfragen legten die Kläger entsprechende Unterlagen vor, die schließlich zur Aufhebung der Leistungsbewilligungen führten.

Die rechtliche Bewertung des Sozialgerichts Neuruppin

Das Gericht wies die Klagen der Beteiligten ab und stellte fest, dass die Kläger mindestens grob fahrlässig gehandelt hatten, indem sie ihr Einkommen nicht angaben. Diese Unterlassung führte dazu, dass die Kläger zu Unrecht Leistungen bezogen hatten. Das Gericht begründete seine Entscheidung unter anderem mit der langjährigen Leistungsbeziehung der Kläger zum Jobcenter, die eine gewisse Vertrautheit mit den Meldepflichten vermuten lässt. Die Kläger hätten erkennen müssen, dass jede Art von Einkommen Einfluss auf ihren Leistungsanspruch hat.

Die Bedeutung von Transparenz und Ehrlichkeit

Das Urteil unterstreicht die Bedeutung von Transparenz und Ehrlichkeit im Verhältnis zwischen Leistungsempfängern und Sozialleistungsträgern. Es zeigt auf, dass das Verschweigen von Einkommen schwerwiegende Konsequenzen haben kann, sowohl in finanzieller Hinsicht durch die Rückforderung zu Unrecht erhaltener Leistungen als auch durch das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung.

In einer sachlichen Zusammenfassung bestätigt das Urteil die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Jobcenters und betont die Verantwortung der Leistungsempfänger, korrekte und vollständige Angaben zu ihren Einkommensverhältnissen zu machen.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Wie wird Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit bei Grundsicherungsleistungen berücksichtigt?

Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit wird bei der Berechnung von Grundsicherungsleistungen wie dem Bürgergeld berücksichtigt, indem der Gewinn aus dieser Tätigkeit ermittelt und auf den Leistungsanspruch angerechnet wird. Der Gewinn ergibt sich aus den tatsächlich erzielten Einnahmen abzüglich der anerkannten Ausgaben, geteilt durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum. Es werden nur angemessene, nachgewiesene und eindeutig der selbstständigen Tätigkeit zuzuordnende Ausgaben berücksichtigt.

Selbstständige, die nicht genügend Gewinne erzielen, um über dem Existenzminimum zu leben, können Bürgergeld beantragen, ohne ihre Selbstständigkeit aufgeben zu müssen. Bei der Antragstellung müssen Selbstständige die Anlage KAS ausfüllen, um ihr Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit vorläufig zu erklären. Zudem wird nur noch sogenanntes „erhebliches“ Vermögen bei der Vermögensprüfung berücksichtigt, und bestimmte Altersvorsorgeanlagen zählen nicht mehr als Vermögen.

Es ist wichtig, dass Selbstständige alle relevanten Unterlagen, wie die Anlage EKS und eventuell eine Gewerbeanmeldung, beim Antrag auf Grundsicherung vorlegen. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass das tatsächliche Einkommen höher war als vorläufig ermittelt, müssen zu viel erhaltene Leistungen zurückgezahlt werden. Im umgekehrten Fall werden Grundsicherungsleistungen nachgezahlt.

Die Anrechnung von Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit im Rahmen der Sozialhilfe kann auch bestimmte Freibeträge beinhalten, die nicht als Einkommen berücksichtigt werden.

Welche Konsequenzen hat das Verschweigen von Einkommen bei Bezug von Grundsicherungsleistungen?

Das Verschweigen von Einkommen bei Bezug von Grundsicherungsleistungen kann schwerwiegende Konsequenzen haben. Werden Einkünfte oder Vermögen nicht angegeben, die über dem Freibetrag liegen, kann dies zur Aufhebung des Bewilligungsbescheids und zur Rückforderung der bereits erhaltenen Leistungen führen. Dies wurde in einem Fall vom Landessozialgericht Hamburg entschieden, bei dem die Betroffenen Kapitalerträge und erhebliches Barvermögen nicht angezeigt hatten.

Zudem kann das Verschweigen von Einkommen oder Vermögen als Sozialbetrug gewertet werden, was strafrechtliche Folgen nach sich ziehen kann. Sozialbetrug kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Bei höheren Beträgen oder gewerbsmäßigem Betrug kann die Strafe noch höher ausfallen, mit Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen sind möglich, wie Bußgelder, die bis zu 5.000 Euro betragen können. Die Verjährungsfristen für Sozialbetrug richten sich nach dem Strafgesetzbuch, wobei die Verjährung in der Regel fünf Jahre beträgt.

Es ist wichtig zu beachten, dass die Behörden regelmäßig Datenabgleiche durchführen, um unberechtigte Leistungsbewilligungen aufzudecken. Wer also Einkommen oder Vermögen verschweigt, riskiert nicht nur die Rückzahlung der zu Unrecht erhaltenen Leistungen, sondern auch strafrechtliche Verfolgung.

Welche Rolle spielt die Mitwirkungspflicht von Leistungsempfängern im Sozialrecht?

Die Mitwirkungspflicht von Leistungsempfängern im Sozialrecht ist ein zentraler Bestandteil des Leistungsverfahrens. Sie verpflichtet die Empfänger von Sozialleistungen dazu, alle für die Leistung erheblichen Umstände vollständig und zutreffend anzugeben und Änderungen unverzüglich mitzuteilen. Dies umfasst unter anderem die Pflicht, persönlich zu erscheinen, wenn dies vom Leistungsträger verlangt wird, sowie sich ärztlichen oder psychologischen Untersuchungen zu unterziehen, wenn diese für die Entscheidung über die Leistung notwendig sind.

Die Mitwirkungspflichten sind im Sozialgesetzbuch (SGB) festgelegt und gelten für alle Sozialbereiche. Im SGB I sind die allgemeinen Mitwirkungspflichten in den §§ 60 ff. geregelt, während das SGB II spezielle Mitwirkungspflichten für Empfänger von Leistungen wie Arbeitslosengeld II enthält. Die Mitwirkungspflichten dienen dazu, dass die Verwaltung den leistungserheblichen Sachverhalt vollständig und sachdienlich aufklären kann, um die richtige Entscheidung zu treffen.

Die Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten kann zur Entziehung oder Versagung von Leistungen führen. Dies setzt jedoch voraus, dass der Betroffene zuvor schriftlich über die möglichen Folgen fehlender Mitwirkung belehrt wurde. Die Mitwirkungspflichten müssen dabei angemessen und zumutbar sein, und es gibt Grenzen, wie zum Beispiel die Verhältnismäßigkeit zur in Anspruch genommenen Sozialleistung.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass Sanktionen für Empfänger von Arbeitslosengeld II bei Verletzung bestimmter Mitwirkungspflichten grundsätzlich verfassungsgemäß sein können, sofern sie unter Berücksichtigung strenger Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit erfolgen. Die Mitwirkungspflichten betonen die Einbindung des Leistungsempfängers in die Solidargemeinschaft und machen deutlich, dass er, soweit möglich und zumutbar, dazu beiträgt, dass die Funktionsfähigkeit des Sozialleistungssystems erhalten bleibt.

In welchen Fällen dürfen bewilligte Sozialleistungen zurückgefordert werden?

Bewilligte Sozialleistungen dürfen in verschiedenen Fällen zurückgefordert werden. Eine Rückforderung ist insbesondere dann möglich, wenn Leistungen zu Unrecht erbracht wurden, beispielsweise aufgrund von falschen Angaben des Leistungsempfängers oder wenn sich die Verhältnisse des Begünstigten wesentlich geändert haben, wie etwa durch einen Vermögenszufluss oder eine neue familiäre Situation.

Die rechtlichen Grundlagen für die Rückforderung finden sich im Sozialgesetzbuch (SGB). Nach § 45 SGB X kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zurückgenommen werden, wenn der Leistungsempfänger die Rechtswidrigkeit kannte oder sie infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Eine Rückforderung ist auch dann möglich, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig unvollständig gemacht hat.

Im Falle von Sozialhilfe müssen Leistungen in der Regel nicht zurückgezahlt werden, es sei denn, sie wurden bei einer vorübergehenden Notlage als Darlehen gewährt oder es handelt sich um zu Unrecht erbrachte Leistungen. Bei Hartz 4 bzw. Arbeitslosengeld II kann das Jobcenter zu viel gezahlte Leistungen zurückfordern, wenn der Leistungsbescheid fehlerhaft war.

Es gibt jedoch auch Schutzvorschriften für den Leistungsempfänger. So ist eine Rückforderung von zu viel gezahlten Leistungen ausgeschlossen, wenn der Begünstigte auf den Bewilligungsbescheid vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist, es sei denn, es liegt Unlauterkeit vor, wie etwa arglistige Täuschung oder grob fahrlässig unvollständige Angaben.

Die Behörden müssen bei einer Rückforderung bestimmte Fristen beachten. So muss die Behörde innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen handeln, die eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. In besonderen Fällen kann das Sozialamt Sozialhilfeleistungen zurückfordern, die aufgrund einer entsprechenden Verfügung bewilligt wurden.

Bei einer Rückforderung muss der Leistungsempfänger in der Regel vorher angehört werden, und es besteht das Recht auf Widerspruch gegen die Rückforderungsentscheidung. Wenn ein Leistungsempfänger mit der Rückforderung nicht einverstanden ist, kann er Widerspruch einlegen und gegebenenfalls vor dem Sozialgericht klagen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 45 SGB X (Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes): Erklärt die Voraussetzungen, unter denen ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt von der Behörde zurückgenommen werden kann, insbesondere wenn falsche Angaben gemacht wurden oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.
  • § 50 SGB X (Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen): Regelt die Pflicht zur Erstattung von Sozialleistungen, die aufgrund eines später aufgehobenen Verwaltungsaktes zu Unrecht erbracht wurden.
  • § 40 SGB II (Anwendung des SGB X und des SGB III): Verweist auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des SGB X und des SGB III im Kontext der Grundsicherung für Arbeitsuchende und legt fest, dass unter bestimmten Bedingungen Verwaltungsakte aufgehoben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückgefordert werden können.
  • § 11 SGB II (Zu berücksichtigendes Einkommen): Definiert, welche Einkommensarten bei der Berechnung von Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigen sind, einschließlich Einkommen aus selbständiger Tätigkeit.
  • § 9 SGB II (Hilfebedürftigkeit): Legt fest, unter welchen Voraussetzungen eine Person als hilfebedürftig im Sinne des SGB II gilt, was die Grundlage für den Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bildet.
  • § 106a SGG (Beschleunigung des Verfahrens): Ermöglicht das Gericht, in bestimmten Fällen ein beschleunigtes Verfahren durchzuführen und Entscheidungen zu treffen, auch ohne mündliche Verhandlung.

Diese Paragraphen sind zentral für das Verständnis des Verfahrens zur Rückforderung zu Unrecht erhaltener Grundsicherungsleistungen und der damit verbundenen rechtlichen Rahmenbedingungen.


Das vorliegende Urteil

SG Neuruppin – Az.: S 26 AS 33/22 – Gerichtsbescheid vom 31.01.2023

Die Klagen werden abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen darüber, ob der Beklagte zu Recht zuvor verlautbarte Bewilligungsverfügungen über passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) teilweise aufgehoben hat und im Aufhebungsumfang von den Klägern Erstattung fordert.

Die seit vielen Jahren zusammen mit ihrem Ehemann – dem Kläger – im ständigen Leistungsbezug bei dem beklagten Jobcenter stehende Klägerin beantragte für die Kläger mit Weiterbewilligungsantrag vom 18. April 2011 die Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen nach den Bestimmungen des SGB II. Die unter Ziffer 4 des von der Klägerin unterzeichneten Antrages enthaltene Frage: „Haben bzw. hatten Sie oder weitere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Einkommen […] und füllen Sie bitte für jede Person Anlage EK aus. […] Bei Erwerbseinkommen aus selbständiger Tätigkeit füllen Sie bitte Anlage EKS aus.“ verneinte die Klägerin. Die Klägerin bestätigte zudem ua, das Merkblatt „SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)“ erhalten zu haben und deren Inhalt zu kennen. In der für den Kläger von der Klägerin eingereichten und von ihr unterzeichneten Anlage zur Feststellung der Einkommensverhältnisse jeder in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Person (Anlage EK) vom 18. April 2011 verneinte sie jede Art der Einkommenserzielung und gab an, dass der Kläger eine selbständige Tätigkeit nicht ausübe. Bei der Beantwortung der Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ist erkennbar, dass das zuvor mit einem Kreuz markierte Feld für „Ja“ weiß überklebt und stattdessen „Nein“ angekreuzt worden ist.

Hierauf gewährte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 01. Juni 2011 bis zum 30. November 2011 entsprechende Leistungen ohne Berücksichtigung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit (Bewilligungsbescheid vom 19. Mai 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 14. Dezember 2011).

Im Jahre 2014 informierte die Krankenversicherung des Klägers den Beklagten darüber, dass der Kläger ab dem 01. August 2012 pflichtversichert werden müsse, da das Einkommen über der Grenze zur Familienversicherung liege. Mit Schreiben vom 28. Mai 2014 forderte der Beklagte den Kläger auf, entsprechende Einkommensnachweise einzureichen; den Zugang dieses Schreibens bestreiten die Kläger. Nachdem der Kläger in der Gehaltsabrechnung der Klägerin für den Monat April 2015 als Arbeitgeber angegeben wurde, forderte der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. Mai 2015 auf, leistungsrelevante Unterlagen zu seiner selbständigen Tätigkeit einzureichen. Mit weiterem Schreiben vom 22. Mai 2015 forderte der Beklagte den Kläger zur Einreichung aller Nachweise zu den tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben aus seiner selbständigen Tätigkeit – der Kläger führte ein Gewerbe zur Beratung, Planung und Ausführung von Büro- und Objekteinrichtungen (vgl hierzu die Gewerbeanmeldung des Klägers vom 13. März 2008, die dem Beklagten nach Aktenlage am 22. Mai 2015 zur Kenntnis gelangte) – für den Zeitraum ab dem Jahr 2008 auf. Dieser Aufforderung kamen die Kläger jedenfalls aufgrund des Schreibens vom 22. Mai 2015 nach.

Mit an die Kläger – individualisiert – gerichteten Aufhebungs- und Erstattungsverfügungen vom 18. Mai 2016 hob der Beklagte seine zuvor ergangenen bewilligenden Verfügungen vom 19. Mai 2011 und vom 14. Dezember 2011 für den Zeitraum vom 01. Juni 2011 bis zum 30. November 2011 aufgrund der zusätzlichen Berücksichtigung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit des Klägers in Höhe eines Betrages von jeweils monatlich 175,07 Euro hinsichtlich der Klägerin bzw hinsichtlich des Klägers in Höhe eines Betrages von jeweils monatlich 175,06 Euro ua unter Verweis auf § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X sowie § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X auf und forderte unter Verweis auf § 50 Abs 1 S 1 SGB X im Aufhebungsumfang von den Klägern jeweils Erstattung.

Die hiergegen erhobenen Widersprüche der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2016 als unbegründet zurück. Zur Rechtfertigung seiner Entscheidung hob er im Wesentlichen hervor, Rechtsgrundlage für die Aufhebung und Erstattung seien ua § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X und § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X sowie § 50 Abs 1 S 1SGB X. Neben anderem Einkommen sei auch das Einkommen des Klägers aus selbständiger Tätigkeit zusätzlich zu berücksichtigen. Betriebseinnahmen in Höhe eines Betrages von 20.205,40 Euro stünden Betriebsausgaben in Höhe eines Betrages von 17.104,29 Euro gegenüber, so dass sich ein Gewinn im Bewilligungszeitraum in Höhe eines Betrages von monatlich 516,85 Euro ergebe, der zu berücksichtigen sei. Die Kläger könnten sich insbesondere auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie hätten ihre Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit nicht angegeben und damit mindestens grob fahrlässig falsche Angaben gemacht. Als langjährigen Leistungsbeziehern habe ihnen auch klar sein müssen, dass durch ihre unterlassene Mitteilung die Leistungshöhe nicht zutreffend habe berechnet werden können und dass deshalb die Bewilligungsverfügungen unzutreffend gewesen seien.

Hiergegen haben die anwaltlich vertretenen Kläger mit Schriftsatz vom 26. Oktober 2016 bei dem erkennenden Gericht Klagen erhoben, mit denen sie ihre auf Aufhebung der sie belastenden Verfügungen gerichteten Begehren weiterverfolgen. Sie tragen im Wesentlichen vor, ihnen sei kein Verschulden vorzuwerfen, weil sie keinen Gewinn aus selbständiger Tätigkeit erwirtschaftet hätten. Vielmehr hätten die Betriebsausgaben die Betriebseinnahmen überschritten, so dass sie Einnahmen auch nicht anzugeben gehabt hätten. Im Übrigen gehe der Beklagte von zu hohen Betriebseinnahmen und zu niedrigen Betriebsausgaben aus, insbesondere seien bei Letzteren die Telefonkosten angesichts des nur betrieblich genutzten Anlagenanschlusses vollständig zu berücksichtigen, Gleiches gelte für die Kosten für das ausschließlich betrieblich genutzte Kraftfahrzeug. Auch seien die in den Fragebögen gestellten Fragen nicht verständlich. Im Übrigen seien die angegriffenen Verfügungen formell rechtswidrig und auch nicht bestimmt genug.

Die Kläger beantragen, die Bescheide vom 18. Mai 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2016 (W 524/16) betreffend den Leistungszeitraum vom 01. Juni 2011 bis zum 30. November 2011 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages wiederholt und vertieft er seine Erwägungen in den angegriffenen Verfügungen. Er hebt hervor, die Betriebseinnahmen habe der Beklagte aus den eigenen Angaben der Kläger im Sozialverwaltungsverfahren ermittelt, ohne dass die Kläger deren Höhe bis zum Scheitern der Vergleichsbemühungen beanstandet hätten. Auch die Betriebsausgaben seien aus den eigenen Angaben der Kläger im Sozialverwaltungsverfahren ermittelt worden. Höhere Kraftfahrzeug- und Telefonkosten seien im hier maßgeblichen Streitzeitraum nicht zu berücksichtigen. Ob das Kraftfahrzeug überwiegend betrieblich genutzt worden sei, sei mangels Vorlage eines Fahrtenbuches nicht nachgewiesen. Die Berücksichtigung von lediglich der Hälfte der geltend gemachten Telefonkosten sei zu Recht erfolgt, weil über den Anlagenanschluss auch privat telefoniert worden sein müsse. Darüber hinaus würden insbesondere auch die subjektiven Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X und des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X vorliegen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Gericht die zugleich erhobenen weiteren Klagen gegen weitere Aufhebungs- und Erstattungsentscheidungen des Beklagten betreffend andere Leistungszeiträume abgetrennt und jeweils unter einem neuen Aktenzeichen fortgeführt (Beschluss vom 14. Januar 2022 – S 26 AS 1923/16). Über die Klagen betreffend den (im ursprünglichen Rechtsstreit verbliebenen) Leistungszeitraum vom 01. Mai 2009 bis zum 30. September 2009 hat die Kammer mit Urteil vom 13. Januar 2023 – S 26 AS 1923/16 – zu Ungunsten der Kläger entschieden, über die von diesem Ursprungsverfahren abgetrennten weiteren Klagen hat die Kammer bislang noch nicht entschieden.

Das Gericht hat die Kläger jeweils unter Verweis auf § 106a Abs 2 SGG mit Verfügung vom 19. April 2022 mit Fristsetzung aufgefordert, wegen der streitigen Kraftfahrzeug- und Telefonkosten weitere Unterlagen einzureichen, und die Kläger nach dem Scheitern von Vergleichsbemühungen mit Verfügung vom 11. November 2022 mit Fristsetzung aufgefordert, sämtliche Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nachvollziehbar darzulegen und hierüber Nachweise vorzulegen; auf die daraufhin mit den Schriftsätzen des Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 01. Juni 2022 und vom 20. Dezember 2022 übersandten Unterlagen wird Bezug genommen.

Das Gericht hat die Kläger im Rahmen des in den Verfahren zu den sozialgerichtlichen Aktenzeichen S 26 AS 1923/16 und S 26 AS 2118/16 durchgeführten Termins zur mündlichen Verhandlung vom 13. Januar 2023 persönlich angehört. Wegen der Einzelheiten der persönlichen Anhörung wird auf das entsprechende Protokoll Bezug genommen.

Schließlich hat das Gericht die Beteiligten mit Verfügungen vom 18. Januar 2023 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten und den Inhalt der die Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen lagen vor und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klagen haben keinen Erfolg.

1. Über die Klagen konnte das Gericht gemäß § 105 Abs 1 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten gemäß § 105 Abs 1 S 2 SGG zuvor mit gerichtlichen Verfügungen vom 18. Januar 2023 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind, eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist und weil das Gericht vor seiner Entscheidung – ebenso wie im Rahmen der mündlichen Verhandlung – weder zur vorherigen Darstellung seiner Rechtsansicht (vgl Bundessozialgericht, Beschluss vom 03. April 2014 – B 2 U 308/13 B, RdNr 8 mwN) noch zu einem vorherigen umfassenden Rechtsgespräch verpflichtet ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Oktober 2014 – B 5 R 8/14 R, RdNr 23).

2. Streitgegenstand des Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der mit den Bescheiden des Beklagten vom 18. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. September 2016 verlautbarten sozialverwaltungsbehördlichen Aufhebungs- und Erstattungsverfügungen des Beklagten für den Zeitraum vom 01. Juni 2011 bis zum 30. November 2011. Gegenstand des Verfahrens sind deshalb auch die in der Antragstellung der Kläger genannten sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen des Beklagten.

3. Die Klagen sind zulässig. Die Kläger, die zulässigerweise in subjektiver Streitgenossenschaft auftreten (vgl § 74 SGG iVm § 59 der Zivilprozessordnung <ZPO> und § 60 ZPO), wenden sich gegen die genannten sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen zu Recht mit isolierten Anfechtungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG iVm § 56 SGG), mit denen sie die Aufhebung der sie belastenden Aufhebungs- und Erstattungsverfügungen – hierbei handelt es sich um Verwaltungsakte im Sinne des § 31 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) – zu erreichen suchen, weil allein durch die Aufhebung dieser Verfügungen die ursprünglich insgesamt höhere Leistungen gewährenden sozialverwaltungsbehördlichen Bewilligungsverfügungen, die ihrerseits bindend geworden sind (§ 77 SGG), wieder auflebten. Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.

4. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind indes unbegründet.

a) Die gegen die Aufhebungsverfügungen gerichteten isolierten Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG iVm § 56 SGG sind unbegründet, weil diese sozialverwaltungsbehördlichen Aufhebungsentscheidungen des Beklagten rechtmäßig sind und die Kläger sie nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschweren (§ 54 Abs 2 S 1 SGG).

aa) Ermächtigungsgrundlagen für die Aufhebungsverfügungen des Beklagten sind – wie der Beklagte auch zutreffend erkannt hat – die Regelungen des § 40 Abs 1 S 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II), § 40 Abs 1 S 2 SGB II und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 bis Nr 3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) iVm § 330 Abs 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III), jeweils in der Fassung, die die genannten Vorschriften vor dem Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten über bereits abgeschlossene Bewilligungszeiträume das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist, was im Übrigen auch für die weiteren zitierten Vorschriften gilt (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 1/20 R, RdNr 13 mwN).

bb) Die Aufhebungsverfügungen sind formell rechtmäßig, auch wenn die Kläger zu ihnen als eingreifenden Verwaltungsakten nicht vor deren Bekanntgabe gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 24 Abs 1 SGB X angehört worden sein sollten. Denn jedenfalls wurde ein etwaiger Anhörungsmangel aufgrund der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt (vgl § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X iVm § 41 Abs 2 SGB X).

cc) Die Aufhebungsverfügungen sind auch materiell rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlagen für die Aufhebungsverfügungen des Beklagten gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II, § 40 Abs 1 S 2 SGB II und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X und § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X iVm § 330 Abs 2 SGB III liegen vor.

aaa) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II gilt für das Verfahren nach dem SGB II das SGB X. Zudem sind entsprechend anwendbar die Vorschriften des SGB III ua über die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 40 Abs 2 Nr 2 SGB II und § 40 Abs 2 Nr 3 SGB II sowie § 330 Abs 2 SGB II und § 330 Abs 3 S 1 SGB III). Die Vorschrift des § 45 SGB X lautet, soweit vorliegend maßgeblich, in ihrem Abs 2 S 1: „Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.“ und in ihrem Abs 2 S 3: „Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte ua nicht berufen, soweit 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.“ Nach § 45 Abs 4 S 1 SGB X wird nur in den zuletzt wiedergegebenen Fällen des Satzes 3 der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

bbb) Die Voraussetzungen für eine Rücknahme für die Vergangenheit sind erfüllt.

aaaa) Bei den teilweise aufgehobenen bewilligenden Verfügungen handelt es sich um begünstigende Verwaltungsakte, die von Anfang an rechtswidrig waren, denn der Kläger ging bereits seit 2008 einer selbständigen Tätigkeit nach, weshalb der Erlass endgültiger Bewilligungsbescheide schon deshalb von Anfang an rechtswidrig war. Wie das Bundessozialgericht, dem die Kammer insoweit folgt, weil es deren Auffassung für zutreffend hält, bereits mehrfach entschieden hat, ist der Erlass einer endgültigen Entscheidung kein taugliches Instrumentarium in Fällen, in denen objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung insbesondere der Einkommenssituation besteht. Dies ist Folge der grundsätzlichen Verpflichtung der Verwaltung, vor Erlass einer sozialverwaltungsbehördlichen Verfügung die Sachlage vollständig aufzuklären, um die objektiven Verhältnisse. Erlässt sie eine endgültige sozialverwaltungsbehördliche Verfügung auf Grundlage eines (aus welchen Gründen auch immer) nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich – wie hier angesichts des zusätzlich zu berücksichtigenden Einkommens aus der bislang unbekannt gebliebenen selbständigen Tätigkeit, weshalb die Kläger in geringerem Umfang hilfebedürftig waren – später heraus, dass die sozialverwaltungsbehördliche Verfügung bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 29. April 2015 – B 14 AS 31/14 R, RdNr 19 mwN).

bbbb) Die angesprochene geringere Hilfebedürftigkeit der Kläger im Sinne des § 9 Abs 1 SGB II iVm § 9 Abs 2 S 1 SGB II folgt daraus, dass der Kläger bislang unbekanntes zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II erzielt hat, was bei beiden Klägern aufgrund der sog Bedarfsanteilmethode anteilig (§ 9 Abs 2 S 1 SGB II) zusätzlich bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist.

Als Einkommen sind gemäß § 11 Abs 1 S 1 SGB II Einnahmen in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Die von dem Kläger erzielten Einnahmen unterfallen keiner der in § 11 Abs 1 S 1 SGB II benannten Ausnahmen. Bei den Einkünften, die dem Kläger zugeflossen sind, handelt es sich um Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit, so dass bei ihrer Berechnung (ergänzend zu § 11 Abs 2 SGB II) die Regelung des § 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld–Verordnung – Alg II-V) Anwendung findet. Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 1 S 4 SGB II) tatsächlich zufließen. Zu Recht hat der Beklagte Betriebseinnahmen in Höhe eines Betrages von 20.205,40 Euro zugrunde gelegt und sich hierbei auf die bereits im Sozialverwaltungsverfahren gemachten Angaben der Kläger gestützt. Von diesen Betriebseinnahmen sind die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs 2 SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs 2 Alg II-V). Nach den Berechnungen des Beklagten betrugen die Betriebsausgaben in diesem Sinne insgesamt 17.104,29 Euro.

Entgegen der Auffassung der Kläger sind auch keine niedrigeren Betriebseinnahmen oder höhere Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Soweit die Kläger hierzu aufgrund der auf § 106a Abs 2 SGG gestützten gerichtlichen Aufforderung weitere Unterlagen eingereicht haben, folgt hieraus nichts Abweichendes. Denn den übersandten Zahlenkolonnen, denen keinerlei Erläuterungen beigefügt waren, lässt sich nicht entnehmen, dass und in welchem Umfang das dort aufgeführte Zahlenmaterial überhaupt mit der selbständigen Tätigkeit in Zusammenhang steht. Gleiches gilt auch für die im Wesentlichen gänzlich unergiebigen Buchungstexte der Kontoauszüge. Vielmehr wäre dieses Zahlenmaterial im Hinblick auf die Betriebsbezogenheit (§ 3 Abs 1 Alg II-V) und im Hinblick auf die Notwendigkeit der betrieblichen Ausgaben (§ 3 Abs 2 Alg II-V und § 3 Abs 3 Alg II-V) näher erläuterungsbedürftig, um überhaupt einen Bezug zu der selbständigen Tätigkeit des Klägers herstellen zu können. Die Kammer war indes nicht verpflichtet, dieser Frage weiter nachzugehen, weil die von dem Gericht gesetzte Frist abgelaufen ist und die Kläger mit weiterem Vortrag ausgeschlossen sind (§ 106a Abs 3 S 1 SGG), zumal eine stichprobenartige Prüfung ergab, dass beispielsweise im Bewilligungszeitraum vom 01. Mai 2009 bis zum 31. Oktober 2009 – dieser war Gegenstand im sozialgerichtlichen Verfahren mit dem Aktenzeichen S 26 AS 1923/16, in dem die Kammer mit Urteil vom 13. Januar 2023 bereits entschieden hat – ein Zufluss in Höhe eines Betrages von 500,00 Euro in den Kontoauszügen vermerkt gewesen ist, der sich aber in den Zahlenkolonnen, die nach dem klägerischen Vorbringen sämtliche Betriebseinnahmen (und Betriebsausgaben) widerspiegeln sollen, gerade nicht wiederfindet.

Soweit die Kläger – zumindest bis zu dem Beginn der Vergleichsverhandlungen – gegen das von dem Beklagten ermittelte Einkommen aus selbständiger Tätigkeit ohnehin nur eingewandt hatten, die Kosten des Firmenfahrzeuges und die Kosten des Telefon-Anlagenanschlusses seien zu Unrecht nicht oder nur unzureichend berücksichtigt worden, können sie auch hiermit nicht durchdringen. Zwar mag es sein, dass die Kläger – wie sie vorgetragen haben – über mehrere Kraftfahrzeuge verfügten und es schon deshalb denkbar ist, dass ein Kraftfahrzeug ausschließlich betrieblich genutzt worden sein könnte. Dies ist aber nur eine denkbare Variante, die näherer Nachweise bedürfte, derartige Nachweise haben die Kläger aber nicht eingereicht. Vielmehr sprechen die vorgelegten Leasingbestätigungen sogar mehr dafür, dass es sich ausschließlich um private Leasingverträge gehandelt hat. Weil aber auch kein Fahrtenbuch geführt worden ist, aus dem sich ergeben könnte, dass eine überwiegende betriebliche Nutzung erfolgt ist, bleibt diese Frage zu Lasten der Kläger offen. Soweit die Kläger hierzu auch einwenden, sie seien zu keinem Zeitpunkt zur Führung eines Fahrtenbuches aufgefordert worden, können sie hiermit schon deshalb nicht gehört werden, weil der Beklagte mangels Kenntnis von der selbständigen Tätigkeit des Klägers gar keine Veranlassung hatte, dies gegenüber den Klägern auch nur zu thematisieren.

Auch höhere Telefonkosten können die Kläger nicht geltend machen. Insoweit hat der Beklagte unter Auswertung der von den Klägern diesbezüglich eingereichten Unterlagen zu Recht hervorgehoben, dass es jedenfalls nicht ausgeschlossen ist, dass mit dem Anlagenanschluss auch private Telefonate abgerechnet worden seien, was es rechtfertigt, hier lediglich die Hälfte der geltend gemachten Telefonkosten zu berücksichtigen. Einen Nachweis, der diese mangels Vorhandensein eines weiteren privaten Telefonanschlusses nahe liegende Sichtweise des Beklagten entkräften könnte, haben die Kläger jedenfalls nicht vorgelegt.

Zwar geht die Unerweislichkeit einer Tatsache grundsätzlich zu Lasten desjenigen, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleitet. Deshalb trägt grundsätzlich die Behörde die objektive Beweislast für die Rechtswidrigkeit von Bewilligungsverfügungen, wenn sie diese zurücknimmt. Eine Umkehr der Beweislast ist aber gerechtfertigt, wenn eine besondere Beweisnähe zu einem Beteiligten besteht. Das ist anzunehmen, wenn in dessen persönlicher Sphäre oder in dessen Verantwortungssphäre wurzelnde Vorgänge nicht aufklärbar sind und die zeitnahe Aufklärung des Sachverhalts durch unterlassene Angaben oder unzureichende Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung erschwert oder verhindert wird (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Juni 2016 – B 4 AS 41/15 R, RdNr 30 mwN).

So liegt es hier, weil die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit durch den Kläger feststeht und die Frage, ob das Kraftfahrzeug tatsächlich ausschließlich oder zumindest überwiegend beruflich genutzt worden ist (vgl § 3 Abs 7 Alg II-V) und ob der Telefonanschluss tatsächlich ausschließlich beruflich genutzt worden ist, allein durch von den Klägern vorzulegende Nachweise beantwortet werden kann. Solche Nachweise haben die Kläger jedoch nicht vorgelegt und sie sind nunmehr mit weiterem Vortrag ausgeschlossen (§ 106 Abs 3 SGG).

Da die überwiegende betriebliche Nutzung des Kraftfahrzeuges und die ausschließlich betriebliche Nutzung des Telefonanschlusses mit dem Vorteil für die Kläger verbunden ist, dass insgesamt höhere Betriebsausgaben berücksichtigungsfähig wären, hält es die Kammer für gerechtfertigt, sie auch mit dem potentiellem Unrecht einer Beweislastentscheidung zu belasten. Es lag in der Hand der Kläger, einen fehlenden Nachweis zu erbringen. Die Kammer ist mit dem Beklagten vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), dass zu Gunsten der Kläger höhere Betriebsausgaben im Hinblick auf die Kraftfahrzeug- sowie die Telefonkosten berücksichtigt werden könnten. Der volle Beweis für eine Tatsache – hier also die überwiegende berufliche Nutzung des Kraftfahrzeuges und die ausschließliche berufliche Nutzung des Telefonanschlusses – ist erst dann erbracht, wenn sie für das erkennende Gericht mit Gewissheit feststeht, wobei Gewissheit in diesem Sinn bedeutet, dass ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch keinen Zweifel hat (vgl G. Becker in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7, RdNr 117 mwN). Indes kann und darf sich das Gericht mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl zu diesem Aspekt des Vollbeweises erneut G. Becker in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 7, RdNr 117 mwN). Da es die Kammer aber nicht für ausgeschlossen hält, dass Kfz und Telefonanschluss auch (überwiegend) privat genutzt worden sein könnten und zur Aufklärung dieser Fragen – nicht zuletzt aufgrund der Ausschlusswirkung des § 106a Abs 3 S 1 SGG – auch keine weiteren Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen, sind die Zweifel an einer überwiegenden beruflichen Nutzung des Kraftfahrzeuges und einer ausschließlich beruflichen Nutzung des Telefonanschlusses zu groß, als dass sie im Sinne einer praktischen Gewissheit des Gerichts zum Schweigen gebracht werden könnten.

Weil bei den Berechnungen des Beklagten auch im Übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil der Kläger ersichtlich sind, ist gegen die Annahme einer geringeren Hilfebedürftigkeit und dem sich deshalb ergebenden Aufhebungsumfang auch sonst nichts zu erinnern.

cccc) Auch die Regelung des § 45 Abs 2 SGB X steht einer teilweisen Aufhebung der Bewilligungsentscheidungen nicht entgegen. Für das Gericht steht – auch und gerade im Hinblick auf die ausführliche persönliche Anhörung der Kläger im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung in den sozialgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten zu den Aktenzeichen S 26 AS 1923/16 und S 26 AS 2118/16 vom 13. Januar 2023 – nicht nur mit Gewissheit fest (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), dass die teilweise aufgehobenen bewilligenden Verfügungen auf Angaben beruhten, die die Kläger mindestens grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht haben (§ 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X), sondern auch, dass sie die Rechtswidrigkeit der teilweise aufgehobenen bewilligenden Verfügungen des Beklagten iSd § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X mindestens grob fahrlässig nicht erkannt haben. Hierbei ist das Merkmal der „groben Fahrlässigkeit“, wie die gesetzliche Definition in § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X zeigt, nur dann erfüllt, wenn der Leistungsbezieher aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen mit Sicherheit hätte erkennen können und auch müssen, dass die von ihm gemachten Angaben unrichtig oder unvollständig waren und dass die teilweise aufgehobenen bewilligenden Verwaltungsakte rechtswidrig waren. Dass die Kläger vorliegend nach dem insoweit anzulegenden subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstab in Ansehung ihrer – angesichts ihres Bildungsstandes als Diplom-Ingenieurin und Diplom-Ingenieur gut ausgeprägten – Urteils- und Kritikfähigkeit mindestens grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständige Angaben gemacht haben und die Rechtswidrigkeit der Bewilligung hätten erkennen können, zeigt sich bereits daran, dass ihnen aufgrund ihrer langjährigen Leistungsbeziehungen zu dem Beklagten, der von ihnen zuvor geführten Widerspruchs- und sozialgerichtlichen Verfahren, der von ihnen regelmäßig gemachten Mitteilungen über Veränderungen ihrer Einkommenssituation sowie nicht zuletzt im Hinblick auf ihre regelmäßige Übersendung von Verdienstbescheinigungen hinsichtlich der ausgeübten abhängigen Beschäftigungen durchaus bewusst gewesen sein musste, dass jede Art von Einkünften Einfluss auf ihren Leistungsanspruch haben kann, was sie im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung auch unumwunden selbst eingeräumt haben.

Soweit sie in diesem Zusammenhang ihr Verhalten allerdings damit zu rechtfertigen versuchten, sie hätten ohnehin keinen Gewinn erwirtschaftet und hätten deshalb Angaben zu der selbständigen Tätigkeit nicht für erforderlich gehalten, können sie hiermit den Verschuldensvorwurf nicht entkräften. Abgesehen davon, dass die Klägerin die Frage nach der Erzielung von Erwerbseinkommen in dem Weiterbewilligungsantrag vom 18. April 2011 ausdrücklich verneint hat, obwohl bei der Frage nicht nach Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben differenziert wird und ausdrücklich auf die Anlage EKS verwiesen wird, in der diese Differenzierung erfolgt, ist bei der Frage, ob und in welchem Umfang Einnahmen bedarfsmindernd zu berücksichtigen sind, ein objektiver Maßstab anzulegen. Die Anwendung dieses Maßstabes obliegt dann aber zunächst allein dem Beklagten, was der Klägerin aufgrund ihrer langjährigen Leistungsbeziehungen zu ihm auch bewusst gewesen sein musste. Hinzu kommt, dass der Klägerin angesichts der zunächst von ihr in der Anlage EK mit „Ja“ beantworteten Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit und der daraufhin erfolgten Korrektur ihrer Antwort auf „Nein“ offenbar auch bewusst war, welche Reichweite die zutreffende Beantwortung auch und gerade dieser Frage hat. Insoweit ist der Rechtfertigungsversuch der Kläger schon deshalb zum Scheitern verurteilt, weil die Klägerin schon die allgemeine Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit wahrheitswidrig verneint hat, ohne dass dort überhaupt die Erzielung von Erwerbseinkommen thematisiert, sondern vielmehr auf die Anlage EKS verwiesen wird, die jedoch nicht eingereicht wurde.

Im Übrigen traf die Auffassung der Kläger zu dem fehlenden Gewinn – wie die Berechnungen des Beklagten zeigen – im hier streitgegenständlichen Zeitraum auch objektiv nicht zu, weshalb die fehlenden bzw unvollständigen Angaben auch in wesentlicher Beziehung im Sinne des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2 SGB X unrichtig waren, im Sinne des § 60 Abs 1 S 1 Nr 1 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) auch erheblich waren und die Kläger deshalb verpflichtet gewesen sind, entsprechende Tatsachen anzugeben.

Zudem – und dies ist für die Kammer besonders bemerkenswert, zumal die Kläger auf entsprechende Nachfrage bei ihrer persönlichen Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung hierfür auch keine plausible Erklärung abgeben konnten – sahen die Kläger pflichtwidrig nicht einmal in Zeiträumen, in denen sie sogar nach ihren eigenen Berechnungen Gewinn erwirtschafteten, Anlass, den Beklagten hierüber in Kenntnis zu setzen. Durch ihre Unterschrift haben sie außerdem versichert, das „SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)“ erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Darin werden die Auswirkungen von Einkommen auf den Leistungsanspruch für jeden juristischen Laien gut verständlich beschrieben.

Abgesehen davon hält es die Kammer schon angesichts der Größenordnung der Betriebseinnahmen im fünfstelligen Euro-Bereich für fernliegend, dass die Kläger, die nach dem Akteninhalt und dem Eindruck in der mündlichen Verhandlung jede Unklarheit in den ihnen bekanntgegebenen sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen des Beklagten akribisch und kritisch beäugten, ausgerechnet bei der Verneinung der Frage nach der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit und bei der Nichtangabe des Einkommens aus dieser Tätigkeit insgesamt guten Glaubens gewesen sein wollen.

Im Übrigen hat der Beklagte im Hinblick auf die Regelung des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X zu Recht darauf hingewiesen, dass Adressaten eines Verwaltungsaktes rechtlich gehalten sind, ihnen günstige Bewilligungsverfügungen zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen und die Unkenntnis grob fahrlässig im Sinne von § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X ist, wenn der Adressat, hätte er den Bewilligungsbescheid gelesen und zur Kenntnis genommen, auf Grund einfachster und nahe liegender Überlegungen sicher hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht oder jedenfalls so nicht besteht. Davon ist bei Fehlern auszugeben, die sich zum einen aus dem begünstigenden Verwaltungsakt selbst oder anderen Umständen ergeben und zum anderen für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind. In jedem Fall ist es für die Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X ausreichend, wenn der Leistungsempfänger im Rahmen einer sog Parallelwertung in der Laiensphäre wusste oder wissen musste, dass ihm die zuerkannte Leistung so nicht zusteht.

Hinsichtlich der bewilligenden sozialverwaltungsbehördlichen Bewilligungsverfügungen können sich die Kläger deshalb auch nicht auf Vertrauen berufen, denn sie hätten die fehlerhafte Einkommensberechnung erkennen müssen. Aus den genannten bewilligenden Verfügungen ergab sich klar und eindeutig, dass und welches Einkommen berücksichtigt worden ist. Die fehlerhafte Berücksichtigung von Einkommen in den Berechnungsbögen der bewilligenden Verfügungen musste den Klägern beim schlichten Durchlesen deshalb auch auffallen.

Zwar muss in den Fällen prognostisch schwankenden Einkommens nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts überdies auch geprüft werden, ob die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Bescheidempfängers von der Erwartung unterlegt war, dass das später zufließende Einkommen auch höher sein kann als der prognostisch berücksichtigte Betrag. Die Bösgläubigkeit darf sich also nicht in der Kenntnis bzw grob fahrlässigen Unkenntnis des Zusammenhangs von Einkommenserzielung und Leistungsanspruch erschöpfen, sondern muss sich auf die konkrete Möglichkeit beziehen, dass der Bewilligungsbescheid noch zu Ungunsten des Betroffenen verändert werden wird (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 10/20 R, RdNr 31). Die Kläger können aus dieser Rechtsprechung aber schon deshalb keinen Erfolg für ihr Begehren herleiten, weil diese Rechtsprechung mit der vorliegenden Fallgestaltung, bei der der Beklagte mangels pflichtwidriger Mitteilung über die Ausübung der selbständigen Tätigkeit gar keine Veranlassung hatte, deshalb lediglich eine vorläufige Bewilligungsentscheidung zu treffen, schon nicht vergleichbar ist.

Die Kenntnis oder das Kennenmüssen der unrichtigen und unvollständigen Angaben und die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Rechtswidrigkeit der bewilligenden Verwaltungsakte müssen sich die Kläger in entsprechender Anwendung von § 166 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und deren mindestens grobe Fahrlässigkeit hierbei müssen sie sich in entsprechender Anwendung des § 278 Abs 1 BGB jeweils gegenseitig zurechnen lassen.

dddd) Ermessen war von dem Beklagten bei seiner Entscheidung über die Rücknahme nicht auszuüben (§ 40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II iVm § 330 Abs 2 SGB III), weshalb der Beklagte im Wege einer gebundenen Entscheidung – also ohne Ermessensausübung – befugt war, die bewilligenden Verfügungen auch mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise zurückzunehmen.

eeee) Weil auch die Fristerfordernisse nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 45 Abs 3 S 3 Nr 1 SGB X (ausgehend von der Bekanntgabe der bewilligenden Verfügungen im Jahre 2011) und § 45 Abs 4 S 2 SGB X (ausgehend von dem Eingang der vollständigen Angaben der Kläger über den Umfang der selbständigen Tätigkeit bei dem Beklagten nach dem 22. Mai 2015) erfüllt sind und weil die Kammer schließlich auch in den von dem Beklagten vorgenommenen sonstigen Berechnungen keine sachlichen oder rechtlichen Fehler, die sich zu Ungunsten der Kläger auswirken könnten, zu erkennen vermag – solche sind im Übrigen auch von den Kläger nicht geltend gemacht worden – erweisen sich die angegriffenen Aufhebungsentscheidungen des Beklagten insgesamt als rechtmäßig, ohne dass die Kläger hierdurch in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert wären (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

ccc) Die angefochtenen Aufhebungsverfügungen sind – entgegen der Auffassung der Kläger – im Übrigen auch inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 33 Abs 1 SGB X).

Gemäß § 33 Abs 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten eines Verwaltungsaktes. Insofern verlangt das Bestimmtheitserfordernis, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und – den unzweifelhaft erkennbaren – Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten. Nur der inhaltlich hinreichend bestimmte Verwaltungsakt kann seine Individualisierungs- und Klarstellungsfunktion erfüllen und – soweit erforderlich – als Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung dienen. Aus dem Verfügungssatz muss für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will und von wem sie es will. Dabei genügt es, wenn aus dem gesamten Inhalt des Bescheides einschließlich der von der Behörde gegebenen Begründung hinreichende Klarheit über die Regelung gewonnen werden kann. Ausreichende Klarheit besteht auch dann, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 10/20 R, RdNr 27 mwN).

Ausgehend von diesen Grundsätzen bestehen keine Bedenken gegen die Bestimmtheit der Aufhebungs- und Erstattungsverfügungen. In diesen sind die Erstattungsbeträge nach Monaten und individualisiert nach den beiden Klägern aufgeführt; aus diesen Beträgen ergibt sich zugleich die Höhe der jeweiligen Aufhebungsentscheidungen.

b) Wenn danach die Anfechtungsklagen gegen die Aufhebungsverfügungen unbegründet sind, gilt Gleiches auch für die gegen die Erstattungsverfügungen erhobenen (isolierten) Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG iVm § 56 SGG. Diese sind unbegründet, weil die auf die Regelung des § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 50 Abs 1 SGB X gestützten angegriffenen Verfügungen rechtmäßig sind und die Kläger auch durch sie nicht ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert werden (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

aa) Die Erstattungsverfügungen sind formell rechtmäßig, auch wenn die Kläger zu ihnen als eingreifenden Verwaltungsakten nicht vor deren Bekanntgabe gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 24 Abs 1 SGB X angehört worden sein sollten. Denn jedenfalls wurde ein etwaiger Anhörungsmangel aufgrund der Durchführung des Widerspruchsverfahrens geheilt (vgl § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X iVm § 41 Abs 2 SGB X).

bb) Die Erstattungsverfügungen sind auch materiell rechtmäßig. Gemäß § 50 Abs 1 S 1 SGB X, der gemäß § 40 Abs 1 S 1 SGB II auch im Rechtskreis des SGB II Anwendung findet, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt: Der Beklagte hat seine bewilligenden Verfügungen für den Zeitraum vom 01. Juni 2011 bis zum 30. November 2011 rechtmäßig teilweise aufgehoben und verlangt im jeweiligen Aufhebungsumfang dementsprechend auch zu Recht Erstattung.

cc) Weil die Kammer auch im Übrigen in den von dem Beklagten vorgenommenen Berechnungen hinsichtlich der Erstattungsverfügungen keine sachlichen oder rechtlichen Fehler, die sich zu Ungunsten der Kläger auswirken könnten, zu erkennen vermag – solche sind im Übrigen auch insoweit von den Klägern nicht geltend gemacht worden – erweisen sich auch die angegriffenen Erstattungsverfügungen des Beklagten insgesamt als rechtmäßig, ohne dass die Kläger hierdurch in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert wären (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben, weil die Kläger mit ihren Begehren vollumfänglich unterlagen. Die Aufwendungen des Beklagten sind schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).

5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 105 Abs 1 S 3 SGG iVm § 183 S 1 SGG).

 

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