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Berufskrankheit – Borreliose/Neuborreliose

Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: L 5 U 77/14 – Urteil vom 30.05.2018

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 8. September 2014 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob beim Kläger eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung – BKV – (von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten) – im Folgenden: BK 3102 – besteht.

Der 1959 geborene Kläger war ab Juli 1984 als Forstwirt tätig. Am 2. September 2003 unterzog er sich einer Operation an seiner Wirbelsäule im Segment L 5/S1.

Im Dezember 2005 erfolgte durch das Forstamt P. (Arbeitgeber) eine BK-Anzeige bei der Beklagten. Beim Kläger sei es am 14. November 2005 zu Lähmungserscheinungen gekommen. Im Klinikum M. sei eine Borreliose festgestellt worden. Diese führe der Kläger auf seine Tätigkeit als Waldarbeiter infolge Zeckenbissen zurück.

Die Beklagte holte die Auskunft des Forstamtes P. vom 17. Januar 2006 ein, in der u. a. angegeben wurde, der Kläger sei seit dem 14. November 2005 arbeitsunfähig und in den 90ger Jahren mit Zecken beruflich in Berührung gekommen. Der Arbeitgeber überreichte eine Kopie des Arbeitsschutzkontrollbuches vom 30. Mai 1999, wonach auch der Kläger im Juni 1999 mehrfach durch Zecken befallen gewesen sei.

Die Beklagte zog ferner von der AOK Mecklenburg-Vorpommern ein Krankheits- und Arbeitsunfähigkeitszeitenverzeichnis über den Kläger bei. Hierin war ab dem 14. November 2005 eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers u. a. wegen der Diagnose „Lyme-Krankheit“ sowie anhaltende somatoforme Schmerzstörung aufgeführt. Für die Zeit vom 21. August 2003 bis 31. Oktober 2004 war eine Arbeitsunfähigkeit wegen der Diagnose „Lumboischialgie“ aufgeführt. Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Lumbalgie fanden sich bereits im Jahr 1992 und 1994 sowie vermehrt ab dem 2. März 2000.

Die Beklagte zog des Weiteren die Epikrise des Klinikums M. vom 9. Januar 2006 bei, in der über die dortige stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 14. bis 25. November 2005 berichtet wurde (Diagnosen: Lyme-Arthritis mit Schmerzfaser-Polyneuropathie, reaktive Depression und chronisches Schmerzsyndrom bei Z. n. Bandscheiben-OP). Hierin hieß es zusammengefasst u. a., laborchemisch sei eine abgelaufene Borrelien-Infektion nachweisbar gewesen. Es werde davon ausgegangen, dass beim Kläger in der Vergangenheit eine Borrelien-Infektion mit einer lumbalen Plexusneuritis abgelaufen sei. Aus dieser Infektion habe sich im Verlauf eine Lyme-Arthritis sowie ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt. Aufgrund der chronischen Schmerzen habe sich eine reaktive Depression eingestellt. Die Lyme-Arthritis, die im Sinne einer Autoimmunreaktion bei abgelaufener Borrelien-Infektion zu werten sei, sei mit hochdosierten Kortison-Infusionen behandelt worden.

Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin DM J. vom 24. Januar 2006 ein die angab, der Kläger habe am 2. September 2005 über unklare Gelenkbeschwerden in den Händen und Schmerzen im linken Arm und linken Bein geklagt. Die Laborwerte vom 2. September 2005 hätten einen fraglichen positiven Borrelia-burgdorferi IgG-AK ergeben. Sie fügte den Arztbrief der Internistin Dr. B. vom 7. Oktober 2005 bei, wonach sich beim Kläger zur Zeit kein Anhalt für eine rheumatische Erkrankung ergebe. Die Beklagte zog des Weiteren Unterlagen der Universitätsklinik Greifswald über die im September 2003 durchgeführte Operation an der Wirbelsäule des Klägers bei und holte den Befundbericht des Orthopäden Dr. T. vom 6. August 2004 ein, der über Behandlungen des Klägers in der Zeit vom 29. November 2001 bis 19. Januar 2004 wegen der gestellten Diagnosen chronische Lumbalgie und Zustand nach NPP-OP L5/S1 rechts (9/03) berichtete. Der Neurochirurg Dr. N. berichtete in seinem Befundbericht vom 23. Februar 2004 über Behandlungen des Klägers in der Zeit von Mai 2003 bis Februar 2004 wegen eines Zustandes nach Bandscheibenprolapsoperation (L5/S1, 09/03) sowie eines pseudoradikulären lumbalen Schmerzsyndroms links. Seinem Befundbericht fügt er u. a. die Berichte der Radiologen über das MRT der LWS des Klägers vom 14. Dezember 2001 und 3. Juni 2003 bei sowie die Epikrise des Universitätsklinikums x vom 10. September 2003. Schließlich zog die Beklagte das chirurgische Gutachten des Dr. E. vom 29. November 2004 bei.

Die Beklagte zog weiterhin medizinische Unterlagen über den Kläger von der Arbeitsmedizinischen Beratungs- und Untersuchungsstelle Stralsund bei. Hierin fand sich erstmals für den März 1992 ein positiver Antikörper-Nachweis gegen Borrelien sowie ebenfalls positive Laborbefunde aus dem Jahr 1994.

Die Beklagte führte sodann das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin und Arbeitsmedizin Prof. Dr. Dr. x vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein vom 24. August 2006 herbei. Gegenüber Prof. x gab der Kläger an, bei seiner Arbeit als Waldarbeiter täglich von fünf bis sechs Zecken gestochen worden zu sein, maximal habe er einmal 20 saugende Zecken an einem Tag entfernt.

Prof. X führte in seinem Gutachten folgende Diagnosen auf:

1. Z. n. Borrelien-Infektion ohne sicheren Anhalt für eine Borreliose im Sinne einer BK 3102

2. Fibromyalgie

3. Z. n. Bandscheiben-OP (09/2003).

Zusammenfassend führte Prof. X aus, beim Kläger seien seit mindestens 1992 wiederholt positive Borrelien-Titer zu bestimmen gewesen, welche jedoch nicht mit klinischen Gesundheitsstörungen im Sinne einer BK 3102 einhergingen. Beim Kläger sei lediglich die haftungsbegründende Kausalität erfüllt (Zeckenstich und Borrelienkontakt), die haftungsausfüllende Kausalität (Krankheit durch diesen Zeckenstich) sei nicht gegeben. Der Zustand nach Borrelien-Infektion rechtfertige keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), da lediglich eine serologische Narbe bestehe, welche keine Beschwerden begründe.

Für den Zustand nach Borrelien-Infektion sprächen die Aktenlage mit frühzeitiger Nennung einer Serokonversion, die Angaben des Klägers zur Häufigkeit von Zeckenstichen während seiner Arbeit als Waldarbeiter sowie die Ergebnisse der serologischen Untersuchungen anlässlich der durchgeführten Begutachtung (mit Nachweis erhöhter Borrelien-IgG-Antikörper, IgM-Antikörper negativ). Laut Akte werde erstmals für den März 1992 ein positiver Antikörper-Nachweis gegen Borrelien beschrieben, für spätere Zeitpunkte fänden sich ebenfalls positive Laborbefunde von 1994, 1998 sowie neueren Datums. Nach der allgemeinen anerkannten Lehrmeinung über Borreliosen hätten Wald- und Forstarbeiter ein um den Faktor fünf bis 10 erhöhtes Risiko, an einer Borrelien-Infektion zu erkranken. An einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und der bei ihm festgestellten Antikörperbildung gegen Borrelien als Ausdruck einer Infektion bestehe kein vernünftiger Zweifel. Ein Zusammenhang zwischen der nachgewiesenen Infektion und den Beschwerden sei im Gegensatz dazu nicht wahrscheinlich. Bereits die anamnestisch beschriebenen Rötungen, die vom Kläger als Wanderröte eingeschätzt worden seien, seien untypisch verlaufen. Sie seien nicht „gewandert“ und wiesen eher auf allgemeine Infektion des Zeckenstichs z. B. durch Stich in verunreinigter Haut oder mangelnder Hygiene bei der Entfernung der Zecken hin. So seien die Rötungen immer relativ klein gewesen bis ca. fünf Zentimeter Durchmesser. Nur einmal habe der Kläger eine ca. 20 Zentimeter große Rötung mit Juckreiz am Arm gehabt. Die Hausärztin habe ihn „wegen Borreliose Tabletten abholen lassen“. Um diese Zeit hätten beim Kläger neben der beschriebenen Hautrötung keine Beschwerden bestanden und seien auch nicht im engeren zeitlichen Zusammenhang dazu aufgetreten. Damit bestünden keine Anhaltspunkte für eine abgelaufene akute Borreliose. Nach guter ärztlicher Praxis sei eine ausreichende Behandlung anzunehmen, wenn die vom Kläger beschriebene Therapie tatsächlich Antibiotika beinhaltet hätte, was den Akten jedoch nicht entnommen werden könne. Auch der relativ niedrige Antikörper-Titer gegen Borrelien spreche gegen eine abgelaufene chronische Infektion bei vorbestehender Borreliose, bei der ein hoher Titer zu erwarten wäre. Im Krankenhaus M. werde die Symptomatik auf eine möglicherweise abgelaufene Plexusneuritis bei Borreliose zurückgeführt. Ein solcher Verlauf sei nach einer Borrelien-Infektion zwar möglich, jedoch sehr selten. Das Ergebnis der im Klinikum M. durchgeführten Liquor-Punktion biete keinen Hinweis auf eine autochtone Immunglobulinsynthese oder die für eine Neuroborreliose kennzeichnende Pleozytose im Liquor. Dies spreche gegen eine aktive Neuroborreliose. Die These, dass die Beschwerden auf einer abgelaufenen, inaktiven Neuroborreliose beruhten, für die klinisch keine Hinweise mehr zu finden seien, könne definitionsgemäß nicht ausgeschlossen werden. In der Regel seien neurologische Störungen durch einen lokalisierten Schaden wie z. B. einer Plexusneuritis auch klinisch eindeutig zu lokalisieren, wohingegen der Kläger rasch springende Gelenk- und Bindegewebsbeschwerden beschreibe. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand gehe bei einer abgelaufenen Borreliose die neurologische Symptomatik im Laufe von vier Jahren zurück, der Kläger beschreibe jedoch eine unverändert progrediente Symptomatik. Die Serokonversion sei vor mehr als 10 Jahren eingetreten, eine „Borrelienexposition“ bestehe seit ca. zwei Jahren nicht mehr, für eine aktive oder persistierende Infektion fänden sich keine Anhaltspunkte. Hinzu komme, dass in der Regel Borrelien vorzugsweise entweder Arthritiden oder Neuritiden verursachten, ungewöhnlich seien die vom Kläger geäußerten Beschwerden springender Arthritiden und gleichzeitiger diffuser neuropathisch anmutender Schmerzen.

Für eine Fibromyalgie sprächen das Bestehen diffuser Beschwerden im gesamten Körper seit ca. zwei Jahren. Borreliosen gehörten zu den Differenzialdiagnosen einer Fibromyalgie. Aufgrund der diffusen neurologischen Symptomatik und klinisch im Vordergrund stehender Schmerzbeschwerden sei eine zweifelsfreie Zuordnung der Beschwerden zu den Folgen eines eventuell vorgelegenen Bandscheibenvorfalls und der einer Fibromyalgie zugehörigen diffusen Symptomatik nicht medizinisch zu begründen. Der Verlauf und die klinisch-chemischen Laboruntersuchungen sprächen gegen eine borrelienbedingte Verursachung der Schmerzen des Klägers. Es sei nach Aktenlage nicht klar ersichtlich, ob beim Kläger überhaupt eine ausreichende Antibiotikatherapie wegen einer Borrelieninfektion durchgeführt worden sei. Eine solche Therapie würde heute bei dem dann anzunehmenden Stadium III einer Borreliose in der Behandlung mit beispielsweise Ceftriaxon bestehen.

Aufgrund der Ausführungen im Gutachten des Prof. X wurde beim Kläger im Juli 2007 eine Infusionstherapie mit Ceftriaxon durchgeführt. Die Beklagte holte sodann den Befundbericht der DM J. vom 16. September 2008 ein, die mitteilte, eine Befundbesserung sei beim Kläger nicht eingetreten. Ihrem Bericht fügte diese Ärztin diverse Epikrisen bei, so u. a. der xx-Stiftung Greifswald vom 12. April 2007 und 11. Februar 2008 (Diagnosen dort u. a.: mittelgradig rezidivierende depressive Störung, anhaltende somatoforme Schmerzstörung), Epikrisen der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Universitätsklinikums Greifswald vom 2. Oktober 2007 und 2. April 2008 sowie der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie der Universität Greifswald vom 17. April 2008.

Sodann veranlasste die Beklagte eine weitere Untersuchung des Klägers durch den Facharzt für Innere Medizin und Labormedizin Prof. Dr. R.. In seinem auf einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 13. Juli 2009 beruhenden Gutachten vom 22. Juli 2009 führte dieser Gutachter zusammengefasst aus, die Hauptbeschwerden des Klägers seien Rückenschmerzen mit Ausstrahlung lediglich in das linke Bein sowie Sensibilitätsstörungen gewesen. Im Laufe der Jahre diagnostizierte Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) seien im Jahr 2003 operiert worden. Die aktuell geschilderten Symptome aus dem Jahr 2009 seien identisch (Schmerzen im LWS-Bereich mit Ausstrahlung in das linke Bein, zunehmende Beschwerden beim Laufen). Diese klinische Symptomatik sei nicht typisch für eine Borreliose, sondern sie sei sehr gut mit einem Bandscheibenvorfall und damit verbundenem chronischen Schmerzsyndrom vereinbar und in diesem Zusammenhang zu sehen. Im Jahr 2005 sowie jetzt 2009 seien die Antikörper gegen Borrelia burgdorferi im ELISA und Westernblot-IgG positiv, im IgM Westernblot jeweils negativ. Dies spreche für einen stattgehabten Kontakt mit dem Erreger Borrelia burgdorferi. In Zusammenschau mit der beschriebenen klinischen Symptomatik, der adäquat durchgeführten und nicht erfolgreichen Ceftriaxon-Therapie sei eine Borreliose unwahrscheinlich. Eine BK 3102 liege beim Kläger nicht vor. Bei der Borrelien-Infektion würden nach Zeckenstich drei Erkrankungsphasen unterschieden: Im Stadium I (drei bis 32 Tage nach Infektion) imponiere das Erythema migrans, die Wanderröte, mit Allgemein-Symptomen, Fieber und lokaler Lymphknoten-Schwellung. Im Stadium II (Wochen bis Monate nach Infektion) komme es zur Organ-Beteiligung mit Gelenk-Entzündungen, Herzmuskel-Entzündungen und Herz-Rhythmus-Störungen, Gehirnhaut-Entzündung, Meningoradikulitis, Fazialisparese und Augen-Beteiligungen. Im Stadium III der Erkrankung (Monate bis Jahre nach Infektion) stünden Haut-Beteiligungen (Acrodermatitis chronica atrophicans), Gelenk-Entzündungen und Nerven-Entzündungen im Vordergrund. Die vom Kläger geäußerten Beschwerden seien auf den Bandscheibenvorfall und damit dem chronischen Schmerzsyndrom zuzuordnen.

Dieser Beurteilung des Prof. R. schloss sich die Gewerbeärztin Dr. G. in ihrer Stellungnahme vom 24. August 2009 an.

Mit Bescheid vom 21. September 2009 lehnte es die Beklagte ab, beim Kläger eine BK 3102 anzuerkennen. Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Der Kläger gehöre aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit zu der Personengruppe, für die ein erhöhtes Risiko bestehe, im Rahmen der Tätigkeit von einer Zecke mit Borrelien infiziert zu werden. In ihren Gutachten seien sowohl Prof. Dr. X als auch Prof. Dr. R. zu dem Schluss gekommen, dass neben dem serologischen Antikörpernachweis gegen Borrelia burgdorferi keine klinischen Symptome diesen zuzuordnen seien. Allein der Nachweis einer stattgehabten Infektion mit Borrelien ohne klinische Symptome stelle keine Erkrankung im Sinne der BK 3102 dar.

Den hiergegen vom Kläger eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. März 2010 zurück. Ausweislich des Gutachtens des Prof. Dr. R. habe beim Kläger serologisch keine Borreliose nachgewiesen werden können. Im Übrigen seien in den medizinischen Befunden keine klinischen Zeichen einer Entzündung des zentralen Nervensystems beschrieben. Eine berufsbedingte Infektion bzw. Krankheitsursache für die geltend gemachte Erkrankung sei nach gutachterlicher Auswertung der Anamnese sowie im Ergebnis der klinischen Untersuchung und der Labordiagnostik nicht wahrscheinlich. Vielmehr ließen sich die klinischen Beschwerden auf die seit 2000 fortschreitenden ausstrahlenden Beschwerden im Bereich der LWS und anderen Gelenken sowie den im Laufe der Jahre diagnostizierten Bandscheibenvorfällen und damit dem chronischen Schmerzsyndrom zuordnen.

Der Kläger hat am 18. März 2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Stralsund erhoben. Er verweist darauf, dass das Klinikum M. bei ihm eine Borreliose-Erkrankung bescheinigt habe. Die bei ihm bestehende Borreliose könne nur mit einer speziellen Nervenwasseruntersuchung festgestellt werden, was im Klinikum M. geschehen sei. Seine Beschwerden seien keinesfalls auf den Bandscheibenvorfall zurückzuführen. Die beim ihm bestehenden Lähmungserscheinungen und der zunehmende Ausfall seines Kurzzeitgedächtnisses beruhe auf seiner Borreliose-Erkrankung. Er halte die Einholung eines Gutachtens für erforderlich. Der Kläger hat die Epikrise der xx-Stiftung vom 26. November 2010 zu den Akten gereicht, in der unter den Diagnosen u. a. ein Zustand nach Lyme-Arthritis bei Borreliose aufgeführt ist.

Der Kläger hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, einen Bescheid zu erlassen, mit dem die Berufskrankheit Borreliose anerkannt wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Beim Kläger lasse sich keine Borreliose nachweisen. Die im Krankenhaus M. vermutete abgelaufene Plexusneuritis bei Borreliose sei nicht bestätigt worden. Weder die Serodiagnostik noch der Liquor-Befund vom November 2005 bestätigten eine systematische Borrelien-Infektion. Die Diagnose der vom Kläger geltend gemachten (Neuro)Borreliose ergebe sich unter Hinweis auf die Leitlinien der deutschen Gesellschaft für Neurologie aus der Kombination einer typischen klinischen Symptomatik, entzündlichen Liquor-Veränderungen und dem Nachweis einer intrathekalen borrelienspezifischen Antikörperproduktion. Beim Kläger kämen orthopädische Befunde als Ursache für die geklagten Symptome in Betracht. Aufgrund der Nichterweislichkeit einer Borreliose-Erkrankung könne keine Anerkennung einer BK 3102 erfolgen. Die Beklagte hat in Kopie die Leitlinie für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/071, 4. Auflage 2008) zu den Gerichtsakten gereicht.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung des neurologischen Gutachtens des Prof. Dr. Dr. Xy vom 11. April 2012 unter Einschluss eines Liquor-analytischen Zusatzgutachtens des Dr. D. vom 23. März 2012. In seinem Gutachten ist Prof. Xy zu der Einschätzung gelangt, dass beim Kläger keine BK 3102 bestehe. Bei ihm fänden sich Residuen eines S1-Syndroms links mit erloschenem Achillessehnenreflex und einer Sensibilitätsstörung im Bereich des Segmentes S1. Dies sei Folge eines Bandscheibenvorfalles, welcher im Jahr 2003 operiert worden sei. Darüber hinausgehende neurologische Ausfälle hätten nicht festgestellt werden können, zudem gebe der Kläger diffuse Gelenkschmerzen an. Bei den festgestellten Befunden handele es sich nach medizinischem Erkenntnisstand nicht um die Folge einer Borrelien-Erkrankung. Der Kläger sei nicht aufgrund von Zeckenbissen erkrankt.

Zusammenfassend hat Prof. Xy ausgeführt, der Kläger habe während seiner Tätigkeit als Waldarbeiter (von 1984 bis 2004) multiple Zeckenstiche, zum Teil mit einem Erythem erlitten. Im Jahr 2003 sei eine Bandscheibenoperation in Höhe L5/S1 erfolgt. Im Jahr 2005 sei der Kläger im Universitätsklinikum untersucht worden, es habe sich damals eine Abschwächung des linksseitigen Achillessehnenreflexes sowie eine Sensibilitätsstörung im Dermatom S1 gefunden (Diagnose: Chronische Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links). Exakt der gleiche Befund habe bei der jetzigen Untersuchung festgestellt werden können. Es handele sich klinisch um ein monoradikuläres Syndrom mit Schädigung der S1-Wurzel links. Nunmehr beklagte der Kläger zusätzlich zu den belastungsabhängigen Schmerzen im linken Bein Gelenkbeschwerden mit Schwellungen im Bereich der Hände und Finger, des linken Ellenbogens und des linken Kniegelenkes. Im Jahr 2005 sei der Kläger im Klinikum M. untersucht worden. Damals sei die Diagnose einer Lyme-Arthritis mit Schmerzfaser-Polyneuropathie gestellt worden. Grundlage sei der Liquor-Befund mit Nachweis von Borrelien-IgG-Antikörpern im Serum gewesen. Allerdings sei schon damals keine Produktion des Immunglobulins IgG im Liquor nachgewiesen worden. Da ein Antikörper-Index im Befund erwähnt worden sei, habe er, der Sachverständige (Prof. Xy) mit Einverständnis des Klägers den Liquor-Befund aus M. angefordert, dieser sei jedoch nur unzureichend gewesen. Daraufhin sei eine stationäre Aufnahme des Klägers im Klinikum (vom 6. bis 7. März 2012) zur Wiederholung der Liquor-Diagnostik erfolgt. Aufgrund dessen sei das Zusatzgutachten über die Liquor-Analytik von Dr. D. erstellt worden. In diesem werde dargestellt, dass der entscheidende Borrelien spezifische IgG-Index negativ gewesen sei. Die zur Begutachtung eingesandte Liquor-Probe habe eine normale Zellzahl bei minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung aufgewiesen. Das Zytogramm sei bei geringer Zellausbeute im Präparat ohne pathologischen Befund, die Blut-Liquor Schrankenfunktion sei leicht gestört gewesen. Die quantitative Analyse der lokalen Immunglobulinsynthese im Reiberdiagramm sei wie auch die Untersuchung der oligoklonalen Banden ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulinen gewesen. Damit finde sich in der Liquor-Analyse kein Hinweis für eine akute oder chronische Entzündung des Zentralnervensystems. Aufgrund der expliziten Frage nach einer Neuroborreliose seien auch die Borrelienantikörper aus dem Liquor und der Serumprobe untersucht worden. Dabei habe serologisch eine frühere Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden können. Der qualitative Nachweis von erregerspezifischen Antikörpern im Liquor sei bei normalem Antikörperindex durch passiven Übertritt aus dem Serum zu erklären und nicht als Folge einer Infektion von Gehirn, Rückenmark oder Liquor zu werten. Eine intrathekale Produktion von anti-Borrelien Antikörpern sei nicht nachweisbar gewesen. Bis auf die minimale artifizielle Erythrozytenbeimengung und die Schrankenstörung handele es sich um einen Liquor ohne pathologischen Befund. Die Untersuchung des Liquor/Serumpaares habe keinen Hinweis für eine akute oder chronische intrathekale Entzündung ergeben. Insbesondere finde sich liquor-chemisch kein Anhalt für eine Neuroborreliose. Bei dem borrelienspezifischen IgG handele es sich, wie schon Prof. R. festgestellt habe, um eine immunologische Narbe, die zum Teil lebenslang ohne Krankheitswert erhalten bleibe. Während der akuten Phase komme es zu einem Anstieg des Immunglobulins IgM, welcher signalisiere, dass der Organismus sich aktuell mit dem Borrelienantigen auseinandersetze. Hinweise auf eine solche akute Entzündung bestünden beim Kläger nicht und seien auch bei sämtlichen Voruntersuchungen nicht nachgewiesen worden. Bei einer chronischen Borreliose des zentralen Nervensystems werde im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet, dies werde als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet. Da es sich bei dem IgG um ein kleines Molekül handele, welches die Blut-Hirn-Schranke passiere, müsse ein Index zwischen dem IgG des Liquors und dem IgG des Serums errechnet werden. Nur wenn dieser Index hoch sei, spreche das für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und könne mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Dies sei bei dem Kläger nicht der Fall. Somit habe eine Borreliose ausgeschlossen werden können. Damit hätten die geklagten Beschwerden des Klägers eine andere Ursache. Klinisch handele es sich um ein Resdiuum nach einem S1-Syndrom links. Die geklagten Gelenkbeschwerden könnten u. a. rheumatologischen Ursprungs sein. Hierbei handele es sich allerdings nicht um eine BK 3102.

Durch Urteil vom 8. September 2014 hat das SG Stralsund die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die angefochtenen Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser habe keinen Anspruch auf Anerkennung seiner Krankheit als BK 3102. Vorliegend habe zwar eine Infektion mit Borrelien, jedoch keine Borrelioseerkrankung nachgewiesen werden können. Eine gesicherte Neuroborreliose liege nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nur unter folgenden Voraussetzungen vor: Typisches klinisches Bild (Hirnausfälle, Meningitis/Meningoradikulitis, fokale neurologische Ausfälle), Borrelien spezifische IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum, entzündliches Liquorsyndrom mit lymphozytärer Pleozystose, Blut-Liquor-Schrankenstörung und intrathekaler Immunglobulinsynthese, intrathekale Synthese borrelienspezifische Antikörper im Liquor oder positiver kultureller- oder Nukleinsäurennachweis im Liquor und Ausschluss anderer Ursachen für die vorliegende Symptomatik. Aus den genannten Voraussetzungen werde deutlich, dass allein ein typisches klinisches Bild für die Bejahung einer Borreliose nicht ausreichend sei. Die Liquor-Probe vom 6. März 2012 habe nach dem Zusatzgutachten des Dr. D. keinen Nachweis entzündlicher Liquor-Veränderungen und keinen Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese ergeben. Prof. Xy habe in seinem Gutachten vom 11. April 2012 ausgeführt, dass bei einer chronischen Borreliose des zentralen Nervensystems im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet werde, was als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet werde. Da es sich bei dem IgG um ein kleines Molekül handele, welches die Blut-Hirn-Schranke passiere, müsse ein Index zwischen dem IgG des Liquors und dem IgG des Serums errechnet werden. Nur wenn der Index hoch sei, spreche das für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und könne mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Die Ausführungen des Sachverständigen überzeugten. Sie stützten sich auf die Liquor-Probe, deren Untersuchung durch eindeutige und sichere Methoden erfolgt sei. Die Erkenntnisse des medizinischen Gutachters entsprächen auch der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung.

Gegen das am 11. September 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 6. Oktober 2014 Berufung eingelegt. Der Kläger ist weiter der Auffassung, dass bei ihm ein für eine Borrelioseerkrankung typisches Krankheitsbild vorliege. Ursächlich für seine Borrelioseerkrankung sei seine langjährige Tätigkeit als Forstarbeiter. Der fortschreitende Ausfall seines Kurzzeitgedächtnisses sei Ausdruck der (Neuro-)Borrelioseerkrankung. Unter keinem medizinischen Gesichtspunkt sei ein Ursachenzusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall herzustellen. Er weise auch auf den fachlichen Widerspruch zwischen den Ausführungen in der Epikrise des Krankenhauses M. und dem später erstellten Gutachten des Prof. Xy hin. Die Ärzte in M. hätten bei ihm eine Borrelioseerkrankung festgestellt, desgleichen der Amtsarzt Fock, der zu demselben Ergebnis aufgrund der jährlich stattgefundenen betriebsärztlichen Untersuchungen des Klägers gelangt sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Stralsund vom 8. September 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 aufzuheben und eine Lyme-Borreliose (Stadium III) sowie eine Lyme-Neuroborreliose (Stadium III) als Berufskrankheit nach der Ziffer 3102 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Es fehle am Nachweis einer Borrelioseerkrankung. Zwar seien seit 1992 beim Kläger wiederholt Borrelien-Antikörper festgestellt worden, welche jedoch nicht mit klinischen Gesundheitsstörungen einhergingen. Befunde, anhand derer die vom Klinikum M. vermutete Lyme-Arthritis objektiviert werden könnte, lägen nicht vor. Auch bei der Liquor-Diagnostik des Klinikums M. sei ein negativer Borrelienbefund erhoben worden. Beim Kläger seien allenfalls Antikörper auf Borrelien nachgewiesen, jedoch keine klinische Gesundheitsstörung sowie kein sicherer Anhalt auf eine Erkrankung im Sinne einer Borreliose. Insoweit verweise sie erneut auf die eingeholten Gutachten.

Der Senat hat gemäß § 109 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. B. vom 13. Januar 2016. Auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung des Klägers vom 27. November 2015 hat Dr. B. beim Kläger auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt:

  • Lyme-Borreliose Stadium III
  • Lyme-Neuroborreliose Stadium III
  • Adipositas (Übergewicht 50 kg)
  • Hyperurikämie
  • Hypercholesterinämie.

Die Lyme-Borreliose (Stadium III) sowie die Lyme-Neuroborreliose (Stadium III) stellten beim Kläger Erkrankungen dar, die gesundheitliche Folge einer BK 3102 seien. Für einen ursächlichen Zusammenhang der beruflichen Tätigkeit des Klägers als Forstwirt mit den genannten Erkrankungen spreche, dass der Kläger als Forstwirt sehr häufig Zeckenstiche erlitten habe und wiederholt eine Erythema migrans aufgetreten sei sowie die anlässlich der Untersuchung des Klägers erhobenen Befunde, die für eine Lyme-Borreliose sprächen. Die aus einer BK 3102 beim Kläger resultierende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei seit 2003 mit 40 % einzuschätzen.

Zusammengefasst hat Dr. B. ausgeführt, die anamnestischen Angaben des Klägers, die in den Akten dokumentiert seien und die von ihm anlässlich der Untersuchung des Klägers selbst erhobenen Befunde sprächen dafür, dass der Kläger an einer Lyme-Borreliose/-Neurborreliose erkrankt sei. Nach Angaben des Klägers sei dieser während seiner Tätigkeit als Forstwirt (von 1984 bis 2004) wiederholt von Zecken gestochen worden. Zwei bis drei Mal sei eine großflächige Rötung aufgetreten. 1990 habe sich eine Erythema migrans im Rückenbereich entwickelt. Zu diesem Zeitpunkt sei keine ärztliche Untersuchung oder Behandlung erfolgt. Nach der Erythema migrans 1990 seien keine Beschwerden aufgetreten, vielmehr sei der Kläger von 1990 bis 2003 beschwerdefrei geblieben. Großflächige Rötungen nach Zeckenstich stellten grundsätzlich ein Erythema migrans dar, das für das Frühstadium einer Lyme-Borreliose beweisend sei. Am 22. November 1994 sei die Borrelien-Serologie positiv gewesen. Nachgewiesen worden sei eine starke Erhöhung von IgG Antikörpern als Beweis für die vorausgegangene oder damals bestehende Borrelien-Infektion. Auch der serologische Befund vom 23. Mai 2006 sei hoch pathologisch gewesen.

Soweit beim Kläger ein Bandscheibenvorfall bei L5/S1 diagnostiziert und im Jahr 2003 auch operiert worden sei, habe es sich hierbei um eine Falschdiagnose gehandelt. Das damals vorliegende Krankheitsbild einer polysegmentalen Neuroradikulitis mit verschiedenen neurologischen Defiziten sei von den Behandlern nicht erkannt worden. Im MRT der LWS vom 3. Juni 2003 werde keine Kompression der Nervenwurzel beschrieben, auf dem Hintergrund dieses Befundes sei die Indikation der Operation fragwürdig.

In der Epikrise des Klinikums M. vom 9. Januar 2006 sei beim Kläger u. a. die Diagnose Lyme-Arthritis sowie Polyneuropathie gestellt worden. Laborchemisch sei eine abgelaufene Borrelien-Infektion nachgewiesen worden. Es seien rezidivierende Gelenkschwellungen beim Kläger beschrieben worden, die Ausdruck einer Lyme-Borreliose seien. Es seien neurologische Defizite benannt worden, die nicht allein auf einen Bandscheibenvorfall bei L5/S1 zurückgeführt werden könnten, wie die voruntersuchenden Ärzte angenommen hätten. Die Ärzte im Klinikum M. hätten sinngemäß in der Lyme-Borreliose die Ursache für die Gelenkerkrankung und die Schmerzen gesehen.

Im Jahr 2006 sei beim Kläger ein schiefer Mund festgestellt worden, es sei zu einer Rückbildung nach Behandlung gekommen. Bei dem Symptom „schiefer Mund“ handele es sich offensichtlich um eine periphere Fazialisparese, eine Erkrankung, die für eine Lyme-Borreliose typisch sei. Mit diesem Befund habe sich der Gerichtssachverständige Prof. Xy in seinem Gutachten nicht auseinandergesetzt.

Soweit Prof. Xy darauf hinweise, dass 2006 im Klinikum M. keine Produktion des Immunglobulins IgG im Liquor nachgewiesen worden sei und es im Zusatzgutachten des Dr. D. heiße, dass der entscheidende Borrelien-spezifische IgG-Index negativ gewesen sei, seien dies keine Argumente, die gegen das Vorliegen einer Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose sprächen. Bei einer Lyme-Arthritis und einer Polyneuropathie sei der Liquor unauffällig, es sei denn, dass gleichzeitig eine Erkrankung des zentralen Nervensystems vorliege. Insbesondere bei einer Neuroradikulitis (Morbus Bannwarth) liege keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen vor. Bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Xy sei jedoch eine Störung der Blut-Liquor-Schranke festgestellt worden, was ein Indiz für eine stattgehabte oder bestehende Entzündung im zentralen Nervensystem darstelle. Ein positiver IgG-Index träte bei Neuroradikulitis nur in einem Teil der Fälle auf. Ein negativer IgG-Index stehe also der Diagnose einer Lyme-Neuroborreliose nicht entgegen. Über Liquor-Befunde bei der Neuroradikulitis liege keine ausreichende wissenschaftliche Literatur vor. Die vorliegende Datenlage, insbesondere die polysegmentale Neuroradikulitis könne nach differenzialdiagnostischer Analyse nur auf eine Lyme-Borreliose bezogen werden. Soweit im Liquor eine leicht gestörte Blut-Liquor-Schrankenfunktion festgestellt worden sei, sei eine solche Störung stets Ausdruck einer stattgehabten oder vorliegenden Entzündung im zentralen Nervensystem, die Albuminkonzentration im Liquor stelle einen signifikant pathologischen Befund dar.

Soweit darauf hingewiesen worden sei, dass das Fehlen von IgM-Antikörpern gegen eine akute Entzündung spreche, sei diese Behauptung unzutreffend. IgM-AK träten sowohl in der Frühphase als auch im Spätstadium nur in einem geringen Teil der Fälle auf. Ein pathologischer serologischer Befund, in welcher Form auch immer, belege lediglich die stattgehabte Infektion, lasse jedoch keine Aussage über Existenz und Ausmaß der Erkrankung zu. Auch sei es nicht zutreffend, dass nur ein positiver Antikörper-Index im Liquor mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden könne. Auch diese Aussage sei falsch. Ein Antikörper-Index könne über viele Jahre persistieren und zwar nach Abheilung einer Lyme-Borreliose. Prof. Xy wolle offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass bei einem fehlenden Antikörper-Index im Liquor eine Lyme-Borreliose im Spätstadium ausgeschlossen sei. Diese Annahme sei falsch. Es existiere keine Literatur über die Häufigkeit eines erhöhten Antikörper-Index bei Neuroradikulitis. Ein positiver Antikörper-Index werde überdies entsprechend der Leitlinie „Neuroborreliose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie nur im Zusammenhang mit einer akuten Neuroborreliose gefordert, nicht aber für eine Lyme-Borreliose im Spätstadium und schon gar nicht für die Diagnose einer Neuroradikulitis im Spätstadium.

Soweit Prof. R. in seinem Gutachten darauf hinweise, dass auch unter Berücksichtigung der adäquat durchgeführten und nicht erfolgreichen Ceftriaxon-Therapie das Vorliegen einer Borreliose unwahrscheinlich sei, werde darauf hingewiesen, dass eine stattgehabte Ceftriaxon-Therapie den Akten nicht zu entnehmen sei. Doch selbst wenn eine solche Ceftriaxon-Therapie erfolgt sein sollte, würde dies einen Zeitraum betreffen, in dem sich der Kläger bereits seit Jahren im Spätstadium der Lyme-Borreliose befunden hätte. In einer derartigen Situation sei die vom Vorgutachter angesprochene „adäquate antibiotische Behandlung“ in 50 % der Fälle nicht wirksam. Die angeblich „adäquate, nicht erfolgreiche Ceftriaxon-Therapie“ schließe daher eine Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose im Stadium III keinesfalls aus.

Die Beklagte hält das Gutachten des Dr. B. für eine Entscheidungsfindung nicht für geeignet. Die auf Annahme und Interpretation beruhende Argumentationskette werde den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweisanforderungen nicht gerecht. Der Sachverständige unterstelle klinische Befunde und gehe nicht nach serologischen Werten. Da aber die Symptomatik unspezifisch sei, komme den serologischen Untersuchungen doch eine erhebliche Bedeutung zu. Es würden andere in Betracht zu ziehende Ursachen für die bestehende Symptomatik negiert, obwohl entsprechende Befunde nachgewiesen seien. Ausweislich der Behandlungsunterlagen bestünden beim Kläger seit einer Bandscheibenoperation von September 2003 persistierende Beschwerden, welche aus neurochirurgischer Sicht als pseudoradikuläres lumbales Schmerzsyndrom bzw. als chronische Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links beurteilt worden seien (Epikrise des Klinikums Plau am See vom 23. Juli 2004, Blatt 41 VA; Bericht des Dr. N. vom 23. Februar 2004, Blatt 60/61 VA). Bereits im Laborbefund vom 21. Januar 2004 seien reaktive Arthritiden ausgeschlossen worden, ein entzündliches Geschehen habe sich auch nicht aus dem Laborbefund vom 7. September 2005 (Blatt 67, 39 R VA) ergeben. Die geäußerte Verdachtsdiagnose aus dem Klinikum M. hinsichtlich des Vorliegens einer Lyme-Arthritis entspreche nicht dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand, zumal auch die dort durchgeführte Liquor-Untersuchung einen negativen Borrelienbefund ergeben habe.

Im Gutachten vom 11. April 2012 sei der Sachverständige Prof. Xy zu der Beurteilung gelangt, dass die beim Kläger geltend gemachten Beschwerden nicht durch eine chronische Borrelien-Erkrankung zu erklären seien. Letztlich habe anhand der ausführlichen Liquor-Diagnostik eine chronische intrathekale Entzündung, insbesondere eine Neuroborreliose, ausgeschlossen werden können. Die Beweisführung im Gutachten des Dr. B. zur Diagnose der Lyme-Borreliose beruhe auf Differenzial- bzw. Ausschlussdiagnostik. Diese Beweisführung entspreche nicht dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweismaßstab. Beweismaßstab für die haftungsbegründende Kausalität sei die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Der medizinische Sachverständige habe sich bei der ihm obliegenden objektiven Beurteilung am aktuellen wissenschaftlich gesicherten medizinischen Erkenntnisstand zu orientieren. Dies sei momentan die AWMF-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Registriernummer 030/071 – Neuroborreliose.

Zu den Ausführungen im Gutachten des Dr. B. hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des erstinstanzlichen Sachverständigen Prof. Xy vom 21. Juli 2016 eingeholt. Prof. Xy hat ausgeführt, er habe in seinem Gutachten die Diagnosen eines Residuums eines S1-Syndroms mit erloschenem Achillessehnenreflex und entsprechenden Sensibilitätsstörungen (nach 2003 operierten Bandscheibenvorfall) und den Ausschluss einer Borrelienerkrankung gestellt. Es sei festgestellt worden, dass keine BK 3102 bestehe. Entscheidend sei das liquoranalytische Gutachten des Dr. D. gewesen, welches bei der Liquor-Analyse eine normale Zellzahl mit unauffällig konfigurierten Zellen nachgewiesen habe, ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulin. Es habe zwar serologisch eine länger zurückliegende Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden können, wobei der Antikörper-Index normal gewesen sei und dass ausgeschlossen habe werden können, dass sich im zentralen Nervensystem ein von Borrelien abhängiges Immungeschehen abgespielt habe. Es werde im Gutachten ausgeführt, dass nur wenn dieser Index hoch sei, eine Produktion des spezifischen Borrelien IgG nachgewiesen werden könne. Dies sei explizit beim Kläger nicht der Fall, in Zusammenschau mit der normalen Zellzahl könne mit dieser Methode eine Neuroborreliose sicher ausgeschlossen werden. Soweit Dr. B. schreibe, dass unzutreffend Prof. Xy davon ausgegangen sei, dass der fehlende Nachweis eines sog. Antikörper-Index im Liquor die Lyme-Neuroborreliose ausschließe, sei diese Behauptung wissenschaftlich falsch und entspreche nicht dem Stand des medizinischen Wissens. In den AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (AWMF Registriernummer 030/071, vom 10. September 2015, Gültigkeit nach Überprüfung verlängert bis 29. September 2017) heiße es: „Entzündliche Liquor-Veränderungen sind bei jeder Neuroborreliose zu erwarten (mögliche Ausnahme: ganz frühes Krankheitsstadium). Bei einer akuten Neuroborreliose finden sich borrelienspezifische IgM- und/oder IgG-Antikörper im Serum mit einer Häufigkeit von 70 % zu 90 %, bei einer Krankheitsdauer von zwei- bis drei Monaten und bei der chronischen Neuroborreliose mit nahezu 100 %“. Weiter heiße es in den Leitlinien „bei dem größten Teil der Patienten mit Neuroborreliose kann die klinische Verdachtsdiagnose durch den Nachweis einer borrelienspezifischen intrathekalen Antikörpersynthese bestätigt werden, intrathekale spezifische Antikörperproduktion wird durch die Bestimmung des Liquor-Serumindex nachgewiesen. Die Borrelia-burgdorferi-spezifische intrathekale Antikörperproduktion entwickele sich bei unbehandelten Patienten in der zweiten Krankheitswoche, ist nach drei Wochen bei etwa 75 % der Patienten nachweisbar und nach acht Wochen bei über 99 %“. Somit sei nach ärztlichem Wissen und durch leitliniengerechte Diagnostik beim Kläger eine Neuroborreliose ausgeschlossen worden. Hinzu komme, dass der objektive neurologische Befund lediglich die Residuen einer vor mehreren Jahren stattgehabten Bandscheibenoperation ergeben habe und keine darüber hinaus gehende Symptome. Das Gutachten des Dr. B. sei für die Entscheidung des Gerichts nicht hilfreich, da es nicht auf dem Boden gesicherten Wissens gegründet sei, es würden in nahezu absurder Art und Weise unbewiesene Behauptungen und Vermutungen aneinander gereiht und entbehre jeder sachlichen und wissenschaftlich fundierten Argumentation. Der Kläger sei im Klinikum x während der Begutachtung und während des dortigen stationären Aufenthalt sorgfältig untersucht worden, die Diagnostik sei leitliniengerecht erfolgt, an den gestellten Diagnosen und dem damit verbundenen Ausschluss einer Neuroborreliose als BK bestehe aus Sicht des Sachverständigen kein Zweifel. Das Gutachten des Dr. B. entspreche nicht dem Stand des ärztlichen Wissens. Er halte weiterhin an seiner Beurteilung in seinem Gutachten vom 11. April 2012 fest.

Auf Antrag des Klägers hat Dr. B. zu den Ausführungen des Prof. Xy im Schreiben vom 21. Juli 2016 unter dem 31. Januar 2017 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Soweit Prof. Xy ausführe, eine Borrelienerkrankung werde ausgeschlossen, da im Liquor eine normale Zellzahl vorgelegen habe und keine lokale Produktion von Immunglobulinen (gegen Borrelien) nachweisbar gewesen sei, werde darauf hingewiesen, dass keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen bei der Nervenwurzelentzündung im Rahmen einer Lyme-Borreliose vorliege. Die Ansicht von Prof. Xy, dass bei einer Neuroradikulitis grundsätzlich Liquor-Veränderungen zu erwarten seien oder vorlägen, sei wissenschaftlich nicht belegbar. Damit schließe der unauffällige Liquor-Befund in 2012 die Neuroradikulitis nicht aus. Die Behauptung von Prof. Xy, dass für eine Neuroradikulitis bei Lyme-Borreliose der Nachweis intrathekaler Antikörper obligat sei, sei unzutreffend und wissenschaftlich nicht belegbar. Soweit Prof. Xy ausführe, nach der Leitlinie Neuroborreliose seien bei jeder Neuroborreliose entzündliche Liquor-Veränderungen zu erwarten, finde sich diese Formulierung tatsächlich in der Leitlinie Neuroborreliose im Abschnitt „Diagnostik“. Diese Passage werde jedoch durch Literatur nicht belegt. Darüber hinaus sei zu beachten, dass ein entzündlicher Liquor nur bei einer Meningitis (Hirnhautentzündung) auftrete. Es gebe jedoch mehrere Krankheitsmanifestationen bei der Lyme-Neuroborreliose, die ohne eine Meningitis einhergingen.

Soweit Prof. Xy ausführe, dass Borrelien-spezifische Antikörper im Serum sich in 100 % der Fälle bei einer Krankheitsdauer von zwei bis drei Monaten fänden, sei auch diese Behauptung durch Literatur nicht belegbar. Zu beachten sei, dass beim Kläger seit 2006 wiederholt Antikörper nachgewiesen worden seien. Über dies liege umfangreiche Literatur vor, dass Antikörper bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium nur bei 50 % der Fälle vorkämen. Soweit von Prof. Xy weiter ausgeführt würde, dass intrathekale Antikörper nach achtwöchiger Krankheitsdauer in 99 % der Fälle vorhanden seien, lasse sich auch diese Behauptung nicht durch Literatur belegen. Vielmehr ergebe sich bei Zugrundelegung der Literatur eine approximative Häufigkeitskurve mit einem Maximum von etwa 80 %. Wenn Prof. Xy schreibe, dass der neurologische Befund lediglich Residuen einer vor mehreren Jahren stattgehabten Bandscheibenoperation ergebe übersehe er, dass beim Kläger in mehreren Etagen und auf beiden Seiten Nervenwurzelentzündungen aufgetreten seien. Ein Zusammenhang mit einem Bandscheibenvorfall sei auszuschließen, da beim Bandscheibenvorfall die traumatische Neuroradikulitis einseitig auftrete und in der Regel nur in einem Segment.

Zur Stellungnahme der Beklagten sei auszuführen, dass in seinem Gutachten keine klinischen Befunde „unterstellt“ würden, sondern zahlreiche Krankheitsmanifestationen benannt würden, die typisch für die Lymeborreliose seien und die im Krankheitsverlauf aufgetreten seien. Beim Kläger sei mehrfach Erythema migrans (beweisend für Frühstadium der Lyme-Borreliose) aufgetreten, von 1994 bis 2007 sei die Borrelienserologie wiederholt mit hoch signifikanten pathologischen Werten erhoben worden. Hinsichtlich des dargestellten Bandscheibenvorfalls sei hervorzuheben, dass eine traumatische Schädigung einer Nervenwurzel nach Bandscheibenvorfall nie nachgewiesen worden sei. Soweit von einer chronischen Lumboischialgie mit residualem S1-Syndrom links gesprochen werde, seien dies Symptome und keine Begriffe für definierte Krankheiten. Entscheidend sei, dass aufgrund der zahlreichen neurologischen Defizite die Problematik nicht auf ein S1-Syndrom links beschränkt werden könne. Soweit seitens der Beklagten der Hinweis erfolge, dass im Laborbefund vom 21. Januar 2004 reaktive Arthritiden ausgeschlossen worden seien, hätten die „reaktiven Arthritiden“ mit der vorliegenden Problematik nichts zu tun. Beim Kläger sei zu keinem Zeitpunkt eine reaktive Arthritis aufgetreten. Vielmehr sei es seit 2004 wiederholt zu einer Gonarthritis gekommen (sog. Lyme-Arthritis, typischer Befund für die Lyme-Borreliose im Spätstadium). Auch seien im Laborbefund vom 21. Januar 2004 keinesfalls negative Arthritiden ausgeschlossen worden. Es heiße „kein Hinweis auf erhöhtes Erkrankungsrisiko für bestimmte reaktive Arthritiden“. Im Befund werde der unspezifische entzündliche Parameter CRP erwähnt, der im Normbereich gelegen habe. Eine solche Konstellation spreche nicht gegen eine Lyme-Arthritis, während der Befund bei einer reaktiven Arthritis meistens erhöht sei. Der Befund könne allenfalls dahingehend interpretiert werden, dass er mit einer Lyme-Arthritis gut vereinbar sei, nicht dagegen mit einer reaktiven Arthritis.

Ein Zusammenhang zwischen Lyme-Arthritis und pathologischem Befund der Borrelienserologie im Liquor sei in der Literatur nicht beschrieben und pathophysiologisch nicht vorstellbar.

Beim Kläger seien im Krankheitsverlauf Erythemata migrantia aufgetreten, die für das Frühstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend seien. Zudem hätten sich zahlreiche weitere Symptome (u. a. eine Lyme-Arthritis (Kniegelenksentzündung, Gonarthritis)) entwickelt sowie im Klinikum M. 2006 zahlreiche neurologische Defizite. Auch bei der gutachterlichen Untersuchung durch ihn (Dr. B.) hätten sich bei der körperlichen Untersuchung zahlreiche pathologische Befunde ergeben. In der Medizin gelte bei vielen Krankheiten der Grundsatz, dass andere Krankheiten differenzialdiagnostisch auszuschließen seien. Die Differenzialdiagnose sei ein analytischer Vorgang unter mehreren. Die Gesamtheit der diagnostischen Säulen sei erforderlich, um die Diagnose einer Lyme-Borreliose mit ausreichender Sicherheit zu stellen. Dies gelte insbesondere für das Spätstadium, das beim Kläger vorliege. Nur wenn krankheitsbeweisende Manifestationen (Erythema migrans, Acrodermatitis chronica atrophicans oder eine akute Lyme-Neuroborreliose mit pathologischem Liquor im Frühstadium vorlägen) könne die Diagnose einer Lyme-Borreliose ohne Differentialdiagnose gestellt werden. Solche Situationen hätten jedoch beim Kläger nicht vorgelegen, abgesehen von dem Erythemata migrantia. Dass eine derartig umfassende Diagnose unter Einschluss der notwendigen Differentialdiagnose nicht dem geltenden Beweismaßstab der gesetzlichen Unfallversicherung entspreche, sei nicht denkbar. Auch sei die haftungsbegründende Kausalität vorliegend gegeben, da in der Tat mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Lyme-Borreliose anzunehmen sei; andere Krankheiten, außer der Lyme-Borreliose, seien ausgeschlossen worden (siehe Abschnitt „Befunde, die für eine Lyme-Borreliose sprächen“).

Die Beklagte ist weiter der Auffassung, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine BK 3102 nicht vorlägen. Es fehle unter Zugrundelegung des aktuell medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes an der Sicherung einer manifesten Erkrankung des Klägers in Form einer Lyme-Borreliose, insbesondere einer Neuroborreliose im Vollbeweis. Die Diagnose einer Lyme-Borreliose müsse in erster Linie durch die klinische Symptomatik begründet sein. Laborbefunde dienten dann zur Untermauerung oder zum Ausschluss der klinischen Verdachtsdiagnose. In Auswertung der Liquor-Punktion im Klinikum M. habe sich kein Hinweis auf eine autotochtone Immunglobulinsynthese oder die für eine Neuroborreliose kennzeichnende Pleozytose im Liquor ergeben. Auf der Ebene der klinischen Befunde fehle es am Nachweis einer Neuroborreliose, weil kein erhöhter Borrelien-spezifischer Liquor/Serum-Index festgestellt worden sei und keine spezifischen Zeichen (Schrankenstörung, lymphozytäre Pleozytose, erhöhtes Gesamtprotein, olegoklonale Banden) vorgelegen hätten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten (S 14 U 20/10 – L 5 U 77/14) sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

Zu Recht hat das SG Stralsund durch Urteil vom 8. September 2014 die Klage abgewiesen, weil die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1, § 56 SGG) unbegründet ist. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 21. September 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Beim Kläger besteht keine BK 3102.

Rechtsgrundlage für die Anerkennung einer Berufskrankheit ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. BK 3102. Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Berufskrankheiten nur diejenigen Krankheiten, die durch die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet sind (sogenannte Listen-BK) und die der Versicherte in Folge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2,3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet.

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o. ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit (vgl. Urteil des BSG vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R –; Urteil vom 23. April 2015 – B 2 U 6/13 R –). Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht (vgl. Urteil des BSG vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R –) und ernste Zweifel ausscheiden. Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).

Hinsichtlich der „Einwirkungen“ lässt es die Rechtsprechung teilweise ausreichen, dass der Versicherte (hier: in seiner beruflichen Tätigkeit als Forstwirt) generell „einem deutlich erhöhten Infektionsrisiko für Borreliose“ ausgesetzt gewesen ist (vgl. Urteil des Bayerischen LSG vom 15. April 2015 – L 2 U 40/14 –; Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 8. Mai 2014 – L 3 U 228/12 –, wonach für die Anerkennung von Borreliose als BK 3102 der Nachweis eines konkreten Zeckenbisses nicht erforderlich ist; vgl. auch Urteil des Hessischen LSG vom 18. November 2011 – L 9 U 226/06 –). Diese Auffassung dürfte im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R – (zitiert nach juris, Rdnr. 14) nicht mehr zutreffend sein. Der Senat lässt dies – ebenso wie das BSG in dem soeben zitierten Urteil – dahinstehen, weil bei dem Kläger schon keine Krankheit im Sinne der BK 3102 vorliegt. Beim Kläger besteht weder eine Lyme-Borreliose noch eine Lyme-Neurborreliose.

Immunserologisch wurde beim Kläger eine Infektion mit Borrelien nachgewiesen. So war am 22. November 1994 die Borrelien-Serologie positiv. Es war eine Erhöhung von IgG-Antikörper als Beweis für eine vorausgegangene oder damals bestehende Borrelien-Infektion nachgewiesen worden. Auch die Borrelien-Serologie vom 23. Mai 2006 war positiv. Auch wenn der Nachweis von IgG-Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi als Hinweis auf eine durchgemachte Infektion gewertet werden kann, kann jedoch nicht jeder Antikörpernachweis als Beweis für eine klinisch-manifeste Lyme-Borreliose gewertet werden (vgl. Urteil des Hessischen LSG vom 18. November 2011 – L 9 U 226/06 –, juris Rdnr. 27); denn eine symptomlose Borrelien-Infektion kann nicht unter den unfallversicherungsrechtlichen Begriff der „Krankheit“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII und der BK 3102 subsumiert werden (vgl. Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 21). Wie das BSG in seinem Urteil vom 27. Juni 2017 (a.a.O.) ausführt, ist im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung von einem funktionellen Krankheitsbegriff auszugehen, d.h., dass erforderlich ist, dass der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird. Ausgehend von diesem normativ-funktionellen Krankheitsbegriff reicht die bloße Aufnahme schädigender Substanzen in den Körper allein im Regelfall nicht aus. Vielmehr ist es grundsätzlich notwendig, dass diese Einwirkung über zunächst rein innerkörperliche Reaktionen oder Strukturveränderungen hinaus zu (irgend) einer Funktionsstörung führt (Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 22).

Zum Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose zählen nach der laufenden Nummer 15 des Anhangs zum Merkblatt der BK 3102 (Bekanntmachung des BMGS vom 1. September 2003, BArbBl 10/2003, 26) u.a. „Erythema migrans, wandernde Arthralgien, Arthritis, Akrodermatitis chronica atrophicans, Enzephalomyelitis, Bannwarth-Syndrom (Meningoradikulitis)“. Die Merkblätter sind nach der Rechtsprechung des BSG zur Ermittlung des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands und als Interpretationshilfe heranzuziehen (Urteil des BSG vom 27. Juni 2017, a.a.O., juris Rdnr. 19 m.w.N.), auch wenn sie weder verbindliche Konkretisierungen der Tatbestandsvoraussetzungen der BK noch antizipierte Sachverständigengutachten oder eine Dokumentation des Standes der einschlägigen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft sind.

Im Hinblick hierauf ist es zur Überzeugung des Senats zum einen nicht im Wege des Vollbeweises nachgewiesen, dass der Kläger überhaupt an den vorgenannten Krankheitsbildern leidet bzw. gelitten hat noch dass es wahrscheinlich ist, dass entsprechende Krankheitsbilder auf eine Lyme-Borreliose zurückzuführen sind.

Berufskrankheit - Borreliose/Neuborreliose
(Symbolfoto: Von KPixMining/Shutterstock.com)

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten unterstellt, dass der Kläger in der Vergangenheit an Erythema migrans erkrankt gewesen ist, sieht dies der Senat als nicht beweisen an. Hautveränderungen im Sinne einer Wanderröte (Erythema migrans) hat der Kläger nach eigenen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Dr. B. im Rückenbereich im Jahr 1990 bemerkt, sich aber nicht in ärztliche Behandlung begeben, sodass eine gegebenenfalls vorliegende Wanderröte auch nicht durch einen medizinischen Befund dokumentiert und damit nachgewiesen worden ist. Nach der Einschätzung im Gutachten des Prof. X verliefen die anamnestisch vom Kläger beschriebenen und als Wanderröte eingeschätzten Rötungen dagegen untypisch. Nach der Beurteilung des Prof. X sind sie nicht „gewandert“ und hätten eher auf eine allgemeine Infektion des Zeckenstiches hingewiesen, da die Rötungen immer relativ klein gewesen seien (bis ca. 5 cm Durchmesser). Gegenüber Prof. X hat der Kläger angegeben, lediglich einmal eine ca. 20 cm große Rötung mit Juckreiz am Arm gehabt zu haben. Ob es sich hierbei um eine Wanderröte gehandelt hat, ist ebenfalls nicht im Wege des Vollbeweises nachgewiesen, da ein entsprechender medizinischer Befund ebenfalls nicht dokumentiert ist. Auch sind die Angaben des Klägers über eine großflächige Rötung insoweit inkonsistent, weil sich nach den Angaben des Klägers gegenüber Prof. X die Rötung am Arm befunden haben soll, während sie sich nach den Angaben gegenüber Dr. B. im Rückenbereich befunden haben soll.

Auch den Nachweis von Schwellungszuständen und Gelenkergüssen als Zeichen einer manifesten Arthritis (Gelenkentzündung) sieht der Senat als nicht geführt an. Die behandelnde Allgemeinmedizinerin DM J. hat angegeben, den Kläger am 2. September 2005 behandelt zu haben, da er über unklare Gelenkbeschwerden berichtet habe. Die in ihrem Befundbericht vom 24. Januar 2006 aufgeführte Lyme-Arthritis hatte diese Ärztin als Diagnose der Epikrise des Klinikums M. entnommen. Die veranlasste Untersuchung des Klägers durch die Internistin Dr. B. (Arztbrief vom 7. Oktober 2005) ergab lediglich eine diskrete Schwellung der Gelenke in dem Bereich beider Hände des Klägers, sonst wurden unauffällige Gelenkbefunde erhoben, ein Anhalt für eine rheumatische Erkrankung beim Kläger fand sich nicht. In der Epikrise des Klinikums Plau am See vom 23. Juli 2004 wird über eine radikuläre Schmerzausstrahlung links nach Lumbago berichtet. Über eine Gelenkentzündung finden sich keine Hinweise, des gleichen nicht im Befundbericht des Orthopäden Dr. x vom 16. August 2004. Ebensowenig sind diesbezügliche Angaben im Befundbericht des Neurochirurgen Dr. N. vom 23. Februar 2004 enthalten. Im angefertigten Bericht über das MRT des linken Hüftgelenkes vom 22. Januar 2004 ergab sich kein Hinweis auf eine Hüftkopfnekrose, Gelenkentzündungen wurden nicht beschrieben. Auch anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Dr. B. (Gutachten vom 29. November 2004) wurden keine Befunde erhoben, die Hinweise auf das Bestehen von Gelenkentzündungen ergaben, ebensowenig anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Prof. X. Aus der Epikrise des Klinikums M. vom 9.Januar 2006 ergibt sich, dass der Kläger anamnestisch seit mehreren Jahren geschwollene Hände angegeben hatte sowie rezidivierende Gelenkschwellungen für zwei bis drei Tage im Bereich der Finger, Schulter, Ellenbogen und Knie. Der Untersuchungsbefund dieses Klinikums ergab, dass die Hände und Finger beidseits geschwollen waren. Aus dem beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis ergab sich, dass für die Zeit des stationären Aufenthalts des Klägers im Klinikums M. u.a. die Diagnose „Gelenkschmerz, mehrere Lokalisationen“ aufgeführt war. Für die Zeiten zuvor waren Arbeitsunfähigkeitszeiten vorwiegend wegen Rücken-/Kreuzschmerz sowie Lumboischialgie dokumentiert, hieraus resultierte eine langandauernde Arbeitsunfähigkeit des Klägers beispielsweise für die Zeit vom 21. August 2003 bis 31. Oktober 2004. Auch anlässlich der Begutachtung des Klägers durch Prof. R. ergab die körperliche Untersuchung keine Hinweise auf eine manifeste Arthritis oder das Vorliegen von Arthralgien, als Beschwerden gab der Kläger vornehmlich Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich mit Ausstrahlung in das linke Bein an. Im Gutachten des Prof. Xy wird als Diagnose ein Residuum eines S1-Syndroms links mit erloschenen Achillessehnenreflex und einer Sensibilitätsstörung im Bereich des Segmentes S1 (Folge der Bandscheibenoperation 2003) genannt. Neurologische Ausfälle fanden sich nicht, der Kläger gab allerdings „diffuse Gelenkschmerzen“ an. Die Schmerzausstrahlung in das linke Bein des Klägers ist nicht typisch für eine Lyme-Borreliose; sie lässt sich vielmehr mit der durchgeführten Bandscheiben-OP des Klägers aus dem Jahr 2003 erklären, worauf bereits Prof. R. in seinem Gutachten hingewiesen hat, eine Auffassung, die auch Prof. Xy in seinem Gutachten vertritt. Die diffusen Gelenkbeschwerden des Klägers bewertet Prof. Xy auch nicht als die Folgen einer Borrelioseerkrankung beim Kläger.

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten darauf hingewiesen hat, das die im November 2005 (stationärer Aufenthalt) dokumentierten rezidivierenden Gelenkschwellungen Ausdruck einer Lyme-Borreliose beim Kläger seien, folgt der Senat dieser Auffassung des Sachverständigen aus den vorgenannten Gründen nicht. Gelenkschwellungen des Klägers sind in den beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnissen nämlich nur ganz sporadisch aufgeführt. Soweit Dr. B. den beim Kläger diagnostizierten und im Jahr 2003 operierten Bandscheibenvorfall in Segment L5/S1 nicht als Bandscheibenvorfall wertet sondern als Neuroradikulitis, steht Dr. B. mit seiner Diagnosestellung allein dar. Sowohl der den Kläger behandelnde Orthopäde als auch der Neurochirurg sowie die Orthopäden im Klinikum und auch Prof. Xy gehen übereinstimmend von der Diagnose eines Bandscheibenvorfalles aus, der auch nach durchgeführter Operation für die Schmerzausstrahlung in das Bein des Klägers verantwortlich ist. Unabhängig davon, ob ein „schiefer Mund“ des Klägers im Jahr 2006 Ausdruck einer Fazialisparese gewesen ist, hält es der Senat nicht für wahrscheinlich, dass die vom Kläger beschriebenen Gelenkbeschwerden und Schmerzen ursächlich auf eine Borrelieninfektion zurückzuführen sind; in Übereinstimmung mit den Ausführungen im Gutachten des Prof. R. und des Prof. Xy ist es wahrscheinlicher, dass diese Beschwerden auf die Folgen der durchgeführten Bandscheibenoperation beim Kläger zurückzuführen sind.

Auch eine Lyme-Neurborreliose kann beim Kläger nicht als gesundheitliche Folge einer BK 3102 festgestellt werden, da sie nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist.

Es fehlt vielmehr am Nachweis einer aktiven Borrelien-Infektion als Grundvoraussetzung der Diagnose Neuroborreliose. Insoweit schließt sich der Senat den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen im Gutachten des Prof. Xy vom 11. April 2012 und dem liquor-analytischen Zusatzgutachten des Dr. D. vom 23. März 2012 sowie der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Xy vom 21. Juli 2016 an. Das Gutachten des Dr. D. hat ergeben, dass der borrelienspezifische IgG-Index negativ gewesen ist. Bei dem borrelienspezifischen IgG handelt es sich um eine immunologische Narbe, die zum Teil lebenslang ohne Krankheitswert erhalten bleibt. Während der akuten Phase kommt es zu einem Anstieg des Immunoglobulins IgM, welcher signalisiert, dass der Organismus sich aktuell mit dem Borrelien-Antigen auseinandersetzt. Hinweise auf eine solche akute Entzündung bestanden beim Kläger nicht. Bei chronischer Borreliose des zentralen Nervensystems wird im zentralen Nervensystem kontinuierlich IgG gebildet, was als intrathekale IgG-Produktion bezeichnet wird. Nur wenn dieser Index hoch ist, spricht dies für eine Produktion des IgG im zentralen Nervensystem und kann mit einer chronischen Borrelienerkrankung erklärt werden. Die durchgeführte Liquor-Diagnostik ergab jedoch, dass eine chronische intrathekale Entzündung beim Kläger nicht vorlag. Damit konnte eine Neuroborreliose ausgeschlossen werden, die geklagten Beschwerden des Klägers haben nach Einschätzung des Prof. Xy eine andere Ursache. Die eingesandte Liquor-Probe zeigte eine normale Zellzahl bei minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung. Das Zytogramm war bei geringer Zellausbeute im Präparat ohne pathologischen Befund, die Blut-Liquor-Schrankenfunktion leicht gestört. Die quantitative Analyse der lokalen Immunglobulinsynthese im Reiberdiagramm war auch wie die Untersuchung der oligoklonalen Banden ohne Hinweis auf eine lokale Produktion von Immunglobulinen. Damit fand sich in der Liquoranalytik kein Hinweis auf eine akute oder chronische Entzündung des Zentralnervensystems. Es wurden auch die Borrelien-Antikörper aus dem Liquor und der Serumprobe untersucht. Dabei konnte serologisch eine frühere Exposition mit Borrelien nachgewiesen werden. Eine intrathekale Produktion von Anti-Borrelien-Antikörpern war jedoch nicht nachweisbar. Trotz minimaler artifizieller Erythrozytenbeimengung und einer (leichten) Schrankenstörung lautete die Beurteilung, dass es sich um einen Liquor ohne pathologischen Befund gehandelt habe.

Da Dr. B. in seinem Gutachten dieser Beurteilung des Prof. Xy widersprochen hat, hat der Senat die ergänzende Stellungnahme des Prof. Xy vom 21. Juli 2016 herbeigeführt. Hierin hat Prof. Xy das von ihm gefundene Ergebnis unter Hinweis auf die AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (Gültigkeit bis 29. September 2017) bestätigt, wonach entzündliche Liquor-Veränderungen bei jeder Neuroborreliose zu erwarten seien, bei einer chronischen Borreliose mit nahezu 100%. Nach den Leitlinien kann bei dem größten Teil der Patienten mit Neuroborreliose die klinische Verdachtsdiagnose durch den Nachweis borrelienspezifischer intrathekaler Antikörpersynthese bestätig werden, intrathekale spezifische Antikörperproduktion wird durch die Bestimmung des Liquor-Serum-Index nachgewiesen (S1-Leitlinie Borreliose, Blatt 6). Prof. Xy hat nochmals darauf hingewiesen, dass nur wenn dieser Index hoch sei, eine Produktion des spezifischen Borrelien IgG nachgewiesen werden könne. Dies sei explizit beim Kläger nicht der Fall gewesen.

Diese Ausführungen des Prof. Xy sind für den Senat überzeugend. Sie stehen insbesondere mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft im Einklang. In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie „Neuroborreliose“ (AWMF-Registernummer 030/071, gültig bis 29. September 2017), auf die auch Dr. D. Bezug genommen hatte, ist bereits für eine nur „mögliche“ Neuroborreliose der Nachweis borrelienspezifischer IgG- und/oder IgM-Antikörper im Serum (neben einem typischen klinischen Bild im Form von Hirnnervenausfällen, Meningitis/Meningoradikulitis oder fokalen neurologischen Ausfällen) maßgebliches Diagnosekriterium. Denn bei einer akuten Neuroborreliose finden sich borrelienspezifische IgM- und /oder IgG-Antikörper im Falle des chronischen Verlaufs mit nahezu 100% (AWMF-Leitlinie Seite 6). Auch wenn mittlerweile bezüglich der Neuroborreliose die S3-Leitlinie (gültig bis 12. April 2021) veröffentlicht worden ist, sind die Ausführungen des Prof. Xy weiterhin zutreffend (vgl. die S3-Leitlinie Neuroborreliose, Seite 16, 17 mit nur geringfügigen Abweichungen hinsichtlich der Prozentzahlen nach unten). Die S3-Leitlinie Neuroborreliose stellt insoweit den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft dar und stützt auch weiterhin die Beurteilung des Prof. Xy.

Soweit Dr. B. in seinem Gutachten zu der Beurteilung gelangt, dass der Kläger an einer Neuroborreliose leide, folgt der Senat den Ausführungen dieses Sachverständigen nicht. Wenn Dr. B. ausführt, dass, wenn es im Zusatzgutachten des Dr. D. heiße, dass der entscheidende Borrelien-spezifische IgG-Index negativ gewesen sei, dies kein Argument darstelle, das gegen das Vorliegen einer Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose spreche, hat Prof. Xy in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21. Juli 2016 darauf hingewiesen, dass diese Behauptung wissenschaftlich falsch sei und nicht dem Stand des medizinischen Wissens entspricht. Soweit Prof. Xy insoweit auf die AWMF-Leitlinien Neuroborreliose (Gültigkeit bis 29. September 2017) verwiesen hat, wonach entzündliche Liquor-Veränderungen bei jeder Neuroborreliose zu erwarten sind, entspricht diese Aussage auch weiterhin dem medizinischen Wissenstand (vgl. S3-Leitlinie Neuroborreliose, gültig bis 12. April 2021, Seite 16). Soweit Dr. B. darauf hinweist, dass insbesondere bei einer Neuroradikulitis (Morbus Bannwarth) keine Literatur über die Häufigkeit von Liquor-Veränderungen vorliege, verweist der Senat darauf, dass von keinem anderem Arzt die Diagnose einer Neuroradikulitis beim Kläger gestellt worden ist, vgl. die obigen Ausführungen.

Soweit Dr. B. darauf hinweist, dass bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof. Xy eine Störung der Blut-Liquor-Schranke festgestellt worden sei, was ein Indiz für eine stattgehabte oder bestehende Entzündung im zentralen Nervensystem darstelle, trifft es zu, dass nach den Ausführungen im Zusatzgutachten des Dr. D. die Blut-Liquor-Schrankenfunktion leicht gestört gewesen ist. Trotz dieses Befundes sind sowohl Dr. D. als auch Prof. Xy zu der Beurteilung gelangt, dass sich liquor-chemisch kein Anhalt für eine Neuroborreliose gefunden habe. Der Einschätzung des Prof. Xy, bei dem es sich um einen gerichtsbekannt erfahrenden Sachverständigen handelt, schließt sich der Senat an. Insgesamt überzeugt die Argumentation im Gutachten des Dr. B. den Senat nicht, weil von ihm teilweise Befunde unterstellt werden, die nicht dokumentiert sind (beispielsweise hinsichtlich der Wanderröte) und von denen behauptet wird, dass sie für eine Lyme-Borreliose sprächen (vgl. die Aufstellung der „Befunde“ von Blatt 61 – 63 des Gutachtens). Hierbei handelt es sich um ein Sammelsurium von Beschwerden, die nicht typischerweise mit einer Lyme-Borreliose einhergehen, unabhängig davon, ob sie überhaupt nachgewiesen sind.

Da zur Überzeugung des Senats der Kläger weder an einer Lyme-Borreliose noch an einer Lyme-Neuroborreliose leidet, konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil Gründe hierfür nicht ersichtlich sind (vgl. § 160 Abs. 2 SGG).

 

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