Obwohl ein ehemaliger Kraftfahrer angab, wegen chronischer Schmerzen arbeitsunfähig zu sein, sah das Gutachten ein Restleistungsvermögen von sechs Stunden täglich. Ein 6-Minuten-Gehtest sollte die Wegeunfähigkeit beweisen, führte aber zu einer unerwarteten Konsequenz vor dem Sozialgericht.
Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann gelte ich als erwerbsgemindert, wenn ich noch leichte Tätigkeiten ausüben kann?
- Bekomme ich Erwerbsminderungsrente, wenn meine chronischen Schmerzen nicht objektiv nachweisbar sind?
- Wie kann ein kurzer Gehtest mein Restleistungsvermögen im Rentenverfahren bestimmen?
- Muss die Rentenversicherung mir einen konkreten Job nennen, wenn meine Rente abgelehnt wird?
- Welche objektiven Befunde brauche ich, um meine Schmerzen im Rentenverfahren zu beweisen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: L 3 R 115/23 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 08.11.2023
- Aktenzeichen: L 3 R 115/23
- Verfahren: Berufungsverfahren
- Rechtsbereiche: Sozialrecht, Rentenversicherung
- Das Problem: Ein Mann mit chronischen Schmerzen und multiplen Erkrankungen klagte gegen die Rentenversicherung. Er verlangte die Zahlung einer Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung.
- Die Rechtsfrage: Ist der Kläger aufgrund seiner körperlichen und psychischen Leiden dauerhaft unfähig, täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu arbeiten?
- Die Antwort: Nein, die Berufung wurde abgewiesen. Das Gericht bestätigte, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten noch mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann.
- Die Bedeutung: Ein Anspruch auf Erwerbsminderungsrente besteht in der Regel nicht, wenn das Restleistungsvermögen für körperlich leichte, wechselnde Tätigkeiten mindestens sechs Stunden beträgt. Subjektive Schmerzangaben und fehlende konkrete Benennung eines Arbeitsplatzes ändern daran nichts.
Der Fall vor Gericht
Kann ein kurzer Gehtest über einen Rentenanspruch entscheiden?
Ein Mann, ein Untersuchungszimmer und ein einfacher Test: Sechs Minuten gehen. Der Mann, ein ehemaliger Kraftfahrer mit starken Schmerzen, hinkte und brach nach 116 Metern ab. Für ihn der Beweis seiner Arbeitsunfähigkeit. Für die Gutachterin war es der Anfang einer Hochrechnung. Eine Rechnung, die am Ende darüber entschied, ob er eine Erwerbsminderungsrente bekommt oder weiter als arbeitsfähig gilt. Es ist die Geschichte eines Falls, in dem wenige Meter über eine ganze Existenz entschieden.
Was bedeutet „Erwerbsminderung“ im Sinne des Gesetzes?
Das Gesetz zieht eine klare Grenze. Wer wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nicht mehr in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu arbeiten, hat Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung. Die entscheidende Währung ist Zeit. Wer täglich weniger als drei Stunden arbeiten kann, gilt als voll erwerbsgemindert. Wer noch zwischen drei und sechs Stunden schafft, bekommt eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Wer hingegen noch mindestens sechs Stunden irgendeiner leichten Tätigkeit nachgehen kann, erhält laut § 43 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) keine Rente – unabhängig davon, ob er in seinem erlernten Beruf noch arbeiten kann oder eine passende Stelle findet.
Warum sah das Gericht hier kein Recht auf Rente?

Der Mann litt unter einer langen Liste von Diagnosen – von chronischen Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und der Hüfte über die Folgen eines alten Oberschenkelbruchs bis hin zu einer Alkoholabhängigkeit und dem Zustand nach einer Nierenkrebs-Operation. Er war überzeugt, die Schwelle von sechs Stunden nicht mehr zu erreichen. Die Rentenversicherung und die Gerichte sahen das anders. Ihre Entscheidung stützte sich auf ein zentrales Beweismittel: das Gutachten einer Fachärztin für Arbeitsmedizin.
Diese Gutachterin untersuchte den Mann gründlich. Sie bestätigte die Diagnosen, zog aber einen anderen Schluss für seine Arbeitsfähigkeit. Sie befand, er könne noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten ausüben. Denkbar seien Arbeiten wie das Zureichen von Teilen, Kleben, Sortieren, Verpacken oder die Bedienung einfacher Maschinen. Wichtig sei nur, dass er dabei seine Körperhaltung wechseln könne und keinem Zeitdruck ausgesetzt sei.
Der Knackpunkt war die Gehfähigkeit. Im Test brach der Mann den Weg schnell ab. Die Gutachterin rechnete seine Leistung hoch. Sie kam zu dem Schluss, dass er trotz seiner Beschwerden eine Wegstrecke von 500 Metern in etwa 15 bis 20 Minuten zurücklegen könne. Damit galt er nicht als „wegeunfähig“. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt schloss sich dieser Einschätzung an. Es fand keine objektiven medizinischen Befunde, die eine so massive Einschränkung rechtfertigen würden, wie der Mann sie schilderte. Sein Leistungsvermögen lag aus Sicht des Gerichts über der kritischen Sechs-Stunden-Grenze.
Wie werden subjektive Schmerzangaben im Rentenverfahren bewertet?
Der Mann argumentierte, seine chronischen Schmerzen seien real und würden ihn massiv einschränken. Das Gericht zweifelte die Schmerzen nicht grundsätzlich an. Es stellte aber klar: Subjektives Empfinden allein genügt nicht. Für eine Rente müssen die Schmerzen nachvollziehbare und objektivierbare Funktionsstörungen zur Folge haben, die von einem Gutachter bestätigt werden. Die Gutachterin erkannte eine Somatoforme Schmerzstörung – eine körperliche Beschwerde, für die keine ausreichende organische Ursache gefunden werden kann. Die Schmerzen waren da, aber sie erklärten aus medizinischer Sicht nicht, warum der Mann nicht mehr sechs Stunden leichte Tätigkeiten verrichten können sollte. Das Gericht sah die Glaubwürdigkeit der Angaben des Mannes zusätzlich geschwächt, weil er im Verfahren verschwiegen hatte, dass er seit 2021 einer bezahlten Pflegetätigkeit nachging.
Muss die Rentenversicherung einen konkreten Arbeitsplatz benennen?
Ein weiteres Argument des Mannes war, die Rentenversicherung habe ihm keinen einzigen konkreten Job nennen können, den er mit seinen Leiden noch ausüben könne. Diesen Einwand wies das Gericht mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurück. Die Rentenversicherung muss keinen konkreten Arbeitsplatz nachweisen. Es genügt die Feststellung, dass für den Versicherten der allgemeine Arbeitsmarkt mit leichten Tätigkeiten noch offensteht. Das Gutachten hatte ein klares Anforderungsprofil für solche Tätigkeiten beschrieben – leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen, ohne Akkord und ohne Stress. Nach Ansicht des Gerichts gibt es auf dem Arbeitsmarkt genügend solcher Stellen. Der Mann war nicht auf einen bestimmten Beruf festgelegt. Seine Klage wurde in letzter Instanz abgewiesen.
Die Urteilslogik
Die Beweislast im Sozialrecht verlangt objektive Nachweise für funktionelle Einschränkungen, während das subjektive Schmerzempfinden hinter dem festgestellten Restleistungsvermögen zurücktritt.
- [Restleistungsvermögen definiert die Rentenpflicht]: Die Schwelle zur Erwerbsfähigkeit zieht die Grenze bei sechs Stunden täglicher leichter Tätigkeit, unabhängig davon, ob der Versicherte seinen erlernten Beruf noch ausüben kann.
- [Objektivierbare Befunde dominieren die Schmerzbewertung]: Subjektive Schmerzangaben begründen einen Rentenanspruch nur, wenn objektive medizinische Befunde die geschilderten massiven Funktionseinschränkungen klar nachvollziehen lassen.
- [Keine Pflicht zur Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes]: Die Träger der Rentenversicherung müssen Versicherte nicht auf eine konkrete Verweisungstätigkeit verweisen, sondern lediglich nachweisen, dass der allgemeine Arbeitsmarkt geeignete leichte Tätigkeiten bietet.
Die Feststellung der Erwerbsminderung konzentriert sich stets auf das verbleibende Potenzial des Versicherten im Kontext des breiten Arbeitsmarktes.
Benötigen Sie Hilfe?
Wurde Ihr Anspruch auf Erwerbsminderungsrente wegen sechs Stunden Restleistungsvermögen abgelehnt? Kontaktieren Sie uns für eine professionelle Ersteinschätzung Ihrer Erfolgsaussichten.
Experten Kommentar
Der schwierigste Spagat bei der Erwerbsminderungsrente ist immer, wie man ein tief empfundenes Leiden in messbare Ausfälle umwandelt. Dieses Urteil zeigt konsequent: Solange Gutachter noch leichte Tätigkeiten für sechs Stunden täglich sehen, zählt die subjektive Schmerzintensität wenig – selbst wenn die Rentenversicherung keinen konkreten Job nennen muss. Wer wegen chronischer Beschwerden klagt, muss daher penibel nachweisen, dass die Funktionseinschränkungen objektiv so massiv sind, dass selbst einfachste Zureich- oder Sortiertätigkeiten unmöglich werden. Entscheidend ist die juristische Schwelle der sechs Stunden, nicht die gefühlte Arbeitsunfähigkeit.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann gelte ich als erwerbsgemindert, wenn ich noch leichte Tätigkeiten ausüben kann?
Die juristisch entscheidende Grenze liegt bei täglich sechs Stunden. Wenn Sie krankheitsbedingt Ihren alten, qualifizierten Beruf nicht mehr ausüben können, prüft die Rentenversicherung lediglich Ihr verbliebenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Können Sie täglich sechs Stunden oder länger irgendeiner leichten Tätigkeit nachgehen, gelten Sie als voll arbeitsfähig und haben keinen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente.
Die Deutsche Rentenversicherung stützt sich dabei auf § 43 des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI). Für sie ist die sogenannte abstrakte Verweisbarkeit maßgeblich. Das bedeutet, dass die Fähigkeit, Ihren erlernten, hochqualifizierten Beruf auszuüben, irrelevant ist. Gutachter suchen gezielt nach Restkapazitäten für leichte Aufgaben, wie das Zureichen von Teilen, Kleben oder Sortieren. Die volle Erwerbsminderung wird nur zuerkannt, wenn Ihr tägliches Restleistungsvermögen auf unter drei Stunden sinkt.
Diese leichten Tätigkeiten müssen spezifische Anforderungen erfüllen, die im Gutachten exakt festgelegt werden. Wichtig ist die Möglichkeit zum regelmäßigen Wechsel der Körperhaltung, etwa zwischen Sitzen und Stehen. Ebenso darf kein Zeitdruck oder Akkordarbeit bestehen. Gutachter zielen darauf ab, genau diese verbliebenen Fähigkeiten zu belegen, um die 6-Stunden-Schwelle nachzuweisen. Vermeiden Sie daher den Fehler, Ihre Restkapazitäten für einfache Aufgaben im Verfahren herunterzuspielen.
Führen Sie ein detailliertes Tagebuch, in dem Sie protokollieren, wie lange Sie Tätigkeiten ohne schmerzbedingten Haltungswechsel durchhalten, um die Annahmen der Gutachter präzise widerlegen zu können.
Bekomme ich Erwerbsminderungsrente, wenn meine chronischen Schmerzen nicht objektiv nachweisbar sind?
Allein Ihr subjektives Schmerzempfinden, auch wenn es real ist und eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert wurde, genügt für die Erwerbsminderungsrente in der Regel nicht. Die Rechtsprechung fordert, dass die Schmerzen objektiv nachvollziehbare und messbare Funktionsstörungen nach sich ziehen. Nur diese Funktionsstörungen können das Restleistungsvermögen unter die kritische Sechs-Stunden-Grenze drücken. Gutachter beurteilen, ob die geschilderten Einschränkungen mit den medizinischen Befunden übereinstimmen.
Gerichte zweifeln chronische Schmerzen oft nicht grundsätzlich an, jedoch zählen sie als medizinische Diagnose nicht automatisch als Nachweis der Erwerbsminderung. Zwar erkennen Gutachter Diagnosen wie die somatoforme Schmerzstörung an. Die Gerichte argumentieren aber, dass diese Diagnose allein nicht zwangsläufig bedeutet, dass Sie keine leichten Tätigkeiten für sechs Stunden täglich ausführen können. Der Fokus liegt immer darauf, ob die Schmerzen eine massive, messbare Einschränkung im Alltag hervorrufen.
Subjektive Schilderungen werden im Verfahren sehr kritisch hinterfragt, da die Glaubwürdigkeit des Antragstellers eine große Rolle spielt. Verschweigen Sie beispielsweise bezahlte Nebentätigkeiten, kann das Gericht Ihre gesamten Schmerzangaben als unglaubwürdig einstufen. Deshalb müssen Sie im Antrag unbedingt die funktionellen Einschränkungen beschreiben. Beschreiben Sie nicht nur die Schmerzstärke, sondern die Folge: „Ich kann nur Gegenstände unter einem Kilogramm heben“ oder „Ich muss alle zehn Minuten meine Position wechseln“.
Suchen Sie einen Facharzt auf, der explizit Befunde wie Bewegungseinschränkungen oder detaillierte Muskelfunktionstests dokumentiert, um Ihre Leiden objektiv zu belegen.
Wie kann ein kurzer Gehtest mein Restleistungsvermögen im Rentenverfahren bestimmen?
Der Gehtest dient Gutachtern als objektive Messgrundlage, um Ihr Restleistungsvermögen hochzurechnen. Ziel der Deutschen Rentenversicherung ist die Feststellung Ihrer Wegefähigkeit. Selbst wenn Sie den Test wegen Schmerzen vorzeitig abbrechen, nutzen die Gutachter die zurückgelegte Strecke, um zu schätzen, ob Sie die entscheidende Distanz von 500 Metern in maximal 20 Minuten bewältigen könnten.
Dieser kurze Test ist juristisch gesehen nicht das Ende der Bewertung, sondern lediglich der Ausgangspunkt einer rechnerischen Extrapolation. Nur wer nachweislich diese kritische Wegstrecke massiv unterschreitet, gilt als wegeunfähig. Wird die Wegefähigkeit verneint, kann dies eine volle Erwerbsminderung begründen, da der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt für Sie verschlossen wäre. Ergibt die Hochrechnung die Fähigkeit, 500 Meter zurückzulegen, wird meist angenommen, dass Sie leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden täglich verrichten können.
Nehmen wir das Beispiel eines Klägers, der den Gehtest schon nach 116 Metern abbrach. Diese erbrachte Leistung rechnete die Gutachterin hoch und kam zum Schluss, der Mann könne 500 Meter in 15 bis 20 Minuten bewältigen. Diese rechnerische Schlussfolgerung steht oft im Fokus der juristischen Auseinandersetzung, da sie dem tatsächlichen, chronischen Leiden widerspricht. Ein unreflektierter Abbruch des Tests, ohne präzise Angaben zu Schmerzursache und -zeitpunkt, kann zudem als mangelnde Kooperation interpretiert werden.
Sollten Sie einen Gehtest absolvieren müssen, protokollieren Sie minutiös nicht nur die zurückgelegte Strecke, sondern auch exakte Schmerzpunkte und das genaue Gefühl des Abbruchs, um die Hochrechnung später fundiert widerlegen zu können.
Muss die Rentenversicherung mir einen konkreten Job nennen, wenn meine Rente abgelehnt wird?
Nein, die Deutsche Rentenversicherung muss Ihnen keinen konkreten Arbeitsplatz nachweisen, wenn sie Ihren Rentenantrag ablehnt. Diese weit verbreitete Erwartungshaltung ist juristisch nicht erfüllt. Die abstrakte Verweisbarkeit ist das entscheidende Prinzip: Es genügt die Feststellung, dass der allgemeine Arbeitsmarkt theoretisch noch für Sie offensteht.
Gerichte weisen den Einwand fehlender konkreter Stellen regelmäßig mit Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurück. Es reicht aus, wenn das medizinische Gutachten ein klares Anforderungsprofil für leichte Tätigkeiten definiert. Zu diesen Anforderungen gehören oft die Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung, etwa zwischen Sitzen und Stehen, sowie die Freiheit von Akkord- oder Stress. Die Rentenversicherung geht davon aus, dass in Deutschland ausreichend Jobs existieren, die diesem klar umrissenen Profil entsprechen.
Selbst wenn Sie intensiv nach einer passenden Stelle suchen und keine finden, bleibt dies juristisch irrelevant für Ihren Anspruch auf Erwerbsminderungsrente. Der Fokus liegt ausschließlich auf Ihrer Fähigkeit zur Arbeit, nicht auf der tatsächlichen Vermittelbarkeit. Tätigkeitsfelder wie Zureichen von Teilen, Kleben oder Sortieren fallen oft in die Kategorie leichter Tätigkeiten. Der Gutachter muss lediglich belegen, dass diese Tätigkeiten täglich noch mindestens sechs Stunden möglich sind.
Verlangen Sie die exakte schriftliche Beschreibung des zugrunde gelegten Anforderungsprofils, um präzise prüfen zu können, ob Ihre medizinischen Einschränkungen dieses Profil objektiv ausschließen.
Welche objektiven Befunde brauche ich, um meine Schmerzen im Rentenverfahren zu beweisen?
Gerichte fordern stets einen Nachweis, dass Ihre chronischen Schmerzen eine massive Funktionsstörung verursachen, die objektiv messbar ist. Subjektive Schilderungen allein genügen nicht für eine Rente wegen Erwerbsminderung. Um Ihre Einschränkungen rechtssicher zu belegen, benötigen Sie daher Objektive Medizinische Befunde, wie detaillierte MRTs, Röntgenbilder oder spezifische neurologische Funktionstests.
Der entscheidende Punkt ist die Überprüfung, ob die Schmerzen das Restleistungsvermögen auf unter sechs Stunden pro Tag drücken. Das Gericht sucht nach Beweisen, die diese massive Einschränkung von 6 Stunden rechtfertigen, wie etwa schwere neurologische Schäden oder dokumentierte, radiologisch belegte Fehlstellungen. Fordern Sie bei Ihrem behandelnden Arzt explizite Angaben zu Gelenk-Bewegungsumfängen oder detaillierten Muskelfunktionstests an, die nicht nur Beschwerden, sondern messbare Defizite festhalten.
Fehlende Objektivität schwächt die Plausibilität Ihrer Schilderungen erheblich. Besonders kritisch wird die Glaubwürdigkeit, wenn Sie wichtige Tatsachen verschweigen, die gegen die Schwere der Schmerzen sprechen. Ein Beispiel: Wer im Verfahren eine bezahlte Nebentätigkeit, etwa eine Pflegetätigkeit, nicht angibt, liefert dem Gericht ein starkes Indiz. Das Unterlassen solcher Angaben führt zu einem schweren Glaubwürdigkeitsverlust und kann die gesamte Klage scheitern lassen.
Überprüfen Sie alle ärztlichen Unterlagen darauf, ob dort lediglich subjektive Beschwerden protokolliert sind, anstatt objektive Messergebnisse festzuhalten.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Abstrakte Verweisbarkeit
Die Abstrakte Verweisbarkeit ist das juristische Prinzip in der Rentenversicherung, das besagt, dass der Versicherte auf jede theoretisch mögliche, leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden darf.
Das Gesetz schützt damit nur den Verlust der allgemeinen Arbeitsfähigkeit, nicht den Verlust des spezifisch erlernten Berufs, wodurch die Rentenversicherung entlastet und die Anspruchshürde hoch gehalten wird.
Beispiel: Das Landessozialgericht wies die Klage des ehemaligen Kraftfahrers ab, da die Gutachterin die Abstrakte Verweisbarkeit durch die Definition leichter Sortier- und Verpackungstätigkeiten bejahte.
Erwerbsminderung
Juristen definieren die Erwerbsminderung als den Zustand, in dem jemand aufgrund von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit nur noch eingeschränkt arbeiten kann, gemessen am allgemeinen Arbeitsmarkt.
Diese Rente soll Versicherten eine finanzielle Existenzgrundlage sichern, wenn das tägliche Restleistungsvermögen unter sechs Stunden sinkt und ihnen dadurch der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt verwehrt wird.
Beispiel: Ob eine volle Erwerbsminderung vorliegt, hing im Fall des Klägers davon ab, ob seine Gehfähigkeit eine Arbeitsleistung von weniger als drei Stunden täglich zuließ.
Objektive Medizinische Befunde
Objektive medizinische Befunde sind messbare, durch technische oder klinische Untersuchungen nachgewiesene körperliche oder funktionelle Einschränkungen, die über bloße Schmerzschilderungen hinausgehen.
Die Sozialgerichte fordern solche Beweismittel, um die Plausibilität und Schwere der subjektiven Leiden zu überprüfen und Missbrauch im Rentenverfahren auszuschließen.
Beispiel: Dem Kläger fehlten die notwendigen objektiven medizinischen Befunde, da die Gutachterin keine massive organische Ursache für die stark geschilderten Schmerzen feststellen konnte.
Restleistungsvermögen
Das Restleistungsvermögen beschreibt die verbleibende Fähigkeit eines Versicherten, trotz gesundheitlicher Einschränkungen täglich noch eine bestimmte Stundenzahl einer leichten Tätigkeit auszuüben.
Dieses Gutachterergebnis ist entscheidend, denn es legt fest, ob der Versicherte Anspruch auf volle (unter 3 Stunden) oder teilweise (3 bis 6 Stunden) Erwerbsminderungsrente hat.
Beispiel: Die Rentenversicherung sah das Restleistungsvermögen des Mannes bei mindestens sechs Stunden täglich, da die leichten Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltung ohne Zeitdruck möglich waren.
Somatoforme Schmerzstörung
Die Somatoforme Schmerzstörung ist eine anerkannte medizinische Diagnose für chronische Schmerzen, bei denen keine ausreichende organische Ursache oder eindeutige körperliche Erkrankung gefunden werden kann.
Juristisch gesehen erkennt die Diagnose zwar die Realität der Schmerzen an, beweist aber allein nicht die Erwerbsminderung, solange keine objektivierbaren Funktionsausfälle vorliegen.
Beispiel: Obwohl die Gutachterin beim Kläger eine Somatoforme Schmerzstörung feststellte, reichte dies dem Gericht nicht aus, um seine Arbeitsfähigkeit auf unter sechs Stunden pro Tag herabzusetzen.
Wegefähigkeit
Unter Wegefähigkeit verstehen Sozialrichter die Fähigkeit eines Versicherten, täglich viermal eine Wegstrecke von mindestens 500 Metern in weniger als 20 Minuten zurückzulegen, um den Arbeitsort zu erreichen.
Wer diese Wegstrecke nachweislich massiv unterschreitet, gilt als wegeunfähig; der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt wird dadurch juristisch verschlossen, was zur vollen Erwerbsminderungsrente führen kann.
Beispiel: Die Hochrechnung der Gutachterin nach dem sechsminütigen Gehtest sollte beweisen, dass der Kläger die erforderliche Wegefähigkeit besitzt, obwohl er nur 116 Meter zurücklegen konnte.
Das vorliegende Urteil
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt – Az.: L 3 R 115/23 – Beschluss vom 08.11.2023
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Ich bin Dr. Christian Gerd Kotz, Rechtsanwalt und Notar in Kreuztal. Als Fachanwalt für Verkehrs- und Versicherungsrecht vertrete ich Mandant*innen bundesweit. Besondere Leidenschaft gilt dem Sozialrecht: Dort analysiere ich aktuelle Urteile und erkläre praxisnah, wie Betroffene ihre Ansprüche durchsetzen können. Seit 2003 leite ich die Kanzlei Kotz und engagiere mich in mehreren Arbeitsgemeinschaften des Deutschen Anwaltvereins.


